Deutsche Asylpolitik

Schlüsselaufgabe Migration: Von Gastarbeitern zur GASiM

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Der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) geht derzeit von insgesamt ca. 10,5 Millionen Flüchtlingen oder Menschen in fluchtähnlicher Situation weltweit aus. 2006 meldete die Organisation global 8,4 Millionen Flüchtlinge.

Natürlich beruhen diese Zahlen nicht zu hundert Prozent auf empirischen Fakten, sondern in vielen Fällen können die beteiligten Regierungen und NGOs nur auf Schätzungen zurückgreifen.

Dem liegt zum einen zugrunde, dass der weitaus größere Teil dieser Menschen so genannte Binnenvertriebene sind. Flüchtlingsbewegungen innerhalb eines Landes oder in eine benachbarte Grenzregion zu erfassen, ist praktisch nicht möglich, weil in den betroffenen Ländern der Staat fast immer konstitutionell nicht mehr existiert. Die Verfolgung geht dort häufig von um die Macht kämpfenden, bewaffneten, Gewalt ausübenden Gruppen aus, denen daran gelegen ist das Phänomen der Flüchtigen zu vertuschen. Dementsprechend findet kaum eine, beziehungsweise gar keine Unterstützung für die Vertriebenen statt.

Zum anderen leben viele der fliehenden Menschen ohne Papiere, ohne festen Wohnsitz, ohne gesicherte Arbeit in der so häufig falsch bezeichneten „Illegalität“ und finden somit in keiner Statistik Einzug. Das treffendere Wort für die Situation dieser Personen wäre wohl „Irregularität“ (ein Begriff aus dem Buch Die Gegenwart der Lager von Tobias Pieper), denn in den meisten Einwanderungsländern gilt das herrschende Rechtssystem in nur sehr beschränkter Form für Asylantragsteller. Vom ersten Moment ihres Gesuchs an bewegen sich die Flüchtlinge in rechtlich ungeschützten Grauzonen. Für sie gilt ein „eigenes“ Recht.

Ihr Dasein im fremden Land wird weitgehend von allen bestehenden Staatsgewalten sozial ausgegrenzt, und steht somit methodisch nie auf einem „legalen“ Sockel.

Die Rechtsgrundlage

1951 wurde in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) die Rechtsstellung der Flüchtlinge verabschiedet. Bis heute haben insgesamt 146 Staaten diesem Abkommen mit all seinen Novellierungen zugestimmt.

Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.

Die GFK bestimmt (ebenfalls) die Rechte von Flüchtlingen, zu denen Religions- und Bewegungsfreiheit sowie das Recht, zu arbeiten, das Recht auf Bildung und das Recht auf den Erhalt von Reisedokumenten gehören. (UNHCR)

Nur sehr wenige Unterzeichnerstaaten halten sich an dieses Abkommen.

Ist Deutschland ein Einwanderungsland?

Historisch betrachtet hat die politische Elite der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Vorgänger, des deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reichs Deutschland nie als Einwanderungsgesellschaft verstanden. Dasselbe gilt auch für die DDR. Erst mit der rot-grünen Regierung am Anfang des 21. Jahrhunderts setzte sich ein deutscher Gesetzgeber diskursiv mit der Realität der Einwanderungsgesellschaft auseinander und nahm im Jahr 2000 eine entsprechende Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts vor.

Aber auch unter Schröders Regentschaft lag das Hauptaugenmerk auf dem ökonomischen Nutzen der gesteuerten Einwanderungspolitik. Verallgemeinernd kann man sagen, dass sich der deutsche Gesetzgeber immer, insbesondere seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bei der Novellierung von Ausländerrecht, Zuwanderungsgesetz, Aufenthaltsgesetz, sowie dem Asylverfahrensgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz den Interessen von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Rechtspopulisten unterworfen hat. Grundlage dieser Gesetze ist Artikel 16 und seit 1993 Artikel 16a des Grundgesetzes:

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Eine Reminiszenz an die Genfer Flüchtlingskommission von 1951. Kritisch betrachtet existiert dieses Grundrecht jedoch nur auf dem Papier. Seine Geschichte ist einmalig in der Bundesrepublik.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges lagen etwa 20% der deutschen Industrieanlagen in Schutt und Asche. Die deutsche Wirtschaft stand still. Dass in dieser Zeit Millionen Vertriebene aus dem Osten nach Deutschland flohen, war für die deutsche Nachkriegsregierung ein Geschenk. Das ius sanguinis – Recht nach Abstammungslinie griff. Jeder Pole, Tscheche, Ungar, Russe, Jugoslawe, Rumäne usw., der eine deutsche Abstammung nachweisen konnte, durfte bleiben. Auch heute eine immer noch eingeschränkt angewandte Rechtspraktik hierzulande.

