Abmahnung auf Anfrage

Warum beauftragt die Stadt Augsburg eine angeblich 1.890,91 Euro teure Rechtsanwaltskanzlei mit etwas, das Andere mit einer Email erledigen würden?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bloggen in Deutschland ist gefährlich. Deshalb entwickelte sich die Blogosphäre hierzulande auch wesentlich langsamer als in den USA. Die Gründe dafür liegen zu einem großen Teil in einer nationalen Besonderheit, die sehr viel Missbrauch erlaubt: dem deutschen Abmahnrecht. Es ermöglicht Anwälten, in Zusammenarbeit mit technischen Dienstleistern und Rechtebeanspruchern hohe Forderungen an Privatpersonen zu stellen, die diese aufgrund des finanziellen und zeitlichen Aufwands eines Prozesses häufig auch dann bezahlen, wenn gar keine Rechtsverletzung vorliegt.

Als der Augsburger Michael Fleischmann gemeinsam mit zwei Freunden ein Blog beginnen wollte, ging er deshalb besonders umsichtig vor und teilte bereits vor den ersten Einträgen der örtlichen Stadtverwaltung mit, dass er den für drei Augsburger naheliegenden Namen augsburgR.de dafür verwenden wolle. Wörtlich hieß es in seiner Email vom 5. Oktober:

Wir haben die Domain [augsburgR.de] im Internet registriert. Um juristische Probleme mit der Stadt Augsburg zu vermeiden, bitten wir um eine schriftliche Genehmigung, diesen Namen verwenden zu dürfen.

Als Antwort darauf bekam er allerdings nicht, wie erwartet, eine Email der Stadtverwaltung, sondern ein auf den 23. Oktober datiertes Schreiben einer Anwaltskanzlei. Die forderte Fleischmann auf, die Domain umgehend löschen zu lassen, weil sie angeblich eine "Namensanmaßung" sei und Verwechslungsgefahr mit der Gebietskörperschaft bestehe. Der 25-jährige Webdesigner gab den Wünschen der Anwälte nach und kündigte die Domain. Dann schickte die Kanzlei eine Kostennote über 1890,91 Euro. Diese Summe hatte sie aus einem angenommenen Streitwert von 50.000 Euro errechnet - ein angeblich "entgegenkommend niedriger Betrag", da man ja auch das Zwei- oder Dreifache verlangen hätte können.

Daraufhin wandte sich Fleischmann an die Lokalpresse, die bei der Stadtverwaltung nachfragte und an einen offenbar für den Vorgang zuständigen Mitarbeiter namens Joachim Pfeilsticker verwiesen wurde. Der versuchte, sich mit der Angabe zu rechtfertigen, Fleischmann habe die Stadt "mit seiner E-Mail Anfang Oktober nicht um Erlaubnis gefragt, sondern [sie] in Kenntnis gesetzt, als er die Rechtsverletzung bereits begangen hatte". Allerdings war zu diesem Zeitpunkt auf der Domain lediglich die nackte Blogoberfläche ohne jegliche Inhalte zu sehen. Und wie hätte Fleischmann anders vorgehen sollen? Hätte er die Domain erst später eingetragen, dann wäre er das Risiko eingegangen, dass ihm die Stadt oder ein Verwaltungsbeamter die Idee abnimmt und für sich selbst nutzt. Wäre er tatsächlich ein Domaingrabber, wie ihm Pfeilsticker scheinbar unterstellen will, dann hätte er seine Anfrage wohl kaum als Bitte um eine Genehmigung formuliert. Er machte nicht die leiseste Andeutung einer Geldforderung, sondern schrieb explizit, dass er juristische Probleme vermeiden wolle.

