Muss das denn immer so Bayerisch sein?

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"Tannöd" - eine deutsche Literaturverfilmung in Kunstsprache

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Vor knapp einem Jahr war an dieser Stelle die Neuverfilmung von „Die Buddenbrooks“ zu beklagen. Komischerweise werden seither in Deutschland weiterhin ähnlich seelenlose Renommierprojekte veröffentlicht, „Die Päpstin“ (vgl. Das Superweib des Mittelalters) zum Beispiel. Filme, die – außer aus finanziellen Gründen - keiner unbedingt machen möchte; Filme, die jeder sofort vergessen hat, die aber international gut verkaufbar sind und daher mitunter oft schon gleich mal auf „Englisch“ gedreht werden. Keiner freut sich drauf, keiner freut sich drüber. Deutsche Literaturverfilmungen lösen ungefähr die gleiche Begeisterung aus wie der neue Asterix: Man hofft, dass es nicht zu sehr weh tut.

„Tannöd“ könnte da gut dazu passen. Die Romanvorlage von Andrea Maria Schenkel war ein Überraschungsbestseller, und da erfolgt sogleich der Mechanismus: Jetzt haben wir schon die Buchrechte, jetzt machen wir auch den Film.

Und unverfilmbarer als die „Buddenbrooks“ oder „Das Parfüm“ ist „Tannöd“ ja nun wirklich nicht, sondern eine sehr reduzierte Krimi-Collage, die sich in 90 Minuten durchaus erzählen lässt. Oft kommen dabei die besseren Filme raus. Und tatsächlich scheint die Verfilmung zunächst etwas ambitionierter geraten zu sein als vergleichbare deutsche Projekte, es fehlt zumindest die Eichingersche Manier, möglichst viele angebliche Stars und Schauwerte in eine Literaturverfilmung zu packen.

Das Buch erzählt - in Anlehnung an einen historischen Fall, der nie aufgeklärt wurde - ein Familiendrama in der bayerischen Provinz. Der verlotterte Hof der Danners wurde heimgesucht von einem besonders krassen Verbrechen. Mit einer Spitzhacke hat ein Unbekannter Bauer, Bäuerin, deren Tochter, deren Kinder, sowie eine Magd erschlagen. Nun rätselt man im nahegelegenen Dorf über die Täterschaft. Nach und nach kommen verschiedene Zeugen zu Wort, wobei die Einzelheiten des Mordes wie bei einem Puzzle zusammengesetzt werden und nebenbei das soziale Gefüge der Region illustriert wird.

Für den Film wurde die Erzähl-Konstruktion erweitert. Kathrin, eine junge Frau gespielt von Julia Jentsch, kehrt zwei Jahre nach dem Mord ins Dorf zurück und durch ihre Anwesenheit kochen die Gefühle der Dorfbewohner wieder hoch, wenn sie ihr von dem Mord berichten. Besonders die alte Traudl (Monica Bleibtreu) geifert laut herum. Gegenseitige Verdächtigungen werden ausgesprochen, alte Gerüchte aufgewärmt, und - wie im Buch - werden der Mord, aber auch andere liderliche Begebenheiten rund um den Dannerhof in Rückblenden aus unterschiedlichen Perspektiven der Figuren gezeigt.

Eher so eine reduzierte Kunstsprache in teilweise surrealer Grammatik

Die Regisseurin Bettina Oberli hat zuletzt mit „Die Herbstzeitlosen“ einen netten Überraschungserfolg erzielt. Beauftragt mit der sehr bayerischen Tannöd-Geschichte hat die Schweizerin sich - durchaus mutig - entschieden, den Film im Dialekt zu belassen. Und dann auch wieder nicht: „Wir wollten eher so eine reduzierte Kunstsprache wie bei Horvath“, ließ sie verlautbaren. Und da wird’s dann eben schwierig, einen einigermaßen wahrhaftigen Heimatfilm zu drehen, wenn man sich auf die jeweilige Heimat nicht wirklich einlässt. Oder sich schlicht nicht damit auskennt.