Mit den Flüchtlingen kamen leistungsfähige Männer, die die Wirtschaft wieder ins Rollen bringen konnten. Und sie taten es auch. Es folgte das deutsche Wirtschaftswunder. Mit ihm entstand der Konsens in den konservativen Machteliten des Landes, dass die Zuwanderung je nach ökonomischem Bedarf von der deutschen Politik gesteuert werden müsse. Bisher jede Regierung im Nachkriegsdeutschland folgt diesem Grundsatz.

Fette Jahre

Während der so genanten fetten Jahre, der Zeit der Vollbeschäftigung, herrschte großer Bedarf an Arbeitskräften, damit der westdeutsche Aufschwung nicht ins Stocken geriet. In den Jahrzehnten zwischen 1950 und 1970 warben daher die verschiedenen Regierungen Fremdarbeiter in benachbarten Ländern an. Ihre Aufenthaltstitel sahen in der Regel eine Befristung für die Zeit ihrer Tätigkeitsausübung vor. Vom deutschen Rentensystem sollten sie allerdings nicht profitieren. Sobald die Gastarbeiter in ihre Heimatländer zurückkehrten, verloschen für sie sämtliche Rechte der Bundesrepublik.

Parallel zur Anwerbung von Gastarbeitern erreichen in dieser Zeit die tatsächlich erfassten Anträge auf Asyl Höchstzahlen von etwa 11 000 in einem Jahr (siehe Asyl in Zahlen 2008, Seite 9, Herausgeber: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges handelte es sich hierbei fast ausschließlich um Bürger des Ostblocks, die sich selbstverständlich auf Artikel 16 des Grundgesetzes berufen konnten. Für Menschen aus anderen Regionen der Welt gestaltete sich der Asylanspruch nach Artikel 16 allerdings schwieriger. Die politische Großwetterlage gab auch in diesem Bereich den Ton an.

Anwerberstopp

1973 verhängte das Kabinett Brandt den so bezeichneten Anwerberstopp. Die fordistische Krise der frühen siebziger Jahre und die allmählich steigenden Asylgesuche von Menschen aus nicht europäischen Ländern veranlasste die sozialliberale Regierung zu dieser Maßnahme. Eine Folge des Anwerberstopps war, dass zu der Zeit in Deutschland lebende Gastarbeiter sich dazu entschlossen, in der BRD zu bleiben und ihre Familien nachzuholen. Die Familienzusammenführung verblieb als praktisch einzige, noch zugelassene Möglichkeit nach Deutschland zu migrieren.

Auf diese Weise wuchs in der BRD erstmals ein komplett irreguläres Arbeitsmarktsegment heran. Für die hier geborenen Kinder von Gastarbeitern oder Migranten, und die Familiennachzügler war von der deutschen Wirtschaft kein Arbeitsmarkt vorgesehen. Sie schufen sich eigene Arbeitsplätze im Einzelhandel, Gastronomiegewerbe, als Umzugsunternehmer, Gärtner, Taxifahrer etc.

Die „Missbrauchsdebatte“, brennende Asylbewerberheime und die Aushöhlung des Grundgesetzes

Die deutsche Politik reagierte. Ende der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre wurden immer mehr Stimmen laut, die von „Scheinasylanten“, „Asylmissbrauch“ und einer „Überfremdung“ Deutschlands sprachen. Eines der berühmtesten Beispiele ist wohl das Heidelberger Manifest von 1981. Darin veröffentlichten Professoren verschiedener deutscher Universitäten unter anderem die Forderung eines sofortigen Zuwanderungsstopps.

