Wege der Geständnisfindung

Obwohl das Auffinden der angeblich an Hunde und Schweine verfütterten Leiche des Bauern Rudolf R. die gerichtlich für wahr befundene Taterzählung widerlegt, soll der Prozess nicht neu aufgerollt werden

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Es ist ein Fall, in dem sich die Presseberichte teilweise lesen wie das Exposé zu einem Backwood-Horrorfilm wie Deliverance oder Tannöd. Mit Protagonisten, die angeblich nicht nur handelten wie in einer Parodie über zurückgebliebene inzestuöse Hinterwäldler, sondern teilweise auch so grotesk aussahen, dass man sie sofort für eine RTL-Verfilmung engagieren könnte.

Mitte Oktober 2001 wurde der oberbayerische Bauer Rudolf R. von seiner Ehefrau Hermine als vermisst gemeldet. Im Herbst 2003 kam die Polizei darauf, sich seine Familie näher anzusehen. Diese schilderte das Verschwinden erst in sehr unterschiedlichen Versionen, aber nach ein paar Monaten Untersuchungshaft hatte man schließlich übereinstimmende Aussagen.

Danach war der Bauer, als er aus dem Wirtshaus heimkam, vom Maurer Matthias E., dem Liebhaber von R.s älterer Tochter Manuela, mit einem 70 Zentimeter langen und vier Zentimeter breiten Holzscheit ins Genick geschlagen und in den Keller verfrachtet worden. Dort, so die Aussagen, wurde ihm mit einem Hammer die Schläfe eingeschlagen bis dieser im Kopf feststeckte. Anschließend soll die Leiche mit einer Handaxt und einer Eisensäge zerstückelt und an einen Schäferhund, fünf Dobermänner und einen Bullterrier verfüttert worden sein. E. sagte zudem aus, dass er zum Tatzeitpunkt seine damals täglich genossenen 5 bis 8 Liter Bier intus gehabt und sich nicht betrunken gefühlt habe.

Obwohl die Angeklagten (denen mehrere Gutachter Debilität bescheinigten) ihre Geständnisse vor Prozessbeginn wiederriefen, akzeptierte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ingolstadt schließlich diese Version und verurteilte Hermine R. und Matthias E. im Mai 2005 wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags zu jeweils achteinhalb Jahren Haft.

Den Widerspruch, dass trotz umfangreicher Grabungsarbeiten keine menschlichen Überreste gefunden wurden, versuchte der Vorsitzende Richter Georg Sitka (von dem nicht ermitteln werden konnte, ob er den Film Snatch kennt) mit einer möglichen Verfütterung an Schweine zu erklären, denn diese, so Sitka, "zermalmen mühelos auch große Knochen". Dem Richter zufolge ergab sich insgesamt ein "deutliches und im wesentlichen übereinstimmendes Bild", weshalb "an der Wahrheit nicht zu zweifeln" sei. Und dass die Beschuldigten solche schaurigen Details erfunden hätten, das könne, so der Jurist, "wohl niemand ernsthaft glauben".

Gegen die zum Tatzeitpunkt 15 und 16 Jahre alten Töchter des Bauern verhängte die 1. Jugendkammer des Landgerichts Ingolstadt wegen Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen Haftstrafen in Höhe von zweieinhalb und dreieinhalb Jahren. Die Verteidiger legten den Entscheid zwar dem Bundesgerichtshof vor, der verwarf jedoch im März 2006 die Revision.

Psychiater Haderthauers Inzesttheorie

Als Motiv für die Tat zauberte man eines hervor, das nur zu gut zu den Beschuldigten zu passen schien: Inzest. Nach Ansicht des Gerichtspsychiaters Hubert Haderthauer, dem Ehemann der bayerischen Sozialministerin, hatte sich der Bauer regelmäßig an seinen beiden Töchtern vergangen. Grundlage für diese Einschätzung waren neben Gesprächseindrücken Haderthauers und Spekulationen einer Jugendpsychologin vor allem die Aussagen eines späteren Liebhabers der älteren Tochter, dem diese angeblich eine Vergewaltigung durch den Vater gestand. Allerdings hatte der Mann auch verbreitet, dass Manuela R. ihm gesagt habe, sie hätte den Bauern selbst umgebracht.

