Biologie und Kunst

Eduardo Kac, GFP Bunny, 2000, transgenic artwork. Alba, the fluorescent rabbit.

Künstliche Häute, lebende Kunstwerke und Biohacking für Bürgerinnen und Bürger

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Im Zeitalter der Biotechnologien verändern sich die Grenzziehungen zwischen Natürlichem und Künstlichem; kontinuierlich und beständig bieten technische Errungenschaften neue Möglichkeiten, Lebewesen genetisch zu manipulieren und diese nach menschlichen Vorstellungen zu entwerfen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, sich einmal anzusehen, welche Tendenzen es in der gegenwärtigen Kunst zum Thema Biotechnologie gibt und wie Künstler lebenswissenschaftliche Technologien für sich nutzbar machen. Nicht zuletzt gibt es zudem Bestrebungen, lebenswissenschaftliche Verfahren in Form einer „Do-it-yourself“-Biologie für Bürgerinnen und Bürger erfahr- und nutzbar zu machen.

Die Haut

Die Haut ist etwas, das immer da ist. Kein Mensch kann ohne sie existieren. Sie umgibt uns buchstäblich und schützt uns vor schädlichen Einflüssen aus der Umwelt. Die Haut ist unser größtes und schwerstes Organ. Sie trägt als Wahrnehmungsorgan wesentlich zu unserem sinnlichen Erleben bei und liefert, in ihrer Bedeutung oft unterschätzt, ständig Eindrücke über unsere Umgebung; über die augenblicklichen klimatischen Bedingungen und angenehme oder unangenehme Berührungen.

Über die taktile Wahrnehmung haben wir die Möglichkeit, Dinge anzufassen und zu begreifen. Die Haut nimmt wahr, wenn wir selbst berührt werden. Auch in der Sprache ist die Haut sehr präsent. Wer möchte nicht gelegentlich gerne „aus der Haut fahren“ oder hat nicht schon einmal davon gehört, dass jemand „seine Haut gerettet“ oder „sich auf die faule Haut gelegt“ hat.

Bild: Valleymag. Das Bild steht unter der CC-BY-SA 2.0-Lizenz

Nackte, entblößte Haut kann in der Öffentlichkeit Empörung auslösen, ebenso wie es die Forderung nach ihrer vollständigen Verhüllung kann. Die Haut als Körperoberfläche unterliegt vielfältigen sozialen Deutungen und Konventionen. Auch für sie gelten sozial geteilte Standards, etwa was eine schöne, eine alte oder eine lädierte Haut ist. Die Haut ist Gegenstand von Verschönerungen, Verzierungen und der Präsentation, ebenso wie von Verhüllung und Be- bzw. Abdeckung. Gleichzeitig ist die Haut schon „von Natur aus“ Träger besonderer Kennzeichen; die relative Einzigartigkeit des Fingerabdrucks wird genauso wie das Vorhandensein von Geburts- und Feuermalen oder Narben dazu genutzt, die Identität ihrer Träger festzustellen.

Die Bezeichnung von Hautmalen als Muttermale deutet auf einen nicht geschlechtsneutralen Umgang mit der Haut hin: Bis ins 18. Jahrhundert war die Vorstellung verbreitet, dass Hautveränderungen auf schlechte Einflüsse während der Schwangerschaft rückführbar sind. Die alleinige Verantwortung für die Makel der Nachkommen wurde dabei, wie könnte es anders sein, der Frau zugeschrieben. Auch die unterschiedlichen Färbungen und Farbtöne der Haut sind Gegenstand sozialer Praktiken, die zu Diskriminierung, Bevorzugungen und der Bildung sowie Neubildung von Identitäten beitragen können.

In der Sprache beziehen sich unzählige Redensarten, Sprachwendungen und Begriffe (sic!) auf die Haut selbst und die mit ihr verbundenen taktilen Wahrnehmungen 1. Zum einen kann sie als Abgrenzung bzw. Trennung eines in der Haut liegenden Selbsts vom „Außen“, seiner Umwelt, verstanden werden. In dieser Deutung nimmt die Haut die Gestalt einer bewohnten Hülle an, wie sie beispielsweise in der Formulierung, jemand „fühle sich ganz wohl in seiner Haut“, deutlich wird. Die Haut wird hier als eine trennende Grenzmetapher verstanden.

