Auf Kriegsfuß mit der Wahrheit

Der deutsche Bombenbefehl von Kundus: Auch drei Monate später lassen Verteidigungsministerium und die Bundesregierung nur erkennen, dass sie an der umfassenden Aufklärung des Luftschlages und der näheren Umstände nicht interessiert sind

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Der amerikanische General McChrystal war schon am 5. September, am Tag nach dem Bombenabwurf (siehe War der Befehl zum Abwurf der Bomben falsch?) auf die beiden entführten Tanklastzüge, „nicht erfreut“. Mit bis zu den Knien nassen Hosen stapfte er laut Washington Post in der Furt des Kundus-Flusses herum, um später den Journalisten mitzuteilen, dass es nach Besichtigung des Schauplatzes für ihn „klar“ sei, „dass einige Zivilisten an dieser Stelle zu Schaden kamen“. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er die Sache als gewichtig einstufte. Der Vorfall sei ein Test dafür, ob man willens sei, Transparenz zu zeigen und wie es um die Bereitschaft stünde, die afghanische Bevölkerung zu schützen. Die deutschen Vertreter kommen in dem Bericht der amerikanischen Zeitung schlecht weg, wo sie auftauchten, stellen sie sich der raschen Aufklärung an Ort und Stelle eher entgegen, bremsen.

Die deutschen Reaktionen auf den Bericht der Washington Post waren beleidigt. Man empfand es als unsauber, dass aus dem inneren Kreis der Nato-Untersuchung berichtet werden durfte. Schon aus dem Zeitungsbericht geht hervor, dass im Krankenhaus zivile Opfer des Bombenangriffs lagen und dass die amerikanischen Piloten die Forderung des deutschen Befehlsgebers nach größeren Bomben ablehnten. An Aufklärung interessierte Stellen der deutschen Regierung hätten hier schon einhaken können. Wer informiert sein wollte, dem lagen am Tag nach dem Bombenabwurf schon wichtige Hinweise vor.

Etwas mehr als drei Monate später beschäftigt der Fall noch immer die deutsche Öffentlichkeit. Der Minister, der ihn jetzt zu verantworten hat, steht bis zur Krawatte im trüben Wasser. Aus der „Informationspanne“, wie man die Nachbearbeitung des angeordneten Luftschlages zwischendrin genannt hat (siehe Deutscher Einsatz in Afghanistan: Bröckelige Halbwahrheiten), ist ein echtes Schlamassel geworden. Ein Informationsdesaster mit unbeabsichtigter Transparenz, das deutlich macht, wie die Regierung Merkel die Öffentlichkeit in heiklen Fragen, wie zum Beispiel beim Afghanistan-Einsatz, begreift: als eine Herde von stimmungsabhängigen Konsumenten, die beruhigt und betrogen werden will, ganz so wie bei Gute-Laune-Radiosendern auch noch das mieseste Wetter himmelblau aufbereitet wird.

Das Schlamassel, das die Regierung beständig klein halten will, hat zwei Problemzonen. Die erste ist unmittelbar mit Guttenberg verknüpft. Mit der Frage, was er zu welchem Zeitpunkt über den Vorfall hätte wissen können. Am 28.Oktober trat Guttenberg sein Amt an, am 6. November ließ er mit seiner Bewertung aufhorchen, wonach der Luftangriff "militärisch angemessen" sei. Am 26. November entließ Guttenberg den Bundeswehrinspekteur Schneiderhan und den Staatssekretär des Verteidigungsministeriums Wichert. Am Tag zuvor war von der Bild-Zeitung Aussagen aus dem sogenannte Feldjäger-Bericht veröffentlicht worden, aus dem deutlich hervor ging, dass deutsche Stellen, entgegen der öffentlichen Darstellung der Regierung, schon viel früher über zivile Opfer durch den Bombenabwurf hätten Bescheid wissen können. Dass die Bewertung des Luftschlages als „militärisch angemessen“ nicht mit dem Parade-Selbstbewusstsein zu halten war, mit dem sich Guttenberg Anfang November als neuer Truppenchef präsentierte.

