Der Horst Seehofer der deutschen Philosophie

Der Streit darüber, was ein Leistungsträger ist und wie er zu besteuern ist, ebbt nicht ab

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Bislang hatte die Süddeutsche Zeitung, eine der führenden Adressen des „medialen Sozialdemokratismus“ im Land, dem Philosophenstreit nur als interessierter Beobachter beigewohnt. Eher schmunzelnd und vom Rande aus betrachtete man den „humorlosen“ Schlagabtausch, den sich zwei philosophische Diven in beidseitiger Abneigung lieferten. Um die Sache, mithin um Politik, ging es der Zeitung bislang nicht. Diese Meinung hielt auch noch an, als Christoph Menke und Karl-Heinz Bohrer für die eine oder andere Seite in die Bresche sprangen.

Seit Freitag letzter Woche ist das aber anders. Es scheint, als habe sich die Kulturredaktion entschlossen, sich doch der Sache anzunehmen und gegen die „Steuerfantasien“ des Philosophen Sloterdijk Stellung zu beziehen. Zunächst war es Adrian Kreye (Vom Zorn der Leistungsträger), der sich gegen die Sozialutopie einer „wohltätigen Meritokratie“ verwahrte. Diese in den USA übliche Praxis wohlhabender Mitbürger, einen Teil ihres erzielten Reichtums an die Allgemeinheit in Form von Spenden oder Geschenken zurückzugeben, hielt der Kulturchef, der selbst lange Jahre in den USA verbracht hat, wegen der unterschiedlichen Mentalitäten und kulturellen Tradition der Länder für nicht machbar.

Typen wie der Ölmagnat Paul Getty, der seiner Heimatstadt Los Angeles ein Museum plus Stiftung schenkte, der von Kreye zum Zeugen berufene Andrew Carnegie, der den Bürgern New Yorks eine Konzerthalle überließ, Bill Gates oder George Soros, die mit einem nicht unerheblichen Teil ihre Vermögens Organisationen auf der ganzen Welt unterstützen, gelten hierzulande noch als Exoten. Dass mittlerweile mit Dietmar Hopp auch ein großzügiger Geldgeber tätig ist, der mit seiner Stiftung neben seinem Heimatverein, der TSG 1899 Hoffenheim, Projekte aus den Bereichen Jugendsport, Medizin, Soziales und Bildung gezielt fördert, vergaß Kreye bei seiner Verteidigung des von Zwangssteuern gestützten „europäischen Solidaritätsgedankens“.

Abgesehen davon, dass der Verweis Kreyes auf den Stahlmagnaten nicht besonders originell war, weil Sloterdijk in „Zorn und Zeit“ (Produktivkraft Wut) Carnegie selbst als Personifikation einer von Georges Bataille inspirierten „Schenkungs- und Verausgabungsökonomie“ angeführt hatte, hätte gerade dieser Artikel die Gelegenheit geboten, auf das bislang eher zarte Pflänzchen einer „gebenden Hand“ zu verweisen und der Debatte damit eine andere Stoßrichtung zu geben als sie nun genommen hat.

Würden diese großzügigen Spender von der Gesellschaft nämlich entsprechend honoriert, könnte es mittelfristig zu einem anderen gesellschaftlichen Klima und Wertesystem kommen, das solche Leistungen belohnt. Indem sie nämlich (worauf zuletzt Slavoj Zizek in seinem jüngsten Buch „Auf verlorenem Posten“ hingewiesen hat) Kunst oder Sport, Wissenschaft, Gesundheit oder Forschung unterstützen, durchbrächen diese Wohltäter nicht nur jenen Circulus vitiosus des permanenten Geldverdienens, sie erhielten auch jene „soziale Anerkennung“, die Honneth meint und die man ihnen aber aufgrund der Anhäufung von Reichtum verweigert.

