Ein "notwendiger" Krieg

Fragwürdige Begründungen für den Afghanistan-Krieg

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Die Signale sind widersprüchlich. Hoffnungsträger Obama lässt den Krieg in Afghanistan weiter eskalieren, erhält aber zugleich den Friedensnobelpreis. Und in Deutschland nimmt ein Untersuchungsausschuss zum Anschlag in Kundus seine Arbeit auf, während die Regierung weiter Durchhalteparolen verbreitet: Man dürfe den Taliban nicht das Feld überlassen. Doch ist dies tatsächlich der reale Kriegsgrund?

Der US-Präsident jedenfalls betonte diesen Aspekt auch bei seiner Dankesrede zur Preisverleihung in Oslo, deren Kern zur Überraschung vieler eine Rechtfertigung des Krieges als Mittel "zur Wahrung des Friedens" war:

Wir müssen damit anfangen, die harte Wahrheit zu akzeptieren: Zu unseren Lebzeiten werden wir gewalttätige Konflikte nicht beseitigen. Es wird Zeiten geben, zu denen Nationen - einzeln oder gemeinsam - die Anwendung von Gewalt nicht nur notwendig sondern moralisch gerechtfertigt finden werden. Ich sage dies im Bewusstsein der Worte Martin Luther Kings bei der gleichen Zeremonie vor vielen Jahren: "Gewalt führt nie zu dauerhaftem Frieden. Sie löst kein soziales Problem, sondern erschafft nur neue und kompliziertere." (...) Doch als Staatsoberhaupt, das geschworen hat, meine Nation zu schützen und zu verteidigen, kann ich mich nicht nur davon leiten lassen. (...) Das Böse existiert in der Welt. Eine gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht aufhalten können. Verhandlungen werden die Führer von Al-Qaida nicht dazu bringen, ihre Waffen niederzulegen.

Barack Obama

Abgesehen von der fragwürdigen Gleichsetzung der militärischen Fähigkeiten Hitlers und Al-Qaidas sowie dem Rückgriff auf die Bush-Rhetorik vom "Bösen" in der Welt führte diese Rede ein weiteres wiederkehrendes Argument für den Krieg vor: die Verteidigung der Nation. Schon bei einem Vortrag im August vor Veteranen der Streitkräfte hatte Obama hervorgehoben:

Wir dürfen nie vergessen: Dieser Krieg wurde nicht gewählt. Es ist ein notwendiger Krieg. Diejenigen, welche Amerika am 11. September angegriffen haben, planen, dies wieder zu tun. Unkontrolliert würde der Aufstand der Taliban zu einem noch größeren sicheren Hafen für Al-Qaida führen, von wo aus sie den Tod weiterer Amerikaner planen würden. Also ist dies nicht nur ein Krieg, für den es sich zu kämpfen lohnt. Er ist fundamental zur Verteidigung unseres Volkes.

Barack Obama

Starke Worte. Dabei ist die Annahme, dass die Anschläge vom 11. September 2001 tatsächlich in Afghanistan geplant wurden, bislang durch überhaupt keine juristisch tragfähigen Argumente belegt worden. Auch nach über acht Jahren fehlt für die ständig wiederholte Behauptung schlicht der Beweis (Warum Afghanistan?, "Das schreit geradezu nach Aufklärung").

Verbürgt sind hingegen ganz andere Terrorzentren: Hamburg und Florida (wo mehrere der Piloten lange lebten), sowie Kalifornien (wo zwei der Planer bei einem FBI-Spitzel wohnten). Alle vier Piloten der zu entführenden Maschinen trafen sich Ermittlern zufolge außerdem mindestens ein halbes Dutzend Mal in Las Vegas - weit weg von jeder afghanischen Höhle.

Dass 9/11 wohl der Anlass aber kaum der Grund für die Besetzung Afghanistans war, machen auch weiter zurück reichende militärische Planungen deutlich. Ein führender US-General wurde dazu von der Nachrichtenagentur AFP zitiert:

Die Details der Operation „Enduring Freedom“ waren zum großen Teil übernommen von einem Szenario, das die Streitkräfte im Mai 2001 trainiert hatten.

Bekannt ist, dass es im Juli 2001 ein von Ex-US-Diplomaten geleitetes informelles multilaterales Treffen in einem Berliner Hotel gab, über das später der teilnehmende pakistanische Außenminister Niaz Naik berichtete. Die Amerikaner hätten damals "gespürt, dass es Zeit sei, die Taliban loszuwerden, mit allen denkbaren Mitteln".