Zum anderen kann die Haut als gewichtiger Teil des Selbsts verstanden werden. Formulierungen wie „eine ehrliche Haut sein“ oder „seine Haut retten“ deuten dabei auf eine Gleichsetzung der Haut mit der gesamten Person hin. Diese Deutung wird auch sichtbar bei der besonders grausamen Hinrichtung durch das Schinden, das Abziehen der Haut bei lebendigem Leib. Hier wird den Opfern mit ihrem Leben auch ihre Identität genommen, die Enthäutung löscht mit der Haut auch die Person aus 2.

Die Haut als Sinnesorgan liefert Informationen über Temperatur, sowie empfundene Schmerzen auf der Körperoberfläche. In der Funktion des Tastsinns besteht eine besondere Verbindung zwischen den Händen und der Haut. Die Haut als passives Sinnesorgan, das Eindrücke über Temperatur und Schmerz vermittelt, erstreckt sich über die gesamte Körperoberfläche. Die taktil-haptische Komponente des Tastsinns lokalisiert sich aktiv an den Händen, die, im Gegensatz zur übrigen Haut, mit eigener motorischer Aktivität ausgestattet sind.

Hand und Haut

Es ist die Hand, die nach den Dingen greift, die Haut hingegen lässt sich nur berühren. In einer Hierarchie der Sinne wurden die Hautsinne bereits bei Aristoteles gemeinsam mit dem Geschmacksinn als die niederen tierischen Sinne gekennzeichnet - im Gegensatz zum Sehen, Hören und Riechen, die als die höheren menschlichen Sinne angesehen wurden. In sprachlichen Wendungen, die auf taktiles Erleben Bezug nehmen (bspw. Fühlen, Spüren, Ergriffensein, Empfinden, Berührtsein), wird ein hoher emotionaler Gehalt sichtbar. Dasselbe gilt für sinnlich-räumliche Qualitäten der Hautsinne.

Die Haut hat in unterschiedlichen Kontexten und Situationen verschiedene Bedeutungen und Funktionen, die weit über ihre rein organischen Funktionen hinausgehen. Wie der Körper selbst kann sie Teil der Natur oder Gesellschaft sein, Künstliches ebenso wie ein Ausdrucksmittel der Individualität ihres Trägers. Der Philosoph Michel Serres 3 beschreibt deshalb die Haut als eine geschmeidige Mannigfaltigkeit, die sich gleichzeitig anpasst und stabil bleibt, die nach den Dingen greift und sie zugleich begreift. Für Serres ist die Haut das Sinnesorgan schlechthin, da unterschiedliche Ausformungen der Häute (Ohrmuschel, Nase...) die Basis für jeden sinnlichen Eindruck bilden.

Und nicht zuletzt wird die Haut mit Künstlichem und Technischem in Verbindung gebracht, wenn sie etwa dermatologisch oder kosmetisch behandelt und bearbeitet bzw. künstlich reproduziert wird, wenn sie naturgetreu nachgebildet wird oder versucht wird, den in ihr beheimateten Tastsinn künstlich nachzuahmen. Auch für die Prothetik und Robotik stellt sich die Frage, wie die Körperoberflächen künstlicher Gliedmaße und Lebewesen beschaffen sein sollen, so dass sich diese in unterschiedlichsten Umwelten optimal bewähren können.

Auch hier orientiert man sich am Vorbild der menschlichen Haut. Manche Dermatologen interessieren sich nicht nur aus medizinischem Blickwinkel für die Haut und deren unterschiedliche Ausprägungen. Der Filmfan und in San Fransisco praktizierende Dermatologe Dr. Vail Reese etwa betreibt die Website Skinema auf der er alle möglichen Filme unter dem Gesichtspunkt der Hautstände der Protagonisten und Darsteller unter die Lupe nimmt und interpretiert.