Lieber Abstand statt Anstand

Einen Tag danach, in der Wochenendausgabe, nahm sich ein Redakteur der Zeitung der „Logik des Endlich-sagt's-einer“ an. Aufhänger waren diesmal die teilweise ruppigen Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin zum „Schlampfaktor der Berliner Ökonomie“ in der Kulturzeitung „Lettre International“ (Masse statt Klasse). Sloterdijk hatte, nachdem Sarrazin vom Chef der Deutschen Bundesbank Axel A. Weber in seinen beruflichen Aufgaben beschnitten und demontiert worden war, in der Zeitschrift „Cicero“ von einem bedenklichen „System der Unterwürfigkeit“ gesprochen, das die „deutsche Meinungs-Besitzer-Szene“ unter dem „Deckmantel der Redefreiheit“ errichtet habe. Dieser „Meinungskäfig“ habe dazu geführt, dass darin gegen jeden „gekeift und gehetzt“ werde, der gegen ihre „Käfigstandards“ verstoße.

Obwohl sogar Frank Berberich, der Lettre-Herausgeber und Gesprächspartner Sarrazins, die Skandalisierung des Interviews als "albern" einstufte, stellte die „Süddeutsche Zeitung“ den Fall auf den Kopf. Nach des Autors Meinung widerlege schon der empirische Befund Sloterdijks Tabuverbots-Verdacht. Sarrazins vermeintlicher „Klartext“ bediene vor allem das, was Medien liebten, den Krawall. Längst genösse der Provokateur in diesem Umfeld Artenschutz. In seiner Attacke wider das „Eifern und Geifern“ übersähe Sloterdijk aber, dass solche „Deutlichkeiten“ andere kränkten und verletzten. Auch im öffentlichen Diskurs gebe es nun mal Anstandsformen zu beachten.

Nun muss man bei solcher Gelegenheit nicht unbedingt an Niklas Luhmann denken, den humorigen Soziologen, der, wenn von „Anstand“ die Rede war, sofort ans „Abstand“ halten dachte. Es reicht, darauf hinzuweisen, dass das gar nicht der Punkt des Philosophen war. Er hatte sich eher an jenem „durchsterilisierten“ Ton eines linkskonservativen Mehrheitsdiskurses gestoßen, der immer dann reflexhaft in hysterische Empörungsrituale umschlägt, wenn jemand es wagt, auf gravierende Probleme im Zusammenleben von In- und Ausländern hinzuweisen.

Rasch werden dann einige markante Stellen herausgeklaubt und so verschraubt, dass sie zur öffentlichen Ehrabschneidung taugen. So kommt es, dass hinter spitzen Bemerkungen stets und überall „menschenverachtende“ Motive oder „rassistische Pointen“ vermutet werden (Schickes Ödland Großstadt) und aus einem mit „Masse statt Klasse“ betitelten Interview ein Rasse statt Klasse gemacht wird, um dem Betreffenden der Herstellung des Zusammenhangs von Rasse und Intelligenz zu zeihen.

Die Sache selbst ist damit erfolgreich aus der Welt und in ein Formproblem umgedeutet worden. Über die Frage, warum etwa bildungsferne Schichten trotz massivster pädagogischer und finanzieller Interventionen bislang nicht zu mehr Bildungsanstrengungen zu verleiten sind, oder warum etwa Asiaten leistungsbereiter, aufstiegswilliger und eher geneigt sind, die Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft zu akzeptieren als Angehörige des muslimisch-arabischen Raums, muss dann nicht mehr diskutiert werden.

Wirtschaftlicher Tiefflieger

Schließlich bot die SZ am darauf folgenden Montag einen Wirtschaftsjournalisten auf, der den ökonomischen Sachverstand des Philosophen zerpflücken sollte. Offenbar erinnerte man sich dabei an die Kritik Jürgen Kaubes (Der Vermögensverwalter), der genau diesen schon bei beiden Streithähnen vermisst hatte.

In besagtem „Cicero“-Artikel vom Wochenende hatte Sloterdijk nämlich erneut die Behauptung aufgestellt, dass der überwiegende Teil der Deutschen auf Kosten eines stetig schrumpfenden Teils steueraktiver Bürger lebe. Der Philosoph hatte das an der Einkommensteuer und den davon abzuführenden Abgaben festgemacht. Das aber, so die SZ, tauge aber nicht zur Bewertung der Steuerbelastung, da indirekte Steuern wie die Mehrwert-, Tabak- oder Benzinsteuer außen vor blieben, die Steueraktiven sich aber auch den Löwenanteil am Markteinkommen sicherten. Hinzu komme, dass er zwischen Einkommen und Leistung unzureichend unterscheide.

