Vom Veröden und Verblöden

Warum Armut der freien Intellektuellen zu intellektueller Armut führt

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Geht man nach aktuellen Buchtiteln und Zeitungsartikeln, sieht es gar nicht gut aus mit Deutschland. Zum Beispiel mit den Medien. Unter der Ankündigung „Mittelmaß und Wahn: Wie das deutsche Fernsehen verödet“ widmete die Süddeutsche Zeitung eine ganze Seite über die „ödeste Gleichförmigkeit“ im TV. Beklagt wird das Fehlen von Kreativität in der Sender-Bürokratie. „So wenig Niveau war nie!“ konstatiert auch auf 320 Seiten ein Buch mit dem Titel „Die verblödete Republik. Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen“. Ähnlich ein anderes Werk: „Alle wissen es, keiner schreit auf: Ob falsche Betroffenheit in Talkshows, prollige Vorbilder wie Mario Barth oder Dieter Bohlen, von Supernannys statt von ihren Eltern erzogene Kinder oder die selbst vom Feuilleton zu Ikonen der Subkultur stilisierten Bestsellerautoren à la Roche, Bushido und Co. - überall breiten sich Seichtgebiete und Verblödung aus“, so der elektronische Klappentext zu „Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden“. Dazu passt kongenial das Buch „Generation doof. Wie blöd sind wir eigentlich?“

In den 1970er Jahren sprach man gerne in der Bundesrepublik in linksakademischen Kreisen vom „Verblendungszusammenhang“ und gemeint war damit die bunte Welt der Illustrierten und anderer Medien, die den arbeitenden Menschen durch Unterhaltung und Ablenkung von der Wahrnehmung ihrer Interessen abhielten. Der Blick auf den wahren Zustand der Welt und ihrer Machtverhältnisse sei eben „geblendet“ durch die Berichte über Adel, Herz- und Schmerz, etc. Heute müsste man in dieser Hinsicht wohl von einem „Verblödungszusammenhang“ sprechen, was nichts anderes meint, als die konsequente Herabsetzung des Niveaus. Verblendeten die Medien der 1980er Jahre wenigstens noch, lässt sich nach 20 Jahren Privatfernsehen nur noch Verblödung konstatieren, geht man jedenfalls nach obiger Buchlektüre.

Dies hat vielleicht etwas damit zu tun, dass es sich im Lande der Dichter und Denker von Intellektualität nicht mehr leben lässt. Dass dies generell schon immer schwierig war, wissen wir mindestens seit Honoré de Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“ aus dem Jahre 1840. Doch die finanzielle Austrocknung des intelligenten Geisteslebens hat mittlerweile in Deutschland neue Dimensionen erreicht. Für den Journalismus hat dies der Journalist Tom Schimmeck bei dem Mainzer Mediendisput 2009 wiederholt: „Der gemeine Freie, meine Damen und Herren, muss als zunehmend bedrohtes Wesen betrachtet werden. Im zügig verwildernden Mediendschungel wird sein Lebensraum von mehreren Seiten eingeengt.“

Aber auch jenseits der Medien wird die Luft zusehends dünn: Von der Produktion intellektueller Texte lässt sich nicht leben, so die Analyse eines Soziologen. Denn wenn sich, wie Schumpeter meinte, der Wert intellektueller Tätigkeit an ihrer Wirkung als „Störungsfaktor“ bemisst, wird dafür immer weniger Raum gewährt. Dies ist so bei den im Mainstream mitschwimmenden Medien und ist so an den Universitäten, die nach den Regeln der Betriebswirtschaft organisiert werden. Ausnahmen bei der Verelendung des Intellektuellen bilden jene wenigen „Stars“ der Szene, die sich im Fernsehen positionieren konnten, freilich geht dies nicht ohne intellektuelle Verelendung ab. Ein Beispiel dafür gibt die jüngste Debatte um die Äußerung des „TV-Philosophen“ Peter Sloterdijk, der den „Steuerstaat“ durch freiwillige Gaben der Reichen ersetzt haben wollte.

Bei dem Verblendungszusammenhang ging es auch darum, dass die Medien die Hirne der Menschen mit ihren Themen besetzten. Auch der Verblödungszusammenhang macht sich in dieser Hinsicht bemerkbar, denn diese Debatte zeigt ja nur, wie ansonsten der publizistische Raum von Themen leergefegt scheint, um die es sich wirklich zu diskutieren lohnt. Diese Themen existieren, nur fehlt ihnen die publizistische Durchsetzungskraft, um auch im Mainstream anzukommen. Ausnahmen sind spektakuläre Ereignisse wie der Selbstmord des Torhüters Robert Enke, nach dem plötzlich die Frage nach dem Sinn von Erfolgsstreben und beruflichem Druck gestellt werden konnte.

Der Wandel vom Verblendungs- hin zum Verblödungszusammenhang markiert auch den Wandel der politischen Kultur und darin die Rolle der Subalternen. War es in den 1970er Jahren noch notwendig, sie quasi hinter das Licht der wahren Machtverhältnisse zu führen, wie die Gesellschaftskritik damals meinte, so ersparen sich die Mächtigen heute diese Verbrämung und können ungeniert Tacheles reden. Was dann noch an Sendezeit und Zeitungsspalten übrigbleibt, wird eben mit billigen „Content“ aufgefüllt, so wie man Löcher in der Straße mit Splitt zuschüttet. Verblödung bei den Medienangeboten und Verarmung der freien intellektuellen Produzenten sind die zwei Seiten der Medaille, mit der die Gesellschaft für den neoliberalen Siegeszug der vergangenen 20 Jahre bezahlt.