Das Schweigen der Affen

Ein spezielles Gen ist die Voraussetzung menschlicher Sprache

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Das Sprachgen heißt FOXP2 und die im menschlichen Erbgut vorhandene Variante ist ein wichtiger Baustein für die Fähigkeit des Menschen, über Sprache zu kommunizieren. Bei Affen fehlt die entsprechende Mutation, was sie am Plaudern hindert. Wissenschaftler zeigen nun auf, wie das menschliche Sprachgen ein Netzwerk anderer Gene steuert.

Im Anfang war die so genannte KE-Familie, eine Sippe aus London mit gehäuftem Auftreten von heftigen Sprachstörungen, die in den 90er Jahren das Interesse der Wissenschaftler erregten. Die aus Pakistan stammende Familie, die anonymisiert in der Forschung KE genannt wird, umfasst drei Generationen mit mehr als 30 Individuen. Eingehende Untersuchungen ergaben, dass sich bei ihnen eine Mutation auf einer Kopie (jeder Mensch hat ja zwei Kopien aller Gene) des FOXP2-Gens auf Chromosom 7 findet.

Die Folgen sind unter anderem offensichtlich angeborene Probleme der Feinmotorik von Zunge und Lippe, aber auch bei der Satzbildung und Grammatik (vgl. "A forkhead-domain gene is mutated in a severe speech and language disorder"). Das spezielle Gen war entdeckt und schnell stellte sich die Frage, ob es der entscheidende Faktor für den größten Unterschieds zwischen Mensch und Tier darstellt: die Sprache.

Schimpanse und Mensch sind genetisch eng miteinander verwandt – aber sprechen kann nur der Mensch. Bild: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Viele Wirbeltiere besitzen das FOXP2-Gen, darunter auch Vögel und Mäuse. Aber der Mensch hat eine kleine Abweichung in diesem Abschnitt des Erbguts, eine Mutation, die es ihm möglich machte, differenzierte Sprache zu entwickeln. Ein winziger Unterschied, das Gen beinhaltet den Bauplan des Proteins FOXP2 und wie Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig bereits 2002 herausfanden, unterscheidet sich das menschliche FOXP2-Protein in lediglich drei Aminosäuren (von insgesamt insgesamt 715) von seinem Pendant in der Maus.

Ein Abgleich mit dem Erbgut der Schimpansen ergab dann, dass zwei davon menschenspezifisch sind. Die Wissenschaftler stellten fest, dass diese zwei Mutationen nur im Homo sapiens vorkommen und sie gingen davon aus, sie seien vor ungefähr 200.000 Jahren mit der Geburt des modernen Menschen entstanden (vgl. Echt alt). Der Hauptautor, Wolfgang Enard vom Max-Planck-Institut in Leipzig, meinte:

Man könnte sich aufgrund der Beobachtungen in der KE-Familie beispielsweise vorstellen, dass die Änderung eine genauere Kontrolle der Mund- und Gesichtsmuskeln ermöglicht hat. Wenn gesprochene Sprache zu diesem Zeitpunkt wichtig war, könnte dies einen Vorteil gebracht haben. Für eine endgültige Klärung bedarf es wohl einer Zeitmaschine.

Der Neandertaler und Mäuse kommen ins Spiel

Aber dann brachte das am selben Institut angesiedelte Neandertaler Genom Projekt die verblüffende Erkenntnis, dass der ausgestorbene Ur-Europäer ein völlig identisches FOXP2-Gen besaß (vgl. The Derived FOXP2 Variant of Modern Humans Was Shared with Neandertals). Er hatte also dieselben Voraussetzungen wie der anatomisch moderne Mensch, wahrscheinlich sprach er ähnlich artikuliert wie wir (vgl. Stimme der Neandertaler simuliert).

Damit war auch klar, dass die Mutationen wesentlich älter sein mussten, heute gehen die Forscher davon aus, dass diese Veränderung im Erbgut vor mindestens 300.000 – 400.000 Jahren entstand, also zu der Zeit als noch ein gemeinsamer Vorfahr der beiden Menscharten lebte.

