Wiederaufbau in Gaza nach dem Krieg kommt nicht voran

Menschenrechtsorganisationen verurteilen die israelische Blockade und die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft

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Schwere Kritik richten 16 Menschenrechts- und Hilfsorganisationen in dem gemeinsamen Bericht Failing Gaza gegen Israel, aber auch gegen die internationale Gemeinschaft. Die internationale Gemeinschaft habe es versäumt, so Amnesty International, CAFOD, Christian Aid, Medical Aid for Palestinians, medico international und Oxfam International, nach Ende des Gaza-Kriegs auch die israelische Blockade zu beenden, obgleich große Teile von Gaza noch in Ruinen lägen. Die Folgen der Blockade würden vor allem die normalen Menschen im Gazastreifen tragen müssen.

Umgangen werden kann die Blockade bislang nur durch Tunnels, die von Ägypten in den Gazastreifen reichen und immer wieder zerstört werden (Eine Mauer gegen die "Tunnelökonomie"). Obgleich schon 2008 die meisten Menschen im Gazastreifen arm gewesen seien (70 Prozent der Familien hätten von einem Dollar am Tag leben müssen), habe der israelische Angriff die sowieso schon große Arbeitslosigkeit weiter erhöht und das Wirtschaftsleben noch weiter zusammenbrechen lassen. Die Güter, die durch die Tunnels geschmuggelt werden, sind für die meisten Menschen zu teuer. Durch Operation Cast Lead seien auch weite Teile der Landwirtschaft zerstört worden.

17 Prozent der Anbauflächen, darunter Oliven- und Obstbaumplantagen, seien durch Panzer zerstört worden, viele Pumpen, Bewässerungsanlagen oder Gewächshäuser seien ebenfalls zerstört worden. Zudem wurde nach dem Krieg entlang der Mauer zu Israel die "Pufferzone" um 300 Meter verbreitert. Dadurch liege nun ein Viertel oder sogar ein Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche im No-Go-Bereich, wodurch viele Bauern ihre Lebensgrundlage verloren hätten. Insgesamt habe der Gazastreifen um die 46 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche seit dem Krieg verloren, wodurch die Versorgungslage noch einmal dramatisch schlechter wurde.

Während die Grenze zu Israel bereits durch eine Hightech-Anlage abgesperrt wurde (Hightech-Mauer am Gazastreifen), baut nun Ägypten an der verbliebenen 10 km langen Grenze ebenfalls eine massive Stahlmauer, die 20-30 Meter tief in die Erde reicht, um den Bau von Tunneln zu verhindern. Dann wäre der Gazastreifen, der mit 1,5 Millionen Bewohnern, 52 Prozent unter 18 Jahren, als eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde zählt, endgültig ein Gefängnis.

Nach Angaben der Organisationen habe Israel seit einem Jahr gerade einmal 41 Lastwagen mit Baumaterial in den Gazastreifen gelassen, 0,05 Prozent der Lieferungen vor der Blockade. Notwendig seien aber tausende Lastwagenlieferungen, um die vielen im Krieg zerstörten Häuser wieder aufzubauen. An Geld liege es nicht, für den Wiederaufbau wurden nach dem Krieg vier Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt (Die Einen zerstören, die Anderen sollen es wieder richten).

Weil Materialien wie Zement oder Glas fehlen, wurden bislang kaum Häuser, aber auch zerstörte Infrastruktur wie Trinkwasser-, Abwasser- oder Stromversorgung, öffentliche Gebäude wie Schulen oder Krankenhäusern oder Firmen bzw. Geschäfte wieder aufgebaut oder repariert. Israel erlaube nur in seltenen Fällen den Palästinensern, den UN-Behörden und den Hilfsorganisationen die Einfuhr der für den Wiederaufbau notwendigen Materialien. Gestattet werden nur Lieferungen von streng geregelten humanitären Gütern, vor allem von Lebensmitteln und Medikamenten. Auch dabei gibt es Willkürlichkeiten. So würden an einem Tag bestimmte Früchte als Grundnahrungsmittel gelten, die eingeführt werden können, am nächsten Tag könnten sie als Luxusgüter abgewiesen werden. Viele Hilfsgüter würden zudem unvorhersagbaren Verzögerungen und Restriktionen unterzogen.

Nach den neuesten UN-Schätzungen wurden 15.000 Häuser während des Kriegs durch israelische Bombardierung weitgehend zerstört. Für 2.870 Häuser seien jetzt noch grpße Reparaturen notwendig, 3.540 müssten neu gebaut werden, über 52.000 weisen noch geringere Schäden auf. Immer noch gibt es für 90 Prozent der Menschen tägliche Stromausfälle zwischen 4 und 8 Stunden, 10 Prozent haben keinen Strom. Auch öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser sind davon betroffen. Ersatzteile für die Stromversorgung können wegen der Blockade nicht geliefert werden. Ebenso schlimm steht es um die Wasserversorgung. So seien neben Wasserleitungen und Sammelbecken auf Dächern auch wichtige Wassertanks aus Zement durch Beschuss zerstört worden. Allein zu deren Reparatur wären 1.250 Tonnen Zement notwendig. Zehntausende Menschen seien von Wasserlieferungen der Hilfsorganisationen abhängig, Hunderttausende müssten Wasser kaufen, das mit Lastwagen geliefert wird.

Israel stehe primär in Verantwortung, aber auch Ägypten, die Palästinensische Regierung und die Hamas, die den Gazastreifen nach dem [http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22551/1.html] Wahlsieg und der Vertreibung der Fatah seit 2007 kontrolliert, müssten mitspielen. Das Leben der Zivilisten würde von allen Seiten beeinträchtigt, auch von den Konflikten zwischen der Palästinensischen Regierung und der Hamas. Die Hilfsorganisationen verurteilen die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel, das das Recht habe, sich zu wehren, aber sie verurteilen die seit Jahren herrschende Totalblockade, die eine kollektive Bestrafung darstelle, internationales Recht und UN-Resolutionen verletze. Vor allem die EU wird aufgefordert, endlich den Worten Taten Folgen zu lassen und gemeinsam mit den USA und anderen Staaten Auf Israel einzuwirken, um die Blockade aufzuheben. Moniert wird, dass kaum Regierungsmitglieder oder hohe Diplomaten den Gazastreifen besuchen. Der britische Regierungschef Brown und Kanzlerin Merkel hätten bei ihren letzten Besuchen Gaza nicht einmal erwähnt.

Hingewiesen wird auch darauf, dass nach dem Goldstone-Bericht der Vereinten Nationen (Report of the United Nations Fact Finding Mission on the Gaza Conflict) und anderen Berichte von Menschenrechtsorganisationen viele Zerstörungen, für die das israelische Militär während des Krieges verantwortlich war, in Verletzung von internationalen humanitären Abkommen geschehen seien (Israelischer Generalstabschef: "Eine der moralischsten Armeen der Welt"). Beweise gebe es aber auch für Vergehen von bewaffneten palästinensischen Gruppen. Die Vorwürfe, so die Organisationen, müssten gründlich und unabhängig überprüft und diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die für Kriegsverbrechen verantwortlich sind.