Ein Kompositum von Unsicherheiten

Frank Drake. Bild: Harald Zaun

Anmerkung zur Drake-Formel - Teil 1

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Am 1. November 1961 fand die erste Konferenz der Menschheitsgeschichte statt, in der sich Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen gezielt mit der Frage auseinandersetzten, wie viele intelligente Technologien im All derzeit sende- und empfangsbereit sind. Einer ihrer Initiatoren war der SETI-Pionier Frank Drake, der zur Vorbereitung des Meetings in Green Bank (West-Virginia/USA) jeden Tagesordnungspunkt mit einem mathematischen Symbol versah und die einzelnen Faktoren zu einer aus simplen Multiplikationen bestehenden Formel zusammen zog. Doch mittels der Greenbank-Gleichung lassen sich die Anzahl hochentwickelter und kommunikationsbereiter Zivilisationen im All nicht bestimmen.

Als der US-Radioastronom Frank Drake im Oktober 1961 die Diskussionspunkte für die weltweit erste wissenschaftliche Mini-Konferenz über das Vorhandensein außerirdischer Intelligenz zusammengestellt hatte, sah er auf eine konfus wirkende kryptische Buchstabenfolge, die in der astrobiologischen Forschung und SETI-Szene gegenwärtig sakrosankten Charakter hat, aber erst in den 1970er-Jahren allmählich Bekanntheit erlangte. Dabei war der Schriftzeichensalat optisch durchaus ansehnlich und von mathematischer Einfachheit sowie logischer Stringenz:

Der L-Hauptunsicherheitfaktor

Als sich am 1. November 1961 die zehn geladenen Gäste in einem kleinen Konferenzzimmer in Green Bank einfanden, ahnte keiner der Anwesenden, dass ihr Treffen einmal von wissenschaftshistorischer Bedeutung sein würde. Tatsächlich erachtete es damals keiner für notwendig, ein Sitzungsprotokoll anzufertigen oder ein Erinnerungsfoto zu schießen. Nachdem Drake als Ouvertüre die ersten Faktoren seiner Gleichung an die Tafel geschrieben hatte, entbrannte eine engagierte Debatte, die in einen Diskussionsmarathon mündete. Bei jeder Gelegenheit, ob im Sitzungsraum, in der Cafeteria oder beim Spazierengehen, sezierten die Wissenschaftler, die aus völlig verschiedenen Fachbereichen und Denkrichtungen kamen, die Formel genauestens. Am stärksten ins Blickfeld rückte dabei ihr letzter Faktor, den Drake mit L umschrieben hatte und den Carl Sagan Jahre später als "Hauptunsicherheitfaktor" bezeichnen sollte.

Dass sich an der Frage nach der Langlebigkeit von intelligenten Zivilisationen die lebhafteste Diskussion entzündete, muss in Zusammenhang mit dem auch damals schon vielbeschworenen Zeitgeist gesehen werden. Als die Teilnehmer der Green-Bank-Konferenz über die Möglichkeit grübelten, ob nicht technisch hochstehende, mit Massenvernichtungswaffen bestückte außerirdische Kulturen automatisch Gefahr liefen, in einen finalen Krieg zu schlittern und sich dabei selbst völlig zu vernichten, war es nämlich um den Frieden auf Mutter Erde selbst nicht gut bestellt. Die beiden Supermächte USA und Sowjetunion steuerten geradewegs auf einen militärischen Konflikt zu, der die Menschheit ein Jahr später tatsächlich bis an den Rand des Abgrundes führte. Hätten Diplomaten im Oktober 1962 der Kuba-Krise nicht rechtzeitig Einhalt geboten und die militärische Eskalation um zwei Minuten vor Zwölf entschärft, wäre der Faktor L der Drake-Gleichung zu einem tragischen Fanal der Menschheitsgeschichte verkommen.

Man mag es daher gerne als Ironie der Geschichte bezeichnen, dass Drake und seine Kollegen just zu einem Zeitpunkt über die Lebensdauer von Zivilisationen im All fabulierten, als die Ära des Kalten Krieges noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht hatte. So gesehen kam im Hinblick auf das Schicksal der Erde dem L-Faktor der Drake-Formel eine gesonderte Bedeutung zu.

Eine Million Zivilisationen

Genau genommen definiert L die zeitliche Lebensspanne einer technischen Zivilisation, die das Interesse und die Fähigkeit für eine interstellare Kommunikation mitbringt. Dennoch fokussierte sich 1961 alles auf die Frage, wie lange wohl eine erdähnliche Zivilisation, die zwar technologisch in der Lage war, via elektromagnetischer Strahlung interplanetare Botschaften auszutauschen, andererseits aber die Atomkraft für sich entdeckt hat, die kritischste Phase ihres Seins überwinden kann. Ist der Exitus einer fortgeschrittenen Technologie programmiert, sobald sie ein Stadium erreicht hat, das ihr den Bau von Atom- oder Wasserstoffbomben ermöglicht?

Nachdem Drake und sein Team fleißig debattiert, gestritten und sich für jeden Faktor auf mindestens einen Wert geeinigt hatten, kristallisierte sich am Ende des Meetings sogar eine Zahl heraus. Sie war zwar alles andere als konkret, vermittelte dafür aber immerhin einen zeitgenössischen Eindruck davon, wie viele intelligente Zivilisationen nach Ansicht einiger ausgewählter irdischer Wissenschaftler der 1960er-Jahre in der Milchstraße beheimatet sein könnten. Unter Anwendung der Drake-Formel kam der exklusive Kreis seinerzeit auf eine Zahl von mindestens 1000 bis maximal 100 Millionen höherstehender Zivilisationen in der Galaxis. Fünf Jahre später konkretisierte Carl Sagan besagten Wert. Er folgerte, dass - wenn nur ein Prozent der Zivilisationen ihre technologische Jugendzeit übersteht und am kritischen historischen Scheidewege den richtigen Pfad einschlägt -, allein in unserer Milchstraße eine Million (N~106) davon überleben müssten.

