Die Brüste der Avatare

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"Gamer": Angst vor dem Medium und seinen Möglichkeiten

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Wenn das Kino einen Blick auf die Zukunft der Medien(industrie) wirft, kommen dabei meistens Dystopien heraus. Vom Fernsehen in Sidney Lumets „Network“ und Tom Toelles „Millionenspiel“ bis hin zum Computer im demnächst startenden „Surrogates“ und im jetzt angelaufenen „Gamer“, haben Medien grundsätzlich einen fatalen Einfluss auf ihre Nutzer, die Gesellschaft und deren moralischen Werte.

Das gilt zumindest für Filme, in denen Medien eine Hauptrolle spielen. Bleiben sie ein Randphänomen, so kontrastieren sie eher das utopische Setting, welches zumeist aber auch nicht besonders rosig ausfällt (etwa die Televisoren in „1984“). Es ist ein medienhistorischer Gassenhauer, dass sich in diesen Darstellungen immer auch eine dezidierte, Angst vor dem jeweils neuesten zeitgenössischen Medium und seinen Möglichkeiten ausdrückt.

Im Fall von Mark Neveldines und Brian Taylors neuem Film „Gamer“ ist es – anders als der Titel vermuten lässt – aber keineswegs bloß das Videospiel, dessen Auswüchse ins Katastrophische prolongiert werden. Es ist die Virtualisierung der Lebenswelt, die als Resultat der Videospielentwicklung angenommen wird. Damit liegt „Gamer“ voll im Trend – und rekapituliert gleichzeitig etliche Sujets und Ästhetiken des dystopischen Medienfilms.

Tillman, Hackman und die Humanz

Worum geht’s? „Gamer“ zeigt „die Zukunft in ein paar Jahren von exakt diesem Augenblick an“ – so der Vorspann. Eine neue Freizeitaktivität zieht die Weltgesellschaft in ihren Bann: „Slayers“. Dabei handelt es sich um ein Spiel, bei dem User über ihre Computer Spielfiguren in einer Kriegsarena steuern können. Das Spiel dauert 30 Runden und bislang hat noch niemand seine Spielfigur lebendig bis ans Ende führen können.

Das Besondere am Spiel: Man lenkt lebende Menschen, deren Gehirne mit Nanotechnologie so umfunktioniert wurden, dass sie Steuersignale der Spieler empfangen können und diesen folgen müssen. Die Spielfiguren sind zum Tode verurteilte Gefängnisinsassen, die sich in „Slayers“ bewähren wollen. Gelingt es ihnen die 30 Level zu überstehen, sind sie frei. Kable, der im richtigen Leben Tillman heißt und natürlich ganz zu Unrecht ins Gefängnis gelangt ist, hat es zusammen mit seinem Gamer bereits bis in Runde 26 geschafft.

„Slayers“ ist nicht das erste Elaborat des Software-Tycoons Ken Castle (gespielt vom „Dexter“-Darsteller Michael C. Hall). Parallel läuft ein Spiel mit dem Titel „Society“, das stark an Produkte wie „Second Life“ erinnert. Darin verdingen sich normale Bürgerinnen und Bürger als Avatare für Spieler, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Betritt einer dieser Schauspieler eine bestimmte Zone in der Stadt, schaltet sein ebenfalls nanotechnisch manipuliertes Gehirn auf Empfang und er muss tun, was sein Spieler von ihm verlangt.

Da „Society“ keine Spielregeln hat, herrscht totale Anarchie – die sich vor allem im absurden Herumgehüpfe und ständigen Sex-Szenen zwischen den Spielfiguren ausdrückt. Tillmans Frau Angie ist, seit ihr Mann im Gefängnis sitzt, auf die Einnahmen als Schauspielerin/Spielfigur in „Society“ angewiesen. Gegen diese Spiele formiert sich Widerstand aus dem Untergrund: Eine Hacker-Crew namens „Humanz“ stört die Übertragungen der Spiele und beginnt Castle mehr und mehr zu nerven.

I’ve got no Strings

Als Tillman alias Kable dem Sieg in „Slayers“ immer näher kommt, ersinnt sich Castle den Super-Endgegner Hackman, denn er befürchtet, dass der nach dem Sieg frei gelassene Ex-Sträfling das düstere Geheimnis um die Nanotechnik-Experimente verraten könnte (was ich hier nur andeuten werde) – Tillman war nämlich Castles zweites Versuchskaninchen und er hat durchaus eine mehrfache Motivation, Castle gegenüberzutreten: Immerhin befindet sich seit der zwangsweisen Familienauflösung auch seine kleine Tochter in der Pflegschaft des zynischen Medienmachers ...

Der Plot von „Gamer“ enthält noch etliche Facetten mehr, die in Nebenerzählsträngen ausgebaut werden. Er zeigt, wie die Gamer leben und spielen, was die Avatare so treiben, wie die Medien auf die Entwicklung eingehen usw. Insgesamt nimmt sich „Gamer“ eine Menge für die Filmzeit von 95 Minuten vor – eigentlich schon zu viel, so dass er vieles notwendigerweise nur anreißt und es in seinem unglaublichen Montage-Gewitter allzu schnell aufgreift und wieder fallen lässt.

Dazu versucht er seine Message noch permanent durch Anspielungen und Zitate zu konkretisieren: Ständig laufen Songs wie "Sweet Dreams" (in der Version von Marilyn Manson), "I’ve got you under my skin" oder, wenn es in „Society“ gerade mal wieder zur Sache geht, "Bad Touch" (von der Bloodhound Gang).

