Neue Klima-, Handels- und Agrarpolitik gefragt

Biolandwirte, Wissenschaftler und Umweltschützer fordern eine Agrarwende

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach den enttäuschenden Gipfeltreffen der letzten Monate wollen Biolandwirte, Wissenschaftler und Umweltschützer angesichts der Hunger- und Klimakrise noch entschlossener für eine Agrarwende und eine ehrgeizige Klimapolitik streiten – doch die Widerstände sind groß.

Auf die drei großen Krisen der Menschheit - die Ernährungs-, Klima-, und Wirtschaftskrise – hatten führende Politiker der Welt im letzten Jahr keine Antwort. Das Jahr 2009 endete mit drei großen Enttäuschungen: Im November kam es angesichts der Hunger- und Wirtschaftskrise weder auf dem Gipfel der Welternährungsorganisation (FAO) noch bei der Welthandelsorganisation (WTO) zu einem erkennbaren Ergebnis. Einen Monat später folgte der UN-Klimagipfel in die Niederlage (siehe Kopenhagen endet mit Armutszeugnis).

Katerstimmung nach Kopenhagen

Auch die Zivilgesellschaft schaffte es nicht, genügend Druck auf ihre Staatsmänner auszuüben. Im Bella-Center in Kopenhagen warf man unerwünschte Stimmen kurzerhand aus dem UN-Konferenzgebäude aus Angst vor lautstarken Protesten. Auf den Straßen in Kopenhagen wurden hunderte Menschen festgenommen. Auch das Jubiläum zehn Jahre nach Seattle – 1999 kam es in der Stadt zu den ersten großen Ausschreitungen gegen die WTO - wurde eher im Stillen gefeiert.

Es nützte auch nichts, dass Politiker und Delegierte auf der UN-Klimakonferenz die Schrecken des Klimawandels beschworen oder dass der gutgenährte FAO-Generalsekretär Jacques Diouf im November aus Solidarität mit der mittlerweile eine Milliarde hungernden Menschen auf der Welt für 24 Stunden in einen Hungerstreik trat. Die Welt wurde 2009 kein bisschen gerettet.

Nun herrscht Katerstimmung. Während die Politik die Niederlagen kleinzureden versucht, will die Zivilgesellschaft sich zusammenraufen, um im neuen Jahr endlich eine Trendwende zu schaffen. Anlässlich der Grünen Woche in Berlin wird von Umwelt- Entwicklungsorganisationen und Bioverbänden über eine neue Agrar- Handels- und Klimapolitik diskutiert.

Klimakiller Landwirtschaft: Bio als umstrittene Lösung

Laut dem Stern-Report von 2007 gehen immerhin rund 14 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die landwirtschaftliche Produktion zurück. Nicht eingerechnet sind Entwaldungen, Trockenlegung von Mooren sowie Transporte von Düngern und Fertigprodukten – Tendenz steigend. Ökolandwirte und Umweltschützer machen vor allem die Intensivlandwirtschaft für die schlechte Bilanz verantwortlich. Diese schädige allerdings nicht nur das Ökosystem, sondern auch die wirtschaftlichen Strukturen, vor allem in Entwicklungsländern und stürze Millionen Menschen in Armut.

Heftige Kritik kommt deshalb vor allem aus dem Süden: Rajeswari Raina kommt aus Neu-Delhi und ist Co-Autorin des Weltagrarberichts (IAASTD), den hunderte Wissenschaftler erstellt und mittlerweile über 58 Nationen ratifiziert haben. Darin wird als Lösung vor allem die Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen und regionale Vermarktung gesehen.

„Kleinbäuerliche Betriebe verbrauchen weniger fossile Energie, sind energieeffizienter und haben einen extrem niedrigen Input an Düngemitteln“, so die Wissenschaftlerin Raina auf der Konferenz "EcoFair Rules!" der Heinrich-Böll-Stiftung und Miserior, Anfang der Woche in Berlin. Das sieht auch der kenianische Handelsexperte Oudor Ong`wen vom „The Southern and Eastern Africa Trade - Information and Negotiations Institute“ (SEATINI) so. Die industrialisierte Landwirtschaft zerstöre durch Preisdumping, billige Importe und Pestizide lokale ökologische und wirtschaftliche Strukturen.

Deutsche Ökobauern stimmen in die Kritik ein: „In Kopenhagen wurde nicht über Landwirtschaft gesprochen und auf der Grünen Woche ist weder von Biolandwirtschaft noch von Klimaschutz die Rede“, schimpfte Thomas Dosch, Präsident von Bioland Deutschland auf der Grünen Woche in Berlin. Die intensive Landwirtschaft führe in vielen Regionen der Welt zur Ausbeutung der Böden, Zerstörung kleinbäuerlicher, familienbetrieblicher Strukturen, zu großflächiger Rodung und der Abnahme von Biodiversität.

Klimaschutzavantgarde der globalen Landwirtschaft

Dabei ist für Dosch gerade der Biolandbau die Klimaschutzavantgarde der globalen Landwirtschaft: Biobauern würden durch natürliche Düngung Stickstoffemissionen vermeiden und gleichzeitig Naturschutz und Biodiversität stärken. „Es geht hier schlicht um verschiedene Produktionsmethoden, deren Auswirkungen auf Klima und Umwelt ausgelotet werden müssen“, so der Biolandwirt. In Deutschland kommen 16 Prozent der Treibhausgase aus der Landwirtschaft.