Michael Fleischmann

Um so seltsamer ist es, dass ein eigentlich auf Fragestellungen nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit hin trainierter Kommunalbeamter jede Verhältnismäßigkeit über Bord zu werfen scheint und auf die Genehmigungsbitte nicht mit einem einfachen "Nein" reagiert, sondern eine Anwaltskanzlei beauftragt. Der studierte Jurist Pfeilsticker meint hierzu, dass es sich "um sehr spezielle Rechtsfragen" gehandelt habe, weshalb es nur "recht und billig [sei], dass für die Anwaltskosten der Verursacher aufkommt, nicht der Steuerzahler". Mit dem Verursacher meint er allerdings nicht den, der die Email nicht mit "Ja" oder "Nein" beantwortete und die Kanzlei beauftragte, sondern den Blogger.

Auf den Widerspruch hingewiesen, dass Domains wie augsburger.de, augs-burg.de, auxburg.de oder augsburgre.de unbehelligt existieren, sah sich der Jurist offenbar in die Offensive gezwungen und kündigte der Augsburger Allgemeinen an, "[er werde] die Sachverhalte prüfen und dann entsprechende Veranlassungen treffen".

Bei der Domain augsburgR.de handelt es sich nicht um die Domain augsburg.de, oder auch nur um augsburger.de, sondern um eine vom Stadtnamen noch deutlich weiter entfernte dialektale Verfremdung. Ein Anspruch darauf geht vom Umfang her in eine Richtung, bei der sich auch die Augsburger Allgemeine, die Augsburger Aktienbank oder die Augsburger Puppenkiste Sorgen machen müssten - was möglicherweise auch zur durchwegs sehr negativen Berichterstattung über den Fall beitrug. In Foren fragte man sich sogar, ob der Hamburger Bürgermeister nun McDonald's abmahnen dürfte und kündigte Domains wie "auxbrgr.de" an, in denen man die Stadtverwaltung auf den Arm nehmen will. Die örtliche Piratenpartei rief die Kommune mittlerweile dazu auf, "weltferne Amtsschimmeltätigkeiten", die Augsburg zum "nationalen Witzsymbol" stempeln, künftig zu unterlassen und sich bei dem Blogger zu entschuldigen.

Augsburger Rathaus. Foto: Sven Jansen. Lizenz: CC-BY-SA 3.0 Unported

Tatsächlich erklärte der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl, nachdem auch viele Mainstream-Medien über den Fall berichteten, dass der Ablauf zwar "aus fachlicher Sicht korrekt" gewesen sei, man aber trotzdem auf die Forderung verzichten werde. Nun wird die Anwaltsrechnung wahrscheinlich aus dem Steuersäckel bezahlt, womit zum PR-Schaden noch ein finanzieller hinzu kommt. Allerdings könnte die Stadt einer solchen Forderung möglicherweise entgegenhalten, schlecht beraten worden zu sein: Dass bereits die Anmeldung der Domain augsburgR.de eine Namensrechtsverletzung darstellt, ist nämlich eine juristisch durchaus angreifbare Position. Vermutlich auch deshalb wurde die Domain augsburgR.de am Mittwoch von einer dem Blogger nicht bekannten Person neu angemeldet.

Ein sehr seltsamer Vorgang also, der niemandem außer den Anwälten zu nützen scheint. Auf die Frage, wer genau die Kanzlei beauftragt hat, verweigert die Stadtverwaltung jede Auskunft - ebenso zu Fragen, seit wann Pfeilsticker bei der Stadt Augsburg beschäftigt ist, was er vorher machte, wo er studiert hat, ob er Mitglied in einer Partei ist und was die genauen Gründe waren, ausgerechnet diese externen Juristen auszuwählen. Auch darüber, welches Verhältnis Pfeilsticker zu den beiden Anwälten der abmahnenden Kanzlei hat, mag man bei der Stadt Augsburg keine Angaben machen. Möglicherweise gibt man sich allerdings dem Freie-Wähler-Stadtrat Rainer Schönberg gegenüber auskunftsfreudiger, der ankündigte, die Sache bei der ab 15 Uhr öffentlichen Sitzung am Donnerstag zur Sprache zu bringen.