Verschärfter Change in der Anti-Terror-Politik

USA: Die Entdeckung des Jemens als neue Terror-Hochburg

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Ist der Geist von Bush zurück? Der Gedanke dürfte den Schlange stehenden Fluggästen vor den Sicherheitschecks nicht fremd sein. Die augenblickliche Aufgeregtheit nach dem gescheiterten Anschlagversuch des nigerianischen Bankierssohns läßt an ein Revival der Anti-Terror-Politik à la Bush denken: Die Flughafenkontrollen in den USA werden verschärft, Botschaften im Jemen geschlossen, in den Nachrichtenkanälen zirkulieren Hinweise, wonach al-Qaida einen Anschlag plant, mit einer Militäraktion aus dem Westen wird gerechnet.

Seit den Weihnachtsfeiertagen wird der Jemen als neue Terrorhochburg vermittelt. Plötzlich ist von einer neuen Front die Rede, wollen bizarre Fragen und Titel - „US war on al-Qaeda in Yemen is next?“ oder „Jemen the New Afghanistan“ die Aufmerksamkeit. Man reibt sich etwas verwundert die Augen. Der Anschlagversuch des jungen Nigerianiers, den sich die AQAP (al-Qaida in the Arab Peninsula) auf die Fahnen schreibt, offenbart zwar eine trickreiche Umgehung von Sicherheitshürden, wie dies die Terrororganisation schon bei einem Anschlag Anfang Oktober letzten Jahres auf einen saudischen Prinzen demonstrierte (siehe In Zukunft auch Zäpfchenbomber?), die Frage allerdings, ob dies auch Zeichen für eine Erstarkung der al-Qaida in Jemen gewertet werden kann, ist unter Beobachtern umstritten. Das gilt auch für die Frage, ob vom Jemen aus nun jäh eine neue Bedrohung für die Sicherheit der westlichen Welt entstanden ist.

In einem Telepolis-Interview, geführt Ende Oktober 2009, sah die Chefredakteurin Nadia Al-Sakkaf der Yemen Times die Gefahr woanders. „Al-Qaida wird eher schwächer denn stärker. Die Popularität von Osama bin Laden ist gesunken“, sagte sie und wies dabei auf andere zerstörerische Konfliktherde im Jemen hin (siehe dazu "Wir sind bewaffnet, Analphabeten, hungrig und zornig"). Andere Jemen-Beobachter konstatieren dagegen eine „verstärkte Präsenz“ der Qaida im Jemen, da sich der Failed State sehr gut als Terroristenrückzugsgebiet eignet.

Einig sind sich die publizierende Landeskenner offenbar nur in der Darstellung des einstmals „Felix Arabia“ genannten Land als komplexen "Quagmire" aus miteinander rivalisierenden, bis auf die Zähne bewaffneten Machtfilialen (Stämme, Clans, Familien, Bündnisse), im Dauerkriegszustand, auf „jedem Hügel ein Dorf wie eine Festung“:

There is constant war in Yemen, war over women's honor, water rights, land, beasts or just for the fun of it. The government does not exercize any substatial control over most places outside the cities. The tribesmen are both in the army and out of it and a favorite political move is for some dissident officer to desert taking many of his men and such odds and ends as; small arms; artillery and tanks to his home district after proclaiming "come and get me." The tribesmen are heavily armed. An AK-47 is a standard accessory in personal fashion, and they DO shoot at each other a lot.

Die USA haben sich in das jemenitische Schlamassel längst eingemischt; wie in den letzten Tagen zu erfahren war, gibt es schon lange eine „Zusammenarbeit Jemens mit US-Spezialeinheiten und Geheimdiensten“, die Frage ist die internationale Ausweitung des Terrorproblems Jemen (siehe dazu Deutschland wird nicht nur am Hindukusch verteidigt). Es sind nicht nur böse Zungen, die darauf kommen, dass etwa Gordon Brown mit seiner schnellen Reaktion auf die Gefahr aus dem Jemen, Popularitätspunkte sammlen will. Brown, der im nächsten Jahr eine Wahl ausstehen hat, für die seine Chancen nicht besonders gut aussehen, hatte am Neujahrstag angekündigt, „gegen den zunehmenden Einfluss der Terrororganisation al-Qaida in Jemen vorzugehen“.

Obama, der Falke

Auch für die USA gilt, dass Wahlkämpfe in die neue Aufgeregtheit um den Jemen mithinein spielen. Schon vor dem Anschlagversuch war in amerikanischen Publikationen mehrfach die Rede davon, dass Obama sich in seiner Politik schon an den nächsten Wahlen orientiert, dazu kommt, dass er für laufende Projekte wie die Gesundheitsreform auch auf Republikaner angewiesen ist. Von dieser Partei kommt nun scharfe Kritik an der Anti-Terrorpolitik Obamas, dem zu große Laxheit vorgehalten wird.

Wie kann es passieren, dass der nigerianische Attentäter trotz eindeutiger Warnungen nicht auf die No-Fly-List kam, während etwa Ted Kennedy und Cat Stevens Plätze in amerikanischen Flugzeugen verweigert wurden, so eine der realtiv harmlosen polemischen Fragen, die sich der Präsident und sein Sicherheitsapparat gefallen lassen müssen. Der missglückte Anschlag ist ein Fundus für die Republikaner, deren lange angestautes Missfallen mit dem neuen Kurs Obamas gegenüber Muslimen sich endlich richtig Bahn brechen kann.

Obama reagierte mit Falken-Tönen, mit einer schneidigen Warnung an „diejenigen, die an dem versuchten Terrorakt an Weihnachten beteiligt waren: Sie werden zur Rechenschaft gezogen werden.“

Jemenitische Regierung nicht die Lösung

So zeigt sich, dass die jähe Herausstellung Jemens als Terrorhochburg mindestens so viele inneramerikanische politische Gründe hat wie solche, die in der Wirklichkeit des Landes liegen. Das könnte zu einem bekannten Risiko führen: zu einer massiven Überreaktion, die in die Hände der Terroristen spielt. Das fängt mit der Intensivierung konkreten Gegenmaßnahmen an, etwa mit Luftangriffen, die für zivile Opfer sorgen, und reicht bis zur Counter-Insurgency-Strategie, die wie eine Schablone nun auch an den Jemen angelegt wird; der Erfolg ist, wie schon in Afghanistan fraglich. Eine Stärkung der Zentralregierung, wie man dies beispielsweise in Afghanistan versucht, könnte im Jemen weitere Aufstände, die es ohnehinschon gegen die Regierung gibt, schüren.

Vieles deutet darauf hin, dass die jemenitische Regierung nicht die Lösung ist, sondern eins von vielen großen politischen Problemen des Landes. Wie wenig verläßlich der „Partner“ zudem im Kampf gegen die al-Qaida ist, zeige sich allein schon darin, dass man Erfolge, die es nicht gebe, wie etwa bei den jüngsten Luftangriffen gegen die Terrororganisation, propagandistisch zu solchen erklärt:

... the intial airstrikes in Yemen on al Qaeda did very little actual damage to the organization. All the targeted leaders survived. The sucess of the strikes were repeatedly over-stated by the Saleh regime in its typical pattern of blatant propaganda for the western audience