Haut als Kommentar zu „Amerikas Ethik und Moral“

Immer wieder bekommt man Schauergeschichten zu hören und zu lesen, in denen berichtet wird, dass kunstvoll tätowierte Menschen gehäutet wurden, um dadurch den in die Haut gestochenen Kunstwerken ein Weiterbestehen etwa in Form von Lampenschirmen zu sichern.

Auf Berichte wie diese hat der amerikanische Künstler Andrew Krasnow damit reagiert, dass er die Haut von Verstorbenen, die ihre Körper der medizinischen Forschung vermacht haben, tatsächlich dazu benutzt hat, um daraus Lampenschirme, Flaggen, Karten und sogar Stiefel anzufertigen. Krasnow versteht seine Arbeit als Kommentar zu menschlichen Grausamkeiten und Amerikas Ethik und Moral. Darüber hinaus finden sich auch heute noch im Englischen unter dem Fachausdruck Anthropodermic Bibliopegy das Vorgehen, Bücher in Menschenhaut einzubinden.

Das neue Ohr

Die Designer des französischen Skinbag Teams machen sich einen Spaß daraus, künstliche Materialien zu entwickeln, die menschlicher Haut äußerst ähnlich sehen, um daraus zum Teil bizarre Modeobjekte zu schneidern. Nicht ganz ernst zu nehmen, ist wohl die Website von Human Leather, auf der die Macher versprechen Gürtel, Geldbörsen und Schuhe aus menschlicher Haut zu liefern.

Wesentlich ernstzunehmender ist hingegen die 2008 in Liverpool von Jens Hauser kurierte Ausstellung sk-interfaces, die zum Ziel hatte, Haut als eine Gegebenheit zu thematisieren, an der Kunst, Technologie, Wissenschaft, Philosophie und Kultur zusammentreffen können. Hier ging es vor allem um die Trennung und Konvergenz von künstlichen und natürlichen Membranen, auch und vor allem durch den Gebrauch von biotechnologischen Verfahren und der künstlichen Schaffung neuer Häute und Membranen, die mit den bisherigen Natürlichen verschmelzen und diese überlagern.

Hier präsentierte beispielsweise die Bio- und Körperkünstlerin Orlan ihren Harlekin Coat, einen Patchwork-Mantel in Lebensgröße, der aus im Reagenzglas gezüchteten Hautzellen unterschiedlicher Kulturen und Spezies besteht und die Verschmelzung unterschiedlicher kultureller Einheiten symbolisieren soll. Der Prothesenkünstler Stelarc hat sich im Rahmen dieser Ausstellung ein künstliches Ohr auf seinen Unterarm implantieren lassen, das ausgestattet mit einem Mikrophon und einem Bluetooth-Sender eine Art Internet-Organ des Körpers darstellen soll. Sterlac möchte hiermit die Miniaturisierung und Biokompatibilität von zukünftigen Kommunikationstechnologien thematisieren, die seiner Meinung nach die bisherigen Grenzziehungen unseres Hautorgans penetrieren werden.

Bild: Stelarc

Gezüchtete Designer-Jungfernhäutchen

Das französische Künstlerduo Art Orienté hat aus eigenen Hautzellen sowie aus der Haut von Schweinen lebende biotechnologische Portraits geschaffen, indem sie die neu entstandene künstliche Haut mit Motiven von bedrohten Arten tätowieren ließen. Diese Arbeit zielt auf die Möglichkeit ab, dass sich Kunstliebhaber in Zukunft biotechnisch-hybride Kunstwerke einverleiben und verpflanzen lassen können, um sie somit tatsächlich zum einem Teil ihres eigenen Körpers werden zu lassen und sie dadurch immer bei sich tragen können.

