Karbonkapitalismus

Die billionenschwere Kehrseite der Kopenhagen-Agenda

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Die Klimakonferenz in Kopenhagen wird nicht nur von Umweltschützern mit Argusaugen beobachtet. Auch die großen Investmentbanken wollen nun ernten, was ihre Lobbyisten über Jahre hinweg gesät haben. Der Handel mit Emissionsrechten könnte schon in fünf Jahren ein Billionenvolumen erreichen und sich somit vortrefflich für neue Finanzmarktinnovationen eignen. Die Turbobanker an der Wall Street wissen schließlich am besten, wie man aus heißer Luft schwindelerregende Profite machen kann. Dabei ist es mehr als fraglich, ob ausgerechnet die Finanzmärkte, die sich vor Kurzem noch nicht einmal aus eigener Kraft vor sich selbst retten konnten, nun ausgerechnet die ganze Welt vor der drohenden Klimaerwärmung retten können.

Die Welt in guten Händen

Blythe Masters ist trotz ihres vergleichsweise jungen Alters bereits eine Wall Street-Legende. 1997 entwickelte die damals 35jährige mit ihrem Team bei JP Morgan ein Finanzprodukt namens Bistro, mit dem sie die Kreditausfallrisiken verschiedener JP Morgan-Kunden in einem handelbaren Papier bündelte. Bistro wurde ein durchschlagender Erfolg. Die von Masters entwickelten Kredit Default Swaps wurden schnell zu dem, was Investment-Guru Warren Buffet einmal "finanzielle Massenvernichtungswaffen" nannte – ein komplett intransparenter Markt mit einem "Vorkrisenvolumen" von 60 Billionen US-Dollar.

Die Mutter der Finanzbombe überlebte auch die von ihr mitverursachte Finanzkrise und ist nun bei JP Morgan als "Global Head of Commodities" unter anderem für die Entwicklung neuer Finanzinnovationen im Bereich Umwelt und Klima zuständig. Auf diesem Gebiet haben Masters und JP Morgan große Pläne, schließlich darf man in der bunten Welt der Blythe Masters so eine wichtige Sache wie die Rettung der Welt nicht alleine der Politik überlassen:

Man kann keine erfolgreiche Klimapolitik betreiben, ohne die Finanzbranche ganz maßgeblich daran teilhaben zu lassen.

Blythe Masters, JP Morgan

Dem intensiven Lobbying von JP Morgan und anderen Größen der Finanzwelt ist es zu verdanken, dass die "Clean Energy Bill", die bereits das Repräsentantenhaus passiert hat, nun aber im Senat auf Widerstand trifft, alle Vorrausetzungen erfüllt, aus Emissionsrechten handelbare Papiere zu schnüren. Was sind schon die mehreren Hundert Millionen US-Dollar, die von der Finanzbranche für diese neue Form des Öko-Lobbyings ausgegeben worden sind, gegen die Möglichkeit, kreativ beim Emissionsrechtehandel mitspielen zu dürfen, der schon bald ein Billionen-Dollar-Markt sein soll? Mit Umwelt- und Klimaschutz hat dies freilich nur sehr wenig zu tun. Aus frei handelbaren Emissionsrechten könnte man nämlich ein ganzes Bouquet profitversprechender Finanzprodukte erstellen, mit denen CO2-Sünder fürstlich belohnt werden könnten.

Schmutzzertifikate als Absicherung gegen den Umweltschutz

Ein Finanzprodukt, das sich JP Morgan schon heute für den US-Markt vorstellen kann, sind beispielsweise CO2-Futures. Der Gedanke, der hinter solchen Terminkontrakten steht, ist relativ simpel. Eine Fluggesellschaft kann sich beispielsweise über einen festgelegten Zeitrahmen hinweg gegen steigende Kerosinkosten absichern, indem sie Öl-Futures erwirbt. Bleibt der Ölpreis niedrig, verfallen die Futures, steigt er, gewinnen die Futures an Wert und die höheren Kerosinkosten werden mit Spekulationsgewinnen ausgeglichen. Man kann sich natürlich nicht nur gegen steigende, sondern auch gegen sinkende Rohstoffpreise absichern.

Man stelle sich einmal vor, ein Stromerzeuger könnte sich bald auch gegen strenge Umweltschutzrichtlinien versichern. Wenn CO2-Zertifikate als Futures handelbar sind, ist dies kein Problem. Der Umwelt ist damit freilich nicht geholfen, da die Absicherung über Futures oft günstiger sein dürfte, als die Investition in umweltfreundliche Technologien. Die Finanzmärkte machen es möglich, schließlich ist der CO2-Emittent ja in Besitz der begehrten Zertifikate, aus denen die Finanzbranche viele schöne Produkte schnüren kann.