Letzteres hatte bereits Honneth moniert (Fataler Tiefsinn aus Karlsruhe) und die Frage aufgeworfen, worin zum Beispiel die Leistung eines ererbten Vermögens bestehe, die Gegenfrage aber dabei unerwähnt gelassen, was den Staat dazu legitimiert, in privaten Vermögen herumzuwildern, die bereits mehrmals der Besteuerung unterworfen waren. Zur Steuerwahrheit gehört aber auch, dass ein Teil der indirekten Steuern und Abgaben, mit denen getankt, Nikotin erworben oder Lebensmittel gekauft werden, bereits aus Transferzahlungen besteht, die von den Steueraktiven vorher aufgebracht worden sind.

Lohn ist ungleich Leistung

Gewiss lässt sich Leistung am Einkommen weder ablesen noch messen. Sonst wäre kaum nachzuvollziehen, warum ein Fußballprofi so exorbitant mehr verdient als ein Arzt, Apotheker oder City-Mailer. Die Bewertung dafür übernimmt der Markt. Und offenbar sind prima Fußballer knapper gesät und die Nachfrage noch solchen Talenten um ein Vielfaches größer als die nach promovierten Geistes- oder Kulturwissenschaftlern. Mit erbrachten Leistungen hat das, so das ökonomische Einmaleins, zunächst gar nichts zu tun.

Natürlich sind Masseure, Lackierer oder Greenkeeper auch Leistungsträger. Wer wollte das in Abrede stellen. Ohne sie und ihre Leistung würde die Wirtschaft kollabieren. Auch Cristiano Ronaldo oder Franck Ribéry brauchen „Wasserträger“, um auf dem Feld zu glänzen. Ihr Steueraufkommen ist, falls sie nicht schon davon befreit sind, aber auch entsprechend gering. Ihr Problem ist nur, dass deren Tätigkeiten weder besonders nachgefragt noch von der Gesellschaft besonders geschätzt werden. Auch und vor allem von jenen Leuten, die Mindestlöhne fordern, im Supermarkt, beim Friseur oder im Waschsalon zum Schnäppchenjäger werden und sich weigern, einen „fairen Preis“ (was immer das auch ist) für den Liter Milch, einen Kurzhaarschnitt oder einen Flachbildschirm zu entrichten.

Schuld, nicht Gier

Dies zeigt, dass der Faktor Arbeit als Gradmesser für gesellschaftliche Wertschöpfung wenig taugt. Sowohl David Ricardo als auch Karl Marx, der das von ersterem abgeschrieben hat, sind folglich einen „folgenschweren“ Irrtum aufgesessen, der die traditionelle Volkswirtschaftslehre bis heute leitet. Darum kann sie zwar die Produktion erklären, nicht aber, wie richtiges Wirtschaften funktioniert.

Folgt man Gunnar Heinsohn (Die nächste Blase schwillt schon an) und der Theorie, die er mit seinem Partner Otto Steiger in „Eigentum, Zins und Geld“ aufgestellt hat, dann entsteht die entsprechende Dynamik, die man für Wertschöpfungen braucht, erst und allein aus der Verpfändung von Eigentum gegen Zins, und gerade nicht aus Tauschvorgängen.

Danach tun Eigentümer zunächst nichts anderes, als ihren Besitz vor Preisverfall oder Zwangsversteigerung zu schützen. Wer dies nicht macht, reduziert entweder den Wert seines Eigentums oder mindert seine Kreditwürdigkeit bei Banken. Darum investieren Unternehmen wie Hausbesitzer in Maschinen, Solaranlagen oder Arbeitskräfte. Um das zu finanzieren, nehmen sie Kredit auf und verschulden sich im Glauben, diesen später tilgen und ihr Eigentum aus der Verschuldung wieder herauslösen zu können. Auf diese Weise schaffen sie Märkte.

Geld beinhaltet mithin immer eine Forderung, es entsteht, wenn sich jemand verschuldet. Nicht die Gier, sondern die Schuld und deren Abtragung stehen folglich am Anfang allen Wirtschaftens. Geschäftsbanken bekommen nur Geld von den Zentral- und Notenbanken, wenn sie vorher ein „Pfand“ dafür hinterlegt haben. Kaufverträge oder Abmachungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind mithin nichts anderes als Derivate von Kreditverträgen, die ein Gläubiger und Schuldner schließen und die letzterer durch innovative Tätigkeit am Markt begleichen muss. Gelingt ihm das nicht, wird zwangsvollstreckt, der Besitz wechselt den Besitzer oder das Unternehmen verschwindet mangels Wert vom Markt.