Die auf medizinische und biowissenschaftliche Themen spezialisierte Künstlerin Julia Reodica hat aus ihren eigenen vaginalen Zellen künstliche Designer-Jungfernhäutchen gezüchtet und mit bestimmten Motiven versehen. Ihr geht es hierbei um die Thematisierung des Wertes der Jungfräulichkeit als Zeichen der Reinheit im Zeitalter ihrer technischen Reproduktion und der Möglichkeit, sich medizinisch oder technisch nach dem Verlieren der Jungfräulichkeit wieder zur Jungfrau machen zu lassen.

Gewachsene Lederjacken

Die Biokünstler Oron Catts and Ionat Zurr, die hinter dem umtriebigen australischen Laborprojekt SymbioticA stecken, in dem die Schnittstelle zwischen den Lebenswissenschaften und der Kunst erforscht wird, waren mit dem Tissue Culture and Art Projekt Victimless Leather vertreten. In diesem Werk ging es darum, aus einer Vermischung von menschlichen Zellen und Zellen von Mäusen künstliche Haut in Form einer nahtlosen Lederjacke wachsen zu lassen.

Wie schon im vorherigen Projekt Disembodied Cuisine, in dem sie aus den Zellen eines Frosches im Bioreaktor „opferfreies“ Fleisch gezüchtet und in einem Performance Ritual verspeist haben, ohne den Frosch dabei zu erlegen (der Forsch der die Zellen „gespendet" hat, war bei der Verzehrung des Kunstprodukts anwesend), geht es um die Frage, ob es dank moderner Biotechnologien eine Gesellschaft geben könnte, in der nicht-menschliche Lebensformen nicht Opfer des menschlichen Lebensstils werden.

Fleisch auf der Basis körpereigener Zellen

Die Aufzucht und Fütterung und sowie das Am-Leben-Erhalten der biologischen Kunstwerke, ebenso wie die in einem Ritual dargebotene Tötung der lebensfähigen Objekte, werden hier als Teil der Performance inszeniert und sind Teil des Gesamtkunstwerks. Die Vergänglichkeit dieser biologischen Kunst stellt zudem neue Fragen an den Kunstbetrieb, etwa ob derartige Kunstwerke kommerzialisiert und veräußert oder archiviert und ausgestellt werden können.

Immer noch offen ist das von der vegan lebenden Tierrechtsaktivisten Ingrid Newkirk vorgeschlagene Projekt, Fleisch auf der Basis ihrer eigenen Zellen zu züchten und dann in einer Performance öffentlich zu verspeisen. Den Namen für „Newkirk Nuggests“, die in diesem Projekt entstehen sollen, hat sie sich jedenfalls bereits patentieren lassen.

Diese Projekte seien hier nur stellvertretend für unzählige weitere Ansätze in Kunst, Wissenschaft und Ingenieurwesen erwähnt, in denen Lebendiges mit Technischem verschmilzt und in denen die Grenzen zwischen Künstlichem und Natürlichem zunehmend verwischt werden.

Leuchtende Hasen, Ameisen und Happy Meals

Die Künstlerin Elizabeth Demaray beispielsweise stellt die Frage, was passieren wird, wenn man andere Lebensformen mit der hochgradig industrialisierten Nahrung versorgt, die wir Menschen zu uns nehmen. Zu diesem Zweck hat sie, gemeinsam mit einer Ökologin vom American Museum of Natural History, einen gigantischen Ameisenbau in einer Galerie gebaut und füttert die darin lebenden Ameisen, inspiriert vom Morgan Spurlocks filmischen Selbstexperiment Supersize Me, ausschließlich mit Happy Meals von McDonalds. Ansonsten stellt sie Hörstationen für Vögel in den Wald, auf denen menschliche Musik gespielt wird, designt neue Behausungen für Einsiederkrebse, strickt Kleidung für Bäume und Steine oder schneidert nukleare Gefechtsköpfe in Samt ein.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch einer der bekanntesten Bioartists: Eduardo Kac. Kac hat unter anderem mit Alba im Jahr 2000 eines der ersten so genannten transgenen lebendigen Kunstwerke geschaffen; es handelt sich um einen Hasen (GFP Bunny), der im Dunkeln leuchtet, weil in seinem genetischen Bauplan die entsprechenden Gene von Quallen eingefügt wurden.

