We were the Mods

Foto: Wolfgang Dirrigl

Interview mit Andrey Nikolai

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In den frühen Achtziger Jahren haben eine Horde Teenager in Deutschland den Soul, den Beat, psychedelische Musik und den Look der 60er Jahre neben und dem smarten Punk von 1977 für sich entdeckt und dabei eine neuartige da dialektische Subkultur geschaffen, deren Einfluss bis in die Neunziger Jahre immens war und die auch heute trägt.

Die Mods. Angestoßen vom Mod- und Ska-Revival in England und getragen von der vollkommen richtigen Erkenntnis, das Kleidung und Platten wichtiger sind als Menschen, wurde hier eine Kultur des Selbsts initiiert, die in der Hochzeit des deutschen Weltuntergangsirrsinns zwischen NATO-Doppelbeschluss und dem Fall der Mauer inmitten von Demokratie- und Frieden-Spinnern, Natur-Faschisten, Heavy Metall-Prolls, Hippies, Wavern, Deutsch-Punks, Teds, Rockern, Schlager-Wahnsinnigen Poppern und Bombast- und Schmuserock-Enthusiasten die einzige richtige Parole ausgab: Be young, be foolish, be happy. Auf den Pausenhöfen wurde das Dandytum entdeckt. Nach dem Motto Mehr Sein durch Schein wurde erstmals die Ironie in eine deutsche Jugendbewegung eingeführt und Geschlechterrollen gründlich gegen den Strich gebürstet.

Foto: Wolfgang Dirrigl

Es entwickelte sich eine lebhafte Szene mit eigenen Fanzines, Bands, Plattenversänden und Veranstaltungen, zu denen sich aus ganz Deutschland und den umgrenzenden Ausland angereist eine kleine verschworene Gemeinde traf. Neben Hamburg war Düsseldorf Hauptschauplatz hippen Geschehens. Andrey Nikolai hat nun mit "Dreiknopf & Dosenbier" ein bezauberndes Dokument jener Zeit mit vielen Photos und Kommentaren der Protagonisten kompiliert. Telepolis sprach mit dem Autoren.

Foto: Wolfgang Dirrigl

Look of Perfection

Herr Nikolai, was ist ihr Lieblings-Boating-Blazer?

Andrey Nikolai: Ich besitze keinen Boatingblazer, betrachte es auch nicht als zwingend notwendig.

Können Sie für unsere Leserschaft kurz darlegen, um was es sich bei den Mods überhaupt handelt?

Andrey Nikolai: Mod ist ein Lebensgefühl, ein Stil und eine Subkultur, die ihre Wurzeln Mitte Ende der 1950er Jahre hat und bis heute existiert. Das Phänomen Mod erblickte zu einer Zeit das Licht der Welt, als der Begriff Teenager eben erst seinen Weg ins allgemeine Sprachgut gefunden hatte. Mitte bzw. Ende der 1950er Jahre waren viele Jugendliche auf der Suche nach einem ureigenen Stil, der sich vom Althergebrachten absetzen würde. Diese Suche bildete letztlich das Fundament der gesamten Mod-Kultur.

Foto: Margaretha Jellen

Als erste der Mittelschicht und Arbeiterklasse entstammende Generation, strebten diese Jugendlichen mittels eines Look of Perfection zumindest im äußeren Erscheinungsbild einer höheren Gesellschaftsschicht zu. Ermöglicht wurde dieses durch ein eigenes Einkommens und der dadurch weitgehenden Befreiung von der Kontrolle der Eltern, sodass sie sich an den überall lockenden Konsumgütern bedienen konnten. Maßgeschneiderte Anzüge und ausgefallene Frisuren (z.B. French Cut oder der so genannte Italian Look) dienten dem Erreichen dieses Ziels. Details - sowie eine ausgeprägte Selbstverliebtheit gehörten ebenso zu diesem Erscheinungsbild wie eine individuelle Art des Gehens beziehungsweise Flanierens oder des Tanzens. Die Länge der seitlichen Einschnitte eines Jackets wurde ebenso zum Thema hitziger Diskussionen wie die Anzahl der Seitentaschen. Größte Sorgfalt wurde dem Aufstöbern eines Schneiders oder Schuhmachers gewidmet, der den hochgesteckten Ansprüchen gerecht werden konnte.

