Das Erdölzeitalter wird schmutziger

Kraftstoffe aus Marginal-Oil-Vorkommen werden die Treibhausgasbilanz der Kraftstoffbereitstellung im Mittel um 33 % gegenüber konventionellem Erdöl verschlechtern. Alle Reduktionsziele stehen damit auf der Kippe. Quelle: Era-Studie

Die Energie- und Klimaschau: Themen des Klimagipfels, unkonventionelle Erdölquellen halten Peak Oil kaum auf, sind aber klimapolitisch zunehmend untragbar

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Das Pflichtenheft für Kopenhagen kollidiert mit der zunehmenden Nutzung von „marginal Oil“, dem Öl aus bisher ungenutzen, weil immer aufwendiger zu fördernden Quellen. Der höhere Förderaufwand macht die Restlaufzeit des Erdölzeitalters schmutziger und klimapolitisch brisanter. Und es scheint in den Klimaverhandlungen bisher nicht geplant, dagegen anzusteuern.

Ruhe vor dem Sturm

Die erste Verhandlungswoche in Kopenhagen hat begonnen. Bis die erste Großdemo nächsten Samstag startet, bleiben die Unterhändler der 192 Vertragsstaaten unter sich und haben noch Zeit, zu den drei Hauptthemen der Konferenz konsensfähige Absprachen auszuhandeln. Ergebnisse sollten dann möglichst bereits vorliegen, denn in der zweiten Konferenzwoche steht zu erwarten, dass nicht mehr die eigentlichen Verhandlungen, sondern die Demos und Auseinandersetzungen mit der dänischen Polizei medial im Vordergrund stehen werden.

Aktivisten haben angekündigt, nächsten Dienstag, einen Tag vor dem Eintreffen der Regierungschefs, das Gelände stürmen zu wollen - und die dänische Regierung hat mit ihrem „Lümmelpaket“ bereits eine [2/146532 Vorlage zur Eskalation] beschlossen. Die neuen Sonderstrafen sind u.a. 1000 Euro für ungenehmigte Versammlungen und 40 Tage Haft für Straßenblockaden. Es wurde angekündigt, dass während der Konferenz auch die Grenzkontrollen wieder eingeführt werden könnten. Wen erinnert das nicht an die Ereignisse in Genua oder Göteborg.

Aber welche Hauptthemen stehen auf der Tagesordnung der Kopenhagen-Konferenz? Vor allem die Zusagen der Industriestaaten für die Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes. Wissenschaftler fordern eine Minderung um 25 bis 40 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990. Bisher lauten die Zugeständnisse im Mittel erst 14 Prozent. Darunter finden sich Musterschüler wie Norwegen, dessen Regierung bereits 40 Prozent zusagte, auf der anderen Seite stehen zaudernde Neulinge wie die USA, deren Zusage zur Zeit bei 4 Prozent liegt. Aber immerhin, erstens machen die USA zum ersten Mal überhaupt solch eine Zusage und zweitens scheint das Ziel wenigstens realistisch zu sein. Denn man darf nicht vergessen, dass vor allem die mittel- und osteuropäischen Staaten ihre gutklingenden zweistelligen Kyoto-Reduktionsziele nur deshalb so großherzig abgeben konnten, weil das Referenzjahr eben 1990 ist und so der Zusammenbruch der schmutzstarrenden osteuropäischen Schwerindustrie mit eingerechnet werden darf.

Zweiter Verhandlungsschwerpunkt in Kopenhagen ist die Bereitschaft der Schwellen- und Entwicklungsländer zu eigenen Treibhausgas-Emissionsreduktionen, also inwieweit sie ihre eigene Industrie, Energieversorgung und Landwirtschaft weniger klimaschädlich aufbauen. Da ihr Verhältnis zu den Industriestaaten nach wie vor postkolonial geprägt ist, wird es vor allem um Geldtransfers für diese Klima-Entwicklungshilfe gehen. Ab 2020 sollen diese Kosten bei 100 Mrd. Euro jährlich liegen, das sind horrende Summen, weshalb wohl bis zuletzt geschachert werden wird, wie die Leistungen unter den Industriestaaten aufgeteilt werden. Zusagen wird es aber in jedem Fall geben müssen, da für einen Verhandlungserfolg der Konferenz in Kopenhagen auch die Unterschriften dieser Länder notwendig sind.

Drittes Verhandlungsthema ist der globale Wald- und Bodenschutz sein. Etwa 20 Prozent der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen sollen aus Entwaldungsprozessen stammen. Daher besteht Konsens darüber, dass die verbliebenen Wälder und Hochmoore der Erde geschützt werden müssen. Für Ergebnisse in diesem Bereich wäre noch nicht einmal ein Umbau der Industrielandschaft notwendig. Weniger Fleischkonsum unsererseits und nachhaltige, den Boden schützende Ackermethoden reichten aus. Vor allem die UNO wirbt für ihr REDD-Programm (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) mit dem Argument, dass Emissionsreduktionen in diesem Bereich für die Industriestaaten preisgünstig zu realisieren sind.

Alte Etats mit neuem Klimalabel

Was zusätzliche Klima-Entwicklungshilfemittel angeht, scheinen einige Nehmerländer die Rechnung ohne den Wirt gemacht zu haben. Selbst wenn in Kopenhagen, um eine Blockade durch Entwicklungsländer zu verhindern, Zahlungen für Klima-Kompensationszahlungen beschlossen werden. Deutschland zum Beispiel hat gerade ein einfaches Hintertürchen gefunden, dass das Geld zwar jetzt im Namen des Klimaschutzes fließen kann, aber aus dem Etat der bisherigen Entwicklungshilfe stammen soll. Bis 2015 sollen 0,7 Prozent des heimischen Bruttoinlandsproduktes für die weltweite Armutsbekämpfung bereitgestellt werden. Letzte Woche hat der Bundestag sozusagen schon prophylaktisch beschlossen, dass die Beiträge für die Finanzierung des internationalen Klimaschutzes künftig aus diesem Budget zur Armutsbekämpfung bezahlt werden sollen.

