Zwischen Mobbing und Spionage

Der Prozess gegen einen homosexuellen Agenten und seinen Albanischdolmetscher eröffnet Einblicke in eine Welt bürokratischer Tristesse und Ineffizienz

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Der derzeit am Oberlandesgericht München stattfindende Prozess gegen einen homosexuellen BND-Agenten und seinen Albanischdolmetscher hat in gewisser Hinsicht viel von einem John-le-Carré-Roman: Nicht wegen der "Action" etwa (die in beiden Bereichen keine wirklich tragende Rolle spielt), sondern wegen der Bürokratietristesse, um die sich le Carrés Tinker Tailor Soldier Spy vor allem dreht, wegen der Amtsschäbigkeit (perfekt umgesetzt in der BBC-Verfilmung mit Alec Guiness, in der Großbritanniens öffentlicher Dienst so aussieht, wie man sich damals den Ostblock vorstellte) - und wegen der Trivialität von Sex und Betrug, die erst durch die Verbindung mit Politik und Gewalt Bedeutung erhält.

Der Darstellung des BND nach unterhielt der 42-jährige Agent Anton K., dem man den Verrat von Staatsgeheimnissen in besonders schwerem Fall vorwirft, länger andauernde geschlechtliche Beziehungen zu seinem Albanischdolmetscher Murat A., welche dazu führten, dass dieser sich Geheimwissen aneignen und möglicherweise weitergeben konnte. Zudem soll K. seinen 13 Jahre jüngeren Gespielen zu Lasten des BND finanziell begünstigt haben. Kritiker der deutschen Kosovo-Politik sehen im gezielten Aufdrängen sexueller Dienstleistungen eine häufig eingesetzte Methode des Organisierten Verbrechens im albanischen Kulturraum, die möglicherweise sogar die Entscheidung für den Einsatz der NATO, die Duldung der Vertreibung der Minderheiten und die Besetzung von Ämtern mit ausgesprochen zwielichtigen Elementen mit bestimmt haben könnte. Häufig hinterfragt wird in diesem Zusammenhang beispielsweise die Rolle des früheren Grünen-Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch.

Agent oder Journalist? Die Personen, die im Gerichtssaal den verdächtigsten Eindruck machten, entpuppten sich als Mitarbeiter von Süddeutscher Zeitung, ARD und Deutscher Welle. Aber wer weiß - vielleicht nutzt der BND ja nicht nur die deutschen Botschaften und die Bundeswehruniversität für Legenden?

Diese Woche hatte Anton K. Gelegenheit, dem Gericht seine eigene Sichtweise der Vorgänge darzulegen. Leider ist der aktuell vom Dienst suspendierten gelernte Soldat K. nicht mit den Erzähltalenten eines John le Carré gesegnet - und so war die von seinem Anwalt Sascha Jung über Stunden hinweg verlesene Auslassung zu den ihm gemachten Vorwürfen streckenweise so ermüdend, dass manche der Beteiligten dabei einen durchaus abwesenden Eindruck machten. K. bestritt die Vorwürfe über seinen Anwalt "vollumfänglich". Er habe, so der Agent, versucht, den BND im Kosovo "als Informationsdienstleister zu positionieren" und dazu unter anderem Kontakte mit den illegalen Diensten der dortigen Parteien geknüpft, mit denen man "eng zusammengearbeitet" habe. Die nun abgebrochenen 18 Kontakte baute er angeblich alle selbst auf. Verloren gegangen seien sie nicht durch sein Verschulden, sondern durch das "inkompetente Vorgehen" seiner Vorgesetzten, das aber nicht ihm zur Last gelegt werden könne.

Laut K., der explizit von "Mobbing" spricht, begann die jetzt verhandelte Geschichte, als er sich bei seinen Vorgesetzten über das Fehlverhalten seines Kollegen P. beschwerte, was jedoch nur die Folge hatte, dass seine eigene Beurteilung nicht zu seiner Zufriedenheit ausfiel. Angeblich spielte beim folgenden Konflikt mit seinen Vorgesetzten auch Schwulenfeindlichkeit eine Rolle, was für deutsche Sicherheitsbehörden nicht ungewöhnlich wäre. Eine andere wichtige Rolle spielte K.s Angaben nach seine geschiedene Frau, von der er seit 2001 getrennt lebt. Weil diese angeblich die Unterhaltszahlungen für seine Kinder verprasste, verlangte er die Führung eines Haushaltsbuches, was die Mutter verweigerte. In der Folge solcher Streitigkeiten soll sie schließlich beim Militärgeheimdienst MAD angerufen haben, worauf hin man plötzlich für alle Aktivitäten und Ausgaben K.s Nachweise sehen wollte.

