Kinderschutz für den Überwachungsstaat

Die britische Regierung will die geplante Überprüfung der Menschen, die mit Kindern zu tun haben, einschränken, das Gesetz ist aber weiterhin Ausdruck einer bedenklichen Paranoia

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Die Briten sind Pioniere der Überwachungs-, Präventions- oder Paranoiagesellschaft. Das betrifft nicht nur Überwachungskameras, das Speichern der Genprofile, das Scannen von KFZ-Kennzeichen oder das Abhören von Telefon- und Internetkommunikation.

Um angeblich Kinder vor Pädophilen, die noch nicht vorbestraft sind, zu schützen, wurde 2006 ein Gesetz verabschiedet, nach dem jeder, der Kinder betreut, auch wenn dies nur vorübergehend und kurzzeitig ist, sich registrieren lassen muss und von einer neu geschaffenen Behörde überprüft wird. Wer Kinder auch nur zwei Stunden am Stück betreut oder beispielsweise als Autor eine Schule besucht, um dort Kindern etwas vorzulesen, muss sich danach gefallen lassen, dass die Independent Safeguarding Authority (ISA) nicht nur überprüft, ob etwa eine Vorstrafe vorliegt, sondern auch anonymen Gerüchten nachgeht und Erkundigungen von Arbeitgebern einholt.

Das betrifft nicht nur Angestellte, die in Schulen, Horten oder Kindergärten arbeiten, sondern etwa auch Kinderärzte oder Betreuer in Sportvereinen, aber auch alle, die kostenlos und freiwillig tätig sind, selbst Eltern, die Kinder anderer Eltern betreuen und beispielsweise regelmäßig zur Schule oder zum Sportverein mitnehmen. Ganz präventiv sollen Risikoprofile erstellt und permanent aktualisiert werden, in die beliebige Informationen einfließen können. Wer sich nicht registrieren lässt, muss mit einer Strafe von 5000 Pfund rechnen. Wer verdächtig ist, kommt eine Liste und darf dann nichts mehr mit Kindern zu tun haben.

Der Präventionsstaat dreht durch, jeder ist verdächtig, keiner wird mehr freiwillig irgendetwas mit Kindern zu tun haben wollen, zumal niemand weiß, wie welche Informationen erlangt, gespeichert und beurteilt werden. Immerhin gab es einen Aufschrei unter den ansonsten überwachungsresistenten Briten. Schließlich wären, wie die Behörde selbst angibt, an die 11,3 Millionen Briten, potenzielles Opfer der neuen Überwachungsmaßnahmen.

Offenbar hat es erhebliche Proteste gerade vor den Weihnachtsfeiern gegeben, so dass nun die britische Regierung zumindest einen halben Rückzieher macht und die Überprüfung, die bereits begonnen hat und in vollem Ausmaß im Sommer einsetzen sollte, einschränken will.

Jetzt sollen "nur" noch Menschen überprüft werden, die mit einer Kindergruppe mindestens einmal wöchentlich Kontakt haben (bislang zwei Tage monatlich). Wer nur einmal mit denselben Kinder wie ein Autor in einer Schule Kontakt hat, soll ausgenommen werden. Auch 16-18-Jährige, die in Schulen, Sportvereinen u.ä. aushelfen, oder Ausländer, die mit Kindergruppen einreisen und kürzer als 3 Monate in Großbritannien sind, werden von der ISA nicht mehr überprüft. Zudem sollen Eltern, die mit anderen Eltern etwas ausmachen, außen vor bleiben.

Man will ja nicht, wie Minister Balls, zuständig für Kinder, Schulen und Familien, schreibt, bürokratisch sein oder Belastungen hervorrufen, sondern ein "angemessenes, ausbalanciertes und effektives Programm" umsetzen, das freiwillige Helfer nicht abschrecken soll. Auch mit dem eingeschränkten Überwachungsprogramm dürfte viel an selbstverständlichem Umgang mit Kindern zerstört werden. Und es wird trotzdem neben dem Eindringen in die Privatsphäre einen erheblichen bürokratischen Aufwand darstellen. Der bislang vorliegende Gesetzestext umfasst immerhin 92 Seiten. Man kann davon ausgehen, dass der revidierte nicht sehr viel kürzer werden und vermutlich noch mehr Ausnahmen und Sonderregelungen beinhalten wird.