Ska, R&B und Modern Jazz

Eine enorme Bedeutung wurde zudem der Art und Weise beigemessen, in welcher Pose ein Mod an einer Straßenecke herumlungerte oder wie das Bein an die Mauer angewinkelt werden sollte, vor einem der eben aufkommenden Allnighter und Coffee-Bars, in denen die ersten Mods im Amphetaminrausch die Nächte zu den neuesten, angesagtesten Sounds durchtanzten (eine Tradition, die sich bis heute nicht nur in der immer noch sehr lebendigen Soul-Szene erhalten hat). Zum Modern Jazz, dem die Mods (kurz für Modernists) ihren Namen entliehen, und der andere, traditionellere (und furchtbar altbackene) Spielarten des Jazz rasch in der Gunst dieser anspruchsvollen Jugendlichen ablöste, gesellten sich Soul, Rhythm`n´Blues sowie, vornehmlich in den düstersten Trinkhallen, jamaikanische Ska-Musik. Die Coolness und einige der modischen Vorlieben der diese Dances überwiegend besuchenden, jugendlichen Rude Boys aus karibischen Imigrantenfamilien wurden kurzerhand in das Gesamtkunstwerk Mod integriert.

Neben den Originalinterpreten aus den USA, die von den R`n´B- und soulsüchtigen Mods favorisierten wurden und zeitgenössischen Popinterpreten gab es noch heimische, tatsächlich der Mod-Kultur entwachene Bands wie The Who, The Small Faces. Die meisten dieser Bands hatten sich jedoch lediglich dem Kleidungsstil des Mod-Publikums angepaßt; es hat aber auch Künstler gegeben, die selbst Mods gewesen sind, so etwa "Rod The Mod" Stewart.

Mods und Rocker

Geschäfte und Boutiquen, in denen die Mods sich die begehrten Anzüge anfertigen lassen konnten, gelegen in bis dahin kaum bekannten Straßen Londons - wie etwa der heute weltberühmten Carnaby Street -, erblühten im Glanz des wirtschaftlichen Potentials, das von den Mods verkörpert wurde. Es eröffneten unzählige neue Geschäfte, die sich eine saftige Scheibe des Bratens abzuschneiden gedachten. Zu diesem Zeitpunkt klaffte bereits eine kaum noch zu überwindende Kluft zwischen den den ursprünglichen Idealen verpflichteten ersten Mods und denjenigen, die ihnen mit wachsender Popularisierung der Ideen nachgefolgt waren.

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Im Jahre 1964, als Vespa- und Lambretta-Roller sowie der heute noch der allgemeinen Klischeevorstellung entsprechende olivgrüne US-Armyparka zu unabdingbaren Statussymbolen (fast) eines jeden Mod geworden waren, kam es bei den sogenannten Seaside Clashes in einigen südenglischen Seebädern wie Brighton und Margate zu ersten, sich über die folgenden Jahre ausweitenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mods und Rockern (die sich bereits in den Städten gegenseitig das Leben schwer machten). Die aufbauschende und sensationsheischende Berichterstattung der Presse bezüglich der Schlägereien und des teilweise auftretenden Vandalismus sorgte dafür, dass dem Begriff Mod(ism) bis heute ein unangenehmer Beigeschmack erhalten bleibt.

Modrevival, Acid Jazz und Brit Pop

Kommerz und Gewalt: Die ursprünglichen Mods wandten sich angewidert und entsetzt ab. Sie sahen den Namen Mod missbraucht; die von ihnen ins Leben gerufene Kultur, die nichts mit einem amoklaufenden, quasiuniformierten Mob zu tun hatte, neigte sich ihrem Ende entgegen. Aus Sicht dieser unabhängigen Mitbegründer einer jugendlichen Subkultur stellten die Jahre 1964/65 faktisch das Ende ihres Traumes dar.

Zum großen, auf internationaler Ebene vollzogenen und bis heute nachwirkenden Revival kam es nicht vor 1979, als die Verfilmung der Rockoper Quadrophenia von den Modveteranen The Who, auf den Leinwänden in aller Welt auftauchte und die Faszination einer längst vergangenen Epoche in das Bewusstsein einer neuen jungen Generation getragen hat. Später waren vor allem die Easy Listing-, Acid-Jazz- und die Britpop-Szene massiv von der Modbewegung inspiriert.

