Studentenrevolte in Wien

Nachdem populistische Politiker den "Massen an Deutschen Studenten" die Schuld an der österreichischen Uni-Misere zugewiesen haben, wollen die Studenten lieber die neoliberale Bildungspolitik und den Bolognaprozess loswerden - die Deutschen dafür behalten

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Wie schon Hegel bemerkt hat, kann eine Revolution nur gelingen, wenn sie in den Köpfen der Menschen bereits vorweggenommen ist. Nun ist zwar eher fraglich, ob die jüngsten Protestaktionen ihre Ziele erreichen werden, haben die protestierenden Studenten doch generell ein Ende der „neoliberalen“ Bildungspolitik zum Ziel. Grundsätzlich herrscht jedoch unübliche Übereinstimmung in der Studentenschaft. Jedenfalls ist die Zustimmung einer überwältigenden Mehrheit der Studierenden zu den Forderungen der Hörsaal-Besetzer so offensichtlich, dass sich innerhalb kürzester Zeit eine beträchtliche Anzahl an Studenten auch zu konkreten Handlungen hinreißen ließ.

Tatsächlich war am Uni-Gelände kaum jemand anzutreffen, der die Verhältnisse nicht für kritikwürdig hält, und selbst politisch weit rechts außen verortete Studenten konnten sich gegenüber Telepolis problemlos mit den Forderungen solidarisieren.

Wenngleich die Party-Komponente der Proteste bereits am Donnerstag ihren Höhepunkt erreicht hatte und bei einigen Aktivisten inzwischen deutliche Erschöpfungsanzeichen zu bemerken sind, war der geschichtsträchtige Hörsaal auch am Wochenende noch mit revolutionärer Stimmung erfüllt. Man habe nicht vor, so schnell aufzugeben, insbesondere da die Proteste inzwischen auf Universitäten in Graz und Innsbruck übergegangen sind.

Begonnen hat alles am Dienstag um 12 Uhr Mittag mit einer Pressekonferenz an der Akademie der bildenden Künste Wien, eine der ältesten Kunstakademien Europas. Dabei traten Lehrer und Studenten gemeinsam gegen die am darauffolgenden Donnerstag dennoch von Rektor Schmidt-Wulffen unterzeichneten Leistungsvereinbarungen 2010-2012 auf und forderten „Re-Demokratisierung statt neoliberaler Führungspolitik“, ein „Abschalten des Bologna-Prozesses“ sowie insbesondere keine Bachelorstudien an der Akademie.

Die Veranstalter der ansonsten von den Medien wohl weitgehend ignorierten Pressekonferenz hatten sich jedoch einen echten Aufreger einfallen lassen. So verkündeten sie schlicht am Ende der Konferenz, dass ab sofort die Aula besetzt sei und dies auch so bleibe, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Allerdings nicht geplant war die breite Solidarisierung und das Übergreifen auf weitere Universitäten, allen voran der Universität Wien, wo die Studenten am Donnerstag die Herrschaft über das Audimax an sich rissen. Wobei kurz die Gefahr bestand, an einem privaten Ordnerdienst zu scheitern.

So hatten sich am Dienstagabend rund 250 Betroffene in der Aula der Akademie zusammengefunden, wobei viele Studenten von anderen Instituten gekommen waren. Wie die spontan zur Pressesprecherin delegierte Nicole Kornherr gegenüber Telepolis erzählt, sei das Besondere an diesen Protesten, dass die Aktion nicht von den etablierten Studentenvertretungen der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) ausgegangen sei, sondern „von der Basis“. Sie studiert Internationale Entwicklung und Politik an einem für 300 Studenten ausgelegten Institut, wo derzeit rund 2.500 Studenten ausgebildet werden. Bei dieser Veranstaltung waren zuerst vor allem Studenten von Institut dabei, wo sich schon länger Widerstand geregt hatte, beobachtet sie. „Dass da etwas los ist, haben wir übers Handy durch persönliche Kontakte erfahren. Diejenigen, die sich für so etwas engagieren, kennen sich hier ja untereinander recht gut.“

Gerade beim ihrem Studium, das die gesamten Sozialwissenschaften umfasse, seien fächerübergreifendes Arbeiten und individuelle Auswahl und Spezialisierung unerlässlich. Mit der zunehmenden Verschulung sei dies aber kaum mehr möglich, weshalb gerade an ihrer Fakultät besonders große Unzufriedenheit herrsche. Bei der ersten Diskussion wären aber nur lauter Einzelpersonen und kaum Organisationen gekommen, die sich aber recht einig waren. Vereinbart wurde hier etwa die Demonstration am Donnerstag, in deren Anschluss dann das Audimax besetzt wurde.