Ist es wirklich der entscheidende Faktor, der den Mensch zum Menschen macht? Der Neandertaler war uns ähnlich, und er hat wahrscheinlich ebenfalls intensiv über Sprache kommuniziert – aber in vielem unterscheidet sich dieser Verwandte, der vor mindestens 25.000 ausstarb, deutlich von uns, nicht zuletzt durch das Fehlen kultureller Ausdrucksformen wie Malerei oder Skulptur (vgl. Ähnlich und doch ganz anders).

Im Mai 2009 untersuchten wieder Forscher des MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig wie Mäuse reagieren, wenn sie die menschliche Variante des Sprachgens in sich tragen. Die Wissenschaftler „humanisierten“ das Erbgut einiger Mäuse und verglichen deren Verhalten mit ihren Geschwistern, an deren Genen nichts manipuliert worden war. Das Einschleusen der menschlichen Genvariante änderte auf den ersten Blick nicht viel, oder wie Svante Pääbo vom MPI es launig formulierte:

Die schlechte Nachricht lautet: Sie sprechen nicht. Die gute hingegen: Ihre Stimme klingt tiefer.

Auf den zweiten Blick zeigte sich, dass die manipulierten Mäuse deutliche Veränderungen in den neuronalen Schaltkreisen der Basalganglien im Hirn aufwiesen. Was dieser Effekt bedeutet, ist nicht klar. Bei der sprachgestörten KE-Familie waren ebenfalls Veränderungen im Gehirn, auch im Bereich der Basalganglien festgestellt worden. Forschungsleiter Wolfgang Enard spekulierte:

Vorstellbar wäre, dass das menschliche FOXP2-Gen eine bessere Koordination der zum Sprechen nötigen Muskeln bewirkt. Um dieses Ergebnis wirklich interpretieren zu können, muss erst die Verbindung zwischen diesen angeborenen Lauten und der erlernten menschlichen Sprache besser erforscht werden.

Schalter FOXP2

Jetzt haben US-Wissenschaftler FOXP2 erneut unter die Lupe genommen. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature veröffentlichen Genevieve Konopka von der University of California in Los Angeles und Kollegen auch von der Emory University ihre neuen Erkenntnisse über die Funktionsweise des Sprachgens.

Das Gen FOXP2 kodiert das gleichnamige Protein, das wie ein Schalter andere Gene steuert. Die Experten vermuten, dass bis zu 1000 Gene durch das Protein aktiviert und reguliert werden. Das Team um Genevieve Konopka ging einer einfachen Forschungsfrage nach: FOXP2 hat im Menschen und im Schimpansen eine leicht unterschiedliche Form, aber was bedeutet das? Funktionieren sie real unterschiedlich und was sind die Resultate?

Tatsächlich hat der kleine Unterschied von nur zwei verschiedenen Aminosäuren in dem Protein deutliche Folgen. Die Neuorbiologen implantierten in gezüchtete Nervenzellen einmal die menschliche und einmal die affige Variante des Gens. Der Effekt war deutlich, denn das humane Sprachgen kontrolliert eine große Anzahl ihm offensichtlich untergeordneter Gene, es aktivierte 61 Gene und bremste darüber hinaus 55 weitere aus, insgesamt also 116 Gene, auf die das Affen-Gen keinerlei Auswirkungen hatte. Aus der Veränderung winziger Bausteine im Erbgut ergibt sich ein Kaskadeneffekt.

Die Forschergruppe überprüfte ihre Resultate zusätzlich mit Hirngewebe beider Spezies aus Autopsien von Individuen, die eines natürlichen Todes gestorben waren.

Die orangen Nervenzellen zeigen den starken Einfluss der menschlichen Variante von FOXP2. Bild: Gena Konopka

Die menschliche Variante des FOXP2-Gens ist sicher nicht der einzige Faktor, der für die heutige menschliche Sprache – und den Unterschied zwischen Mensch und Affe – verantwortlich ist. Es ist gut möglich, dass für die Grundausrüstung auch noch andere Gene zuständig sind, und darüber hinaus sind Spracherwerb und Ausdifferenzierung komplexe Vorgänge, die nicht zuletzt viel mit der langen Kindheit und damit Ausbildungszeit des modernen Menschen zu tun haben.