Berichte: Die Medien sind schneller, die Regierung zieht nach

Der Bildzeitungsveröffentlichung folgte Anfang Dezember der Spiegel mit Neuigkeiten aus dem geheimen Nato-Bericht (siehe Schlechte Nachrichten für Guttenberg und die Regierung), die einen Oberst schildern, der zum Bombenabwurf drängte und dabei Vorschläge der amerikanischen Piloten zu einer Show of Force - Tiefflüge, die vor einem Angriff warnen oder Gegner vertreiben sollen – ablehnte, insgesamt wurde der Vorschlag von Seiten der Piloten 5 Mal geäußert. Sie konnten Klein lediglich davon überzeugen, dass auch kleinere Bomben genügen. Bei dem Bombenangriff kamen etwa 140 Menschen ums Leben; man geht derzeit davon aus, dass der Großteil davon Zivilisten waren.

Im Licht dieser Veröffentlichungen sah Guttenberg nicht mehr gut aus. Seine Neubewertung (siehe Guttenberg und die versuchte Taktik des geordneten Rückzugs) vom 4.Dezember machte nicht mehr wett, was er zuvor schon gegenüber dem Klartext aus den Medien verloren hatte. Seit diesem Wochenende schießen nun auch die beiden politisch Geschassten, Schneiderhan und Wichert, zurück und behaupten, dass Guttenberg alle wesentlichen Informationen zum Luftangriff gekannt habe, als er diesen als „angemessen" einstufte. Tatsächlich steht im Nato-Untersuchungsbericht (COM-ISAF), den Guttenberg gelesen hat, angeblich alles drin.

Der Bericht, der als geheim eingestuft wird, den mittlerweile aber anscheinend halb Berlin gelesen hat zu finden ist, lag Guttenberg seit seinem Amtsantritt, am 28.Oktober, vor. Nach Informationen grüner Verteidigungspolitiker hat Guttenberg wohl nur den „geschönten“ Teil gelesen, der anscheinend von der Nato etwas aufpoliert wurde, nicht aber die Fußnoten und Anhang, wo die schwer verdaulicheren Einzelheiten stecken.

Guttenberg: Keine sorgfältige Lektüre

Fest steht, bei sorgfältiger Lektüre hätte Guttenberg allein auf Grund dieses Berichts die spätere (Erst-)Bewertung als „militärisch angemessen“ nicht abgeben können. Man könnte dem Minister zugute halten, dass es das Arbeitspensum nicht erlaubt, 500 Seiten sorgfältig zu lesen. Dafür hat er aber Mitarbeiter. Der Minister gibt vor, wie in seinem Haus gearbeitet wird. Einen größeren Drang zur Aufklärung kann man ihm bislang nicht unterstellen. Selbst wenn man ihm zugute hält, dass die Mitarbeiter von Vorgängern noch weniger Interesse gewohnt waren, weshalb Schneiderhan, wie spekuliert wird, Guttenberg mit Details verschont habe und erst auf Nachfrage damit herausgerückt ist, dass es noch weitere Berichte gibt.

Der Zug zur Wahrheit ist auch unter Guttenbergs Führung nicht mit Volldampf gefahren. Ob er das noch ändern wird, ist fraglich. Auch als Wirtschaftsminister zeigte Guttenberg geringen Willen, unbequemen Einsichten politisch zu realisieren. Jetzt zeigt er vor allem die Bereitschaft, auf dem Ministerposten zu bleiben.

