Sigmund Freud und Joseph Roth vom Urheberrecht befreit

Alfons Mucha: Monaco Monte-Carlo

Was zum 1. Januar 2010 alles gemeinfrei wurde

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2010 fing gut an: Mit dem Jahreswechsel wurde nämlich eine ganze Reihe von bis dahin urheberrechtlich geschützten Werken gemeinfrei. Grund dafür ist, dass ihre Autoren 1939 starben und nun über 70 Jahre lang tot sind. Die dafür maßgebliche Frist wird nicht exakt berechnet, sondern läuft jeweils erst mit dem 31. Dezember eines Jahres ab.

Betroffen sind nicht nur Literaten, Komponisten und Künstler, sondern auch Wissenschaftler. Aus ihren Reihen stammt wahrscheinlich der bedeutendste Einzelbeitrag zu den gemeinfreien Neuzugängen: Das Werk des Arztes Sigmund Freud. Bedeutend ist es unter anderem deshalb, weil Freud als Wissenschaftler zwar historisch ist, aber seine Werke hohen literarischen Gebrauchswert aufweisen. Zudem orientierten sich vor allem in den 1940er und 1950er Jahren viele Filmemacher an den Schriften des Erfinders der Psychoanalyse, weshalb die von ihm geschaffenen Instrumente heute häufig in den Kulturwissenschaften passgenauer Anwendung finden als bei der Heilung von Kranken.

Joseph Roth

Gemeinfrei wurden am 1. Januar unter anderem Joseph Roth, Ernst Toller, William Butler Yeats, Stanislaw Ignacy Witkiewicz, Edlef Köppen (Heeresbericht), der Frühexpressionist Ernst Blass, der spanische Lyriker Antonio Machado, der masurische Heimatdichter Fritz Skowronnek, der norwegische Bauernmilieuerzähler Olav Duun (Juvikingar), der britische Propagandaschriftsteller Ford Madox Ford (The Good Soldier), der amerikanische Westernautor Zane Grey (Riders of the Purple Sage) und sein Landsmann Sidney Howard, der die Drehbuchfassung von Gone With The Wind schrieb.

Zu den bekanntesten Werken des 1894 im damals österreichisch-ungarischen Galizien geborenen Joseph Roth zählen Hiob, Radetzkymarsch und Das falsche Gewicht. Am Anfang seiner Karriere war der sich katholisch gebende Spross einer jüdischen Familie einer der wichtigsten Protagonisten der journalistisch geprägten Neuen Sachlichkeit, von der er sich 1930 mit einem Aufsatz1 explizit lossagte. Bereits die vorher geschriebenen Kriegsschilderungen waren, wie die Literaturwissenschaft später feststellte, weniger Tatsachenschilderungen, denn bemerkenswert überzeugend ausgestaltete Fiktion. Der Alkoholiker starb im Mai 1939 in einem Pariser Krankenhaus an einer Lungenentzündung. Angeblich hatte er kurz vorher die Nachricht vom Selbstmord eines Kollegen erhalten, dessen Werk am 1. Januar ebenfalls gemeinfrei wurde: Der 1893 in der preußischen Provinz Posen geborene Ernst Toller verfasste sowohl expressionistische als auch neusachliche Werke. In Dramen wie Masse Mensch und Hoppla, wir leben! behandelte der aufgrund psychischer Untauglichkeit entlassene Frontsoldat das Scheitern der Revolutionsversuche zum und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, an denen er sich als Mitinitiator der Münchner Räterepublik unmittelbar beteiligt hatte.

William Butler Yeats

International von größerer Bekanntheit als Toller ist der irische Nobelpreisträger William Butler Yeats. Der zum Okkultismus konvertierte Protestant war unter anderem Mitglied in Helena Blavatskys Theosophischer Gesellschaft, im Hermetic Order of the Golden Dawn und im irischen Senat. Yeats bediente sich alter Volkssagen, die er mit philosophischen und zeitgeschichtlich-politischen Elementen anreicherte. Angeblich durch Vermittlung seines zeitweiligen Sekretärs Ezra Pound kam er mit asiatischem Theater in Berührung, dessen Einfluss sich im Einsatz von Gesang, Tanz, Masken, und Chören zeigt. Gemeinfrei sind allerdings nur Yeats Originale, nicht unbedingt die deutschen Fassungen seiner Werke: Haben sie Schöpfungshöhe, dann gilt bei ihnen nicht nur Yeats' Todeszeitpunkt als maßgeblich, sondern zusätzlich der des Übersetzers.