Eine Geldanlage für das gute Gewissen? Kein Problem, Öko-Zertifikate, die zum Teil aus Emissionsrechten bestehen, befriedigen nicht nur das gute Gewissen, sie haben auch ein hervorragendes Blasenpotential. Wie alle Rohstoffmärkte hätten es die Spekulanten auch bei einem offenen CO2-Emissionsmarkt in der Hand, Blasen entstehen und wieder platzen zu lassen. Dabei sind Treibhausgase im negativen Sinne sogar perfekt für die Marktkapitalisierung über Finanzinnovationen geeignet – sie sind flüchtig, die Politik kann sie künstlich verknappen, und hinter ihnen stehen keine realen Werte.

Das System (Handel mit Emissionszertifikaten) kann manipuliert werden. Das ist auch der Grund, warum Finanztypen wie ich es so mögen – es schafft neue finanzielle Möglichkeiten.

George Soros

Cap and Trade – Klimarettung durch den Markt?

Ob die Finanzbranche ihren Traum von einem weltweiten Emissionsrechtemarkt schon in Kopenhagen umsetzen kann, ist ungewiss. Ein vorab durchgesickerter Entwurf für das Kopenhagener Abschlusskommuniqué, der den Federn europäischer und amerikanischer Unterhändler entspringt, verpflichtet die Signatarstaaten jedenfalls zu einer Roadmap, die zu einem "breiten, liquiden Karbonmarkt" führen soll. Dabei ist Handel mit Emissionsrechten bereits im Kyoto-Protokoll implementiert und wird innerhalb der EU bereits seit fünf Jahren praktiziert – auch wenn 90% des Emissionsrechtehandels in einigen EU-Staaten lediglich besonders „kreativen“ Steuerhinterziehungsmodellen der Organisierten Kriminalität zu verdanken sind.

Die Idee hinter dem Emissionsrechtehandel ist dabei recht simpel: Cap and Trade, ein Staat oder eine Staatengemeinschaft gibt eine Zielvorgabe aus und verteilt zertifizierte Emissionsrechte an die Industrie. Für die Emission von Treibhausgasen muss der Emittent diese Zertifikate dann wieder abgeben. Wer mehr Treibhausgase emittiert, als es ihm zusteht, der muss dafür Zertifikate auf dem Markt erwerben. Verkäufer sind demnach Unternehmen, die in emissionssparende Technologien investieren und sich diese Investments über den Verkauf ihrer nun überflüssig gewordenen Zertifikate refinanzieren. Soweit die Theorie, die Praxis ist jedoch meilenweit von diesem idealistischen Ansatz entfernt und die Märkte beweisen aufs Neue, dass sie in komplexen und manipulationsanfälligen Themenfeldern nicht die beste Allokationsebene sind.

Emissionsrechtehandel paradox

Wie bei jedem anderen Gut, entsteht bei Emissionsrechten auch nur dann ein handelbarer Wert, wenn das Gut knapp ist. Knappe Emissionsrechte sind jedoch mit potentiell hohen Kosten für Stromerzeuger und die Schwerindustrie verbunden und der Glaube, dass nationale Regierungen oder gar Brüssel den Lobbyisten gerade auf diesem Gebiet standhalten könnten, ist naiv. So ist auch die Energiewirtschaft die einzige Branche in Deutschland, die nennenswerte Kosten aufbringen muss, um sich ihr Recht auf Treibhausgasemissionen zu erkaufen. Diese Kosten werden natürlich Eins-zu-Eins auf die Stromkunden umgelegt, der wünschenswerte Emissionsreduktionseffekt geht somit im mangelnden Wettbewerb auf dem Strommarkt unter.

CO2-Emittenten aus der Schwerindustrie haben es da – dank ihrer Lobbys in Berlin und Brüssel – einfacher. Sie kriegen die Zertifikate vom Staat geschenkt und haben so die freie Wahl, die Zertifikate zu versilbern und in Umwelttechnik zu investieren oder sie durch den Schornstein zu jagen – auch hier bleibt die Lenkungswirkung bestenfalls aus, schlimmstenfalls kehrt sie sich sogar um. Denn in der Wirtschaftskrise produziert die Industrie weniger und stößt daher automatisch weniger CO2 aus. Mit den eingesparten Zertifikaten lässt sich so die nächste Aufschwungphase mühelos überleben, ohne sich übersteigerte Gedanken über den Klimaschutz zu machen.

Geldsegen für die Stahlbarone

Wie gute Lobbyarbeit aussehen kann, zeigt der multinationale Stahlriese ArcelorMittal. Untersuchungen haben ergeben, dass der Konzern so viele Emissionszertifikate geschenkt bekommen hat, dass er nun auf Emissionsrechten im Marktwert von über einer Milliarde britischer Pfund sitzt. Nun kann ArcelorMittal erst einmal abwarten – sollte die EU tatsächlich die Emissionsmengen und damit auch die Menge an kursierenden Zertifikaten reduzieren und dadurch den Preis in die Höhe treiben, kann ArcelorMittal sein Geschenk mit Milliardengewinn an Stromversorger verkaufen, die sich das Geld ja mühelos bei ihren Kunden zurückholen können. Bleiben die Zertifikate in ihrem Wert stabil oder verlieren sie sogar an Wert, so kann ArcelorMittal noch über Jahrzehnte hinweg fröhlich und vor allem kostenlos so viel CO2 emittieren wie eh und je.