Nach Carl Sagan (1934-1996): eine Million Zivilisationen in der Galaxis. Bild: NASA

Optimisten versus Pessimisten

Die Anwendung der Green-Bank-Gleichung führt auch heute - fast 50 Jahre später - immer noch zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Optimisten garantierte sie stets schöne Zahlen, weil hoffnungsvolle Frohnaturen bekanntlich die Größe der einzelnen Faktoren viel freigiebiger berechnen als notorische Pessimisten, die naturgemäß ein eher negativeres Ergebnis erwarten und auch erhalten. Sehen wir einmal von dem Faktor R ab, also der mittleren Sternentstehungsrate in der Galaxis pro Jahr, für den der astronomisch gesicherte Wert 1 gilt (= jährlich ein neuer Stern in der Milchstraße), so sind alle andere Faktoren der Formel nach Belieben austauschbar, weil von ihnen kein realer konstanter Wert bekannt ist. Wer N bestimmen will, müsste im Gedankenexperiment zunächst einmal alle Größen abschätzen, wohl wissend, dass die einzelnen Faktoren nicht zu klein sein dürfen. Welche Zahl als Multiplikator jedoch zu wählen ist, bleibt im Endeffekt dem Gutdünken jedes Einzelnen überlassen. Letzten Endes ist es nämlich immer auch eine perspektivische Frage, ob beispielsweise der Faktor fi, also die Anzahl der Planeten mit intelligenten Lebewesen, hoch oder gering veranschlagt werden soll.

Künstlerische Darstellung von dem Exoplaneten CoRoT-7b, der fünfmal schwerer als die Erde ist und zur Klasse der Super-Erden zählt, auf dem gleichwohl kein biologisches Leben existieren kann. Bild: ESO/L. Calcada.

Wie bereits erwähnt - Optimisten werden hier zwangsläufig einen anderen Zahlenwert wählen als Pessimisten - und somit auch andere Ergebnisse provozieren. In einem Punkt enttäuscht die Drake-Formel allerdings nicht, führen doch ihre kosmischen, biologischen, historisch-politischen und technologischen Faktoren klar vor Augen, wie schwer es ist, den Nachweis außerirdischer Intelligenz zu erbringen. Vor allem deshalb, weil auf den von unserem Heimatstern aus gesehen dritten Planeten des Sonnensystems die Suche nach außerirdischer Intelligenz nicht an fehlendem technischen Know-how, sondern eher an vorhandenen finanziellen Engpässen scheitert. Was sich in Dagobert Ducks Augen so gerne widerspiegelt, trübt auch den Blick der irdischen Verantwortungsträger. Die Dollarscheine im Gesichtsfeld, bringen diese für Grundlagenforschung keine Geduld auf, weil eine solche in deren Augen keine schnellen Ergebnisse und folglich keinen lukrativen Gewinn garantiert. Im Besonderen gilt dies für die SETI-Programme, mit denen im Grunde genommen auch Grundlagenforschung betrieben wird.

Erstaunter weiser Vater

Für einen Faktor der Drake-Formel gäbe es immerhin einen neuen Parameter. Denn streng genommen müssten die SETI-Forscher infolge des stetig wachsenden Katalogs der Exoplaneten die extrapolierte Anzahl kommunikationsfähiger Zivilisationen weiter nach oben korrigieren. Auch wenn die Planetenjäger, die bislang 405 bestätigte Exoplaneten aufgespürt haben, noch keinen erdähnlichen in einer habitablen Zone lokalisieren konnten und demzufolge über den Faktor neder Drake-Formel vorerst nur spekulieren können, gehen alle felsenfest davon aus, dass Felsenplaneten - wie die Erde - in der Galaxis millionen- bis milliardenfach vertreten sind. Der geneigte SETI- und Drake-Formel-Fan darf für den ne-Faktor ruhig aus dem Vollen schöpfen, vor allem dann, wenn das NASA-Weltraumteleskop Kepler bald erdähnliche Welten aufspürt.

Das NASA-Weltraumteleskop Kepler kurz vor dem Start. Bild: NASA

Trotz alledem ist die als Agenda konzipierte Drake-Formel eine Gleichung ohne Wert, nach Frank Drake ein "Kompositum von Unsicherheiten", eine Ansammlung von Unbekannten, die deshalb unbekannt bleiben, weil sie erstens nicht zu bestimmen sind und zweitens einfach zu viel Raum für Spekulationen und Interpretationen lassen. Umso erstaunlicher ist, dass der Drake'schen Formel nach wie vor eine so große Bedeutung zugeschrieben wird, dass manch SETI-Anhänger sie idealisiert und von ihr Wundersames erwartet. Dabei zeigte sich ihr geistiger Vater über die nachhaltige Wirkung seiner Kreation am meisten erstaunt:

Es überrascht mich immer wieder, dass diese Gleichung als eine der großen Ikonen der Wissenschaft betrachtet wird, da sie mir weder großartige intellektuelle Anstrengungen noch Einblicke abverlangt hatte.

Literatur

Teil 2: Der Proxmire-Byran-Faktor