Nun ist aber Mod nicht nur Platten-Sammeln, Rollerfahren, Klamotten kaufen. Können Sie den Geist der Bewegung kurz beschreiben?

Andrey Nikolai: Mod ist ein Stil, den ich immer als Grundlage für neue Richtungen gesehen habe. Der Geist der Bewegung lässt sich am besten dadurch erklären, dass man Mod für sich individuell weiterentwickelt.

Foto: Wolfgang Dirrigl

Mods und Authentizität

Das schöne an Mod war mitunter, dass egal wie man sich anstrengte, einfach nie authentisch sein konnte. Stattdessen hat man Bruchteile der klassischen englischen Mod- und Popkultur genommen und nach eigenen Maßen neu zusammengesetzt. Man konnte zitieren, aber wesentlich musste man damit sein eigenes Ding drehen. Waren die deutschen Mods gewissermaßen die Einführung der Postmoderne in die Subkultur?

Andrey Nikolai: Die 80er selbst waren an den 60ern näher dran, als wir heute an den 80ern, das wird durch die Fotos im Buch sehr deutlich. Heutzutage kannst Du im Internet alle Infos bekommen, so etwas hat man sich früher mit Mühe angeeignet. Mod war in dem Moment authentisch, sobald man sich damit identifiziert und sich wirklich dafür interessiert hat.

Boney M. und Tears For Fears

Können Sie sich erklären, warum die Zeit der Früh- und Mitachtziger für die Modbewegung in Deutschland so günstig und die doch die relativ kleine Subkultur ziemlich einflussreich war (Easy Listening, Acid Jazz, Fred Perrys, Haarkoteletten, Brit-Pop)? Was halten Sie von der These, dass die Mods den Boden bereitet haben für den heutigen popkulturellen Mainstream?

Andrey Nikolai: Ich denke tatsächlich, dass schon immer der Modeinfluss in verschiedenen Richtungen genutzt wurde. Das wohl beste Beispiel hierfür ist "60's & Northern Soul", diese Musik wurde in den 70ern in England wieder entdeckt und war mit 70's Modern "Northern Soul" praktisch der Ursprung von Disco; es gibt einen Zeitungsartikel "Is this the End of Northern Soul" mit einem Foto von Boney M. In den Achtzigern gab es Musiker wie Tears For Fears oder David Bowie, die aus der Modecke kamen und so die 80er beinflussten. Ohne Brit Pop wären die 90er ziemlich modlos gelaufen; es kamen viele neue Leute, und die Szene war ein Pool von Leuten, die sich richtig dafür interessiert und sich sehr weit entwickelt haben.

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Hören Sie aus dem 80er Bowie und Tears For Fears irgendwelche Modeinflüsse heraus?

Andrey Nikolai: Nein! Aber es waren halt welche, die mal mit Mod was zu tun hatten und ihren Weg gegangen sind. Die Frage so gestellt: Da würde ich eher Style Council und vielleicht noch die Housemartins nennen.

In England entstammten die Mods eindeutig aus der Arbeiterklasse. Konnten Sie in ihren Studien etwas über die soziale Schichtung der Mods in Deutschland recherchieren? Ist in den 80ern etwas vom britischen Working Class-Ethos übrig geblieben?

Andrey Nikolai: Hier in Deutschland kamen die Mods aus allen Gesellschaftschichten, meistens aber aus der Mittelschicht. Die Abstammung der ursprünglichen englischen Mods aus der Arbeiterklasse kann ich nicht bestätigen, dies wird eigentlich als Mythos gesehen.

Mods und Fussball

Können Sie etwas über die politische Ausrichtung der Bewegung erzählen?

Andrey Nikolai: Ich würde Mods nicht als politisch bezeichnen, wenn man sie denn unbedingt einstufen muß, dann wohl eher links.

Welches Verhältnis hatten die Mods zur Gewalt?

Andrey Nikolai: Mods suchten keine Gewalt, es sei den man hat sie provoziert. Weitere Statements der Beteiligten finden sich im Buch.

Wie wichtig ist Fußball?