Die Gelehrten begründeten das mit der zunehmenden „Überfremdung“ des Landes und einer damit einhergehenden biologischen „Unvereinbarkeit“. Konservative Politiker riefen im Bundestag dazu auf die Abschaffung des Artikels 16 GG zu diskutieren. Und in einige Landtage zogen rechte Parteien wie Republikaner, NPD oder DVU ein. Allesamt Nutznießer der öffentlichen Asyldebatte. Eine Debatte, die in der Geschichte politisch öffentlich geführter Diskussionen immer wieder, beinahe zyklisch, von konservativen Kreisen unseres Landes für ihre Zwecke angefeuert wird.

So war zum Beispiel das Schwerpunktthema des ersten gesamtdeutschen Wahlkampfes 1990 die Ausländer- und Asylpolitik, neben der Finanzierung der Wiedervereinigung. Geschickt nutzten konservative und rechte Parteien Anschläge auf Asylbewerberheime in Ostdeutschland aus. Die Zusammengehörigkeit der Deutschen sollte emotional gebündelt werden. Die Ausländer in den für sie gesetzlich geschaffenen Lagern boten einen idealen Nährboden dafür. Man konnte die Asylpolitik als Problem aller Deutscher verkaufen, das angepackt werden musste.

In den Hintergrund geriet dabei, dass in den Wendejahren im Westen deutlich mehr Anschläge auf Ausländer und Heime verübt wurden als im Osten. Im Jahr 1992 werden insgesamt 8 Sprengstoffanschläge und 545 Brandanschläge, meist auf Ausländerheime gezählt. 1993, das Jahr der faktischen Abschaffung des Asylrechts, erreicht den Höhepunkt rechten Terrors. Im Mai und Juni 1993 gab es allein 109 Brandanschläge mit Toten in Solingen. Das Zerrbild von brennenden Asylbewerberheimen im Osten stammt dabei von einer einseitigen medialen Auswertung. Während Anschläge in Mannheim, Freiburg, Hannover, Hamburg, Saarlouis etc. nur in der Regionalpresse gemeldet werden, berichten Fernsehen und große Boulevardblätter von Hoyerswerda oder Rostock. Somit war das Bündel des deutschen Wir-Gefühls schnell geflochten.

Der Weg zur Grundgesetzänderung und zum Asylbewerberleistungsgesetz ebnete sich wie von selbst. Zusammen zielen diese beiden Erlasse darauf ab, das Leben der Asylbewerber in Deutschland zu erschweren, die Menschen gesellschaftlich auszugliedern, institutionell zu überwachen und zu steuern. Von vielen Deutschen, die hierzulande im Asylbetrieb arbeiten, wird dafür gerne der Begriff des „institutionellen Rassismus“ verwendet.

Die Aushöhlung des Artikels 16 GG, das Asylbewerberleistungsgesetz, die Lager und die Residenzpflicht

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ - dieser Satz bleibt die Leitaussage des 1993 neu geschaffenen Asylrechts. Insgesamt gibt es aktuell 34 Aufenthaltstitel, die ein Zuwanderer in Deutschland erhalten kann. Im Folgenden richtet sich der Fokus auf politisch verfolgte Einwanderer. Dem neuen Aufenthaltsgesetz werden einige Einschränkungen angefügt. Die Drittstaatenregelung (heute Dublin-II- Verordnung) erwacht zum Leben. Zusammengefasst besagt diese Regelung, dass Asylantragsteller, die über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreisen, dorthin zurückgeschoben werden sollen, weil sie verpflichtet sind, in diesem Land ihren Antrag auf Asyl zu stellen.

Sichere Drittstaaten sind alle Länder der Europäischen Union und eine Reihe von Staaten, mit denen Deutschland bilaterale Abkommen diesbezüglich abgeschlossen hat. Nicht selten fließen bei diesen Abkommen Geldbeträge von Deutschland an die Partner. Mitte der Neunziger Jahre zahlte die Bundesrepublik zum Beispiel Polen 120 Millionen DM und der Tschechischen Republik 60 Millionen DM, damit sie als sichere Drittstaaten gelistet werden konnten. Alle Bundeskabinette arbeiten fleißig daran, den Radius der sicheren Drittstaaten zu vergrößern. Zur Zeit handelt die deutsche Bundesregierung ein Abkommen mit Ghana aus.