Manipulationsmöglichkeiten im biotechnischen Zeitalter

Seit dem Jahr 2004 sind den USA unter dem Namen Glofish von einem kommerziellen Anbieter genmanipulierte Zebra-Buntbarsche für gerade einmal 5 US-Dollar das Stück erhältlich, die unter ultraviolettem oder schwarzem Licht rot glühen. In seinem neusten Werk Natural History of the Enigma hat Kac eine gentechnisch veränderte Pflanze hergestellt, in deren DNA er einen Teil seiner eigenen Gene einfügen ließ. Als Resultat lässt sich Kacs DNA nun in der Petunie nachweisen, womit es sich bei dem Werk um eine neue Schöpfung namens „Edunia“ handelt, die teils Pflanze, teils Mensch ist. Neben weiteren Auszeichnung wurden Kac und seine naturwissenschaftlichen Mitstreitern von der Universität von Minnesota mit der Verleihung des Golden Nica Preises bei der diesjährigen Ars Electronica geehrt.

Eduardo Kac, Natural History of the Enigma, transgenic work, 2003/08. Edunia, a plantimal with the artist's DNA expressed only in the red veins of the flower.

Biokünstler wie Eduardo Kac oder die Gründer von SymbioticA wollen durch die Arbeit mit biotechnischen Verfahren und der Bearbeitung von lebensfähigem Material den Stellenwert von Leben und die technische Manipulation desselben im biotechnischen Zeitalter thematisieren und die Öffentlichkeit zu Stellungsnahmen zu diesem Themenkomplex reizen. Mit ihren Kunstwerken wollen sie unter anderem demonstrieren, was bereits technisch möglich ist.

Provokationen sind bei transgenen und andere biotechnologischen Kunstwerken, wie schon bei vielen körperbezogenen Kunstwerken zuvor - man denke nur etwa an die Fotografien von Joel-Peter Witkin, das blutige Geschlachte von Herman Nitsch, oder die aus Leichen gefertigten Skulpturen von Gunther von Hagens, die unter anderem zwei Menschen bei Geschlechtsakt darstellen und von ihm als anatomische Lehrobjekte verkauft werden - kalkuliert, und selbstverständlich dauerte es nicht lange, bis vehemente Gegner der Biokunst mit ihrer Kritik am künstlerischen Umgang mit dem Lebendigen auf den Plan traten.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, dass es bereits verschiedene kommerziell interessierte Nachfragen dazu gab, die beispielsweise darauf abzielten, im Labor hergestelltes „opferfreies“ Fleisch oder Leder in industriellen Maßstäben herzustellen, was jedoch bisher noch nicht in die Tat umgesetzt wurde.

Schmuck aus menschlichem Knochengewebe

Tobie Kerridge and Nikki Stott, Design-Forscher vom Royal College of Art, und Ian Thompson, Bio-Ingenieur am Kings College in London, verfolgen in ihrem Projekt Biojewellery das Ziel, medizinische und technische Prozesse aus dem Bereich des Bioingenieurwesens aus dem Labor in die breitere Öffentlichkeit zu bringen und somit eine breite gesellschaftliche Diskussion anzuregen. Bei dem Projekt, bei dem es um die Herstellung von Schmuckobjekten aus menschlichem Knochengewebe geht, wurde versucht, interessierte Teilnehmer aus der Öffentlichkeit dadurch einzubinden, dass aus ihrem Körpermaterial etwa Ringe für ihre Partnerinnen oder Partner hergestellt wurden.

Während bei den Projekten von SymbioticA das Ausstellungspublikum etwa in der Form eingebunden und mit Verantwortung betraut wird, dass es zu entscheiden hat, ob man die „halb-lebendigen Kunstwerke“ weiter am Leben erhalten und füttern soll oder nicht, beschränkt sich die öffentliche Teilnahme am Biojewellery Projekt hingegen jedoch lediglich auf das „Spenden“ von Knochenmaterial, etwa durch das Ziehen von Weisheitszähnen (man beachte dazu die wenig zur Teilnahme verleitende Fotoserie „Donating cells through surgery“ auf der Homepage des Projekts).