Obwohl Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im Vorfeld der Grünen Woche betonte, dass sie gegen Klimaschutzauflagen in der Landwirtschaft sei und eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln mit strengen Klimaauflagen für „unvereinbar“ halte, tut sich auch in ihrem Ressort etwas. Professor Gerold Rahmann vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau, das dem Bundeslandwirtschaftsministerium angegliedert ist, berichtete, dass es entsprechende Pilotprojekte gebe.

So sollen in den nächsten Monaten 40 ökologische und konventionelle Betriebe in vier deutschen Regionen miteinander verglichen werden. „Landwirtschaft ist per se klimaschädlich – aber wir brauchen sie halt zum Leben“, so Rahmann am Rande der Grünen Woche. „Der Ökolandbau hat hinsichtlich des Klimaschutzes viele Potentiale und Vorteile“. Doch es gehe eben auch darum, dass der Verbraucher mitmache.

Denn mit dem jetzigen Fleischkonsum werde man auch mit den Methoden des Ökolandbaus nur begrenzt erfolgreich sein. Ein grundsätzliches Umdenken bei der Ernährung gehöre zum Klimaschutz dazu, waren sich Wissenschaftler und Bio-Unternehmer Dosch einig. Eine nachhaltige Landwirtschaft und gleichzeitig genügend Lebensmittel – dieses Ziel sei realistisch. Doch eben nur mit einer „echten Agrarwende“, die auch den Konsum in den Industrienationen einschließe.

Zurück zur Parzellenwirtschaft?

Dem wird entgegen gehalten, dass es nach der Welternährungsorganisation (FAO) vor allem Entwicklungsländer und kleinbäuerliche Strukturen seien, die maßgeblich Treibhausgase verursachen würden. Nach der FAO hat die Landwirtschaft an den globalen Klimaemissionen einen Anteil von rund 15 Prozent (ohne Einberechnung der gesamten Nahrungskette wie Transportwege), 74 Prozent davon sollen aus den Entwicklungsländern kommen, in denen größtenteils noch eine kleinbäuerliche Landwirtschaft vorherrscht.

Südliche Wissenschaftler wie Raina vom IAASTD weisen die Zahlen als unbelegt und übertrieben zurück. Allein durch Stickstoffdünger und Rinderhaltung würden große Landwirtschaftsbetriebe Unmengen mehr Treibhausgase ausstoßen. Sie räumt aber ein, dass es besonders aufgrund von Entwaldung zu negativen Bilanzen kommt. Dabei könnte die Landwirtschaft klimaneutral sein, wenn man nur richtig ökologisch wirtschaftet.

Klima hin oder her - trotzdem könne mit Kleinbauern und Ökolandwirtschaft nicht die Welt ernährt werden, ist hingegen Hans-Christoph Heydebrand vom Bundesumweltministerium (BMU), der zur Diskussion in die Böll-Stiftung eingeladen wurde, ebenso wie Ministerin Aigner überzeugt. Es müsse in den nächsten Jahren vor allem darum gehen, den Ertrag pro Hektar zu steigern – schließlich werde man 2050 über neun Milliarden Menschen ernähren müssen. Das sei vor allem mit großen Betrieben, also mit der industriellen Landwirtschaft, am ehesten möglich.

Dem halten Ökolandbauverfechter wie die Autoren des Weltagrarberichtes, Biolandwirte wie Dosch oder Johannes Kotschi vom Pro-Ökolandbau-Verein AGRECOL entgegen, dass Ertragssteigerungen und Anpassungen an neue klimatische Verhältnisse ebenso in der kleinbäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft möglich seien.

Bisher wurde nur sehr wenig Geld von Staaten in die Forschung und in die Schuldung – gerade von Kleinbauern aus dem Süden - ausgegeben. Der Weltagrarbericht, der auf diese Missverhältnisse in der Mittelvergabe hinweist, sollte das eigentlich ändern. Allerdings gehört auch Deutschland zur Mehrheit der Länder, die den Bericht bis heute nicht unterzeichnet – also nicht anerkannt haben.

Vernetzung des Südens

Auf der Konferenz „EcoFair Rules!“ riefen die Initiatoren dazu auf, sich zusammenzutun, um gemeinsam Antworten zu finden und Druck auszuüben. Zusammen, das heißt für Barbara Unmüßig langjähriges Vorstandsmitglied der ausführenden Böll-Stiftung, dass Umweltverbände, Entwicklungsorganisationen und Initiativen aus dem globalen Süden gemeinsam agieren – jenseits der eingetretenen Pfade. „Wir wollen nun mit unserer Arbeit vor allem auch Organisationen aus Entwicklungsländern stärken“, so Unmüßig.

Das will auch Misereor, die das Klimathema als Chance sehen, den Süden besser zu vernetzen. Von dort aus müsse nun Druck und Kompetenzen aufgebaut werden - weil die nächste Klimakonferenz ja schließlich in einem Schwellenland – in Mexiko – stattfinde, unterstrich Josef Sayer, Hauptgeschäftsführer von Misereor. Die Klima- wie die Ernährungskrise treffe vor allem die ärmsten Länder. Strategien gegen den Klimawandel zu entwickeln, bedeute auch eine neue Agrarpolitik und somit neue Welthandelsregeln aufzustellen.

Das müssen nun nur noch die Staatschefs dieser Welt verstehen, die in den letzten Monaten außer wohlmeidenden Worten nichts zu bieten hatten.