Das Ergebnis hört sich nämlich so an: Die bayerischen „native speakers“, vor allem Gundi Ellert und Brigitte Hobmeier und auch die Wienerin Monica Bleibtreu, sind bestens verständlich; fast alle anderen Darsteller – Preußen, Österreicher und besonders der Flame Filip Peeters – nuscheln hilflos und in teilweise surrealer Grammatik herum. Perfiderweise werden sich gewiss etliche norddeutsche Zuschauer mit dem Ausruf „Muss das denn immer so Bayerisch sein?“ über die Unverständlichkeit beschweren, dabei ist es in Wahrheit nicht mal eine Kunst-, sondern eine völlig kunstlose Sprache, die man bei einem weniger ernsten Filmthema für schlumpfig halten könnte.

Ruppig und freudlos und dreckert

Damit die Figuren auch ansonsten schön undeutlich bleiben, wird viel mit der Kamera gewackelt. Aufgewühltheit soll das vermitteln und Spannung erzeugen. Und so schreitet Julia Jentsch als edle Beobachterin mit manchmal durchaus bangem Blick durch diesen mit Fratzen bevölkerten, schaurigschlumpfigen Märchenwald. Sie scheint sich ziemlich exklusiv für die dörflichen Verstrickungen zu interessieren, sowie für Liebe, Hass und Verbitterung am Dannerhof. Für alle anderen Betrachter bleibt das ganze Drama zu skizzenhaft.

Dabei ist die aktionistische Inszenierung bemüht, mal eine andere Art Heimatfilm hinzukriegen, mal was bahnbrechend Neues über die Provinz zu erzählen: Dass es nämlich schlimm ist dort. Ruppig und freudlos und dreckert. Wie in Bayern ja üblich herrscht auf Grund von allgemeiner Inzucht eine pauschale, dumpfe Sepplhaftigkeit. Und nie scheint die Sonne. Schlimm.

Das Problem ist: Martin Sperrs „Jagdszenen in Niederbayern“ gibt's ja schon, und seither noch viele andere gute und schlechte Filme, Stücke, Kabarettprogramme und Bücher, die Schlimmes aus abgeschiedenen Käffern berichten, bis hin zu Josef Vilsmaiers Klischeekonzentrat „Schlafes Bruder“, wo dann gleich überhaupt nichts mehr stimmt. Ganz so bunt treibt es „Tannöd“ zwar nicht, es ist lediglich ein weiterer heimatloser Heimatfilm, aber immerhin ausgestattet mit allen Elementen des schlimmen Heimatfilms:

  • Die zeternde Alte
  • Der zwielichtige Pfarrer
  • Die debilen Dorfbewohner
  • Die dahinziehenden düsteren Wolken
  • Die im Winde schlagende Tür
  • Der Dorftrottel oder zumindest Dorfsonderling, der unablässig durch den Wald humpelt
  • Der Inzest in der Scheune
  • Der unheimliche Hund.
  • Die wispernden Bäume als griechischer Chor

Und als Sahnehäubchen:

  • Das behinderte Kind

Am meisten vilsmaiert „Tannöd“ allerdings, wenn der Mord entdeckt wird und die Dorfbewohner zum Tatort laufen. Da treten sie dann alle gleichzeitig an verschiedenen Stellen aus dem Wald, vergleichbar mit der Bande von Robin Hood oder mit Hollywood-Indianerstämmen.

Ein schönes Bild und zugleich völliger Stuss. Wo es noch nicht mal einen eindeutigen Weg vom Dorf zum Dannerhof gibt, muss man als Zuschauer auch sonst nicht von klaren Strukturen ausgehen. In der Szene liegt zwar womöglich genau der Hauptgedanke der Verfilmung versteckt: Alle sind schuld, ein jeder könnte es gewesen sein! Doch für den Betrachter ist es bei so viel allgemeiner Täterschaft dann auch egal, wer in diesem düsteren Schlumpfhausen das Schlumpfinchen missbraucht oder den großen Schlumpf erschlagen hat. Wahrscheinlich war's ein Schlumpf.