Ein weiteres Instrument trat in Erscheinung. Auf dem Frankfurter Flughafen wurde ein exterritoriales Internierungslager geschaffen. Vogelfrei können von hier Antragsteller in sichere Drittstaaten zurückgeschoben werden. 1997 schreibt der Richter Rothkegel vom Bundesverwaltungsgericht:

Das neue Asylrecht bewirkt, dass die Bundesrepublik Deutschland als Zufluchtsland für politisch verfolgte Ausländer auf dem Landweg nicht mehr erreichbar ist. Demjenigen, dem es gelingt, sich durch illegale Einreise vor politischer Verfolgung in Sicherheit zu bringen, droht, ohne Rücksicht auf seine Verfolgungsfurcht und sein persönliches Schicksal, außer Landes verbracht zu werden und dadurch wieder dem Zugriff des Verfolgerstaats preisgegeben zu sein. Eine restriktive Ausländerpolitik bewirkt, dass Ausländer, die Bürgerkrieg, Hungersnot oder anderen Katastrophen entflohen sind, die Zuflucht in die Bundesrepublik verwehrt wird.

Einige Kernpunkte des geltenden Asyl- und Asylbewerberleistungsgesetztes verdeutlichen die Entstehung des Begriffs des „institutionellen Rassismus“ (siehe AsylVfG und AsylbLG). Während des Asylverfahrens darf der Antragsteller nicht auf dem freien Arbeitsmarkt arbeiten, es sei denn das ansässige Jobcenter findet keinen Deutschen oder EU-Bürger, der die offene Arbeitsstelle besetzt.

Sachleistungen

Die Ausländer unterliegen dem Sachleistungsbezug. Das heißt Unterkunft, Nahrung, Hygieneartikel, Kleidung, medizinische Versorgung und Gebrauchsgegenstände des Haushalts (diese häufig leihweise) werden als Sachleistungen ausgegeben. Dazu sieht der Gesetzgeber ein Taschengeld von 40 Euro im Monat für Erwachsene und 20 Euro im Monat für Kinder unter 14 Jahren vor. Zudem ist der Asylbewerber verpflichtet im öffentlichen Dienst zu arbeiten, wenn das von ihm verlangt wird.

In der Regel werden die Flüchtlinge hierbei zum Mülleinsammeln in Parks, Reinigen von öffentlichen Toiletten und selbstverständlich zur Erhaltung ihrer Gemeinschaftsunterkünfte eingesetzt. Tritt ein Asylbewerber diesen Dienst nicht an, werden ihm die Sachleistungen gekürzt. Außerdem nimmt die Weigerung der gemeinnützigen Arbeit negativen Einfluss auf sein Annerkennungsverfahren. Der Lohn beläuft sich aktuell auf 1,05 Euro pro Stunde. Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften hängt von der Handhabe des jeweiligen Bundeslandes ab.

Unterkünfte

Dass Asylbewerber heute auf dem freien Immobilienmarkt in Privatwohnungen einquartiert werden, ist die Ausnahme. Wenn die Flüchtlinge in Sammellagern untergebracht sind, lassen sie sich besser kontrollieren. Die Post wird dort zentral vergeben. Die Ausländerbehörden können in den Lagern Essens- und Hygienepakete verteilen, was die Ausländer von den umliegenden Supermärkten fernhält. Die Kontrolle wird mithilfe von Zaun, Kameras, Wachschutz und Heimleitung optimiert. Größtenteils liegen die Lager versteckt in Wäldern (alte NVA Kasernen o.ä.), in Industriegebieten an den Rändern von Städten, neben Autobahnen, in sozialen Brennpunktgebieten, also immer gezielt weit entfernt von der deutschen Gesellschaft und einer gut funktionierenden Infrastruktur.

Die Substanz der Unterkünfte ist miserabel und der Wohnraum stark beengt. Häufig gibt es nur ein Bad für Männer und eins für Frauen auf jedem Stockwerk. So kommt es vor, dass sich bis zu vierzig Menschen eine Toilette und eine Dusche teilen müssen.

