Der Arecibo-Party-Gag

Bild: ESA/NASA

Heute vor 35 Jahren sandten Wissenschaftler erstmals gezielt eine interplanetare Botschaft ins All

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Am 16. November 1974 entließ der SETI-Pionier Frank Drake mit dem weltgrößten (nicht schwenkbaren) Radioteleskop in Arecibo (Puerto Rico/USA) während einer Eröffnungsfeier eine Flaschenpost ins Wellenmeer des astralen Ozeans. Damals visierte Drake den 25.000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen Messier 13 an, berücksichtigte dabei aber nicht die Rotationsbewegung der Milchstraße. Dass jemand oder etwas in ferner Zukunft auf die Arecibo-Botschaft antwortet, ist höchst unwahrscheinlich, kann aber, obwohl das morsealphabet-ähnliche dreiminütige Radiosignal an M13 vorbei ziehen wird und der wissenschaftliche Gehalt der Nachricht vergleichsweise gering war, nicht ausgeschlossen werden.

Alles fing mit dem durch Materialermüdung bedingten Zusammenbruch des weltgrößten unbeweglichen, im Durchmesser 305 Meter großen Arecibo-Radioteleskops in Puerto Rico (USA) an, der sich im Jahr 1971 ereignete und umfangreiche Reparaturarbeiten nach sich zog, die drei Jahre währten. Zur Freude der Wissenschaftler präsentierte sich die Riesenschüssel nach dem Wiederaufbau mit einer weitaus besseren Konfiguration als vor dem Crash, wodurch ihre Messempfindlichkeit ungeahnte Höhen erreichte. Hatte das Teleskop vor den Umbauten noch eine Reichweite von 6000 Lichtjahren, so erhöhte sich diese nach der Umrüstung gleich um den Faktor zehn. Im Bereich des Radiospektrums erschloss sich mit einem Male (fast) die ganze Milchstraße als weitläufige Kommunikationslandschaft. Über sehr große Entfernungen konnte somit das Arecibo-Teleskop zumindest theoretisch mit einem gleichartigen extraterrestrischen Pendant in Kontakt treten.

Allein diese Möglichkeit inspirierte Frank Drake und einige Mitarbeiter des Arecibo-Teleskops, die Wiedereinweihung des Observatoriums im Rahmen einer würdigen Feier zu zelebrieren. In seiner Funktion als Direktor des staatlichen Astronomie- und Ionensphären-Zentrums (NAIC) war Drake der Herr der Arecibo-Antenne und zugleich der Zeremonienmeister aller Festivitäten, was im Klartext bedeutete, dass er auch für den Ablauf des angedachten Festaktes verantwortlich war. Doch wie sollte die Inbetriebnahme des modifizierten Arecibo-Teleskops angemessen gewürdigt werden? Sollte nicht irgendetwas Originelles den festlichen Akt bereichern? – Eine Lösung des Luxusproblems fand sich schnell. Hierbei tat sich nicht – wie in einschlägigen Büchern oft behauptet – Frank Drake als Ideengeber hervor, sondern kurioserweise seine Sekretärin Jane Allen.

Sie unterbreitete als Erste den Vorschlag, die Feierlichkeiten mit einer Radiobotschaft an Außerirdische abzurunden und der Veranstaltung dadurch eine mysteriöse Aura zu verleihen. Damit das irdische Kosmogramm wirklich von Intelligenz zeugte, machte sich Drake unversehens an die Arbeit. Entgegen vielen Darstellungen in der Literatur verfasste er aber das legendäre Arecibo-Piktogramm nicht alleine, sondern unter tätiger Mithilfe dreier weiterer Wissenschaftler.

