Bleibt "Nabucco" nur eine Oper?

Trotz unermüdlicher Lobbyarbeit ehemaliger deutscher Außenminister kommt das die Realisierung der europäischen "Nabucco Pipeline" kaum voran.

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Noch Mitte dieses Jahres sah es so aus, als ob die Realisierung der Nabucco-Pipeline, des wohl ehrgeizigsten europäischen Energieprojekts, nur noch eine Frage der Zeit wäre. Am 13. Juli unterzeichneten vier europäische Regierungen und die Türkei in Ankara ein Abkommen über die geplante Gasleitung, die zentralasiatisches Erdgas über die Türkei - und unter Umgehung Russlands - ab 2014 in die Europäische Union befördern soll. Doch inzwischen sieht sich der deutsche Partner des Nabucco-Konsortiums, der Energieversorger RWE, in die Defensive gedrängt und zur Rechtfertigung dieses kostspieligen, auf nahezu acht Milliarden Euro veranschlagten Vorhabens genötigt: Die nach Fertigstellung circa 3200 km lange Pipeline werde „Gas zu im internationalen Vergleich sehr günstigen Kosten nach Europa liefern“ und bei den Transportkosten „vom Bohrloch bis zum Markt“ günstiger als Konkurrenzprojekte sein, hieß es jüngst aus der Konzernzentrale des deutschen Energieversorgers.

An dieser Pipeline, die zur Diversifizierung der Energieversorgung der Europäischen Union beitragen soll, sind neben RWE die österreichische OMV, Ungarns MOL, die rumänische Transgas, der bulgarische Versorger BEH und die türkische Gesellschaft Botas mit jeweils 16,67 Prozent beteiligt. Die seit Jahren im Stillstand verharrenden Planungen zur Realisierung dieses Projekts wurden erst nach den jüngsten energiepolitischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine von Brüssel forciert. Anfang 2009 kam es zu längerfristigen Lieferengpässen und großflächigen Versorgungsausfällen in etlichen Ländern Südosteuropas, nachdem der Gastransit durch die Ukraine in Richtung EU im Zuge des russisch-ukrainischen Streitigkeiten um Gaspreise und Transitgebüren eingestellt wurde (Europa guckt in die Röhre). Die Nabucco-Pipeline sollte gerade diese Abhängigkeit der Europäer von russischen Energieträgern zumindest mindern.

Doch die Aufbruchstimmung, die noch im Juli bei der Vertragsunterzeichnung herrschte, ist längst verflogen. So musste das Management des Nabucco-Konsortiums am 11. November kleinlaut eingestehen, dass die Beschlüsse über die konkreten Investitionspläne zum Bau der Pipeline frühestens Ende 2010 zu erwarten seien. Den ursprünglichen Planungen zufolge sollten diese Investitionsentscheidungen Anfang des kommenden Jahres gefällt werden, um baldigst mit den konkreten Arbeiten beginnen zu können. Doch es bleiben noch viele Unbekannte bei Nabucco, die in direkter Konkurrenz zu der russisch-italienischen Pipeline „South Stream“ steht.

Das kommende Jahr werde „entscheidend“ für die Zukunft der Nabucco-Pipeline, die bis zu 31 Milliarden Kubikmeter kaspischen Erdgases ab 2014 befördern soll, erklärte auch der ehemalige deutsche Außenminister Josef Fischer am 2. November in Sofia. Fischer ist inzwischen als Unternehmensberater auch für RWE tätig und konzentriert sich derzeit vor allem darauf, dem Nabucco-Projekt zum Durchbruch zu verhelfen. Diese laut Insiderberichten äußerst lukrative Beratungstätigkeit, die dem „grünen“ Außenminister a. D. eine sechsstellige Vergütung einbringen soll, scheint sich zumindest in Sofia auch für RWE bezahlt gemacht zu haben. Nach Gesprächen Fischers mit Regierungsvertretern in Sofia erklärte die bulgarische Außenministein Rumjana Schelewa noch am selben Tag, dass die Nabucco-Pipeline in Sofia eindeutig Priorität gegenüber dem russischen Konkurrenzprojekt, der South Stream Pipeline, genieße.

Beide konkurrierenden Pipelines sollen von Bulgarien aus die EU mit Erdgas versorgen. Russland will South Stream auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlegen und somit die Ukraine als Transitland umgehen.

Der Kreml kann tatsächlich handfeste Erfolge bei der Realisierung seines Pipelineprojekts vorweisen. Schon Mitte dieses Jahres kündigte Gasprom an, die jährliche Durchleistungskapazität seiner Pipeline von 31 Milliarden Kubikmeter auf 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu erhöhen. Damit gerät auch Nabucco unter Druck, da somit kaum genug Förderkapazitäten in der Region gegeben bestehen, um beide Pipelines voll auszulasten. Bereits im August stimmte zudem die Türkei dem Bau dieser russischen Pipeline in ihren Hoheitsgewässern zu. Neben Bulgarien sind auch Serbien und Ungarn an diesem Projekt beteiligt, das in Kooperation mit dem italienischen Energieversorger Eni 2015 fertiggestellt werden soll. Vor kurzem hat auch Slowenien seiner Teilnahme an South Stream verkündet und auch in Kroatien soll es inzwischen ähnliche Überlegungen.