Nach Haderthauers Einschätzung verkehrte Matthias E. nicht nur mit einer, sondern mit beiden Bauerstöchtern. Dadurch habe sich ein Revierkonflikt mit dem Vater ergeben, der in einen bereits Wochen vor der Tat gefassten und mit dem Rest der Familie besprochenen Mordplan mündete. Die Töchter hätten diese "Lösung" nach "vielen Jahren des Missbrauchs [...] akzeptiert" und eine Beteiligung an den Hammerschlägen könne aus psychiatrischer Sicht als ein "Abreagieren und eine Art Befreiungsschlag" gesehen werden.

Um das Verschwinden des Mercedes des Bauern zu erklären, hatte man noch zwei weitere Personen vor Gericht gezerrt: Eine Arbeitslose, die man beschuldigte, als Fahrerin geholfen zu haben, und den vorbestraften Mitarbeiter eines Schrotthändlers, der den Wagen nachts in seiner Presse beseitigt haben sollte. Ein Kumpan dieses Beschuldigten, der früher zur Theo-Berger-Bande aus dem Donaumoos gehörte, tätigte 2005 mehrere Telefonanrufe, bei dem er sich als auf Mallorca weilender Rudolf R. ausgab, was ihm aber lediglich selbst ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung einbrachte.

Die Realität widerlegt die gerichtlich gefundene Wahrheit

Am 10. März 2009 machte man bei der Bergung entsorgter Schrottautomobile aus einem Stausee an der Donau eine überraschende Entdeckung: R.s vermissten Mercedes E 230 - an ihm zahlreiche abgerissene Blinker und Angelhaken und in ihm die Leiche des angeblich zerstückelten und verfütterten Bauern.

Nach einer Untersuchung des Körpers stellte sich heraus, dass ihm mitnichten der Schädel eingeschlagen worden war, wie vor Gericht scheinbar bewiesen wurde. Das Rechtsmedizinische Institut der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität kam in einem Gutachten sogar zu dem Schluss, dass der Leichnam "völlig unverletzt" und eine "anatomisch nachweisbare Todesursache" nicht feststellbar sei. Auch eine Untersuchung auf verschiedene Gifte brachte keinerlei Ergebnisse.

Grund genug, so möchte man meinen, das Verfahren von Grund auf neu aufzurollen und sich bei dieser Gelegenheit einmal genauer anzusehen, wie die Geständnisse zustande kamen, die so offenbar nicht der Wahrheit entsprechen konnten. Dem Ingolstädter Strafverteidiger Klaus Wittmann zufolge ergibt sich beispielsweise aus den Protokollen, dass es nicht nur stundenlange Vernehmungen ohne anwaltlichen Beistand, sondern auch so genannte "Vorgespräche" gab, über die keine Aufzeichnungen existieren. Und nach Meinung der Münchener Rechtsanwältin Regina Rick, die Manuela R. vertritt, wäre die "einzig denkbare Möglichkeit wie die Beschuldigten auf diese Details gekommen sein können, [...] dass die Details von den vernehmenden Beamten bekannt gemacht worden sind".

Doch das für eine Wiederaufnahme zuständige Landgericht Landshut entschied in der letzten Woche, den Fall auf sich beruhen zu lassen. Bei der Entscheidung ging man offenbar davon aus, dass nun eine ältere Version der Beschuldigtengeständnisse als zutreffend angesehen werden kann. Damals hatte Manuela R. angegeben, der Vater sei bei einem Streit mit seiner Frau und Matthias E. die Treppe hinuntergeschubst, blutig geschlagen, bewusstlos oder tot in ein Auto verfrachtet und in einem Weiher versenkt worden. Auch Matthias E. hatte anfangs erzählt, dass man den Bauern auf solch eine Weise entsorgt habe. Danach tauchte die Polizei in mehreren Gewässern der Umgegend nach dem Fahrzeug, fand aber weder die Leiche noch das Fahrzeug, woraufhin man sich wieder stärker auf die Vernehmungen der Beschuldigten konzentrierte. Nach einer nicht näher konkretisierten Auskunft von Manuela R.s Rechtsanwältin Regina Rick passen diese früheren Geständnisse aber weder zum Auffindeort noch zur Auffindesituation und zum Zustand der Leiche.