Die Residenzpflicht als restriktive Maßnahme der bundesdeutschen Gesetzgebung ist weltweit einmalig. Sie verbietet dem Flüchtling die Stadt oder den Landkreis, in dem er leben muss, zu verlassen. In Deutschland ankommende Flüchtlinge werden über einen Bundesschlüssel auf die Länder und Kommunen verteilt. Verstößt ein Flüchtling gegen die Residenzpflicht, droht nicht selten Haftstrafe und Abschiebung.

Diese Restriktionen sind allesamt Instrumente des geltenden Zuwanderungsgesetzes (ZuWG). Sein amtlich korrekter Name lautet „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“. Der vollständige Name des immer wieder beschönigt titulierten Zuwanderungsgesetzes demonstriert die Absicht des Gesetzgebers viel deutlicher und zeigt anhand der angeführten Beispiele, dass Deutschland bei der Zuwanderung ein Klassensystem etablieren möchte.

Ich leiste mir einen Asylbewerber, für 10 Euro im Jahr

Aus der Pressemitteilung Nr. 358 vom 22.09.09 des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass die Bruttoausgaben für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Jahr 2008 842,48 Millionen Euro betrugen. 2007 belief sich die Summe auf 1,03 Milliarden Euro. Ein Rückgang von einem Fünftel. Netto berechnete man Ausgaben von 813,80 Millionen Euro. 28,68 Millionen Euro trugen andere Sozialleistungsträger. Das Statistische Bundesamt zieht daraus den Schluß:

Im Jahr 2008 wurden in Deutschland für Asylbewerberleistungen pro Kopf der Gesamtbevölkerung rechnerisch knapp 10 Euro netto aufgewendet.

Im Hinterkopf behalten sollte man hierbei, dass diese Summen in erster Linie aufgrund des gesetzlich verankerten Sachleistungsprinzips zustande kommen. Einen Löwenanteil schluckt dabei die Unterbringung in Lagern oder eigens dafür angemieteten Wohnhäusern. Zum Beispiel Berlin schreibt Tobias Pieper:

Die Kosten, die die Bezirke an die Betreiber der sehr unterschiedlichen Unterkünfte zahlen, weisen eine enorme Bandbreite auf. Eine Einrichtung (ein Wohnhaus für 80 Personen in Mehrbettzimmern), betrieben durch die Büchler Hausverwaltung, bildet mit 6-7 € pro Person und Nacht mit Abstand die billigste Unterkunft. Sieben Unterkünfte bekommen zwischen 9,16 € und 9,99 € ausgezahlt, die durchschnittlich pro Platz und Nacht gezahlten Kosten liegen bei 12,95 €. Die teuerste Unterkunft ist ein von Herrn Arnborg betriebenes Wohnheim, für 28 Personen in Einzelzimmern mit 25 € pro Nacht und Kopf und ein durch Frau Gedrinski betriebenes Wohnheim mit 10 Plätzen mit 23 € pro Nacht und Kopf in einem Mehrbettzimmer.

Bei einem Durchschnittspreis von 12,95 pro Nacht und Kopf ergibt sich auf dreißig Tage eine Summe von 388,50 € für einen Asylbewerber. Im Regelfall werden die Zimmer mehrfach belegt. Das heißt man kann als Vermieter einer z.B. 40 qm großen Zwei-Raum-Wohnung in Berlin, bei Doppelbelegung je Zimmer, 1554 € monatlich einnehmen. In dezentraler Lage und praktisch unrenoviert. Laut Berliner Mietspiegel beträgt der durchschnittliche Quadratmeterpreis für eine dezentral gelegene Wohnung mit einfacher Ausstattung 4,5 €/qm. Das wären 180 € Monatsmiete ohne Nebenkosten.

Nach Informationen von Pieper nimmt die HKS Wohnheime GmbH mit vier Lagern und einer Gesamtkapazität von 306 Plätzen in Berlin 1.427.398,2 € im Jahr ein. Merkur e.V. betreibt zwei Lager mit 241 Plätzen mit einem Umsatz von 1.506.391,5 € jährlich. Diese beiden Betreiber seien exemplarisch genannt. In Berlin gibt es derzeit 66 Privatbetreiber. 63 Einrichtungen werden von Unternehmen geleitet. Heimbetreiber sind die Hauptprofiteure des Asylbewerberleistungsgesetzes. Verteilt über die gesamt Republik müssen es tausende sein.