Das Nabucco-Konsortium hat Probleme mit der Türkei, dem wichtigsten Transitland

Amerikanische Thinktanks machen insbesondere eine energiepolitische Neuausrichtung der türkischen Regierung für die Verzögerungen bei der Realisierung der Nabucco Pipeline verantwortlich. Ankara scheine weiterhin ein Transitabkommen zu hintertreiben, mittels dessen aserbaidschanisches Erdgas nach Europa fließen würde, resümierte beispielsweise die Jamestown Foundation. Dieses auf den ersten Blick ungewöhnliche Vorgehen Ankaras scheint dem strategischen Ziel einer türkischen Politik zuwiderzulaufen, die eine Schlüsselstellung beim Energietransport in der Region erringen will. Doch laut der Jamestown Foundation will die derzeitige AKP-Regierung diese Zielsetzung durch die Zusammenarbeit mit Russland (und längerfristig auch mit Iran) erreichen. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan befindet sich in Verhandlungen mit dem Kreml über die Realisierung etlicher Pipelineprojekte:

Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan diskutiert mit dem Kreml den Bau der South Stream-Pipeline, einer zweiten Blue Stream-Gaspipeline, der Samsun-Ceyhan-Pipeline und weiterer Öl- und Gasleitungen in der Türkei oder in türkischen Gewässern. Ankara befürwortet es sogar, Teile der Kapazität Nabuccos auszunutzen, um Gasproms Gas nach Europa zu transportieren. Verglichen mit diesen russischen Projekten (die auf dem Papier grandios aussehen), erscheint Nabucco mit dem aserbaidschanischen Erdgas als ein kleines Opfer für die AKP-Regierung. In der Tat benutzt die Regierung Nabucco als ein Unterpfand bei den Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union oder bei der Zypernfrage.

Goergia Daily

Die Türkei schloss zudem bereits im Oktober ein Kooperationsabkommen mit Iran ab, dass die Intensivierung der bilateralen Zusammenarbeit im Energiesektor vorsieht. Dieses Abkommen könnte als Vorstufe einer langfristigen energiepolitischen Kooperation zwischen Ankara und Teheran dienen, in deren Rahmen auch iranisches Erdgas durch Nabucco nach Europa fließen würde. Anonyme „Quellen“ innerhalb des Nabucco-Konsortiums machten gegenüber der Nachrichtenagentur UPI klar, dass zuerst „politische und nukleare“ Fragen ausgeräumt werden müssten: „Sobald die politischen Umstände es erlauben, iranisches Gas nach Europa zu liefern, würde Nabucco eine natürliche Transportroute darstellen.“ A

Anfang November musste sogar RWE vehement Berichte zurückweisen, denen zufolge der deutsche Konzern sich bereits mit iranischen Regierungsvertretern in konkreten Verhandlungen über Gaslieferungen befinde. Zuvor hatten Vertreter der iranischen Geistlichkeit öffentlich erklärt, „inoffizielle“ Gespräche mit „europäischen Firmen“ über eine Teilnahme am Nabucco-Projekt geführt zu haben. Eine Beteiligung Irans an der europäischen Pipeline wird kategorisch von den USA abgelehnt.

Eventuelle Lieferungen nordirakischen Erdgases aus den kurdischen Autonomiegebieten an die Nabucco-Pipeline werden hingegen in Ankara mit Skepsis betrachtet. In der Türkei herrschen Befürchtungen, dass die Einnahmen aus dem Erdgasexport dem kurdischen Unabhängigkeitstreben in der Region weiteren Auftrieb verschaffen würden. An den Kurden würde eine solche energiepolitische Kooperation sicherlich nicht scheitern. Der Präsident der kurdischen Regionalregierung, Massoud Barzani, erklärte Anfang November gegenüber europäischen Parlamentariern, dass die Nabucco Pipeline „der ganzen Region“ zugute käme: „Die Verbindung der irakischen Pipelines mit Nabucco würde Kurdistan befähigen, eine wichtige Rolle in der Region zu spielen.“ Eben dieses Erstarken der Kurden in der Region möchte Ankara unter allen Umständen verhindern.

