RAF: Nordkorea als Unterstützer deutscher Terroristen

Diktatur wollte freigepresste Stammheimer aufnehmen

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Ein bislang im Zusammenhang mit dem deutschen Linksterrorismus noch nie genanntes Land hat offensichtlich eine wesentliche Rolle bei der internationalen Unterstützung der RAF gespielt. Wie aus jetzt freigegeben Unterlagen ersichtlich ist, handelte es sich dabei um Nordkorea. Bereits in ihrer Frühphase hatte die Rote Armee Fraktion Kontakt zu der kommunistischen Diktatur gesucht.

Was in den Akten des Stuttgarter Hauptstaatsarchivs wie ein Zufallsfund ausieht, ließ schon 1971 bei den westdeutschen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten die Alarmglocken schrillen. An einem kalten Spätherbsttag, dem 10. Dezember, wurde auf dem Wittenbergplatz im damaligen West-Berlin die Kopie eines ominösen Briefes gefunden. Ob ein Passant oder ein V-Mann der Polizei das Schreiben anschließend zum Landeskriminalamt brachte, lassen die Unterlagen offen.

Bei dem Brief handelte es sich nach Angaben des Staatsschutzes um eine Bitte der RAF an die Machthaber in Nordkorea, mit der die Terroristen um militärische Ausbildung nachfragten. Man könne sich vor allem im Schießen nicht in der Bundesrepublik ausbilden lassen, da die Bevölkerungsdichte zu hoch und die Gefahr endeckt zu werden immens sei, ließ die Stadtguerilla die Regierung im fernen Nordkorea wissen. Um aber die Aufgabe, eine Revolution in der Bundesrepublik zu entfachen, bewältigen zu können, sei die Ausbildung weit weg vom Operationsgebiet unabdingbar. Zudem könne eine Destabilisierung der westdeutschen Verhältnisse auch der DDR nützen.

Laut Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Holger Meins (1 StE 1/74, S. 168 ff) enthielt der Brief folgenden Passus: "Die sozialistischen Errungenschaften der DDR verteidigen und den westdeutschen Imperialismus angreifen, die Grenzen der DDR sichern und den Imperialismus in seinem eigenen Herrschaftsgebiet in den Rücken fallen, den Prozess, in dem die antikommunistischen Vorurteile gegen die DDR in der westdeutschen Bevölkerung beseitigt werden, unterstützen und den Prozess der sich entwickelnden Kampfbereitschaft gegen die Kapitalisten hier vorantreiben - das sind unsere Aufgaben."

Das mag den Nordkoreanern gefallen haben, denn vier Jahre später wollen verdeckt arbeitende Staatsschützer in Karlsruhe eine beunruhigende Entdeckung gemacht haben. Laut einer Handakte des damaligen baden-württembergischen LKA-Chefs Bux, die sich im Landesarchiv Ludwigsburg befindet, wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 17. Januar 1975 an seinem Dienstort durch "vier bis fünf Personen - darunter ein Asiate - abgeklärt. Das dabei verwendete Fahrzeug trug ein Doublettenkennzeichen", war also derart gefälscht, dass es einem tatsächlich existierenden Kennzeichen nachempfunden war. Bei einer Überprüfung durch die Polizei wären die Beamten auf die Halterdaten des echten Kennzeichens gestoßen - und damit ins Leere gelaufen. Verstärkten Personenschutz für Buback gab es nach diesem Vorfall indes nicht.

Zwei Jahre später taucht der kommunistische Staat erneut als RAF-Unterstützer auf. In einem als "eilig" gekennzeichneten Fernschreiben des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg an das Innenministerium vom 12. Januar 1977 wird Bezug auf ein Fernschreiben des Bundeskriminalamtes genommen. Unter dem Betreff "Bekämpfung der terroristischen Gewaltkriminalität; hier: verdeckte Maßnahmen" heißt es: "Am 4. Januar 1977 erhielt das BKA vertrauliche Informationen über die (geplante) Entführung eines westeuropäischen Verkehrsflugzeugs in der ersten oder zweiten Januarwoche 1977 zur Befreiung von Terroristen. Die Operation soll von der Haag-Mayer-Bande ausgeführt werden. Außerdem sollen Pläne zur Ausführung von Sprengstoffanschlägen mit in Österreich entwendetem Sprengstoff bestehen. Bei dem Flugzeug soll es sich um eine französische, belgische oder niederländische Maschine handeln, die zur Freipressung von 14 Terroristen - u.a. die Stammheimer Häftlinge - von Wien-Schwechat aus entführt werden soll.

Die Planung soll in den Händen eines Südamerikaners - nicht Carlos - liegen, der in Deutschland studiert hat und in Palästina Kontakt zu deutschen Terroristen erhielt. Nach Angaben der Quelle (V-Mann des Staatsschutzes in den Reihen der Terroristen, Anm. d. V.) hat sich Nordkorea gegen Zahlung von zehn Millionen D-Mark zur Aufnahme der Freigepressten bereiterklärt. Die Gelder stammen aus Überfällen auf Banken und Geldtransporten in Berlin und anderen deutschen Städten. Das Entführungskommando besteht aus drei Teams zu je zwei Personen, die mit je drei Sprengsätzen ausgerüstet sind. Während ein Team die Entführung vornimmt, werden die anderen zwei an strategisch günstigen Orten in Österreich und der Bundesrepublik stationiert. Sie sollen dann in Aktion treten, wenn der Druck auf die Regierungen erhöht werden soll. Der Sprengstoff stammt aus einem verifizierten Einbruch in einen Steinbruch in Gemmern/Österreich (Villach/Kärnten) von Anfang Dezember 1976 und soll sich in Händen von Günter Sonnenberg befinden."

Inwieweit die Sicherheitsbehörden Frankreichs, Belgiens und der Niederlande von den Deutschen unterrichtet wurden, geht aus den Papieren nicht hervor. Trotz dieser präzisen Vorwarnung kam es nur neun Monate später zur Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" mit 86 Geiseln an Bord auf ihrem Weg von Mallorca nach Frankfurt/Main.