Allein in Bayern könnte man derzeit 13,6 Millionen Euro im Jahr sparen, dürften sich die Flüchtlinge ihre Wohnungen selbst suchen (siehe Bayrischer Flüchtlingsrat). Aber auch Cateringfirmen erzielen mit den Flüchtlingen Gewinne. Leider gibt es von Seiten der betroffenen Bundesämter nur detaillierte Zahlen zu den Ausgaben im Asylbereich. Über die Einnahmen der beteiligten Firmen oder der Privatiers wird eisern geschwiegen.

Den Artikel 12 des Asylbewerberleistungsgesetzes nimmt die Regierung für sich selbst nicht so genau. Der Artikel legt eine Asylbewerberleistungsstatistik fest, sowohl der Ausgaben, wie auch der Einnahmen. Auf die Anfrage, wieviel Steuern der Fiskus aus den Abgaben arbeitender Asylbewerber einnimmt, erklärt das Bundesamt für Statistik in einer E-Mail:

Weitergehende Untergliederungen der Einnahmen der Asylbewerberleistungsstatistik liegen nicht vor.

Im Koalitionsvertrag zur 17. Legislaturperiode von CDU, CSU und FDP heißt es:

Das Asylbewerberleistungsgesetz werden wir im Hinblick auf das Sachleistungsprinzip evaluieren.

Es wird sich zeigen, welche Schlüsse die neue Regierung bei der Überprüfung des Gesetzes zieht.

Koalitionsvertrag und Nürnberger Tage

Das neue Kabinett Merkel erklärt die Migrationspolitik für Deutschland zu einer Schlüsselaufgabe (siehe Koalitionsvertrag Punkt 5). Für die bessere Integration von Migranten erhält im Koalitionsvertrag die Deutsche Sprache eine zentrale Funktion. Die Koalitionspartner nehmen sich vor, ein umfangreicheres Angebot von Deutschkursen zu stellen.

Insbesondere die Kinder von in Deutschland lebenden Migranten rücken in das Interesse der Politiker. Der Vertrag kündigt an, ihre Ausbildung, mit Schwerpunkt Deutsch, zu fördern. Des Weiteren soll die Zuwanderung für geeignete, befähigte und leistungsbereite Migranten attraktiv gestaltet werden. Hierzu trafen sich am 19. und am 20. November 2009 Vertreter aus Politik und verschiedenen Fachbereichen im Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dort referierte unter anderen Dr. Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die „Steuerung von Arbeitskräftezuwanderung im Zeichen der Wirtschaftskrise.“

Ausgehend davon, dass die letzten 30 Jahre eine globale Wachstumsphase beschrieb (3,4% Wirtschaftswachstum), erklärt Angenendt die steigende Zahl der Migranten von 84 Millionen weltweit auf 200 Millionen innerhalb dieser Zeit. Angesichts der aktuellen Krise nimmt er an, dass die Regierungen von Zuwanderungsländern ihre nationalen Arbeitsmärkte jetzt verstärkt schützen wollen. Angenendt geht daher davon aus, dass die Aufnahmeländer in nächster Zeit eine restriktivere Migrationspolitik verfolgen werden, die Anwerbung und Beschäftigung ethnisch selektiver erfolgt, und, dass es zu Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt kommt.

Er gibt hierbei zu bedenken, dass im Jahr 2006 in Deutschland 165.000 Stellen für hoch Qualifizierte wegen fehlender Bewerber nicht besetzt werden konnten. Aufträge mussten als Folge dessen abgelehnt werden. Daraus ist der deutschen Wirtschaft allein 2006 ein Wertschöpfungsverlust von 18,5 Milliarden Euro entstanden. Um den Wirtschaftsstandort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten, fordert der Fachreferent das Punktesystem individueller an die Zuwanderer anzupassen. Danach sollen anhand von bestimmten Eigenschaften wie Ausbildung, Alter, Arbeitserfahrung, Sprachkenntnisse usw. (jede Eigenschaft wird mit Punkten bewertet) Migranten qualifiziert werden. Zuwanderer mit einer hohen Punktzahl erhalten gesicherte Aufenthaltstitel, während Zuwanderer mit niedriger Punktzahl mit temporären Aufenthaltstiteln bedacht werden.