Eigentum schützen

Die SZ weist zu Recht darauf hin, dass es im Grunde im Interesse aller sein müsste, Eigentümer zu werden, sich also durch den Erwerb von Aktien an Unternehmen zu beteiligen oder durch den Bau eines Hauses oder den Kauf einer Wohnung in einen solchen zu verwandeln. Nichts anderes haben die "philanthropischen" US-Regierungen von Clinton bis Bush auch versucht, als sie die in Staatsbesitz befindlichen Banken dazu zwangen, Kredite an „Freddie Mac“ and „Fannie Mae“ zu vermitteln.

Wer Eigentum erwirbt oder Anteilseigner an Unternehmen wird und beides fördern will, muss wissen, welche Risiken er damit eingeht. Das mussten sowohl die neuen Hausbesitzer in Amerika als auch die Reichen, die am Markt mit Termingeschäften spekuliert und auf höhere Gewinne oder fallende Kurse gesetzt haben, oder leichtgläubige Rentner, die auf die Pyramidenspiele ihrer Bankberater hereingefallen sind, leidvoll erfahren. Ändern sich nämlich die Bedingungen, zu denen Kredite gewährt worden sind, können diese auch nicht mehr bedient werden.

Zu glauben, dass der Staat eine Art Schutzschirm bilden kann, der vor solchen Risiken schützt, ist ein Irrglaube, der vor allem im sozialdemokratischen Vorsorgestaat gedeiht. Der Markt ist jedoch ein evolvierendes System. Er entwickelt sich blind und ist durch Menschenhand nicht steuerbar (Geld mehrt Wohlstand). Zur Megakrise kam es, weil die Zentralbanken den Zins auf Null gesenkt und den Geschäftsbanken das Geld sozusagen geschenkt haben. Da es aber für diese exorbitant viele Geldmengen keine Abnehmer mehr gab, die etwas zu verpfänden hatten, investierten die Banken in Preis- statt in Produktionssteigerungen, was bis heute zu der so genannten „Kreditklemme“ führt, unter der die Unternehmen derzeit leiden.

Was der Staat hingegen tun kann, ist, sich stellvertretend für die Bürger, in diesem Fall also die Leistungsträger, zu verschulden. Der Staatsbürger in Form des Mittelstandes ist sozusagen das Pfand, das künftige Generationen durch ihre Leistungskraft wieder herauslösen müssen. Wer wie etwa die USA auch künftig über genügend talentiertes Personal verfügen wird, um diese Schulden zu bedienen, kommt damit weit besser zurande, als jene Länder, denen diese Begabungen fehlen und obendrein demografisch auf dem absteigenden Ast sind. Genau das und nichts anderes war Thema und der eigentliche Inhalt des Sarrazin-Interviews.

Und noch etwas kann der Staat tun. Beispielsweise kann er im Verbund mit anderen Staaten mit kluger Politik dafür zu sorgen, dass aus der permanenten Krise, die den Kapitalismus begleitet, keine „Blasen“ entstehen, die sich zu Megakrisen wie 2002 und 2008 auswachsen. Weil auch Regierungen mittlerweile wissen, dass die Krise zum Kapitalismus gehört wir das Amen zur Kirche, sollten sie Sozialpläne für die Opfer in der Schublade haben.

Wiener Melange

Der Philosoph Sloterdijk scheint hingegen den Ernst der Debatte aus dem Auge verloren zu haben. Während sich „unglückliche“ Frankfurter Philosophen mit anderen ebenso „unglücklichen“ Philosophen aus Bielefeld die Köpfe heiß reden und die Gelegenheit nutzen, ihre persönlichen Animositäten und Ressentiments, gleich ob von oben oder von unten, vor großem Publikum auszutragen, weilt der Philosoph, der den ganzen „semantischen Schaum“ ausgeschlagen hat, im fernen Wien und diktiert dem „Spiegel“ ins Kontor, dass er die ganze Aufregung im Prinzip nicht recht verstehe. Sein ganzes Leben lang sei er „Sozialdemokrat“ gewesen und habe „die nehmende und umverteilende Hand“ des Staates genossen. Immer schon habe er die SPD gewählt und verstehe daher gar nicht, wie jemand auf die Idee kommen könne, seinen Appell an Generosität und Bürgerstolz als lautes Trommeln für die schwarzgelbe Koalition zu deuten (Peter Sloterdijk kann die SPD derzeit entbehren).

