Umstrittene Rankings, verpatzte Bologna-Reform

Immer mehr Hochschulbereiche wollen sich aus dem Uni-Ranking des Bertelsmann nahen "Centrums für Hochschulentwicklung" zurückziehen. Derweil basteln Politiker und Wissenschaftsfunktionäre an einer Korrektur der Bologna-Reform

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3.734 Nachwuchs-Akademiker haben sich zu Beginn dieses Wintersemesters an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn eingeschrieben. Die 1818 gegründete Hochschule zählt mit nunmehr 27.469 Studierenden – trotz spürbarer Einbußen, die dem Trend steigender Studentenzahlen eigenwillig entgegenlaufen - zu den großen Universitäten in Deutschland, über deren Leistungsstärke in Sachen Lehre und Forschung republikweit diskutiert wird.

Ein Ausgangspunkt dieser Debatten war bislang das HochschulRanking, das vom Centrum für Hochschulentwicklung als das „umfassendste und detaillierteste Ranking deutscher Universitäten und Fachhochschulen“ angepriesen wird. Doch das gemeinnützige Institut, dessen Jahresbudget in Höhe von rund drei Millionen Euro zur Hälfte von der Bertelsmann Stiftung finanziert wird, muss in Zukunft wohl eine komplette Hochschule aus seiner Liste streichen. Die Universität Bonn will sich nicht mehr am Ranking des CHE beteiligen.

Ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit

Als Pressesprecher Andreas Archut diesen Rektoratsbeschluss im November kommentierte, wollte er ausdrücklich festgestellt wissen, dass der Ausstieg der Universität nicht etwa auf schlechte Ergebnisse zurückzuführen sei. Allerdings könne man sich nicht mehr mit den methodischen Vorgaben des CHE, der selektiven Datenverarbeitung oder dem Versuch, Publikationsleistungen durch Seitenzahlen zu definieren, identifizieren.

Die Datenlage ist häufig sehr dünn. Die Kriterien bilden außerdem nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit ab.

Andreas Archut

Der Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses Johann Wolfgang Schoop wies in diesem Zusammenhang auf eine wichtige Differenzierung hin. Schließlich habe die Bonner Hochschule vor allem bei Vergleichen hinsichtlich besonderer Forschungsleistungen positiv abgeschnitten. In Sachen Lehre und Betreuung sähen die Dinge anders aus.

Bei Forschungsrankings ist Bonn jedes Mal top, aber Lehrrankings sind ein Flop - und dann begeht man Realitätsflucht. Das CHE-Ranking ist realistisch. In Bonn geht gute Forschung tatsächlich auf Kosten der Lehre.

Johann Wolfgang Schoop

Bei näherer Betrachtung ergaben sich dann sogar Verbindungen zwischen den Hochschulrankings, der Situation der Lehre und den eingangs erwähnten Studierendenzahlen.

Im Gegensatz zu allen anderen Universitäten kann die Universität Bonn keinen Zuwachs bei den Erstsemestern verbuchen. Die Universität insgesamt schrumpft sogar! Die neue Studierendenstatistik ist eine deutliche Aussage über die Qualität der Lehre an der Universität Bonn. Um die steht es schlecht. Das ist mittlerweile auch bei den Studienbewerbern angekommen, weshalb sich diese für andere Universitäten entscheiden.

Johann Wolfgang Schoop

Die Universität Bonn, die beim Academic Ranking of World Universities 2009 der Jiao-Tong-Universität Schanghai Platz 98 belegte und nur vier deutschen Universitäten (Göttingen, Heidelberg, TU München, LMU München) den Vortritt lassen musste, hat folglich ein veritables Imageproblem, aber möglicherweise trägt auch die aktuelle Studierendenvertretung aktiv dazu bei, das Interesse potenzieller Nachwuchsakademiker zu schmälern. Johann Wolfgang Schoop ist in der ehemaligen Bundeshauptstadt der erste AStA-Vorsitzende vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten seit einem runden Vierteljahrhundert und publiziert seine Texte unter anderem in einem verbandseigenen Magazin, das den laufenden Bildungsstreik als „Spielwiese linker bis links radikaler Ideologen“ betrachtet, „die sich bei den geplanten simulierten Banküberfällen dann einmal so richtig austoben können“.

Wenn die Lehrbedingungen so suboptimal sind, wie Kritiker und Rankings behaupten und sich dann auch noch ein „bürgerlicher“ AStA von vorvorgestern um die studentischen Belange kümmert, kann das CHE kaum allein für die mangelnde Attraktivität der Hochschule verantwortlich sein.