Dr. Peter-Christof Blomeyer, Vortragender Legationsrat, Auswärtiges Amt, beschäftigte sich auf den Nürnberger Tagen mit dem Thema "Visa als Migrationskanal". Die Bedeutung des Visumverfahrens definiert er klar als Beitrag zur Bekämpfung illegaler Migration. Dieser wirkt die Visumerfordernis schon als solches prophylaktisch entgegen. Sie spiele zudem eine große Rolle bei der Steuerung der legalen Migration. Im Jahr 2008 reisten 140.000 Menschen mit einem Visum nach Deutschland ein. Die wichtigsten Zuzugsgründe waren der Familiennachzug (40.000 Visa), Studenten (23.000 Visa), Menschen mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen wie AuPairs, Praktikanten, Saisonarbeiter (17.000 Visa). Im Rahmen der jüdischen Emigration und des Vertriebenenverfahrens wurden 5.500 Visa ausgestellt.

Warndatei und Superbehörde

Für die Bekämpfung der illegalen Migration fordert der Legationsrat eine engere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und lobt das Vorhaben der neuen Regierung, eine so genannte Warndatei, wie sie der Koalitionsvertrag vorsieht, einzurichten. Die alte Bundesregierung hat den ersten Stein hierfür bereits 2006 ins Rollen gebracht, indem sie eine Art Superbehörde mit Namen GASiM schufen (vgl. dazu: Was macht das GASIM?).

Das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration ist ein gemeinschaftliches Zentrum von Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Bundesnachrichtendienst, Bundeszollverwaltung (Finanzkontrolle Schwarzarbeit), Auswärtigem Amt, Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Sein Ziel ist die illegale Migration zu verhindern. Derzeit arbeiten dort 36 Mitarbeiter. Mit dieser Behörde soll bestimmten Risiken vorgebeugt werden. Dr. Peter-Cristof Blomeyer fasst sie so zusammen:

Dazu zählen insbesondere die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die internationale Kriminalität, aber auch die Gefahr einer ungerechtfertigten Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und in die Sozialsysteme.

Vor dem Hintergrund des „Stockholmer Programms“ beurteilt Dr. Blomeyer die individuelle Risikobewertung von Migranten.

Dahinter (Stockholmer Programm) steht die Vorstellung, das Reisen für unproblematische Gruppen – Politiker, Geschäftsleute, Wissenschaftler – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zu vereinfachen, wohingegen Problemgruppen – z.B. Erstantragsteller, Personen ohne Verwurzelung – einer nähere Untersuchung unterzogen werden.

Nach Abkommen wie dem „Stockholmer Programm“ oder dem „Lissabon Vertrag“ wird deutlich, dass die Migrationspolitik sowie die Rechtsprechung und Handhabe in Asylverfahren in Zukunft europäisiert werden. In seinem auf den Nürnberger Tagen gehaltenen Vortrag "EU-Richtlinien und -Rechtsprechung- wie frei ist die deutsche Rechtsprechung?" erläutert Prof. Dr. Harald Dörig, Richter am Bundesverwaltungsgericht, die aktuelle Situation.

Schon heute wissen wir, dass der Vertrag von Lissabon zu einer Vollharmonisierung des Flüchtlingsrechts ermächtigt. Nach Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union entwickelt die EU eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz. Zu diesem Zweck erlassen das Europäische Parlament und der Rat gesetzgeberische Maßnahmen mit dem Ziel eines gemeinsamen europäischen Asylsystems.

Literaturhinweis:

Tobias Pieper, Die Gegenwart der Lager, Verlag Westfälisches Dampfboot.

Tobias Pieper, Dr. phil., ist Politikwissenschaftler und Psychologe. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Lagerunterbringung, Flüchtlingspolitik, Migration und Rassismus. Er ist Lehrbeauftragter an der FU Berlin und u.a. Autor des Aufsatzes "Das Lager als Struktur bundesdeutscher Flüchtlingspolitik"