Laut Nadine Lemke, Studentin an der Akademie der Bildenden Künste und an den Protesten beteiligt, wurden von Anfang an jedoch bewusst Twitter (Uni brennt) und Facebook genutzt, während die Protest-Homepage der Akademie – allerdings noch ohne viel Inhalt – bereits ein paar Tage vor der Pressekonferenz online war.

Da sich die offizielle Studentenvertretung, die ÖH, erst nach und nach den Protesten anschloss und bei den Revoluzzern sowieso auf einige Skepsis stößt, und die Ausbreitung der Proteste auf andere Universitäten ungeplant erfolgt ist, waren dort freilich weder Organisationsstrukturen noch ausgearbeiteten Programme und schon gar keine Kommunikationsstrategien oder Infrastruktur vorhanden. Die Organisationsarbeit erfolgte also auf den privaten Laptops der Studenten, und während im Audimax immerhin rasch ein Drucker lief, wurde am Freitag letztendlich sogar ein Pressehandy angeschafft.

Besonders ungelegen kommt die Studentenrevolte übrigens den Boulevardmedien sowie konservativen und rechtsgerichteten Politikern, die die Bildungsdebatte gerade erst in eine ganz andere Richtung zu lenken versucht hatten. Demnach wären alle Missstände ja nur auf die deutschen Studenten zurückzuführen, die in zunehmenden Massen die österreichischen Unis besetzen würden – zu Lasten der österreichischen Steuerzahler. Bei den Studenten ist dieser Sündenbock-Ansatz allerdings nicht einmal ein Thema und wird vehement abgelehnt.

Was „Themen“ sind, wird in einem offenen Plenum festgelegt, das zu kurzfristig festgelegten Zeiten tagt und die anstehenden Entscheidungen fällt. Das Plenum arbeitet zusammen mit Arbeitsgruppen wie z.B. “vergleichbare Proteste“, “Abendgestaltung” oder “Programm-Aktionen” zusammen, wobei „fundierte, breite Entscheidungen zu grundsätzlichen Themen" im Plenum entschieden werden. Konkrete Vorschläge werden von den einzelnen Arbeitsgruppen ausgearbeitet und im Plenum vorgestellt. In einer gemeinsamen Diskussion sollen mögliche Einwände besprochen und gelöst werden und so ein gemeinsamer Beschluss gefasst werden. Sollte es zu keinem Konsens im Plenum kommen, gehen die Themen zurück in die Arbeitsgruppen und werden dort weiter ausgearbeitet, wobei die Arbeitsgruppen jederzeit für alle frei zugänglich sind“, wie dem Blog Freie Bildung zu entnehmen ist.

Selbst der Rektor der Uni Wien, Rektor Georg Winckler zeigt gegenüber dem „Standard“ Verständnis für die Besetzung. Allerdings stellten die Studenten zum Teil irreale Forderungen, wie Abschaffung von Prüfungen. Außerdem wären die Studenten am falschen Ort, sie sollten lieber das Parlament oder das Ministerium besetzen. ÖVP-Unterrichtsminister Gio Hahn ist hingegen „gerne bereit, mit den offiziellen Vertretern von der Österreichischen Hochschülerschaft zu sprechen“, was, da die ÖH mit den Protesten so gut wie nichts zu tun hat, entweder seine dahingehende Ignoranz oder den Willen, die Protestierer zu düpieren, beweist. Auch die VP-nahe Studentenfraktion AktionsGemeinschaft (AG), distanzierten sich von „Vandalismus“ und „Protesten zur Durchsetzung studentischer Forderungen, die für Sachbeschädigungen und Partys missbraucht werden“, schließt sich aber immerhin der Forderung nach mehr Geld für die Unis an. Allerdings scheint auch hier die Front zu bröckeln, gebe es doch Seitens der Grazer AG Anzeichen für eine stärkere Annäherung an die Protestierer.

Die Massenmedien waren am Samstagabend von einer Annäherung hingegen weiter entfernt denn je. Ihre Berichterstattung konzentrierte sich auf die Kosten von "mehr als 100.000 Euro", die die Besetzungen verursacht hätten, und die massiven Behinderungen, denen die Studenten dadurch ausgesetzt wären. Ganz schlimm sind für sie Vandalen-Akte wie Spray-Aktionen, die allerdings auch vom Plenum abgelehnt werden. Die Studenten beteuern indessen ihre Bereitschaft auszuharren. Die Verpflegung der Protestierer wird weiterhin von einer „Volksküche“ zur Verfügung gestellt, Teller und Besteck sollen die Studenten selbst mitbringen.