Die Elite Haitis blieb vom Erdbeben verschont

Noch immer ist die Versorgung der Menschen schwierig, befürchtet wird wachsende Gewalt, die US-Regierung versucht eine Massenflucht nach Florida zu verhindern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Erdbeben hat mit Haiti eines der ärmsten Länder der Welt heimgesucht. Die Hauptstadt ist weitgehend verwüstet. Allerdings wohnt die Elite der Reichen und Mächtigen, die es natürlich auch hier gibt, nicht im Zentrum und schon gar nicht in den Slums, sondern in den grünen Hügel in der Vorstadt von Petionville. Hier leben auch viele der Ausländer und finden sich Geschäfte und Büros, Hotels, Restaurants und Nachtclubs. Petionville ist weitgehend intakt geblieben, wie die Washington Post berichtet, auch wenn die Verheerungen nicht weit entfernt in den Slums, die sich bis nahe an das Nobelviertel ausgebreitet haben, stattgefunden haben.

Schon vor der Erdbebenkatastrophe war Petionville ein sicherer Stadtteil. Das ist er auch jetzt nach Berichten geblieben, wofür die gated communities und private Sicherheitsdienste sorgen. Hier wurde die Polizeistation nicht zerstört, auch sonst ist die Infrastruktur intakt. Die wohlhabenden Menschen haben genug Vorräte und können sich die Preise, die nach dem Erdbeben in die Höhe geschnellt sind, leisten. Hier befindet sich auch eine der wenigen geöffneten Apotheken, bewacht durch drei bewaffnete Polizisten, die jeweils nur einen Kunden eintreten lassen.

Während zwar um den Flugplatz herum, der inzwischen vom US-Militär übernommen wurde, mit Hilfslieferungen begonnen wurde, erreichen Lebensmittel, Wasser und ärztliche Versorgung die meisten Menschen in der Stadt offenbar noch immer nicht (Situationsbericht vom UN-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten OCHA). Kommen Lieferungen dann gibt es chaotische Szenen, die Menschen sind durstig, hungrig und verzweifelt. Nach Plünderungen kam es auch zu ersten Schießereien, Morden und Lynchjustiz. Die Gefahr besteht, dass es zu Massenausschreitungen kommt und die gewalttätigen Banden ihren Einflussbereich ausbauen. Die noch intakten Geschäfte und Apotheken haben sich verrammelt, um sich vor Plünderungen zu schützen. Das Erdbeben hat auch ein Gefängnis zerstört, tausende Kriminelle sollen dadurch in Freiheit gelangt sein.

Zehntausende Leichen sollen bereits vergraben worden sein. Wie viele Opfer es gibt, ist nicht bekannt. Befürchtet wird, es könnten 200.000 Tote werden. Zehntausende Verletzte warten noch darauf, medizinisch betreut zu werden. Die Regierung ist noch weitgehend untergetaucht und überlässt das Feld dem US-Militär, der UN-Friedensmission und den Hilfsorganisationen. Allerdings werden die US-Soldaten kaum für Sicherheit in der Stadt sorgen können, nachdem die auch schon zuvor schwachen staatlichen Strukturen ausgefallen sind und Haiti selbst kein Militär hat. Auch wenn 10.000 US-Soldaten auf und vor Haiti stationiert werden sollen, so werden wie üblich nur wenige vor Ort sein, um Sicherheit eher punktuell zu gewährleisten. Hilfseinsätze sind zunehmend ohne Schutz nicht mehr möglich.

Die UN-Mission scheint durch den Verlust des Großteils der Führung nach der Zerstörung des Hauptquartiers gelähmt zu sein. Die Hauptanstrengung gilt angeblich der Rettung der eigenen Mitarbeiter. Nach Informationen eines Reporters der Washington Post sollen sich überhaupt die Rettungseinsätze bislang primär um Gebäude und Hotels mit internationalen Bewohnern und Gästen gekümmert haben. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen hätten erzählt, dass sie beauftragt wurden, erst einmal Ausländer zu finden und zu retten. Andere Reporter berichten, dass von Sicherheitskräften in der Stadt kaum etwas zu sehen gewesen sei. Nur beim Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki-mon hätten Soldaten kurzzeitig das Lager in der Nähe des Präsidentenpalastes gesichert. Die Times schreibt:

At 7am on Saturday a Spanish rescue team finally arrived with sniffer dogs and established in five minutes, “with 99 per cent certainty”, that there were no longer any survivors. They had done some digging, but not much. Their first job, after the intervention of a Western diplomat, was to search for a close friend of Haiti's President. They found him dead, in a secure neighbourhood not badly hit.