Einmal lässt er seinen Bösewicht sogar ein kleines Ballett aufführen, zu dem dieser dann Pinocchios "I’ve got no Strings" zum Besten gibt – spätestens da sollte man verstanden haben worum es geht. Diese redundante und penetrante Art der Message-Vermittlung scheint aber nur zum Teil in der Filmstilistik des Autoren-Teams Neveldyne/Taylor zu liegen (die ähnlich schon in "Crank" inszeniert haben ).

Es gibt kein richtiges Leben im Falschen

„Gamer“ fasst, wie bereits gesagt, den Medien-dystopischen Film zusammen. Zahlreiche Anspielungen an bzw. Anleihen von Filmen wie "The Running Man" über "Live!" bis "Death Race" finden sich überall.

Vor allem deren moralinsaure Plotkonstruktionen, die sujettypisch nicht selten ins Reaktionäre umkippen, übernehmen Neveldynes und Taylor für ihren Film. Und auch das Thema Videospiel ist keineswegs neu in „Gamer“: Insbesondere der Aspekt der Vertauschung von virtuellem Spielraum und realem Spielerraum ist bereits mehrfach filmisch thematisiert worden (siehe Die Simulation unheimlicher Intelligenz). Interessant und originell wird „Gamer“ erst dann, wenn man die Frage der conditio humana der dargestellten Gesellschaft ins Zentrum rückt.

Hier steht der Film thematisch in einer Reihe recht aktueller Beiträge ähnlicher Provenienz: James Cameron hatte in "Avatar" bereits das Bild einer möglichen Realitätsflucht des Individuums in eine „zweite Realität“ gezeichnet, die eben nicht mehr im Virtuellen, sondern im Realen angesiedelt ist. In Kürze greift Jonathan Mostows Film "Surrogates" das Thema erneut auf: Die Welt ist bevölkert von Menschen-Surrogaten, die von ihren Originalen, welche zur Sicherheit lieber in ihren Häusern bleiben, gesteuert werden.

Schon der Titel von „Surrogates“ ähnelt dem „Avatars“ und der Film selbst liegt thematisch mit „Gamer“ auf einer Linie: Es geht um die Austauschbarkeit des Individuums durch ein virtuelles Pendant, um den Restwert des Menschlichen im Zeitalter seiner perfekten Simulierbarkeit – „Gamer“ reißt dieses Thema jedoch ins Reale zurück, indem er einen Hyperkapitalismus skizziert, indem menschliches Leben zum bloßen Showwert verkommt, wenn die Bezahlung stimmt. Der Gesetzgeber hat jedenfalls nichts dagegen, dass durch die „Slayers“-Amnestie die überfüllten Gefängnisse ein wenig leerer werden.

Game Over ...

„Gamer“ gräbt, indem er sich der (unausgesprochen aber vielfach angedeuteten) Frage nach dem Lebenswert widmet, einen Haufen Plot-Holes. Er schlägt geradezu Kapriolen dabei, seine lebensfeindliche Zukunft zu skizzieren. Ständig werden Flugzeugperspektiven einer Großstadt gezeigt, deren Hochhausfassaden zu Werbeträgern für Castles Medienimperium geworden sind. Massen in allen Teilen der Welt (sogar Bagdad spart „Gamer“ nicht aus) werden vorgeführt, wie sie dem Fanal von „Slayers“ auf öffentlichen Fanmeilen folgen.

Um seine Figuren in ihrer Motivation plastischer zu zeichnen versuchen die Autoren kleine Nebenhandlungen einzufügen – etwa eine über den extrem adipösen Gamer, der Angie von einem pornografischen Abenteuer zum nächsten durch „Society“ lenkt, oder den verrückten Zellennachbar „Freek“, der Tillman Ratschläge gibt, auf die dieser lieber verzichten möchte, oder das Leben des 17-jährigen Gamers, der Kable durch die „Slayer“-Kämpfe lenkt ... und dann natürlich noch die obligatorische Untergrundarmee der „Humanz“, die die Weltgesellschaft davor warnen nicht in die Spielsucht-Falle zu tappen. Bevor all das aber ausreichend dargestellt werden kann, taucht auf der Leinwand schon ein (wer hätte es erwartet?) „Game Over“ auf.

Dass sich „Gamer“ an all seinen Zutaten verschluckt, ist schon beinahe vorprogrammiert. Die Hast, mit der all das angesprochen werden muss (und zudem ja auch noch ausreichend Frauen-Brüste gezeigt werden müssen, die die sexualmoralfreie Zukunft verdeutlichen sollen), mündet in einem Schnittgewitter, das nur allzu beliebig wirkt. Die Plotklischees übertüncht es genauso wenig wie es die Lücken in der Erzählung zuschüttet.

Es verwundert daher kaum, dass „Gamer“ der Presse in Deutschland lieber gar nicht erst vorgestellt wurde, nachdem der Film in den USA eine Bauchlandung hingelegt hat. Auch wenn der Film als Unterhaltungsprodukt für Zuschauer jenseits des 14. Lebensjahres versagt, liefert er doch aber gerade in seiner Patchworkartigkeit und in all den Fehlern, die er enthält einen interessanten Blick auf diesen im Kino recht neuen Aspekt von inszenierter Techno-Angst. Man könnte das Kino mit der Frage verlassen, ob die Apotheose des hyperrealistischen Videospiels vielleicht tatsächlich weniger in der „perfekten virtuellen Simulation“ als in der „perfekten realen Virtualisierung“ der Lebenswelt liegen könnte. Dann wäre allerdings aus dem Spiel endgültig Ernst geworden.

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