Erkenntnisse eines Geistersehers

"Paranormal Activity" und der Horror sehen zu müssen

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Ähnlich wie beim Pornofilm zeigt sich beim Horrorfilm ein antiproportinales Verhältnis zwischen Produktionsaufwand und Effektivität: Je amateurhafter der Film gemacht ist, desto authentischer, das heißt: gruseliger wirkt er. Dazu muss er sich zunächst selbst als unsichtbarer Zeigeapparatur enttarnen und so den Filmprozess selbst zum Horror machen. „Paranormal Activity“ geht noch einen Schritt weiter und identifiziert den Zuschauer mit der Sehmaschine.

Das Konzept des hyperauthentischen Low-Budget-Horrors ist keineswegs neu. 1999 hatte bereits „The Blair Witch Project“ gezeigt, wohin der Weg führt. Durch die Minimierung von Produktionsabläufen und ihre gleichzeitige (vermeintliche) Offenlegung war den Regisseuren Daniel Myrick und Eduardo Sánchez gelungen, was der Gruselfilm immer schon angestrebt hatte: den Grusel so zu erweitern, dass er auch außerhalb der Vorstellung noch wirkt. Der Trick bestand im Wesentlichen darin, das „System Film“, das aus wesentlich mehr als nur dem Streifen mit Bildern und Tönen besteht, konsequent auszunutzen und die Paratext-Produktion auf eine Weise, die man heute „virales Marketing“ nennen würde, zu beeinflussen:

Es entstanden gefakte Dokumente, wurden Gerüchte über den vermeintlich wahren Hintergrund der Erzählung gestreut und die Zuschauer und Fans des Films dazu benutzt, durch Mundpropaganda für weitestmögliche Verbreitung des Konzeptes zu sorgen. Überdies bediente sich „The Blair Witch Project“ einer Ästhetik, in der der filmische Entstehungsprozess offengelegt und damit zusätzlich „bewahrheitet“ wurde: Der ganze Film bestand angeblich aus dem gefundenen Material, das drei vermisste Studenten für ihre Dokumentation der Hexe von Blair gedreht hatten – ohne Montage-Tricks, ohne Soundtrack, mit allen Störungen, Längen und Redundanzen, die beim Drehprozess anfallen. Dieses Prinzip der gefakten Rohschnitt-Reportage ist vom Horrorfilm seit dem einige Male überaus erfolgreich wieder aufgegriffen worden. Zuletzt 2008 von Matt Reeves „Cloverfield“ und ein Jahr davor von Jaume Balagueró und Paco Plaza in „[Rec]“. Etwa zur selben Zeit entstand Oren Pelis „Paranormal Acitivity“, der jetzt in die Kinos gekommen ist.

Erfolgskonzept: Minimalismus

Sich diesen Ursprung noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, erscheint angesichts von „Paranormal Acitivity“ nicht unwichtig zu sein, wiederholt der Film doch vieles von dem, was Myrick und Sanchez vor nun genau zehn Jahren zum Erfolg verholfen hatte. Abermals bekommen wir einen Gruselfilm vorgesetzt, der mit extrem niedrigen Budget (laut imdb 11.000 US-Dollar) produziert wurde, in dem nur eine handvoll Protagonisten und ein Geist mitwirken und der sich darauf beruft, gefundenes Rohmaterial zu sein, dessen Produzenten als vermisst gelten.

Autor, Regisseur und Cutter Oren Peli insinuiert – etwa durch Namensgleichheit von Figur und Darsteller und in den Pro- und Epilogen – sein Film sei authentisch und seine Protagonisten hätten all das, was gezeigt wird, auch wirklich erlebt. Und auch „Paranormal Acitivity“ ist ein Erfolgsprodukt der Mundpropaganda, war der Film, der nun schon drei Jahre alt ist, doch zunächst ausschließlich als Geheimtipp auf kleinen Festivals zu sehen und ist erst durch den regen Zuspruch des Publikums interessant für den internationalen Verleih geworden.

Ein Haus, ein Dämon, eine Kamera und zwei Menschen

Wie bei „The Blair Witch Project“ ist der Plot des Films um einen Doppel-Konflikt in einer Kleingruppe herum konzipiert: Das Paar Katie (Katie Featherstone) und Micah (Micah Sloat) leben zusammen in einem Haus, in welchem sich zusehends die titelgebenden „paranoramalen Aktivitäten“ ereignen: Nachts hören sie Geräusche in den Wänden und stellen kleine Veränderungen fest: Türen, die offenstehen, obwohl sie sie geschlossen haben und Licht, das sich von selbst ein- und ausschaltet. Einige dieser merkwürdigen Vorkommnisse entdecken sie erst, als Micah beginnt, Tag und Nacht eine Videokamera laufen zu lassen. Mit ihrer Installation beginnt der Film und ihre Bilder sind es, die wir ausschließlich zu sehen bekommen. Nachts, wenn die Aktivitäten besondern häufig auftreten, lässt Micah die Kamera auf einem Stativ vor dem gemeinsamen Bett aufgestellt laufen und tags darauf zeigen sich jedes Mal die beschriebenen Ereignisse.

