Alles begann mit dem neuen KGB-Chef Jurij Andropov

Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg - Teil 2

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Teil 1: Von heimlichen und unheimlichen Kooperationen

Der Blick in die Akten der beiden letzten italienischen Untersuchungskommissionen zur Aufklärung der Hintergründe des Terrorismus lässt keine Zweifel: Militante Linksradikale aus dem westlichen Europa wurden schon ab Mitte der 60er Jahre und bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre in militärischen Ausbildungscamps in der DDR, der CSSR, im Südjemen (Satellit der Sowjetunion), in Syrien und Libyen in Guerilla-Taktiken ausgebildet, Offiziere sogar in Solnechnegorsk bei Moskau. Und das heißt in Techniken der Infiltration in feindliche und nicht feindliche Organisationen, der Sabotage, des Überfalls, der gezielten Tötung, im Waffen- und Sprengstoffgebrauch.

Jurij Andropov (SED-Parteitag 1967). Bild: Bundesarchiv (Bild 183-F0417-0001-028), Foto: Friedrich Gahlbeck, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Jurij Andropov, von 1967 bis 1982 Chef des KGB, dann Vorsitzender der KPdSU, gewichtete die Außenpolitik für die Ziele der Sowjetunion und ihrer Geheimdienstarbeit im Kalten Krieg neu.1 Schon 1964, als Sekretär des ZK der KPdSU für internationale Fragen, hatte er sich dafür stark gemacht, mehr als zuvor revolutionäre Prozesse im kapitalistischen Westen zu beschleunigen und extremistische Gruppen zu unterstützen.2

Andropov befürwortete von Anbeginn seiner Ernennung zum Chef des KGB „geheime Operationen als ein essentielles Instrument der sowjetischen Politik.“3 Dass 1969 hierfür gegründete V. Direktorat des KGB hatte den Feind zu schwächen:

…die Abteilung V wurde tätig in den Dingen, die man gemeinhin 'schmutzige Aktionen' nennt, d.h. Mord, Sabotage, Inbrandsetzung, Vergiftungen, technische Schäden und Terrorismus.”

Die Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt und die neuen, außerparlamentarischen Bewegungen in den kapitalistischen Ländern beunruhigten die Regierungen im Westen und erweckten Hoffnungen im Osten. Doch auch in der kommunistischen Welt brodelte es. Die Dissidentenbewegung und der Eurokommunismus einiger kommunistischer Parteien im Westen stellten die Unterordnung unter die KPdSU in Frage.

Für beide Supermächte war eine mögliche Sprengkraft der neuen Oppositionen nicht abzuschätzen, es galt vorzubeugen. Der Kalte Krieg ging in ein neues Stadium: Geheimpolitik wurde angekurbelt, verdeckte Einflussnahme in die Wege geleitet, die neuen Bewegungen sollten unter Kontrolle gebracht werden. Wie im Westen4 rüstete man sich im Osten gezielt mit geheimen paramilitärischen Spezialtruppen, um in die neuen Bewegungen einzugreifen. Es war Kalter Krieg, die Schlacht sollte ohne offenen Kampf geschlagen und gewonnen werden. Dies vor allem über den Einsatz des Terrorismus zu tun, war nicht neu. Schon 1531 führte Niccolò Machiavelli aus:

Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen.

Auch die Terroranschläge der russischen Sozialrevolutionäre vor der Oktoberrevolution waren alle auf Weisung des Innenministers Stolypin über seinen Agent provacateur erfolgt, wie er selbst Jahre später vor der Duma offen legte. Über Terroranschläge lassen sich – mindestens - zwei Dinge verdeckt regeln: die Linke zu diskreditieren und politische Gegner unter Tarnung zu liquidieren.

Über die Ursprünge der Roten Brigaden

1967 wurden im tschechischen Doupov und Shumperk 96 Personen in die Ausbildungslager der CSSR rekrutiert und paramilitärisch geschult. Davon kamen 40 Prozent aus Westeuropa, d.h. Italien, England und Westdeutschland, der Rest aus Südamerika, Afrika und dem Mittleren Osten. Mit den Jahren wurden es mehr Ausbildungslager und mehr Personen. Von diesen Lagern hatte schon der im Januar 1968 in die USA geflohene Generalsekretär der Verteidigung beim ZK der tschechischen KP, General Jan Sejna, berichtet.5 Er sprach von ersten zwölf Ausgebildeten bereits im Jahr 1964, davon acht Italiener und vier Westdeutsche. Namentlich nannte er die späteren Gründungsmitglieder der Roten Brigaden wie Renato Curcio und Alberto Franceschini, den Universitätsprofessor und Gründer von Potere Operaio Toni Negri und Giangiacomo Feltrinelli, der 1970 die linksextremistische GAP gründete. Sie alle waren nicht nur durch die internationale Entwicklung, an erster Stelle den Vietnamkrieg, und durch die neuen Bewegungen in Amerika und in Europa stimuliert für antiimperialistische, revolutionäre Aktivitäten. Sie waren auch Gefolgsleute des militanten Flügels der KPI und überzeugte Anhänger der Sowjetunion.

