Mandelson als Lord of the Files

In Großbritannien will Wirtschaftsminister Mandelson Gesetze schaffen, die ihm eine ungeahnte Machtfülle verschaffen - gegen Filesharer, zugunsten der Rechteinhaber

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Wer glaubte, die bisherigen Vorstöße der britischen Regierung in Sachen Filesharing seien happig gewesen, erfuhr in der dritten Novemberwoche fast schon bestürzende neue Pläne. Wirtschaftsminister Lord Mandelson will ein Copyright-Gesetz aus dem Jahr 1988 ergänzen und seinem Ministerium fast schon außerrechtliche Kompetenzen verschaffen.

Es ging ziemlich schnell: Mitte November wurden dem Blog BoingBoing interne Dokumente aus Mandelsons Amt zugespielt, nicht einmal zwei Tage später war ein Twitterstorm ausgebrochen, der den unvoreingenommene Leser sein Bild vom höflichen Briten ziemlich überdenken lässt: "F**king Peter Mandelson! The Digital Economy Bill is an absolute joke!" meint die eine, der andere spricht von "dictatorial bastards like ‚Lord' Mandelson". "Peter Mandelson is PURE EVIL. He has not a ounce of decency about him."

Wer seine Bürger so aus der Fassung bringt, muss etwas ziemlich drastisches getan haben. Lord Mandelson hat einerseits das "Digital Economy Bill" in der Mache , das sich unter anderem mit Filesharing, Internetverbindungen und Jugendschutz befasst. Drastischer ist jedoch Mandelsons Vorhaben, im Zuge dessen auch das Copyright-Gesetz von 1988 zu ändern, und zwar über "secondary legislation" - also ohne große parlamentarische Widerworte. Seine Pläne zum Copyright-Gesetz sehen vor, dass er sich neue Lösungen für Urheberrechtsverletzungen ausdenken kann. Möglich wären beispielsweise Gefängnisstrafen für Filesharer oder die derzeit oft diskutierten "Three strikes", bei denen der Internetanschluss nach drei mutmaßlichen Verstößen gekappt wird. Mutmaßlich deswegen, weil es kein rechtsstaatliches Verfahren ist, sondern ein Vertreter der Rechte-Industrie sich mit seinen Beweisen an die Provider wendet, und dieser handeln muss.

Rechtsstaatlich bedenklich ist auch die Möglichkeit, Vertretern der Copyrightindustrie Privilegien zu übertragen, die eigentlich nur Staatsanwälten und Polizeibehörden zustehen. Noch drastischer ist die Möglichkeit, als Wirtschaftsminister "Pflichten, Macht oder Funktionen auf jegliche geeignete Person zu übertragen, die im Zusammenhang damit steht, Online-Rechtsverstöße zu erleichtern", wie Cory Doctorow auf BoingBoing aus dem geleakten Dokument zitiert. Das heiße auch, dass Service-Provider dazu verpflichtet werden könnten, den Content ihrer Kunden zu durchsuchen.

Doctorow sieht in dem Vorstoß eine unglaubliche Wucht: "Der Plan bringt das Amt eines obersten Piratenjägers, mit uneingeschränkten Macht, außerhalb des Gesetzes Milizen zu ernennen, die in jeden Winkel deines Lebens vordringen können, die dich von Familie, Leben, Job, Ausbildung und Regierung abtrennen können, die dir eine Geldstrafe auferlegen oder dich ins Gefängnis stecken können." Im Englischen heißt Doctorows Piratenjäger "Pirate-Finder General", der sich auf den berüchtigten Mattew Hopkins bezieht, der im England des 17. Jahrhunderts als Witchfinder General sein Unwesen trieb. Doctorow sieht in Mandelson einen modernen Hexenjäger, einen, der einen Krieg gegen das Internet führt und sich komplett von der Industrie vereinnahmen lässt, ohne zu berücksichtigen, dass das Netz heute für einen Großteil der alltäglichen Aufgaben essenziell geworden ist.

Die angestrebten Änderungen würden nicht nur für Mandelson gelten, sondern selbstverständlich auch für künftige Regierungen. Charles Arthur vom Guardian befürchtet, dass eine Tory-Regierung mit solchen juristischen Möglichkeiten gegen Google vorgehen würde. Denn der Medienmogul Rupert Murdoch unterstützte im letzten Wahlkampf den Tory-Politiker David Cameron massiv und beschwerte sich unlängst sehr über Suchmaschinen, die Online-Nachrichten aggregierten: "Wir sagen, sie stehlen unsere Geschichten." Murdoch würde sich sehr darüber freuen, wenn Angebote wie Google News in Großbritannien illegal würden.

Einen weiteren Nebenkriegsschauplatz hat Mandelson mit "Cyberlockers" aufgemacht, also Online-Speicherplatz. Er erkennt einerseits an, dass Freunde ganz legal Dateien hoch- und runterladen dürfen, statt sie einander per Mail zuzuschicken. Doch Mandelson hat Angst vor Missbrauch, gerade weil die URLs nicht öffentlich sind - auch das ist ein gewisser Widerspruch, sie sind ja nicht bei Google indiziert. Jedenfalls findet sich in der geplanten Gesetzesänderung auch ein Abschnitt zu den Cyberlockers.

Die britische Piratenpartei nimmt Mandelsons Vorstöße als willkommenen Anlass, auf sich aufmerksam zu machen. Ihre Frageliste an den Minister verbreiteten hunderte Leute via Twitter. Nur wenige von ihnen dürften Mitglieder der Piratenpartei sein, sie fühlen sich einfach von Mandelson überrannt. Fragen wie jene sprechen ihnen aus der Seele: "In welcher Weise wird das Abtrennen von Leuten vom Internet das erklärte Ziel des Gesetzes unterstützen, ‚den Status des Vereinigten Königreichs als eine der weltweit führenden digitalen Wissensökonomien zu sichern'?"

Die Fragen der Piratenpartei greifen auch einen pikanten Nebenaspekt des Gesetzesentwurfs auf: Er erschien auf einer Website der Musikindustrie, ehe er auf irgendeiner Regierungsseite verfügbar war. Nahe liegend auch, dass die Reaktionen entsprechend gespalten ausfallen: Vertreter von Film- und Musikindustrie sind einhellig begeistert von Mandelsons Vorhaben, wogegen Internet- und Datenschutzaktivisten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Der Computerworld-Kolumnist Glyn Moody spricht von "Mandelson's Madness" mit seinem Vorhaben, alle anderen Wirtschaftszweige und die Konsumenten zu bestrafen, und allein die Rechteinhaber zu begünstigen. Moody fällt zudem auf, dass Mandelson niemals von Alternativen wie Open-Source-Software spricht.

Inzwischen gibt es bereits eine E-Petition gegen Mandelsons Vorhaben. Wenn alles nicht hilft, bleibt noch die Hoffnung auf gleiches Recht für alle, wie es sich Twitterer Mike Trinder ausmalt: "If Mandelson can come up with one more stupid bit of legislation, can we disconnect him from the internet?" Oder wie Twitterer "Greywulf" meint: "If this becomes law the first thing I'll do is accuse Peter Mandelson of file-sharing." Er empfiehlt das allen zur Nachahmung.