Somit steht weiterhin nur Aserbeidschan als zuverlässiger Erdgaslieferant für das europäische Pipelineprojekt fest. Doch selbst in Baku wachsen die Zweifel an Nabucco, da Aserbeidschan alleine jährlich die 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas nicht liefern kann, die zur Auslastung der Pipeline notwendig wären. Das Projekt leide immer noch an vielen „ungelösten Fragen“, sagte der aserbaidschanische Energieminister Natiq Aliyev am 14. November: „Aserbeidschan ist die einzige Ressourcenbasis für die Nabucco-Gaspipeline. Wir haben viel getan. Derzeit warten wir auf weitere Fortschritte bei diesem Projekt.“ Doch auch in Baku schaut man sich inzwischen nach neuen Partnern um. Im Oktober haben Baku und Moskau einen Vertrag über die langfristige Lieferung aserbaidschanischen Erdgases an Russland geschlossen. Davor war die Rede davon, dass dies zu „europäischen Preisen“ erfolgen solle. Bei diesem für Aserbeidschan äußerst lukrativen Abkommen würde Gasprom sogar Verluste hinnehmen – um hierdurch die volle Kapazitätsauslastung der europäischen Pipeline zu verhindern.

Transitland Iran?

Ein Hoffnungsschimmer können die europäischen Pipelinestrategen hingegen in Zentralasien wahrnehmen, wo das erdgasreiche Turkmenistan aufgrund anhaltender energiepolitischer Spannungen mit Russland bestrebt ist, die Exportrouten für sein Erdgas zu diversifizieren. Seit einer Explosion an einer Pipeline im April dieses Jahres – als die Gaspreise weltweit einbrachen - sind die Gaslieferungen aus Turkmenistan nach Russland unterbrochen. Erst am 9. November erklärte der stellvertretende Generaldirektor der Gasprom-Tochter Gasexport, Sergej Tschelpanow, dass „die Verhandlungen über die Wiederaufnahme der Lieferungen“ weitergeführt würden und man wohl „in nächster Zeit Vereinbarungen treffen“ könne.

Gasprom hat auf dem Höhepunkt des Rohstoffbooms vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise für Turkmenistan sehr vorteilhafte Liefervereinbarungen mit Aschgabat abgeschlossen, die nach dem Verfall der Gaspreise die Bilanzen des russischen Monopolisten belasten. So musste Gasprom im ersten Halbjahr 2009 einer Halbierung des Unternehmensgewinns gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf nur noch 305 Milliarden Rubel (ca. zehn Milliarden US-Dollar) melden. Turkmenien fördert etwa 80 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich, von denen Gasprom vor der Wirtschaftskrise rund 50 Milliarden Kubikmeter aufkaufte.

Da Turkmenistan nun Gasprom nicht mehr als zuverlässigen Partner betrachte, suche das Land neue Abnehmer für seine Gasexporte, schrieb die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ am 13. November. Im Dezember sollen zwei Pipelineprojekte abgeschlossen werden, die turkmenisches Erdgas nach China und in den Iran befördern werden. Für die Europäer wäre vor allem die iranisch-turkmenische Pipeline von Interesse, da so turkmenisches Gas künftig über iranische Gasleitungen die europäische Nabucco-Pipeline beliefern könnte. Insgesamt sollen künftig bis zu 20 Milliarden Kubikmeter Gas aus Turkmenistan in den Iran befördert werden. Die „Nesawissimaja Gaseta“ bezeichnet diese Variante aber als unwahrscheinlich, da ja „die USA den Anschluss Irans an das Nabucco-Projekt nicht zulassen würden“, folglich bleibe der Weg des turkmenischen Gases nach Europa unter Umgehung Russlands „vorläufig gesperrt“.

Da der Iran aufgrund des Vetos Washingtons als Transitland ausscheidet, blieben den Europäern nur äußerst kostspielige und risikoreiche Optionen übrig, mit denen zentralasiatisches Erdgas der Nabucco-Pipeline zugeführt werden könnte. Das Erdgas müsste von Turkmenistan über das Kaspische Meer nach Aserbeidschan geschafft werden. Hier müsste entweder der Bau einer transkaspischen Pipeline auf dem Meeresgrund in Erwägung gezogen oder der Aufbau von Gasverflüssigungsanlagen mitsamt eines Pendelverkehrs per Tankschiff realisiert werden. Beide Optionen sind äußerst kostspielig. Zudem befinden sich die Anrainerstaaten des kaspischen Meeres in ungelösten Konflikten über ihre jeweiligen Wirtschaftszonen in dem rohstoffreichen Binnenmeer. Die Verlegung einer Pipeline brächte also erhebliche geopolitische Risiken mit sich.

Doch selbst wenn Nabucco nur ein Pipelineprojekt und eine Verdi-Oper bleiben sollte, wäre das vor allem für Deutschland kein großer energiepolitischer Verlust. Während Joseph Fischer im Auftrag von RWE an der Verwirklichung dieser in Konkurrenz zu Russland geplanten Gasleitung arbeitet, ist sein ehemaliger Kabinettskollege Gerhard Schröder dabei, in Kooperation mit Russland die insbesondere in Mittelosteuropa umstrittene Ostsee-Pipeline zu realisieren.