"Keine Teilnahme an kommerziellen Rankings!"

Trotzdem stehen die Hochschulrankings schon seit Jahren (Ranking der Universitäten zunehmend unter Kritik) im Mittelpunkt rein fachlicher und ideologisch eingefärbter Debatten über den Sinn und Unsinn solcher Leistungsbewertungen – übrigens nicht nur in Deutschland. 2009 nahm der Protest allerdings deutlichere Formen und größere Ausmaße an. Im Juli beschloss der Konvent der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, sich nicht mehr an Hochschulrankings durch kommerzielle Unternehmen "oder wirtschaftsnahe Einrichtungen wie etwa dem Centrum für Hochschulentwicklung" zu beteiligen. Unter dem Titel „Keine Teilnahme an kommerziellen Rankings!“ veröffentliche Dekan Lutz Kipp einen offenen Brief, in dem er insbesondere den Bewertungen des CHE „gravierende methodische Mängel“ und eine mangelnde Aussagekraft attestierte.

So sind z.B. den Hochschulrankings des CHE (…) wiederholt unter anderem folgende Schwächen vorgeworfen worden: Geheimhaltung der Datensätze sowie der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Methodik, ungeeignete Kriterien wie "Empfehlung von Professoren für Studienorte", Manipulationsmöglichkeiten durch Hochschulen, willkürliche Wahl von Rankingparametern und (oftmals zu kleine) Stichprobengrößen, Datenlücken.

Lutz Kipp

Fast zeitgleich beschloss der Fachbereichsrat des Fachbereichs 3 (Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften) der Universität Siegen, sich mit seinen Disziplinen ebenfalls nicht mehr am CHE-Ranking zu beteiligen. Neben der obligatorischen Kritik an der Methodik und dem hohen Aufwand des Verfahrens monierten die Wissenschaftler den Trend zur Ökonomisierung der Hochschulen, dem durch Vergleichstests dieser Art weiter Vorschub geleistet würde.

- Die Leistungen eines Faches in Forschung und Lehre lassen sich nicht à la Aktienkurse oder Bundesligatabellen darstellen. Das Profil und damit die Qualität einzelner Fächer differenziert sich nämlich horizontal statt vertikal: mit den in Forschung und Lehre jeweils gewählten inhaltlichen Akzenten

- Ständiges Messen, Testen, Ranken im Bildungswesen führt dazu, dass „gute Messergebnisse“ als Handlungsziel von Bildungsinstitutionen überbewertet werden. Das ist alles andere als funktional. Es gibt aber dem rankenden Privatunternehmen die Möglichkeit, das öffentliche Bildungswesen faktisch zu steuern und es demokratischer Kontrolle zu entziehen.

- Das Ranking erzeugt, was es zu messen vorgibt: Ungleichheit zwischen den Hochschulen. Das Ranking fördert die Entkopplung von Forschung und Lehre und trägt damit zur Demontage der traditionellen Stärken des deutschen Hochschulsystems bei.

Fachbereichsrat des Fachbereichs 3 der Universität Siegen

Zwei weitere Fachbereiche der Uni Siegen trugen diese Entscheidung mit, und auch in Koblenz-Landau regte sich Widerstand. Ob hier von einem absehbaren Dominoeffekt gesprochen werden kann, ist noch nicht absehbar – doch immerhin mehren sich neben den offiziellen Absagen auch die Proteste der Studierenden, die sich in großen Universitätsstädten und im Zuge der aktuellen Online-Befragung des CHE auch an kleinen FH-Standorten gegen das Ranking zur Wehr setzen wollen. Der „freie zusammenschluss von studentInnenschaften“ hatte sich bereits vor zwei Jahren grundsätzlich gegen die umstrittenen Leistungsvergleiche ausgesprochen.

Hinter den Rankings verbirgt sich die Idee einer Ökonomisierung der Bildung - Bildung wird nur noch anhand einiger wirtschaftlicher Faktoren beurteilt, anstatt es als Grundrecht und als öffentliches Gut zu begreifen, was jedem Menschen gleichermaßen offen stehen muss. Rankings sind ein Instrument, um einen unbegrenzten Wettbewerb im Hochschulsystem zu verankern.

freier zusammenschluss von studentInnenschaften

Neben dem Ranking ist auch seine mediale Verbreitung als „ZEIT-Studienführer“ alles andere als unumstritten. Kritiker sehen die Kooperation zwischen der renommierten Wochenzeitung und dem Bertelsmann-Ableger CHE als Paradebeispiel für - immer häufiger zu beobachtende - Aktivitäten im „Graubereich der Vermischung von Journalismus und PR“.