Das unter einem gewissen Zeitdruck komponierte Piktogramm setzte sich aus insgesamt 1679 Zeichen zusammen, die sich selbst wiederum auf 73 Reihen zu je 23 Zeichen verteilten. Wie Mosaiksteine fügten sich die einzelnen Elemente zu einem kleinen Bildzeichen, das eine bestimmte Information übermitteln sollte. So platzierte Drake am oberen Anfang der Graphik die Zahlen eins bis zehn im Dualsystem, direkt darunter eine Zahlenfolge, die die wichtigsten chemischen Elemente für die Ausbildung biologischen Lebens versinnbildlichen sollte (Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor). Neben anderen Informationshäppchen wie etwa der Bevölkerungsanzahl der Erde im Jahr 1974 (vier Milliarden) und den neun Planeten (heute sind es bekanntlich nur noch acht) servierte das Piktogramm den Aliens auch eine Grafik der Doppelhelix und der DNS-Moleküle. Über allem aber thronte das bekannteste und berühmteste Motiv: die gorilla-ähnliche geschlechtslose Menschengestalt, die zumindest dem irdischen Betrachter direkt ins Auge springt, weil sie von allen Elementen am leichtesten zuzuordnen ist. Ob außerirdische technisch versierte Lebewesen dies ähnlich sehen, sei einmal dahingestellt. Auch die letzte, am unteren Rand des Bildtelegramms platzierte Struktur ist mit ein wenig Fantasie gut zu erkennen: Sie symbolisiert ein Radioteleskop, genauer gesagt die Arecibo-Schüssel, den Absender des Funksignals.

Die Arecibo-Message. Bild: Frank Drake (UCSC) et al., Arecibo Observatory (Cornell, NAIC)

Um sicher zu gehen, dass das Diagramm nicht „böhmische Dörfer“ abbildet und ET eine echte Chance hat, den Wort- und Bildpunkt-Strichlaut zu verstehen, sandte Drake seinen ersten Entwurf an Carl Sagan, der zu diesem Zeitpunkt in Cornell als Direktor des Universitätslaboratoriums für planetarische Studien weilte.

Die meisten Dinge fand er sehr schnell heraus, was mich unendlich freute. […] Mir war allerdings klar, dass Carls rasches Verständnis noch lange keine Garantie dafür sein konnte, dass ein Außerirdischer bei der Entschlüsselung denselben Erfolg haben würde.

Der Zeitzeuge Sebastian von Hoerner bestätigt, dass noch weitere „sehr gescheite Wissenschaftler“ das Bildtelegramm zu Gesicht bekommen und hier und da indirekt auch einige Verbesserungsvorschläge angebracht haben, weil keiner von ihnen anfangs alles richtig dechiffrieren konnte – auch er selbst nicht.

Als am 16. November 1974 die Party stieg und die mit Sonderbussen angekarrten 250 Anwesenden die renovierte und modernisierte Reflektorschüssel mit Sekt und Champagner willkommen hießen, kamen gleichwohl nicht alle angereisten Gäste auf ihre Kosten. Schließlich folgte das Highlight der Feier praktisch mit Beginn der Gala. Wer zu spät kam, wusste allerdings nicht, dass er zu spät kam und Gefahr lief, den Höhepunkt der Festivität zu verpassen. Drake behandelte nämlich im Vorfeld sein Vorhaben top secret und terminierte den Zeitpunkt der Sendung auf 13.00 Uhr mittags (Ortszeit). Dies aus gutem Grund. Schließlich befand sich zu diesem Zeitpunkt der 25.000 Lichtjahre entfernte und aus 300.000 Sternen bestehende Kugelsternhaufen M13 (Sternbild Herkules), den Drake als Zielregion gewählt hatte, genau über Arecibo.

Hubble-Aufnahme des Kugelsternhaufens Messier 13. Bild: ESA/NASA

Um die Vorführung mit einer Prise Theatralik zu würzen, versahen Drake und einige Mitarbeiter die 169 Sekunden lange Übertragung mit einigen dramaturgischen Effekten. So signalisierte, nachdem die Reden und Lobpreisungen auf Arecibo und die SETI-Idee beendet waren, eine laute Sirene den Anfang der Transmission. Für alle sicht- und hörbar schwenkte der immense Hängearm der Arecibo-Schüssel in seine Observationsposition ein. Während die Mittagssonne sich ihrem höchsten Stand am Taghimmel näherte und so manch ausgedörrte Kehle angesichts der für Puerto Rico nicht gerade untypisch tropischen Hitze dem Alkohol anheimfiel, verrichtete die 305-Meter-Antenne nüchtern und trocken ihr Werk. Da das bei der Sendung entstehende Übertragungsgeräusch simultan über die Lautsprecher übertragen wurde, entfaltete sich eine eigentümliche Atmosphäre wie Frank Drake bestätigt:

Dann erfüllten die zweistimmigen Töne der Botschaft die Luft wie das Klimpern einer seltsamen Musicalmelodie auf einem gigantischen Synthesizer. Dieses Lied, das so einzigartig und voller Sehnsucht war, bewegte uns tief.