Das mag so sein. Zumal weder der Zorn der Leistungsträger noch der befürchtete „Klassenkampf von oben“ stattfinden wird. Angela Merkel und Guido Westerwelle schließen vorerst da an, wo die schwarzrote Koalition aufgehört hat. Sowohl der Kündigungsschutz und die ausgehandelten Mindestlöhne, als auch die Mitbestimmung und die Sozialtransfers bleiben (vorerst) erhalten. Außerdem gibt es reichlich Geld für die Kleinen, Familien und bildungswillige Studenten. Im Innersten ihres Herzens sind auch sie wie fast alle Deutschen „Sozialdemokraten“. Der „Sozialdemokratismus“ ist zur eigentlichen Staatsdoktrin der „Berliner Republik“ geworden. Das ist auch der Grund, warum das Land auf eine Partei gleichen Namens verzichten kann.

Doch gar mancher, der Freiheitsmotive höher veranschlagt als „den Paternalismus des vorsorgendes Sozialstaates“ (N. Bolz), wird sich angesichts dieser Worte des Philosophen einigermaßen düpiert vorkommen. Wer Sloterdijks lockere Art im Umgang mit öffentlichen Stellungnahmen kennt, der wird sich darüber nicht besonders wundern oder gar erregen. Genau dieselbe Strategie hatte er im Anschluss an seine Elmau-Rede (Regeln für den Menschenpark) vor genau zehn Jahren auch gewählt.

Auch damals schwächte er, nachdem sich große Empörung über einige kantige Betrachtungen zum Humanismus-Brief Heideggers breit und der böse Verdacht von der „Menschenzüchtung“ die Runde gemacht hatte (Zarathustra-Projekt), viele seiner Formulierungen soweit ab, bis am Ende davon kaum noch was übrig war und er stattdessen öffentlich konstatieren konnte, da habe ihn jemand wohl gründlich missverstanden.

Philosophischer Hansdampf

Karl-Heinz Bohrer, wegen seiner Parteinahme für den öffentlich Gescholtenen durch Martin Seel in „Der Zeit“ (Träume eines Geistersehers) und den Kulturchef der FAZ (Die Wunde Habermas) nun selbst am Pranger, hat Recht. Aber nur zum Teil. Sloterdijk ist bestimmt jener „freier Geist“, als der er sich in der Nachfolge Nietzsches gerne präsentiert. Und er ist gewiss auch „ein Phantast“, der mit Begriffen und Wörtern jongliert, um aus den „Eingeweiden des Zeitgeistes“ berichten zu können. Diesmal traf eine solche sprachliche Versuchsanordnung eben mal den „modernen Steuerstaat“, der dann zum „Vollzugsmedium des objektiven Sozialdemokratismus“ mutierte.

Nach Lektüre seines Spiegel-Interviews muss man ihn wohl auch und erst recht einen „Schlawiner“ nennen, einen „Bazi“, wie man in Bayern zu sagen pflegt, der mit allen Wassern gewaschen ist und stets Freunde wie Gegner zum Narren macht. Dem Philosophen mag das großen Spaß bereiten. Vermutlich sitzt er ja auch zu Hause, blickt auf den Stephansdom und reibt sich dabei ob der gewaltigen Wellen, die sein Text (Die Revolution der gebenden Hand) vier Monate später auf den Kulturseiten der führenden Zeitungen des Landes geschlagen hat, vergnügt die Hände.

Sein Jubel sollte allerdings nicht in Triumphgeschrei ausarten. Mehr denn je muss er, will er künftig mit seinen Äußerungen überhaupt noch ernst genommen werden, aufpassen, die Narrenkappe, die er sich zum wiederholten Male aufgesetzt hat, nicht mehr los zu werden. Tritt dieser Fall nämlich ein, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dann hat er alle Chancen, zum Horst Seehofer der deutschen Philosophie zu werden.