Die Biojewellery Macher konnten aus den Zähnen extrahiertes Material dann dazu benutzen, um auf einem speziell dafür angefertigten Miniaturgerüst Ringe „wachsen“ zu lassen. Die Teilnehmer an diesem Projekt durften sich, nachdem sie den Verlust ihrer Weisheitszähne verschmerzt hatten, letztendlich an individuell gefertigten Ringen, die aus dem Körpermaterial ihrer Partner entstanden sind, erfreuen. Die Frage jedoch, inwieweit derartige Aktionen dazu dienen können, den gesellschaftlichen Umgang mit biotechnischen Verfahren öffentlich zu diskutieren und Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungsfindungsprozesse einzubinden, bleibt zumindest in diesem Projekt unbeantwortet.

Die Farben der Viren

Ähnlich große Ziel hatte sich die wissenschaftlich-künstlerische Kooperation Split + Splice am Medizinischen Museum der Universität von Kopenhagen gesetzt. Hier sollte es darum gehen, die Komplexität, die durch den Gebrauch biotechnischer und biomedizinischer Verfahren im 21. Jahrhundert entsteht, zu beleuchten und für eine breite Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Anstatt aber die unzähligen schwerwiegenden gesellschaftlichen, ethischen und ökonomischen Probleme und Entscheidungen anzuschneiden, die der Einsatz von biomedizinischer Hochtechnologie mit sich bringt, scheint man sich hier hingegen darauf geeinigt zu haben, lediglich die Gegenstände und Technologien der Labore in Form von Museumsexponaten zu fetischisieren – was einmal mehr den Eindruck hinterlässt, dass man diese komplizierten technischen Angelegenheiten und Apparate am besten den dafür zuständigen Experten überlassen sollte.

Didaktisch interessanter sind hingegen die Beiträge von Luke Jerram zur Veranschaulichung und zum Verständnis von Viren. Als Künstler beschäftigt sich Jerram seit langem mit Fragen der Wahrnehmung. Bei seinen Nachforschungen zum Thema Viren hat er festgestellt, dass die Abbildungen, die wir von Viren haben, oft künstlich gefärbt sind – das heißt, dass die Farben, die Viren in wissenschaftlichen Bildgebungsverfahren gegeben werden, nicht ihrem tatsächlichen Aussehen entsprechen, was wiederum Auswirkungen auf Interpretation und Wahrnehmung der Abbildung von Viren hat.

Jerram hat sich aus der Perspektive des Kunstschaffenden überlegt, wie komplexe Mikroorganismen wie Viren angemessener und realistischer repräsentiert werden könnten. Da viele Viren in der Realität transparent sind, hat er sich für den Werkstoff Glas entschieden, um dreidimensional fassbare Abbilder von Viren zu schaffen. Hierbei war es unerlässlich, Kooperationen einerseits mit Virologen einzugehen, andererseits hat seine Idee dazu geführt, dass Meister der Glasbläserei ans Äußerste gehen mussten, um die filigranen mikrobiologischen Strukturen in Glasform umzusetzen. Herausgekommen sind jedoch einzigartige dreidimensionale Repräsentationen von mikrobiologischen Pathogenen, wie sie bisher noch nicht verfügbar waren.

Luke Jerram: Smallpox, untitled future mutation, HIV. Bild: Luke Jerram

Infektionen

Ebenfalls um das Thema Viren und Infektionen drehte sich die interaktive Ausstellung Infectious: Stay Away am Trinity College in Dublin. Diese Ausstellung wurde von den Immunologen Cliona O’Farrelly und Luke O’Neill konzipiert und ins Leben gerufen. Den Ausstellungsmachern ging es hier nicht nur darum, die technischen und wissenschaftlichen Hintergründe von Infektionen zu veranschaulichen und zu erklären.