Rechtsstaatlich fragwürdige Lösung

Dass die vier Verurteilten (von denen sich drei mittlerweile auf freiem Fuß befinden) möglicherweise auch nach dem neuen Sachstand nicht ohne Freiheitsstrafen davon kommen würden (wie das Landgericht Landshut meinte), ist eine Sache - dass eine Wiederaufnahme alleine aus Gründen der rechtsstaatlichen Sauberkeit angemessen wäre, wie unter anderem der beim Beck-Verlag bloggende Juraprofessor Henning Ernst Müller mit Verweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bemerkte, eine andere:

Denn die Version, nach der die Verurteilten doch verantwortlich sind, ist jedenfalls eine derart vom Urteil abweichende Version, dass sie eben nicht ordnungsgemäß als aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft wurde. Gegen diese neue Version konnten sich die Verurteilten auch nicht verteidigen. Selbst wenn es also stimmt, dass sie für den Tod des Bauern verantwortlich sind, dann ist dies eben noch nicht in einem Strafprozess ohne vernünftige Zweifel zur Überzeugung des Tatgerichts festgestellt worden.

Auch angesichts solcher Erwägungen legte Rechtsanwältin Rick gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut Beschwerde beim OLG München ein. Eine Wiederaufnahme des Verfahren wäre jedoch nicht nur die rechtsstaatlich bei weitem sauberere Lösung: Durch den Fund der Leiche ergaben sich nämlich weitere Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten.

Pressedarstellungen zufolge soll die Leiche mit dem Rücken zum Steuerrad auf dem Beifahrersitz gekniet haben. Eine Haltung, die suggeriert, dass der bewusstlos geschlagene oder betrunkene Bauer im kalten Wasser aufwachte und sich zu befreien versuchte. Nach Angaben der Verteidigerin von Manuela R. fanden sich allerdings auch nach dem Herausfallen des Körpers Knochen, die belegen, dass R. auf der Fahrerseite gesessen haben musste. Darüber hinaus waren die bisher vorgenommenen kriminaltechnischen Untersuchungen ihrer Ansicht nach nicht ausreichend.

Schwierig zu erklären scheint auch, warum die Automatik des Wagens auf "P" für "Parken" stand. Am Landgericht Landshut versuchte man dies damit zu erklären, dass der Hebel "möglicherweise [...] durch die Verschlammung in der Donau" seine Stellung veränderte. Die Tatsache, dass in dem Fahrzeug keine Schlüssel steckten, spricht jedoch dafür, dass der Hebel die Position bereits vorher einnahm: In Automatikfahrzeugen lassen sich - wie man Telepolis bei Mercedes-Benz bestätigte - die Schlüssel nämlich nur dann abziehen, wenn der Hebel in der Parkstellung steht.

Einigen Presseberichten nach wurden die Zündschlüssel überhaupt nicht gefunden, was allerdings keine Behördenstelle bestätigen oder dementieren mag. So bleibt die Frage, wie dies zu Meldungen aus dem Jahre 2005 passt, nach denen der spätere Liebhaber der Tochter bei seiner privaten "Hausdurchsuchung" 2004 zwei Wagenschlüssel fand (von denen einer Gebrauchsspuren aufwies und deshalb kein Reserveschlüssel gewesen sein soll), ebenso unbeantwortet wie die, ob das Seitenfenster des Wagens bei seiner Entdeckung schon geöffnet war.