Kettensägenschutzhose "Horst"

Intelligente Textilien sollen Arbeitsunfälle verhindern

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Seit Neal Stephenson in seinem Roman Snow Crash "Gargoyles" schilderte, beschäftigen "intelligente" Kleidungsstücke die Fantasie von Designern. Am Markt setzten sich aus diesem Bereich bislang vor allem Gadgets wie die Nike-Laufschuhe mit Apple-Hardware durch, die Informationen über die gelaufenen Kilometer, die Geschwindigkeit und die verbrauchten Kalorien sammeln und Sportler bei Bedarf über den iPod anfeuern. Nun sollen neue Entwicklungen helfen, die Arbeitssicherheit zu verbessern.

Am Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen und im Mobile Research Center, einem interdisziplinären Forschungsverbund, arbeiten Informatiker, Elektrotechniker und Bekleidungstechniker derzeit an der Schutzhose "Horst". Der Name, der ein wenig an die Unfallverhütungslehrfilmparodie "Staplerfahrer Klaus" erinnert, ist eine Kombination aus den ersten beiden Buchstaben des Wortes "Hose" und den letzten drei von "Forst". Die Erfindung soll dafür sorgen, dass Waldarbeiter sich nicht versehentlich schwere Verletzungen zufügen. Dazu stoppt sie die Sägekette, sobald diese in die Nähe der Beine kommt. "Horst" ist deshalb eigentlich nicht nur ein Kleidungsstück, sondern eine Kombination aus Schutzhose und Kettensägenmodifikation. In der Hose sind Sensoren untergebracht, die auf elektromagnetische Felder reagieren und im Alarmfall ein Signal an die Säge funken. Damit das Gerät darauf reagiert, muss vorher seine Führungsschiene, das "Schwert", angepasst worden sein.

Bild: Gospelix, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Ungewollte Abschaltungen will man durch die Erfassung zusätzlicher Kontextparameter wie zum Beispiel hoher Beschleunigungswerte der Säge reduzieren. Dies ist insofern wichtig, als eine zu hohe Anzahl versehentlicher Stopps den Forstarbeiter dazu bringen könnte, die Hose nicht zu tragen. Wie die Praxis in der Vergangenheit zeigte, würde auch eine Vorschrift zum Tragen solcher Hosen wenig an diesem Effekt ändern, denn Arbeitgeber umgehen solche Regelungen häufig dadurch, indem sie ihre Angestellten zwar nicht explizit zur Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften auffordern, aber ihre Einhaltung nicht oder kaum kontrollieren und den Beschäftigten Arbeitspensen geben, die nur auf solche Weise zu schaffen sind. Diesen Versuchungen wollen die Forscher dadurch entgegenwirken, dass der Schutzmechanismus sich nicht abschalten lässt.

Die größte Herausforderung sehen die Wissenschaftler in der Energieversorgung: Ein Schritt zur Lösung dieses Problems soll ein ruhestromfreies System sein, das besonders sparsam arbeitet. Weil man die Erfindung aber auch wirtschaftlich verwerten will, werden Details dazu ebenso wie zu den verwendeten Materialien noch geheim gehalten. In einem begleitenden Arbeitskreis zu dem grundlagenorientierten Forschungsprojekt arbeitet man mit Firmen wie der Paul H. Kübler Bekleidungswerk GmbH & Co. KG oder dem Motorsägenhersteller Dolmar zusammen. Eine Größenordnung für den Preis der Hose gibt es offiziell noch nicht. Der könnte allerdings ebenfalls großen Einfluss darauf haben, inwieweit "Horst" wirklich verwendet wird: Häufig tragen Arbeiter Schutzbekleidung nämlich auch deshalb nicht, weil sie zu stark verschmutzt ist und Unternehmen aus Kostengründen keinen Ersatz für ein Waschen während der Woche zur Verfügung stellen. Laut Christof Breckenfelder vom Entwicklerteam hält "Horst" einem "üblichen Reinigungsvorgang" stand - allerdings nur, wenn vorher die "elektronisch aktiven Elemente" entfernt werden.

Außer an "Horst" arbeitet man in Bremen derzeit unter anderem an "Glovenet", einem vernetzten Sensor-Schutzhandschuh für den Feuerwehreinsatz. Durch darin integrierte Temperaturfühler sollen Gefahren besser und schneller abgeschätzt werden können, was den Feuerwehrmännern Entscheidungen über ihr weiteres Vorgehen erleichtert. Zudem können sie durch die Handschuhe auch ohne Sichtkontakt über standardisierte Gesten mit ihrer Einsatzleitung kommunizieren. In Kooperation mit der Pariser Feuerwehr und weiteren Partnern aus Unternehmen und Hochschulen entwickelte man im Rahmen des Forschungsprojekts wearIT@work bereits im letzten Jahr einen Schutzhelm mit Monitor und Stiefel, mit denen sich am Einsatzort verschwundene Feuerwehrleute, die sich nicht mehr melden, genau lokalisieren lassen.