Neues Bologna?

Der Vorwurf einer mehr oder weniger offensichtlichen Ökonomisierung der gesamten Hochschullandschaft tangiert naturgemäß die aktuellen Streitpunkte in der Bildungsdiskussion dieser Tage. Nach den anhaltenden - und in der Sache meistenteils kaum widerlegbaren – Protestnoten der Studierenden präsentierte die Kultusministerkonferenz am vergangenen Donnerstag die Eckpunkte zur Korrektur der „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Master-Studiengängen“ sowie der „Rahmenvorgaben für die Einführung von Leistungspunktsystemen und die Modularisierung“. Die lange erwartete Reform der umstrittenen und offenbar ineffektiven „Bologna-Reform“ steuert zehn zentrale Ziele an:

  • Studierbarkeit verbessern und Mobilitätsfenster integrieren
  • Individuelle Studienverläufe sichern
  • Breite wissenschaftliche Qualifizierung sichern
  • Master-Zugang flexibilisieren
  • Transparenz des gestuften Studiensystems erhöhen
  • Studierbarkeit in Akkreditierung prüfen
  • Kompetenz benennen
  • Prüfungsleistungen reduzieren
  • Anerkennung verbessern
  • Arbeitsbelastung flexibilisieren

Für Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ist die längst überfällige Korrektur trotzdem nur ein Teilerfolg. Er fordert, dass jeder Absolvent eines Bachelor-Studiengangs einen Rechtsanspruch auf einen weiterführenden Masterstudiengang erhält. Zu diesem Zweck müssten entsprechende Studienplätze geschaffen und vermehrt Hochschulehrerinnen und –lehrer eingestellt werden. Keller plädiert im Namen der GEW für ein Hochschulsonderprogramm von Bund und Ländern und die Abschaffung der Studiengebühren.

Der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne beziffert den dann anstehenden Investitionsstau im Bildungsbereich auf 40 Milliarden Euro im Jahr. Nur damit könne der Nachholbedarf gedeckt werden, erklärte Thöne einen Tag vor der Zusammenkunft der Kultusministerkonferenz. Auch Kai Gehring, Sprecher für Hochschulfragen bei Bündnis 90/DieGrünen, hält wenig von kosmetischen Korrekturen. Er fordert stattdessen eine grundlegende Strukturreform und eine solide finanzielle Basis.

Wenn sich die Studienbedingungen in den Hörsälen tatsächlich verbessern sollen, reicht es aber nicht aus, den Hochschulen einen Kurswechsel lediglich zu verordnen. Die Kultusminister müssen endlich mehr Geld in die Hand nehmen, damit aus der mageren Studienstrukturreform eine echte Qualitätsreform wird. Ohne zusätzliche Mittel können die Hochschulen weder Masterstudienplätze ausbauen noch eine höhere Lehrqualität und eine bessere Betreuungsrelation erreichen.

Kai Gehring

Selbst die den Bologna-Prozess immer wieder befürwortende Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Margret Wintermantel gab Ende vergangener Woche zu Protokoll, dass die in Aussicht genommenen Maßnahmen "nur wirksam werden, wenn die Ausfinanzierung der Studienplätze als zentrale Voraussetzung einer erfolgreichen Fortsetzung des Bologna-Prozesses realisiert wird".

Ob der Bildungsgipfel am Mittwoch Aufschlüsse in dieser Frage bringt, muss nun abgewartet werden. Falls das - ganz überraschender Weise - nicht der Fall sein sollte, können sich geduldige Beobachter des längsten und bis dato erfolglosesten Bildungsreformprozesses in der neueren deutschen Geschichte aber bereits den April 2009 vormerken. Dann will Bundesministerin Annette Schavan einen „Bologna-Gipfel“ veranstalten.

Ein Ranking der sogenannten Gipfeltreffen und Kommissionsgründungen - mit Blick auf die nachprüfbaren Ergebnisse - hat das CHE bislang nicht vorgeschlagen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich damit ein größerer bildungspolitischer Konsens erzielen ließe, ist wohl auch nicht besonders hoch.