Wenn man die richtigen Netzwerke hat, kann man im weltweiten Karbonkapitalismus schnell horrende Gewinne einstreichen. Der britische Stahlkonzern Corus – eine Tochter des riesigen indischen Mischkonzerns Tata – ist so ein Beispiel. Zu Beginn des nächsten Jahres wird der Konzern das Werk im britischen Redcar schließen – einst eines der größten Stahlwerke der Welt, mit dessen Stahl unter anderem die Sydney Harbor Bridge gebaut wurde. Laut Corus benötigt der Weltmarkt den Stahl des britischen Werks, das noch 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, nicht mehr.

Die Emissionszertifikate im Werte von 600 Millionen Pfund für das Werk in Redcar sind Corus jedenfalls sicher. Da stört es das Klima auch nicht weiter, wenn die Corus-Mutter Tata ihren Stahlausstoß in Indien in den nächsten drei Jahren verdoppeln will – trotz der vermeintlichen Flaute, die im Werk in Redcar die Lichter ausgehen lässt. Wenn Tata klug ist, baut der Konzern seine neuen Stahlwerke in Indien nach vorsintflutlichen Umweltstandards – nur dann kann er nämlich doppelt kassieren, Kyoto sei Dank.

Corruption Development Mechanism

Das Zauberwort für die wundersame Vermehrung von Emissionszertifikaten hat den Namen CDM (Clean Development Mechanism). Wenn ein Konzern ein zertifiziertes Umweltprojekt in einem Entwicklungsland durchführt, so erhält er dafür Emissionsrechte, die er am heimischen Markt versilbern kann. Der britische Corus-Konzern könnte also die "maroden" indischen Tata-Stahlwerke mit moderner Technik emissionsarm machen und würde dafür Zertifikate im Werte von zusätzlichen 600 Millionen Pfund bekommen. Großbritannien hätte damit einen der letzten verbliebenen industriellen Großarbeitgeber verloren, das Corus-Tata-Konglomerat Zertifikate im Marktwert von 1,2 Mrd. Pfund gewonnen, die es an Stromkonzerne weiterverkaufen kann, die diese Kosten an ihre Kunden weitergeben - und wo bleibt bei dieser Rechnung die Umwelt?

Uninteressant, denn es wird keine einzige Tonne CO2 weniger produziert. Wer fragt, warum so etwas möglich ist, könnte beim "Weltklimarat" IPCC fündig werden. Dessen Vorsitzender Rajendra Pachauri ist in Personalunion Generaldirektor der indischen Think Tanks "TERI" – TERI, das steht heute für "The Energy and Resources Institute", bis vor Kurzem stand TERI aber noch für "Tata Energy Research Institute" und Tata ist auch heute noch der Hauptsponsor dieser Denkfabrik.

Das Kyoto-Instrument CDM steht heute von allen Seiten im Kreuzfeuer der Kritik. Ein Großteil der Investitionen, die im Endeffekt vom europäischen Endverbraucher über erhöhte Preise bezahlt werden, landet beispielsweise in China. Dort gab es in den letzten Jahren fast kein Wasserkraftwerk und keine Gas- oder Windturbine, die ohne CDM-Geld gebaut wurde.

Grundsätzlich wäre es ja zu begrüßen, wenn auf diese Art und Weise die chinesische Stromerzeugung grüner werden würde – aber an dieser Stelle ist Zweifel angebracht. Nach Schätzungen des Öko-Instituts in Berlin würden sich 40 bis 50 Prozent der CDM-Projekte auch ohne CDM-Gelder rechnen und dürften demnach gar nicht zugelassen werden. Umweltschützer sprechen in diesem Zusammenhang bereits von "Corruption Development Mechanism".

Die bisherigen Formen des Emissionshandels wirken kaum, kosten viel und haben nur sehr selten die gewünschte Lenkungswirkung. Anstatt sich über den Sinn und Unsinn der gängigen Praxis Gedanken zu machen, sucht die Weltgemeinschaft – und allen voran Deutschland – nun die Vorwärtsverteidigung. Wenn sich deutsche Zahlenspiele und amerikanische Finanzmarktinteressen finden sollten, so wird die Welt nicht vor ihrem drohenden Untergang gerettet. Dafür bekäme künftig auch die Finanzbranche die Chance, sich mit Emissionsrechten und dem Klimawandel dumm und dämlich zu verdienen. Was hat das alles noch mit der Klimaerwärmung zu tun? Nichts. Märkte können vieles, die Klimaerwärmung stoppen, das können sie nicht.