Als Katie einen Geisterbeschwörer hinzuziehen will, macht sich ihr Freund über sie lustig und beginnt auch den Verursacher der seltsamen Vorkommnisse zu provozieren. Dieser zeigt sich beleidigt und verstärkt seine Aktivitäten, deren Bandbreite nun von nächtlichen starken Erschütterungen bis hin zum Schlafwandeln Katies reicht. Der Parapsychologe, den sie nun doch hinzuzieht, erklärt ihr, es handele sich um einen Dämonen, der nicht an das Haus, sondern an sie, Katie, gebunden ist, weswegen sie seit ihrer Kindheit immer wieder derartige merkwürdige Ereignisse erfährt, die bis hin zum Brand des Elternhauses geführt haben. Dies in Verbindung mit der zunehmenden Provokation des Dämons durch Micah führt schließlich dazu, dass sich das Paar mehr und mehr entzweit und sich neben der parapsychologischen nun auch noch eine zwischenmenschliche Front im Haus auftut. Letztlich ist es allein die Kamera, die neutral bleibt und den Fortgang der Ereignisse bis hin zur Katastrophe dokumentiert.

Der unsichtbare Dritte

Und in diesem Konzept der Kameraarbeit unterscheidet sich „Paranormal Activity“ am deutlichsten von seinem Vorbild „The Blair Witch Project“. War dort das Filmbild noch aufgeteilt zwischen Video- und 16-mm-Ästhetik und das Führen der Kamera selbst bereits ein Ausdruck der Parteilichkeit ihres Trägers, so hat die Digicam hier vor allem in denjenigen Sequenzen, in denen es gruselig wird, neutral dokumentierenden Charakter – der Kameramann schläft zumeist und seine Virilio’sche „Sehmaschine“ wird von einem Stativ gehalten und produziert stundenlang eigenständig Bedeutung in Form von Überwachungsbildern. Die Gebundenheit der Aufzeichnungsgeräte in „The Blair Witch Project“ hatte zu einer weitgehenden Subjektivierung des Filmbildes (im Sinne eines „Point of view“) geführt. Das zentrale Faszinosum des Films lag dann darin, zu verdoppeln, was die Kamera tragenden Protagonisten (nicht!) gesehen haben, deren Mikrofon jedoch akustisch aufgefangen hat: Die Anwesenheit von Geistern.

Bei „Paranormal Acitivity“ spielen Ton und Bild zuerst eine gleichberechtigte Rolle. Zwar offenbart sich der Geist auch zumeist durch Klopfgeräusche, die zunächst immer dort entstehen, wo die Kamera gerade nicht hinschaut. Doch mit Anschwellen des zwischenmenschlichen Konfliktes wird auch das Unheimliche mehr und mehr sichtbar: Durch Fußspuren, als Schatten und vor allem in der unbewussten Bewegung der Körper der Protagonisten. In den unheimlichsten Momenten des Films verzichtet dieser sogar ganz auf die Wiedergabe des Tons und führt uns anstelle dessen zeitgeraffte Aufnahmen (mit eingeblendeter Uhr) vor Augen, die zeigen, wie etwa Katie nachts, kurz vor halb Vier Uhr aufsteht, sich vor das Bett stellt und ihren schlafenden Freund regungslos zwei Stunden lang anstarrt, bevor sie sich wieder neben ihn legt. Die Überwachungsbild-Ästhetik, die der auf das Stativ montierten Kamera von Beginn an innewohnt, bekommt in diesen Sequenzen ihre unheimlichste Ausformulierung. Die Kamera wird hier quasi zu einem Komplizen des Geistes, zu einem „unsichtbaren Dritten“ im Schlafzimmer, der erst am nächsten Morgen zeigt, was er gesehen hat.

Der Zuschauer als Sehmaschine

Das alles funktioniert nur deshalb – und es funktioniert perfekt! – weil wir uns mit dem neutralen Blick der Überwachungskamera identifizieren müssen. Der Film zwingt uns langsam aber stetig in ihre Perspektive. Solange sie noch von Micah getragen wird, ist sie an ihn als Person und damit an seinen Blick gekoppelt; je mehr er allerdings den Überblick über die Situation verliert (und daran hat vor allem der zwischenmenschliche Konflikt mit Katie Schuld), desto autonomer wird der Apparat. Zunächst ist das daran zu bemerken, dass Micah mit der Kamera spricht (er flüstert Dinge, die Katie nicht hören soll, in ihr Mikro), dann verschwört er sich sogar zusammen mit ihr gegen seine Freundin, indem er verbotenerweise ein Quija-Brett zur Geisterbefragung ins Haus holt und die äußerst aggressiven Aktivitäten des Geistes mit der Kamera protokolliert - was die unheimlichen Aktivitäten nur noch weiter intensiviert.

Schließlich überlässt er die Kamera und damit den Zuschauer ganz sich selbst, darauf bauend, dass „wir“ wie gewohnt die Bilder protokollieren, während Micah nachts seiner schreienden Freundin durchs dunkle Haus folgt. Was genau am Ende passiert, können wir deshalb nicht sehen, unser Blick ist statisch im Schlafzimmer auf dem Stativ verschraubt. Aber im Gegensatz zum Finale von „The Blair Witch Project“ müssen wir auch hier nicht allein unseren Ohren trauen (die Schlusssequenz von Myricks und Sánchez' Film brachte hier tontechnischen Horror par excellence zu Gehör). „Paranormal Activity“ treibt in seinem Finale den Kamera-Horror konsequent über sein Vorbild hinaus, indem er wieder einen Schritt zurück in Richtung klassischer Gruselfilm-Inszenierung geht. Blieben „The Blair Witch Project“, „[REC] und „Cloverfield“ am Ende offene „Bilderrätsel“, so bekommen wir in Oren Pelis Film zum Schluss noch einmal etwas zu sehen; auch wenn wir es lieber gar nicht sehen würden – aber die Überwachungskamera kann sich nun einmal nicht aussuchen, was sich vor ihrem Objektiv abspielt.