Ob es dem Alkohol geschuldet war oder der Einzigartigkeit der Darbietung – einige Damen sollen bei dem Theater eine Gänsehaut, einige hartgesottene Wissenschaftler sogar feuchte Augen bekommen haben.

Mit einer Sendeleistung von einer halben Million Watt, die sich in einem Strahl mit einer effektiven Leistung von zirka 20 Trillionen Watt konzentrierte, verabschiedete sich das Bildtelegramm vom Arecibo-Reflektor. Auf einer Grundfrequenz von 2,388 Gigahertz (Ghz) respektive einer Wellenlänge von 12,6 Zentimetern entfernte sich das kompakte Radiosignal mit Lichtgeschwindigkeit. Dank des neuen Reflektors, der nebenher bemerkt nach seiner Überholung das erste Mal in Betrieb ging, konnte der energiereiche Strahl derart stark und kompakt gebündelt werden, dass sein Durchmesser auf nur zwei Bogenminuten schrumpfte. Hätte jemand den Puls beispielsweise zum Mond gelenkt, hätte dieser nur die Fläche einer der größeren Krater beleuchtet. Und würde die Flaschenpost dereinst den kugelförmigen Sternhaufen M13 und eine dort lebende Zivilisation erreichen, wäre die Radiostrahlung des Signals 10 Millionen Mal stärker als jene, die sie von unserer Sonne empfangen würden.

Frank Drake. Bild: NRAO

Über die Sendegeschwindigkeit von 10 Bits pro Sekunde, mit der das Piktogramm enteilte, werden vielleicht zukünftige, mit einem Emotionschip bestückte Computer herzhaft lachen. Aber für das Übertragungstempo gab es einen wissenschaftlich-seriösen und einen dramaturgisch-unseriösen Grund. Einerseits wollten Drake und seine Kollegen auf diese Weise Übertragungsfehler weitestgehend minimieren, andererseits aber auch verhindern, dass eine zu schnelle Botschaft die Partygäste überfordern und eine zu langsame dieselben langweilen könnte.

Doch während das gekonnt in Szene gesetzte Festspiel, das die geladenen Komparsen in Arecibo so verzückte, mit einigem Brimborium über die Bühne ging, zeigte sich der britisch-königliche Hofastronom Sir Martin Ryle einige Tausend Meilen entfernt alles andere als begeistert. Nachdem die Nachricht über das Piktogramm von Arecibo über die Ticker gegangen und von vielen Zeitungen sensationslüstern kolportiert worden war, polterte der Engländer gegen die in seinen Augen höchst unsinnige und gefährliche Aktion. Ryle, dem in Astronomenkreisen der Ruf vorauseilte, ausgesprochen exzentrisch zu sein, verlieh in einer Petition an den Präsidenten der Internationalen Astronomischen Union (IAU seiner Sorge Ausdruck, dass das versandte starke Signal durchaus böswillige und aggressive außerirdische Zivilisationen anlocken könnte. Immerhin habe es die Position der Erde verraten und könne daher schlimmstenfalls feindlich gesinnte Aliens zu einem kosmischen Eroberungsfeldzug mit dem Hauptziel Erde ermuntern. Obwohl Ryles Aufforderung an die IAU, weitere Sendungen dieser Art per Resolution strikt zu unterbinden, kein Gehör fand und der exaltierte Astronom von weiteren Vorstößen dieser Art absah, flammte dieselbe Diskussion zwei Dekaden später wieder auf – dank Steven Hawking und David Brin.