Das gilt auch für die deutschen Übersetzungen des polnischen Schriftstellers Stanislaw Ignacy Witkiewicz, der sich den Künstlernamen Witkacy gab. Er war nicht nur Autor, sondern auch bildender Künstler und verzeichnete auf seinen Werken die chemischen Formeln der Drogen, unter deren Einfluss er sie gemalt hatte. Sein dekadent-melancholisches Buch Pozegnanie jesieni (Abschied vom Herbst) gilt heute als einer der großen polnischen Romane des 20. Jahrhunderts, war aber zu Lebzeiten des Dichters auf ähnliche Ablehnung gestoßen wie seine kunsttheoretischen Schriften Nowe formy w malarstwie (Neue Formen in der Malerei) und Narkotyki - niemyte dusze (Narkotika - ungewaschene Gedanken).

Alfons Mucha: Prinzessin Hyazintha

Neben Witkiewicz, dem britischen Kinderbuchillustrator Arthur Rackham (Alice in Wonderland) und dem französischen Meeresmaler Georges Ricard-Cordingley ist der interessanteste Künstler, dessen Werke am 1. Januar gemeinfrei wurden, Alfons Maria Mucha, der böhmische Jugendstilmaler, dessen Frauenfiguren unter anderem den Prinz-Eisenherz-Zeichner Hal Foster maßgeblich beeinflussten. Ähnlich wie Adolf Hitler wurde Mucha von einer österreichisch-ungarischen Kunstakademie abgelehnt, ließ sich aber dadurch nicht entmutigen und besuchte stattdessen eine Bühnendekorateursschule. In dem Grafen Karl Khuen-Belasi fand er einen Förderer, der ihn die Innenräume seiner Schlösser in Mähren und Tirol mit Malereien gestalten ließ. Die Familie Khuen-Belasi ermöglichte Mucha schließlich auch ein Studium an der Münchener Akademie der Bildenden Künste, von wo aus der Maler weiter nach Paris zog. Dort machte ihn ein für ein Theaterstück mit der Schauspielerin Sarah Bernhardt gefertigtes Plakat selbst zu einer Berühmtheit, die unter anderem Aktien, Versicherungspolicen, Briefmarken und Banknoten gestalten durfte.

Weniger qualitativ als quantitativ reichhaltig ist in diesem Jahr die gemeinfrei gewordene Ausbeute bei Komponisten: Die österreichischen Spätromantiker Julius Bittner (Das Höllisch Gold ) und Franz Schmidt (Notre Dame), ihr dänischer Stilgenosse Ludolf Nielsen (Hjortholm), der isländische Autodidakt Sigfuss Einarsson (Festkantate), der estnische Nationalromantiker Evald Aav (Die Wikinger), Charles Tournemiere (L'Orgue Mystique ), Louis Brisset (der mit bretonischer Volksmusik arbeitete) und der von afrokubanischen Einflüssen geprägte Amadeai Roldán (La Rebambaramba) zählen zwar nicht zu den ganz großen Namen der Musikgeschichte, bieten aber jeder für sich ein reichhaltiges und durchaus interessantes Werk, dass sich nun für kostenlose Aufführungen geöffnet hat. Allerdings dürfen nicht alle Aufnahmen von Werken der Komponisten gemeinfrei angeboten und mit Fremden getauscht werden, sondern nur solche aus den 1950er Jahren oder vorher. Im Gegensatz zur Literatur bestehen für Musikaufnahmen nämlich auch Monopolrechte von Musikern und Plattenfirmen, die derzeit nach 50 Jahren ablaufen. Praktisch bedeutsam sind vor allem die Rechte der Plattenfirmen, die den meisten Musikern standardmäßig Nutzungsrechte abringen, so dass diesen die Leistungsschutzrechte in der Praxis nichts nützen. Trotzdem will die EU ihre Mitgliedsstaaten zu einer Verlängerung dieser Frist für Leistungsschutzrechte zwingen, was aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaften heraus scharf kritisiert wird.