Sehr viel Raum in K.s Ausführungen nehmen Beschwerden über das angeblich vorschriftswidrige Verhalten seines Dienstherrn ein: So sei er beispielsweise ohne die eigentlich vorgeschriebenen Kurse zum Haushalts- und Kassenwesen mit Aufgaben betraut worden, woraus ihm nun ein Strick gedreht werde. Auch sei ihm kein "Dienstname" zugeteilt worden, weshalb er unter seinem Klarnamen reisen habe müssen. Und vor allem im IT-Bereich habe er aufgrund der mangelnden Infrastruktur ständig improvisieren und Sicherheitsrisiken in Kauf nehmen müssen. Oft geht es um Kleinigkeiten, wie etwa um die Frage, ob und an welcher Stelle ein britisches Dokument als "geheim" gekennzeichnet war oder nicht und in welchem Zimmer seiner Wohnung K. arbeitete. Und Wortungetüme wie "Anbahnungs- und Verbindungsführer" klingen in der stark ostdeutsch eingefärbten Aussprache seines Anwalts fast wie aus einer anderen Dekade.

Tatsächlich ist das Bild, dass aufgrund seiner sehr detailreichen Schilderungen von der BND-Bürokratie entsteht, geradezu gruselig und erweckt nicht nur den Eindruck, dass bei diesem Dienst ständig Vorschriften gebrochen werden, sondern auch, dass diese Vorschriften so gestaltet sind, dass ein Arbeiten ohne ihren Bruch gar nicht möglich ist und dass strukturelle Probleme deutlich mehr Schaden anrichteten als ein eventuelles individuelles Fehlverhalten K.s. Nebenbei wird auf beeindruckende Weise deutlich, wie sehr die deutsche Kosovo-Politik gescheitert ist: Ganz selbstverständlich gehen offenbar alle Prozessbeteiligten davon aus, dass die Träger politischer Macht und das Organisierte Verbrechen durchwegs eng verknüpft sind und die Clan-Loyalitäten eine nicht-interessegeleitete Übersetzung praktisch unmöglich machen. Dass Personen aus diesem Kulturkreis ihre Loyalitäten zum Clan nicht unbedingt mit einer Unterschrift, einem Diensteid, oder einer Anstellung abgeben, das wurde der deutschen Öffentlichkeit bereits im Fall der in Kiel geborenen und zum Übersetzen von Telefonmitschnitten herangezogenen Kosovo-Albanerin Mimoza M. bekannt, die Mitglieder des Organisierten Verbrechens warnte, obwohl sie sie nicht einmal persönlich kannte.

K. glaubte offenbar, dass A. die große Ausnahme von dieser Regel sei. Möglicherweise lag er da falsch. Zumindest scheinen einige der Gegebenheiten nicht ganz zum Bild des in Deutschland Integrierten ohne Clan- und Religionsbindung zu passen: Etwa, dass alle seine Geschwister endogam heirateten und dass er gleich mehrere seiner Onkel maßgeblich finanziell unterstützte. Dass A. Arbeiten wie die Presseauswertung unentgeltlich machte, mag zwar die Vorwürfe der finanziellen Unregelmäßigkeiten entkräften helfen, wirft aber bezüglich der eigenen Interessen des Albaners neue Fragen auf. Auch die angeblich gemachte Äußerung eines Sicherheitsberaters des Kosovo-Präsidenten, A. sei "wertvoll wie ein Diamant" könnte den Dolmetscher eher belasten, anstatt seine Unersetzbarkeit zu bekräftigen. Nachdem der Passmazedonier über seinen Anwalt Christian Stünkel geltend machte, dass sein Familienname häufig vorkomme und er von einem tief in der Organisierten Kriminalität steckenden Banner gleichen Namens nichts wisse, kündigte die Bundesanwaltschaft der Presse an, im Laufe des Prozesses Material beizubringen, dass diese Aussage angeblich mit einem großen Glaubwürdigkeitsfragezeichen versehen wird.

Auch die Glaubwürdigkeit K.s dürfte für das Gericht keine ganz uninteressante Frage sein: Denn wie bewertet man die Aussagen eines Mannes, der sein Geld als professioneller Lügner verdiente und angeblich sogar A. über die wahre Natur seiner Tätigkeit im Unklaren ließ. K. operierte nämlich mit einer "Botschaftslegende" - was offenbar beim BND Standard ist. Gegenüber seinen Gesprächspartnern gab er vor, für das "Verbindungsbüro" des Auswärtigen Amtes zu arbeiten. Als weitere Legende diente ihm der Lehrstuhl für Politikwissenschaften an der Universität der Bundeswehr.