In Kopenhagen schlägt auch die Stunde der Lobby-Vertreter. Sie haben offiziell zwar nur einen Beobachterstatus, nehmen aber teil mit ihren ganz eigenen Vorschlägen. Telepolis berichtete bereits über die Wünsche der großen Agrarchemie-Hersteller, zukünftig am Treibhausgashandel teilzunehmen. Etwa in dem Monokulturen mit stickstoffbindenden Bakterien geimpft werden sollen oder Felder nicht mehr umgepflügt werden und so die Methan-Freisetzung im Vergleich zu den bisherigen Methoden geringer ausfallen soll. Es ginge aber auch wirklich umweltschonender, wie die Vertreter des Bio-Landbaus darlegen. Auch sie fordern, die Landwirtschaft mit in die Klimaschutzverhandlungen einzubeziehen, weil sie bisher ein stolzes Fünftel zu den Emissionen beiträgt. Aber statt intensiver Düngung und Fleischproduktion setzen sie auf organische Düngung statt Stickstoffdünger und einen Humusaufbau im Boden als CO2-Speicher.

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft kritisiert die Initiative der agro-chemischen Industrie, sich einen Anteil am milliardenschweren Kuchen der Emissions-Zertifikate unter dem Mäntelchen "conservation agriculture" zu sichern und eine weitere Ausdehnung der Monokulturen und den Einsatz von Totalherbiziden mit pfluglosen Anbausystemen zu rechtfertigen. Statt dessen solle tatsächliche Biodiversität, Schonung des Bodenlebens, Fruchtfolgen und die Vermeiden von Schadstoffeinträgen in Luft und Wasser mehr beachtet beachtet.

Die Schätzungen zu Peak-Oil liegen vor allem aufgrund von statistischen Manipulationen der 80er Jahre weit auseinander. Zwischen 1985 und 1990 verdoppelten mehrere OPEC-Staaten ihre Reserveangaben, ohne Neufunde zu melden. Die Era-Studie vermutet als Ursache, dass die höheren Angaben damals höhere Förderquoten rechtfertigen sollten. Quelle: Era-Studie

Noch klimaschädlicheres Öl könnte alle Reduktionsziele obsolet machen

Ganz besonders kritisiert wird, dass auch bei dieser Konferenz nicht geplant ist, den Verkehr stärker in die Pflicht zu nehmen. Zu groß ist hier die Angst, teurer Treibstoff könnte sich negativ auf das allgemeine Staatsziel "Wachstum" auswirken. Zu groß wäre wohl auch der Widerstand der Förderländer, von denen die arabischen Staaten ja mittlerweile nicht nur als Lieferländer sondern über ihre Staatsfonds und Finanzierungsgesellschaften auch global wichtige Finanziers geworden sind.

Zur Kopenhagen-Konferenz wurde jetzt der Era-Endbericht über die Auswirkungen fossiler Kraftstoffe in Bezug auf Treibhausgasemissionen, Umwelt und sozioökonomische Effekte vorgelegt. Fazit: Die Erdölgewinnung wird immer klima- und umweltschädlicher werden. In der Folge werden die relativen Treibhausgasemissionen fossiler Kraftstoffe in den kommenden Jahren weiter ansteigen und so die Klimaschutzziele gefährden.

Wesentliche Ursache dafür ist, dass zunehmend unkonventionelle Ölquellen wie Teersand oder Schwerstöl für die Kraftstoffproduktion abgebaut werden und bereits bekannte Quellen durch immer energieaufwendigere Fördermethoden unter Dampf- und Gasdruck oder mit unterirdischer Verkokung gefördert werden, um sie möglichst restlos auszubeuten. Verfahren, die sich bei steigenden Ölpreisen zwar pekuniär lohnen, aber zu höheren Emissionen je Liter Sprit führen. Auch die vermehrte Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus Erdgas (GTL) und Kohle (CTL) wird energie- und treibhausgasintensiver sein als die heutiger konventioneller fossiler Kraftstoffe. Die Treibhausgasemissionen sogenannter unkonventioneller fossiler Kraftstoffe setzen bei ihrer Herstellung so bis zu zweieinhalb Mal so viel CO2 frei wie konventionelles Öl.

Die Angaben zu Peak-Oil liegen noch weit auseinander, doch trotz der prognostizierten intensiveren Ausbeutung der Lagerstätten sind sich alle Studien einig, dass die Ölförderung bis 2030 sinken wird, von heute über 80 auf dann 40 bis 76 Millionen Barrel. Selbst wenn alle Versprechen zur Minderung des Ölverbrauchs scheitern, und das ist bei der zunehmenden weltweiten Motorisierung wahrscheinlich, rechnen die Autoren der Era-Studie so, auch bei nur weiter konstanter Nachfrage, mit einem erheblichen Anstieg der Treibhausgasemissionen von 8 auf 10 Milliarden Tonnen CO2 allein im Verkehrsektor. Gefordert wird daher, dass endlich auch der Verkehr mit in die Klimaverhandlungen aufgenommen wird. Bisher soll das ab 2012 nur für den Flugverkehr und auch dort eher pro forma nur für Maschinen, die in Europa starten und landen gelten. Die heilige Kuh Mobilität könnte so am Ende dazu führen, dass in Zukunft alle Klimaziele verfehlt werden und die Treibhausgasemissionen weltweit erst dann signifikant zurückgehen, wenn der Treibstoff endgültig zur Neige geht.