Andrey Nikolai: Fussball war und ist bei vielen Modis parallel gelaufen; hat ja auch die Merkmale einer Stammesgemeinschaft: gleiche Lieder, gleiche Symbole, Leiden mit den Helden usw., zudem haben Dinge wie Fußball die Religion und das Stammesgefühl in der Neuzeit ersetzt. Bei den Modtreffen in den 90ern gab es stets ein Fußballturnier, was immer sehr witzig war (1. FC Krabbenpulen, Soundflat Düsseldorf usw..)

Was trinken Mods?

Andrey Nikolai: Wasser, Cola, Bier, Cocktails, Bionade, Milch...

Mod ist die Heterosexualität Aufwachsender unter Oscar Wildeschen Bedingungen, insofern den Adoleszenten ein nahezu homosexuelles Leben auferlegt wird: Die Jungs müssen tuntig, die Mädchen tough sein. Die Geschlechterverhältnisse werden gehörig durcheinander gewirbelt. Das war der Kreativität günstig dem Sex aber nicht. Daraus ist dann wiederum ästhetische Genialität entstanden. Wie steht es überhaupt mit dem Sex? Welchen Stellenwert hat Sex in der Modkultur? Haben Mods auch Sex so wie andere Menschen?

Andrey Nikolai: Das wäre Thema einer weiterführenden soziologischen Studie. Ohne es zu beabsichigen, sendet man als Mod Signale, die von Leuten, die es nicht kennen, falsch interpretiert werden können. Das geht ja schon los, sobald man mit Chealse Boots (das sind die Beatlesschuhe) irgendwo lang geht.

Einmal Mod, immer Mod

Modtum ist die Heiligsprechung der Jugend, die Apotheose des Sechzehnjahrealtseins. Nicht umsonst heißt es in "My Generation": "I hope I die before I get old". Was machen Mods, wenn Sie 30 sind? Kann man die Party ewig weiterfeiern?

Andrey Nikolai: Man hat kaum noch Zeit sich darum zu kümmern, wenn man älter wird, andere Dinge werden wichtiger, doch es gibt auch das Sprichwort "Einmal Mod immer Mod"

Foto: Wolfgang Dirrigl

Nun ist die Epoche klassischen Modtums auch in Düsseldorf seit 20 Jahren vorüber. Was hat Sie eigentlich veranlasst, dieser Zeit ein eigenes Buch zu widmen?

Andrey Nikolai: Als ich Anfang der 1990er mit Mod anfing, hatten die Mods der Achtziger alle aufgehört, ich kannte jedoch einige. Das Modding war für die vorbei, ich bin dann meinen eigenen Modweg gegangen , es gab durch Britpop plötzlich eine blühende Sixtiesszene, die sehr lebendig war. Ich habe in einer Band gespielt, aus der ein Internetmagzin für 60's und Mod hervorgegangen ist (inferno-beats.64.de/R.I.P.!). Für dieses Fanzine wollte ich einen Artikel über die Mods der 80er in Düsseldorf erarbeiten; nach dem ersten Interview wurde aber rasch klar, dass dies den Rahmen des Onlinemagazins sprengen würde.

Gibt es Mods überhaupt noch, was hören die und wie sehen die aus?

Andrey Nikolai: Das traditionelle Treffen in Bad Breisig "Men from Unkel" ist das wichtigste Treffen, um sich einen Überblick zu verschaffen Neue Leute sind absolut willkommen, wenn man sich richtig dafür interessiert !

Was ist von Mod übrig geblieben?

Andrey Nikolai: Es gibt eine familiäre Szene in Deutschland; dadurch, dass alle sehr weit auseinander wohnen ist es so, dass alle eben ihr Ding machen, und man kommt nur selten dazu, sich mal zu sehen. Es gibt diverse Weekender in Deutschland z.B. Men from Unkel(Pfingsten) in Bad Breisig, Beat The Clock (Juli/ August) in Köln, Velvet & Silk (September) in Krefeld....

Was sind ihre fünf liebsten Modlieder?

Andrey Nikolai: The Thoughts - All Night Stand
The Jam - It's Too Bad
Etta James - Seven Day Fool
The Techniques - Run Come Celebrate
Pink Floyd - Lucifer Sam