Darüber hinaus ging es in der Ausstellung auch darum, die sozialen Bedingungen und Folgen von Infektionen zu beleuchten. So wurden beispielsweise alle Besucher der Ausstellung mit einem elektronischen Anhänger versehen, der nach einer Weile blinkend simulierte, ob man sich im Rahmen der Ausstellungssimulation bereits infiziert hatte oder nicht. Wer sich in der Nähe von Infizierten aufhielt, wurde somit ebenfalls als infiziert markiert. So konnten im Realexperiment Infektions- und Ausbreitungswege aufgezeigt wegen.

Die Ausstellung spielte jedoch auch gezielt mit psychologischen, sozialen und informationsökonomischen Konsequenzen von Infektionen und dem Wissen darüber. Infizierte wurden angehalten, umgehend die Desinfektionsstationen aufzusuchen, wo sie von Mitarbeitern in Schutzanzügen mit Gesichtsmasken und Schutzbrillen im Gesicht in Empfang genommen wurden.

Gezielt wird hier auch mit der Rolle von Wissen, Unwissen und Stigmatisierung im Hergang von Infektionen gespielt. Dadurch wollten die Ausstellungsmacher auch die Rolle von Gerüchten und der Medien und ihre zum Teil recht unseriösen Berichterstattung zu Themen wie SARS oder Schweinegrippe thematisieren, aber auch die Verbreitung von Information mit der Verbreitung von Infektionen vergleichen. Für die Besucher war ihre Einbindung in die Ausstellung sicherlich ein aufrüttelndes und ergreifendes Erlebnis.

Dass sich das Thema der wissenschaftlichen Erforschung von Infektionen auch im Theater spannend umsetzen lässt, bewies das Berliner Produktionskollektiv Lunatiks mit ihrem Stück Toxoplasma. Das Stück verfolgt Parasitologen der Karls-Universität Prag bei der Erforschung einer Toxoplasmose Epidemie, die in den 90er Jahren in einer tschechischen Kleinstadt ausgebrochen ist. Hierbei handelt es sich um einen authentischen Fall der aufgrund von Originalmaterial rekonstruiert wurde.

Der Parasit Toxoplasma hat die Fähigkeit, Gehirne von Ratten und Mäusen dahingehend zu manipulieren, dass diese ihre Scheu vor Katzen verlieren. Für den Erreger hat das den Vorteil, dass er so in Katzen gelangen kann, die die Endwirte des Parasiten sind. Die tschechischen Parasiten-Forscher haben herausgefunden, dass es bei Infektionen mit Toxoplasma auch zu Verhaltensänderungen bei Menschen kommen kann. Die betroffenen Bürger verhielten sich spürbar impulsiver, risikofreudiger, emotionaler und sexuell enthemmter als bisher - feierten Orgien und ein Bürger stürzte sich ohne Fallschirm aus einem Flugzeug. Anhand dieses Falls wird die Frage aufgeworfen was geschieht, wenn die üblichen Regeln des sozialen Miteinanders nicht mehr gelten, und welche Auswirkungen dies auf lokale Gemeinschaften haben kann.

Toxoplasma. Bild: Jelka Plate/lunatiks produktion

Spaß mit Powerpoint

Dass der Weg des Biologen in manchen Fällen auch auf die Bühne des Alleinunterhalters führen kann, beweist der Fall Tim Lee. Lee studierte und promovierte in Ökologie und Evolutionsbiologie. Nach Jahren anstrengender Forschung verlor Lee zunehmend die Lust an einer unsicheren wissenschaftlichen Laufbahn und entschied sich dafür, seine jahrelange Forschungserfahrung dazu zu benutzen, sich als Alleinunterhalter in ironischer und komödiantischer Weise mit der Wissenschaft auseinander zu setzen.

Als Hauptwerkzeug dient ihm dazu das allen Wissenschaftlern als Präsentationsmedium bekannte Programm Powerpoint, über das er seine Späße mit wissenschaftliche Schaubildern und Grafiken treibt. Und obwohl es seine Absicht ist, das Publikum zu unterhalten und nicht zu belehren, wird betont, dass alle Konzepte, die in seinen Shows auftauchen, wissenschaftlich korrekt sind.