Für andere Rotbrigadisten der ersten Stunde bestätigt dies im Jahr 2007 der seinerzeit in Genua zum Linksterrorismus ermittelnde Staatsanwalt Mario Sossi6:

Sie hatten allerdings keine direkten Kontakte zu den Sowjets, sondern zu Radio Prag (...). Über diesen Kontakt, diese Bezugspersonen gingen sie nicht hinaus.(..). In meinen Ermittlungen im August 1971 und insbesondere in der Beschlagnahme von Notiz- und Telefonbüchern und verschiedenen Dokumenten einiger Rotbrigadisten (..) wurde deutlich, dass Radio Prag ein bolschewistisches strategisches Zentrum war, von dem die Direktiven ausgingen. In diesen Ermittlungen zeigten sich auch feste Verbindungen mit der PFLP.

Mario Sossi, 1974 selbst von den Roten Brigaden entführt

Der linke KPI-Flügel bestand zu einem großen Teil aus alten Partisanen, die auch nach dem Krieg militant aktiv blieben. Da das Konsequenzen der italienischen Justiz nach sich zog, emigrierten viele in die CSSR. Einsatz von Gewalt im „revolutionären Kampf für den Kommunismus“ blieb für diese Parteifraktion auf ihre Fahnen geschrieben. Die Beziehungen mit der tschechischen KP und der KPdSU waren eng. Dieses parallel zur Mehrheit sich festigende militante Zentrum in der KPI bestand schon zu Zeiten Togliattis und hatte mit Umgehung der Parteiführung einen eigenen, direkten Draht nach Moskau.

Denn die Mehrheit gab ab Mitte/Ende der 60er Jahre gemeinsame Grundpositionen auf. Unter dem Parteivorsitz von Enrico Berlinguer befürwortete sie die Beteiligung an einer Regierungskoalition mit der christdemokratischen, also einer bürgerlichen Partei und stellte die Unterordnung der kommunistischen Parteien unter die KPdSU in Frage. Der Einmarsch der Sowjettruppen gegen den zu eigenständigen Dubczek 1969 wurde zu einer Scheidelinie zwischen den Kräften, die sich innerhalb der kommunistischen Partei für Reformen stark machten und denen, die der KPdSU bedingungslos folgten. Diese Spaltung innerhalb der italienischen Kommunisten blieb der Öffentlichkeit weitestgehend verborgen und ist bis heute kein wirklich offenes Thema.

Enrico Berlinguer (links) zu Besuch in der DDR (1973). Bild: Bundesarchiv (Bild 183-M1204-026), Foto: Rainer Mittelstädt, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Der militante Parteikern übte für die Sowjets in Moskau eine Kontrollfunktion über die abtrünnige Gesamtpartei aus. Als der geplante „Historische Kompromiss“, die Regierungsbildung von KPI und Christdemokraten, Anfang der 70er Gestalt annahm, wurde der Mehrheit der Partei, doch nicht dem linken Flügel, die regelmäßige, geheime, da illegale finanzielle Unterstützung aus Moskau empfindlich gekürzt.

Aus dieser Tradition des militanten Partisanengeistes und einer geheimen Militärstruktur um die führenden Kommunisten Pietro Secchia und Armando Cossutta einerseits und der Gegnerschaft zum „Historischen Kompromiss“ andererseits formierte sich die erste Generation der Roten Brigaden.7

Dass diese dann vom linken KPI-Flügel unterstützt wurde, war den Parteiführern um Berlinguer natürlich alles andere als recht. Das erläuterte der ausgewiesene Kalte Krieger und Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga vor der untersuchenden Parlamentskommission mit einer ihm berichteten Episode: In der sowjetischen Botschaft in Prag hatte der führende Kommunist Giorgio Amendola den russischen Botschafter aufgebracht an seinem Jackenrevers genommen und ihn lauthals aufgefordert, die tschechischen Genossen davon abzubringen, die Roten Brigaden zu fördern. Was denn nur geschehen solle, wenn so etwas an die Öffentlichkeit käme?8

Es gilt also festzuhalten: Die Ursprünge der Roten Brigaden liegen keineswegs nur in der Studenten- und Arbeiterbewegung, sondern auch in der Kampftradition der kommunistischen Partei und ihrer engen Verbindung zur Sowjetunion.

Als die Gründungsmitglieder der Roten Brigaden 1974 verhaftet werden, tauchen nicht nur die bei der Gründung 1970 nicht zum Zuge gekommenen Supermilitanten mit ihren undurchsichtigen Vorgeschichten und später festgestellten Geheimdienstverbindungen wieder auf. Es kommen auch frisch in der CSSR ausgebildete Kämpfer in die Organisation, die vorher überhaupt keine Rotbrigadisten gewesen waren. Und erst jetzt beginnen in Italien die tödlichen terroristischen Anschläge des Linksterrorismus.

Interessant zu sehen, ob sich in Deutschland für diese Entwicklung Entsprechungen finden.

Teil 3: Geheimpolitik