Ende des gesundheitlichen Fortschritts?

Eine US-Studie konstatiert, dass die jetzt alt werdenden Generationen kränker als die vorhergehenden sein könnten

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Jahrzehntelange herrschte ungebrochen der Trend vor, dass die Menschen in den reichen Ländern immer älter werden. Im letzten Jahrhundert stieg die Lebenserwartung durchschnittlich um 30 Jahre. Und die Menschen werden nicht nur älter, sie sind meist auch länger gesund. Kürzlich prophezeiten dänische und deutsche Wissenschaftler, dass die Hälfte der nach 2000 Geborenen davon ausgehen könne, 100 Jahre und mehr alt zu werden (Die Superalten werden immer mehr).

Allerdings sind solche Vorhersagen des ungebrochenen "Fortschritts" mit Vorsicht zu genießen, schließlich werden nur Trends hochgerechnet, die durch den Einfluss neuer Faktoren sich schnell verändern können. Umstritten ist etwa auch, ob die Menschen weiter davon ausgehen können, mit zunehmendem Alter auch gesund zu bleiben und selbständig leben zu können.

Nach einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie können die Frauen im Alter von 50 Jahren in der EU davon ausgehen, weitere 18,1 Jahre gesund und ohne Einschränkungen ihrer Aktivitäten zu leben (54% des verbleibenden Lebens), bei den Männern sind es 17,3 Jahre oder 60 Prozent. Die Deutschen liegen zwar bei der Lebenserwartung im Durchschnitt, bei der Zahl der ab 50 noch zu erwartenden gesunden Lebensjahre aber mit 13,5 Jahren für Frauen und Männer deutlich darunter. Das BIP pro Kopf korreliert sowohl mit einer längeren Lebenserwartung als mit mehr gesunden Jahren (In reichen Ländern lebt man länger und gesünder).

Allerdings wiesen Studien darauf hin, dass es mit der Lebenserwartung (Beginnt die Lebenserwartung wieder zu sinken?) und der Gesundheit bei den jüngeren Generationen (Die jetzt 50-Jährigen sind kränker als vorhergehende Generationen) wieder abwärts gehen könnte. Wissenschaftler von der David Geffen School of Medicine an der UCLA bestätigen nun die Befürchtung, dass die jetzt älter werdende Generation kränker ist als die Vorgängergenerationen. Die Menschen, die vor 10 Jahren zwischen 60 und 69 Jahre alt waren, würden, so die Studie, die im American Journal of Public Health erscheinen wird, häufiger bestimmte Behinderungen haben. Das sei bei den Menschen, die damals zwischen 70 und 79 Jahre alt sind, nicht zu beobachten gewesen, auch nicht bei den über 80-Jährigen, bei denen teils sogar die Erkrankungen zurückgegangen waren.

Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler zwei nationale Umfragen von 1988 und 1999 aus, um zu eruieren, wie sich Behinderungen bei den drei Altergruppen der jeweils 60-, 70- und 80-Jährigen verändert haben. Dabei ging es um funktionelle Einschränkungen, beispielsweise beim Knien, um die Mobilität, also etwa wie weit die Menschen gehen können, um fundamentale Alltagstätigkeiten wie das Gehen von einem Raum zum anderen oder das Aufstehen aus dem Bett, und um instrumentelle Tätigkeiten, beispielsweise das Verrichten von Haushaltsarbeiten wie Essen Kochen.

Allerdings ist es nur eine Spekulation, dass die Angehörigen der Baby-Boomer-Generation kränker sein könnten, weil nur die Generation vor dieser in den Daten erfasst wurde. Aber auch hier war schon bei den zwischen 1930 und 1944 Geborenen, die 1999 in den 60er Jahren waren, gegenüber der Vorgängergeneration, die 1988 zwischen 60 und 69 Jahre alt waren, die Zahl der Behinderungen um 40-70 Prozent angestiegen. Nur bei den funktionellen Einschränkungen war dies nicht der Fall. Besonders deutlich sei dies bei den Nicht-Weißen und bei den Übergewichtigen der Fall.

Als Grund für die Veränderungen führen die Wissenschaftler an, dass sich die Bevölkerungsstruktur in den jüngeren Generationen verändert habe. Seit zehn Jahren würden mehr Angehörige anderer ethnischer Gruppen 60 Jahre alt, vor allem Schwarze und Latinos. Bei diesen würden nicht nur die Übergewichtigen einen höheren Anteil haben, sie kämen auch aus den unteren sozialen Schichten. Beide Faktoren würden das Risiko für funktionelle Einschränkungen und Behinderungen deutlich erhöhen. Allerdings könnten, wenn der Trend sich auch bei der Baby-Boomer-Generation fortsetzt, auch viele andere Gründe dafür verantwortlich sein. Die zunehmende Kluft zwischen den armen und reichen Gesellschaftsschichten fördert, wie zahlreiche andere Studien belegen, allerdings auf jeden Fall eine höheres Krankheitsrisiko und letztlich auch eine fallende Lebenserwartung. Wer arm ist, lebt nicht nur schlechter, sondern stirbt auch früher.

Die Wissenschaftler warnen vor allem davor, dass eine steigende Zahl von Behinderten in höherem Alter das Gesundheitssystem weiter belasten und die Kosten steigern würde. "We're not sure why these disabilities are going up", meint Teresa Seeman, Professorin für Medizin und Epidemiologie. "But if this trend continues, it could have a major impact on us, due to the ressources that will have to be devoted to those people." Zynisch könnte man dann auch sagen, dass dies möglicherweise durch eine sinkende Rentendauer ausgeglichen würde. Oder man könnte auch der Meinung sein, dass die zu erwartende Kostenexplosion im Gesundheitsbereich durch eine Gesellschaftsreform verändert werden könnte, die den Lebens- und Bildungsstandard der Armen erhöht.