Die Arecibo-Schüssel in Puerto Rico. Bild: Courtesy of the NAIC - Arecibo Observatory, a facility of the NSF

Allen Unkenrufen aus berufenem Munde zum Trotz – die Wahrscheinlichkeit, dass die Arecibo-Botschaft von 1974 jemals in außerirdische Hände fällt, sofern diese nicht ein anders Greif- und Tastsystem bevorzugen, ist höchst gering. Allein aufgrund der sehr kurzen zeitlichen Dauer des Signals schwinden die Chancen auf Erfolg. Träfe nämlich die knapp dreiminütige Arecibo-Flaschenpost auf ETs, täten deren Radioastronomen gut daran, währenddessen keine Kaffeepause einzulegen. Ihnen wäre zu wünschen, dass sie die Antennen zum richtigen Zeitpunkt in die richtige Richtung drehen und die passende Frequenz abhorchen, weil Signale auf keinen warten, sondern unbeirrbar ihren Weg gehen.

Von Nachteil ist auch, dass das Kosmogramm auf einen klassischen Kugelsternhaufen gerichtet ist, wo in der Regel vergleichsweise alte Sterne mit Planeten hausen, die größtenteils aus Gas bestehen. Wie Astronomen aus den Spektrallinien von Kugelsternhaufen ablesen konnten, sind in solchen Regionen schwerere Elemente eine absolute Rarität, weshalb dort Gesteinswelten eher seltener anzutreffen sein sollten.

Bei alledem ist noch nicht einmal mehr sicher, dass die Arecibo-Post überhaupt ihr Zielgebiet trifft. Denn beim Absenden des Signals haben die Verantwortlichen dummerweise vergessen, die Eigenrotation unserer Milchstraße mit zu berücksichtigen. Dort, wo das Signal in knapp 25.000 Jahren auf den Kugelsternhaufen M13 treffen soll, wird mit größter Wahrscheinlichkeit nur leerer Raum sein. Die kleinere Materieoase M13 könnte dann schon einige Tausend Lichtjahre vom „Ankunftsort“ des Signals entrückt sein.

Bild: Courtesy of the NAIC - Arecibo Observatory, a facility of the NSF

Angenommen, vernunftbegabte und technikbegeisterte Aliens würden trotz all dieser Widrigkeiten die akustischen Signale von 1974 registrieren, sähen sie sich der Herausforderung gegenüber, dem aus Nullen und Einsen bestehenden Binärcode eine bildhafte Information zu entlocken. Die Empfänger müssten nicht nur intelligent und fantasiereich sein, sondern vor allem auf die Idee kommen, die Abfolge von 1 und 0 in einem Gitternetz als Schwarzweißbild anzuordnen. Um die Größe der Matrix zu definieren, müssten sie zudem die Zahl 1679, also die totale Anzahl der Signal-Bits, in die einzigen beiden Primfaktoren 23 und 73 zerlegen. Beide Werte geben die Länge und Breite des Rechtecks vor, in dem die Informationen „abgebildet“ sind. Und selbst wenn die Adressaten einst das Piktogramm sähen und studierten, bliebe schlussendlich völlig offen, ob sie das Bildrätsel im Sinne ihrer Urheber interpretierten. Denn was wäre, wenn sie auf dem Gebiet der Geometrie und Algebra von völlig anderen Prämissen ausgingen?

Resümierend bleibt festzuhalten, dass sich die Arecibo-Nachricht in wissenschaftlicher Hinsicht eher bescheiden ausnimmt. Zum einem ist mit Blick auf die zuvor genannten Punkte die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass wir mit dieser Nachricht jemals einen geistreichen Ertrag erwirtschaften, zum anderen präsentiert sich das Zeitfenster als schlichtweg zu groß, da wir frühestens erst in 50.000 Jahren mit einer Antwort rechnen dürfen. Nein, die berühmte Arecibo-Botschaft geriet zu einem leicht überhastet formulierten Kosmogramm, das mitnichten ein ernst zunehmender Versuch war, mit Aliens eine feste Kommunikationsverbindung aufzunehmen. Bestenfalls war sie, wie der Wissenschaftsjournalist Ulf von Rauchhaupt konstatiert, ein PR-Gag. Sie war vielleicht noch nicht einmal das. Denn letzten Endes verkam das Bildtelegramm von Arecibo zu einem schlichten Party-Gag, der gezielt zur Erheiterung und Unterhaltung seiner Gäste beitragen und allen Anwesenden in Arecibo die Funktionstüchtigkeit des modernisierten Riesenteleskops vor Augen führen sollte. Das Ganze war nur, wie ein Beteiligter im Nachhinein bestätigte, ein höchst symbolischer Akt.