Laut FAZ gab es über zehn Berichte, die zu Guttenbergs Amtsantritt vorlagen, einschließlich des Feldjägerberichts (Wikileaks), dazu auch ein Bericht des Oberst Klein. Grundlagen für eine sorgfältige Sicht auf den Bombenbefehl und seine Folgen waren also durchaus im Verteidigungsministerium zu finden, warum sie nicht in dem Maße zur Kenntnis genommen wurden, wie das nötig gewesen wäre, nach dem der Bombenbefehl schon, wie eingangs nochmal erinnert, einen Tag später als umstritten herausgestellt wurde, ist ein Rätsel. Es zeigt sich darin der absolute Unwille zu jedweder Transparenz – warum ist die Bundesregierung nie selbstkritisch an die Öffentlichkeit, warum hat sie nicht auch Teile des Untersuchungsberichts vorgestellt?

Worin ist das bemerkenswert laute Schweigen von Merkel, die dubiose Rolle von Steinmeier und anderer im frühen September dieses Jahres politisch maßgeblich Verantwortliche im Kanzleramt zu dieser Affäre begründet?

Dass das Kanzleramt überhaupt nicht Bescheid wusste bzw. darüber Bescheid wissen wollte, was in der Nacht des 4.September passierte, ist nur anzunehmen, wenn man sich einen Außenminister und eine Kanzlerin mit sehr beschränkten Aufmerksamkeitsfeldern vorstellt. Interessiert die Bundeskanzlerin nicht, wenn der Bombenbefehl eines Bundeswehrsoldaten mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben von Zivilisten gekostet hat? Oder man hatte, wie Veröffentlichungen der vergangenen Woche unterstellen, einen guten Grund, Aufklärung zum Thema zu unterbinden?

Schon Anfang Dezember wurde spekuliert, dass das Beharren des Oberst auf den Bombenbefehl möglicherweise nicht nur auf die Gefährdung seiner Soldaten durch die Entführung von Tanklastern zurückzuführen ist, sondern dass Stress und Druck auch von anderer Stelle kamen. Als erstes erwähnte die FAZ letztes Wochenende die mögliche Anwesenheit von KSK-Mitgliedern, die darauf gedrängt haben sollen, die Tanklaster in die Luft zu sprengen, weil sich unter den Taliban wichtige, gesuchte Anführer befanden.

Gezielte Tötung?

Die Leipziger Volkszeitung, die Frankfurter Rundschau und in ihrem Gefolge andere Medien erhärteten diese Vorwürfe Ende vergangener Woche. Außer dem KSK wurden schließlich auch noch das CIA ins Spiel gebracht und allerhand raunende Verbindungen zwischen Bundeswehroffizieren und geheimen Kommandos. Diese Annahmen kulminieren in der Frage, ob es um gezielte Tötung ging.

Das wäre eine neue Qualität der deutschen Kriegsführung in Afghanistan. Eine, über die niemals öffentlich gesprochen wurde. Selbst dann nicht, als im vergangenen Sommer davon die Rede war, dass sich die Bundeswehr-Strategie Richtung „proaktiv“ ändert und neue Einsatzregeln den Soldaten schließlich auch die Möglichkeit einräumen, sich nicht nur zu verteidigen, sondern Angreifern nachzusetzen, sie zu verfolgen. Der Vorwurf der gezielten Tötung und das Schweigen der Kanzlerin zum Vorfall zeigen, wie weit offizielle Darstellung des Konflikts und Wirklichkeit voneinander entfernt sind. Das zu erklären ist nicht nur Sache des Verteidigungsministeriums, sondern auch der Regierungschefin.

Oberst Klein selbst hat eingeräumt, dass es ihm bei seinem Bombenbefehl nicht nur darum ging, die Gefahr durch die entführten Tanklaster zu beseitigen, es ging ihm auch darum, wichtige Taliban auszuschalten. Stimmen die Angaben eines der Lastwagenfahrer, die er dem Spiegel gegenüber geäußert hat, dann hatte die Aktion auch in dieser Hinsicht nur wenig Erfolg, da die Taliban-Führer rechtzeitig das Weite gesucht haben sollen.