Kritik kommt von den Ärzten ohne Grenzen. Am Samstag sei einem Flugzeug mit einem mobilen Krankenhaus die Landung verweigert worden. Stattdessen muss das Krankenhaus nun über die Dominikanische Republik auf dem Landweg nach Haiti gebracht werden, womit sich die dringend benötigte medizinische Versorgung der Bevölkerung um mindestens 24 Stunden verschoben habe.

Die Amerikaner werden zumindest kurzfristig die Kontrolle über Haiti übernehmen, unterstützt von den Soldaten der UN-Stabilisierungsmission MINUSTAH. Im politischen Vakuum kann dies wohl sonst derzeit niemand leisten. Manche sprechen allerdings bereits davon, dass die USA nun das Erdbeben ausnutzen würden, um Haiti zu besetzen. Zwar haben auch in den letzten Jahrzehnten die US-Regierungen immer wieder massiv in Haiti eingegriffen. 1994 schickte Bill Clinton 20.000 Soldaten, um Aristide an die Macht zu helfen, 2004 stand George W. Bush mit hinter dem Putsch (Bärendienst für Demokratie), um Aristide zu stürzen und außer Landes zu bringen (A Typical American Coup, Haiti am Tropf ausländischer Regierungen).

Ein großes geostrategisches Interesse dürften die USA an Haiti allerdings nicht wirklich haben, aber mit der Hilfeleistung könnte auch der Versuch verbunden sein, einen befürchteten Flüchtlingsstrom möglichst zu unterbinden.

Das UN World Food Programme (WFP) spricht ebenfalls von einer sich verschlechternden Sicherheitslage. Die Versorgung der Bevölkerung wird unter dem Schutz von Soldaten gemacht. Aber es werden Erfolge gemeldet: Das WFP "erreicht inzwischen Hunderttausende Bedürftige in Haiti. Am Ende des heutigen Tages wird WFP über 200.000 Menschen mit Nahrungsrationen in und um Port-au-Prince versorgt haben, insgesamt wird WFP in Kürze 2 Millionen Menschen unterstützen. Dazu benötigt WFP US-$ 279 Millionen."

Viele Menschen haben alles verloren. Man geht davon aus, dass 3 Millionen Hilfe benötigen, in Port-au-Prince seien 300.000 Menschen obdachlos geworden. Sie könnten versuchen, der Armut und dem Elend zu entrinnen und vor der nächsten Katastrophe, die jederzeit zuschlagen kann, in Sicherheit zu gelangen. In Florida bereiten sich die Counties an den Küsten bereits mit Notfallplänen auf Flüchtlinge vor. Heimatschutzministerin Janet Napolitano warnte schon davor, die Reise über 1000 Kilometer von Haiti nach Florida anzutreten: "Das ist eine gefährliche Überfahrt. Jedes Mal, wenn Menschen diese Überfahrt wagen, gibt es Tote." Flüchtlinge würden wieder zurückgeschickt. Sie bittet auch darum, die Hilfsmaßnahmen nicht zu behindern, indem Haitianer aus dem Land flüchten. Allerdings hob Napolitano die Abschiebung von Haitianern, die illegal in die USA gelangt sind, erst einmal auf. Wer sich bereits vor dem 12. Januar in den USA befand, könne einen Antrag auf eine zeitlich beschränkte Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Auf der anderen Seite wird neuen Flüchtlingen mit Festnahme, Einsperrung und Abschiebung gedroht.

Hilfe für die Opfer des Erdbebens in Haiti

  • Aktion Deutschland hilft (Bündnis von action medeor, ADRA, Arbeiter-Samariter-Bund, CARE International Deutschland, Arbeiterwohlfahrt, Johanniter-Unfall-Hilfe, Malteser Hilfsdienst, Handicap International, HELP - Hilfe zur Selbsthilfe, Paritätischer Wohlfahrtsverband, World Vision Deutschland) Online-Spende Konto 10 20 30 Bank für Sozialwirtschaft Bankleitzahl 370 205 00 Kennwort: Katastrophen Erdbeben Haiti
  • Bündnis Entwicklung Hilft (Zusammenschluss von Brot für die Welt, medico international, Misereor, terre des hommes und Welthungerhilfe) Online-Spenden Spendenkonto 51 51 Bank für Sozialwirtschaft Bankleitzahl 370 205 00 Kennwort:
  • Ärzte ohne Grenzen Deutsche Sektion (MSF) Konto 97 0 97 Bank für Sozialwirtschaft BLZ 370 205 00 Stichwort: Erdbeben Haiti u.a.