Ich denke, das Hauptziel war, die Taliban zu entfernen und die Methode war eine Militäraktion, gefolgt von einem lokalen Aufstand und dann einer Art UN-Intervention.

Niaz Naik

Ganz so, wie es nach 9/11 auch geschah. Der Ex-Diplomat erinnerte sich an das Treffen im Juli 2001:

Hätten die Taliban die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit akzeptiert, hätten sie sofort internationale Wirtschaftshilfe erhalten. Und die Pipelines aus Kasachstan und Usbekistan über Afghanistan wären gebaut worden.

Niaz Naik

Im Spätsommer 2001 erreichten die Kriegsvorbereitungen ihr Endstadium. Am 9. September, zwei Tage vor den Anschlägen, wurde Präsident Bush eine Nationale Sicherheits-Direktive zur Unterschrift vorgelegt. Ihr Inhalt war ein Plan, „Al-Qaida zu beseitigen“, der alle Aspekte von diplomatischen Initiativen bis zu Militäroperationen in Afghanistan enthielt, so MSNBC. Die Bombardierungen begannen vier Wochen später.

Dass die hochfliegenden Pipelinepläne über die Jahre in noch weitere Ferne gerückt sind, gehört wohl zu den Unwägbarkeiten eines Krieges. Trotzdem ist die permanente Stationierung in Afghanistan für die herrschende Elite in den USA sinnvoll, da dass Land allein geografisch gesehen eine Schlüsselstellung zur Kontrolle Asiens bietet. Auch wenn Obama in einigen Jahren das Gros der Truppen abziehen sollte - die Militärbasen werden wohl bleiben.

Es handelt sich um Stützpunkte wie Bagram nahe Kabul, das derzeit so etwas wie eine militärische "Boom Town" ist. In den letzten beiden Jahren hat sich die Anzahl der dort lebenden US-Soldaten und Vertragspartner auf 20.000 verdoppelt. Bauprojekte im Wert von über 200 Millionen Dollar sind dort derzeit im Entstehen. Schon vor einiger Zeit wurde eine zweite Startbahn für knapp 70 Millionen Dollar gebaut. Ein verantwortlicher Militär sagte vor wenigen Tagen, dass die Basis im nächsten Jahr um weitere 15-20 Prozent wachsen werde - Obamas Extra-Truppen noch nicht eingerechnet. Man richtet sich offenbar für länger ein.

Ein Standort wie Bagram ist ein konkreter Machtfaktor, quasi eine parallele Hauptstadt. Etwas Vergleichbares haben die USA noch unter Clinton mit dem "Camp Bondsteel" im Kosovo eingerichtet. Der Krieg dort ist zwar bereits seit zehn Jahren vorbei, doch die Militärbasis bleibt. Sie ist eine der größten außerhalb Amerikas und vom Umfang zugleich die siebtgrößte "Stadt" des Kosovo. Etwa 5.000 Soldaten sind hier stationiert - eine veritable Streitmacht, die der Politik erheblichen Nachdruck verleiht. Dass Orte wie Bagram oder Bondsteel zudem als rechtsfreier Raum für "spezielle Verhörmethoden" sehr geeignet sind, ist für die Verantwortlichen wohl nicht mehr als eine interessante Fußnote in ihrer Politik der Full Spectrum Dominance.

Obamas Aussage, dass Amerikas Krieg in Afghanistan vor allem dem Antiterrorkampf geschuldet sei, ist auch finanziell zu hinterfragen. Regierungsangaben zufolge kostet der Einsatz am Hindukusch die USA im kommenden Jahr 65 Milliarden Dollar. In Zeiten von Haushalts- und Finanzkrise werden also tatsächlich 65 Milliarden ausgeben, nur um einen hypothetischen Anschlag zu verhindern? Das klingt reichlich absurd.

Auch Deutschland, das ähnlich argumentiert, muss einen drastischen Anstieg der Kriegskosten verbuchen: 2010 werden fast 800 Millionen Euro benötigt, 200 Millionen mehr als noch im laufenden Jahr. Und die deutsche Regierung hat noch weniger eine erkennbare Strategie. Sie verharrt gefangen in ihrer selbst gewählten Gefolgschaft zu den USA und wartet auf Obamas nächste Aktionen.