Biologie muss also keineswegs immer kompliziert und fad sein. Eine Gruppe von Biologiestudenten bei Professor Russel D. Fernald in Stanford bewiest etwa, dass sich selbst ein Beat des Wu-Tang Clans und die Insignien des HipHops hervorragend dazu benutzen lassen, die Prozesse der Neurotransmission unterhaltsam zu erklären.

Nun ist es jedoch nicht nur so, dass sich professionelle Biologen und Lebenswissenschaftler neue Medien und Verbreitungskanäle aneignen, um die Laienbürgerschaft mit ihrem Erkenntnisgegenstand zu konfrontieren. Zuvor war es schon in Bereichen wie der Astronomie oder bei der Entwicklung von Open Source Software so, dass sich nicht dafür ausgebildete Enthusiasten aus der persönlichen Begeisterung heraus soweit mit der Materie beschäftigten, dass sie mit den akademischen Experten für die jeweiligen Fachgebiete mithalten und kooperieren und ihnen in manchen Fällen auch noch etwas beibringen konnten.

Biohacking

Ähnliches lässt sich nun auch für die Biologie beobachten. Inzwischen hat die Bewegung der „Do-it-yourself“-Biologie DIYbio weltweit Ableger gefunden. Das Ziel dieser Bewegung ist es, interessierten Amateuren biologische Forschung dadurch nahezubringen, dass man zuhause in Küchen- oder Kellerlaboren mit einfachsten Mitteln eigene Experimente durchführt; die Verbreitung von Mikroorganismen verfolgt, Bakterien auseinandernimmt oder die DNA von Erdbeeren extrahiert.

Der nächste Schritt bezieht sich auf die Manipulation von bestehenden Organismen. Für die Protagonisten des so genannten Biohackings geht hier es um die Entwicklung erschwinglicher und funktionaler Gerätschaften im Do-it-Yourself-Verfahren, um letztendlich selbst Hand ans Genom anlegen zu können. Für viele Biohacker ist genetische Information in erster Linie ein Code, den es genauso wie bei Computer- und Maschinensprachen zu knacken und umzuprogrammieren gilt, um beispielsweise Bakterien oder Zellen zu manipulieren und ihnen andere Funktionen aufzuerlegen.

Dazu könnte zum Beispiel auch gehören, industriell geklonte und genetisch manipulierte Pflanzen mit Küchenutensilien in ihren Urzustand zurückzuprogrammieren oder sie in andere Richtungen umzuprogrammieren und freizusetzen.

Strange Culture. Bild: L5 Productions

Das alles klingt für viele irgendwie unheimlich, verboten und gefährlich. Vor allem in den USA liegt vielen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schnell das Wort des Bioterrorismus im Munde, wenn man beispielsweise an die Geschichten denkt, in denen es um mit dem Milzbranderreger verseuchte Postsendungen und dergleichen mehr ging 4. Dass mit diesem Klima der Angst nicht zu spaßen ist, erfuhr etwa der Performance-Künstler Steve Kurtz, der sich in seiner Arbeit ebenfalls mit dem Thema Biotechnologie auseinandersetzt.

Kurtz hatte sich für ein Ausstellungsprojekt etwas Laborausrüstung und harmlose Bakterien besorgt, die er bei sich in der Wohnung aufbewahrte. Letzten Endes erfuhr das F.B.I. von dem Heimlabor und Kurtz verbrachte die nächsten vier Jahre seines Lebens damit, die Anklage auf die mögliche Absicht zum Bioterrorismus zu widerlegen: Kurtz wurde am Ende freigesprochen. Inzwischen gibt es einen eigenen Dokumentarfilm darüber, wie es zur Anklage von Kurtz als Bioterrorist kam und welchen Kampf er durchstehen musste, um sich von den Anschuldigungen zu befreien. Der Titel des Films: Strange Culture.