Geheimpolitik

Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg - Teil 3

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Teil 2: Alles begann mit dem neuen KGB-Chef Jurij Andropov

Im sowjetischen Machtbereich war - neben verdeckten Maßnahmen - auch eine offen repressive Militäraktion wie die gegen den tschechischen Reformer Alexander Dubcek im Jahr 1968 durchaus möglich. Im demokratischen Westen gelten in der offenen Politik andere, demokratische Spielregeln. Und so werden gegen all zu eigenständig handelnde Politiker, wie in Italien die Reformer Enrico Berlinguer, Chef der KPI, und der Vorsitzende der christdemokratischen DC, Aldo Moro, nicht offen das Militär, sondern nur verdeckte Maßnahmen von Seiten der Geheimdienste in Gang gebracht. Dazu gehörten im Westen - wie aber genau so im Osten - neben der Ausbildung von Untergrundkämpfern streng geheim zu bleibende Geldzuweisungen an Parteien oder einzelne Politiker und an subversive Organisationen.1

Und dazu gehörte auch die Infiltration von Agents provocateurs in die neuen linken, wie es im Westen hieß "aufständischen" Organisationen, sowie Einflussnahmen auf die Politik mit Desinformationen, Fälschungen, Intrigen, Gerüchte in die Welt setzen, Manipulationen gegenüber ausländischen Massenmedien, Einsatz von Radiosendern im Untergrund, das Benutzen von überparteilichen Organisationen, die Unterstützung revolutionärer oder terroristischer Gruppen, politische Erpressung, - um einige weitere Formen der aufgedeckten "covert actions oder verdeckten Aktionen" (West) oder "aktiven Maßnahmen" (Ost) zu nennen.2

Die Rolle Moskaus im italienischen Terrorismus wird insbesondere deutlich in der wichtigsten aus dem Untergrund gesteuerten Aktion, der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro im Jahr 1978. Ein Fall, der Italien nach wie vor bewegt und keineswegs aufgeklärt ist.

Aldo Moro als Gefanger der Brigate Rosse

Der ehemalige Leiter des Geheimdienstes SISMI, General Fulvio Martini, sagte 1999 vor der parlamentarischen Untersuchungskommission aus, dass er aus einer Unterredung mit Wladimir Krjutschkow, dem letzten Vorsitzenden des KGB und langjährigen Mitarbeiter Andropovs, wüsste, dass der KGB wohl an einer starken KPI interessiert war, es aber nie zugelassen hätte, dass sie mit Moro und Berlinguer an die Macht komme. Italien sei 1945 in Jalta dem Einflussbereich der Amerikaner zugeordnet worden. Damit dies Gleichgewicht nicht gestört würde, habe angestanden "aktive Maßnahmen" zu ergreifen, also verdeckt in die Politik einzugreifen.3

Mit erstaunlicher Offenheit hat der amerikanische Terrorismus-Experte Steve Pieczenik Jahre später deutlich ausgeführt, dass er seinerzeit von der CIA nicht etwa mit der Aufgabe nach Rom geschickt wurde, Moro zu retten. Die Roten Brigaden seien instrumentalisiert worden, um eine gemeinsame Regierung von Aldo Moro und den Kommunisten im so genannten "Historischen Kompromiss" zu verhindern. Auch das war deutlich.

Aufgedeckt wurde in den zahlreichen gerichtlichen Verfahren, dass der italienische Geheimdienst mit Hilfe der CIA-nahen Geheimorganisation P2, die führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Staat vereinigte, Gigantisches unternommen hat, damit die Roten Brigaden die Aktion Moro in Ruhe durchführen konnten.4 Die beiden führenden Rotbrigadisten dieser Entführung und Ermordung des Politikers Aldo Moro hatten nachweislich Kontakte mit Geheimdienstgenerälen, die u.a. für die paramilitärische westliche Organisation Gladio tätig waren, mit dem Mann des KGB in Rom und dem tschechischen Geheimdienst. Mit anderen Worten Ost und West arbeiteten in diesem Anschlag über die Terroristen zusammen.

Die italienische Justiz hat aufgedeckt, dass ganz offensichtlich an der Vorbereitung und Durchführung des Anschlags auch führende RAF-Vertreter wie Brigitte Heinrich, Christian Klar, Willi Peter Stoll beteiligt waren, was der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland über knapp dreißig Jahre komplett unbekannt blieb.5 In den Akten der Beobachtenden Fahndung ist auch nachzulesen, dass RAF-Mitglied Lutz Taufer sich 1978 damit brüstet, dass seine Organisation an drei von fünf stattgefundenen Anschlägen der Roten Brigaden in Italien beteiligt war.6 Ist derart Hilfestellung der RAF für die Roten Brigaden in Ermittlungen oder Recherchen jemals nachgegangen worden?

In Italien wird angenommen, dass diese Kooperation der beiden linksterroristischen Organisationen - auch weil Brigitte Heinrich nachweislich eng mit der Stasi zusammenarbeitete - ein konkreter Beitrag von Stasi/KGB für das garantierte Gelingen des Attentats bedeutete.7 Volker von Weingraber, Verfassungsschutzagent in der "Bewegung 2. Juni", war auf Vorschlag von Brigitte Heinrich einige Zeit vor dem Anschlag auf Aldo Moro mit nach Italien gekommen. Er hat seinen Vorgesetzten nachweislich schon Monate zuvor von dem geplanten Anschlag aus Mailand Rapport geleistet.8 Das heißt nichts anderes, als dass "westdeutsche Nachrichtendienste quasi mit einer Quelle dabei" waren. So die Worte von Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung für den durchaus vergleichbaren Fall Verena Becker. Sie wird verdächtigt, sowohl für den Verfassungsschutz schon von Anfang der 70er Jahre an gearbeitet zu haben, als auch an dem Anschlag auf Siegfried Buback als Täterin oder Mittäterin dabei gewesen zu sein. In der Tat eine äußerst beunruhigende Verknüpfung. Aufklärer sind in der Regel in Sachen geheimdienstlicher Infiltration nicht gerade erfahren, doch was Leyendecker dann als "wüste Verschwörungstheorie" für unwahrscheinlich erklärt, kann man, dank der italienischen Transparenz, leider als die harte Realität nachweisen.9

Es waren bewegte Zeiten, doch sicherlich keine gereiften Zeiten für eine Revolution. Hatten die Linksaußen-Revolutionäre in den westlichen Ländern Illusionen in eine nahende revolutionäre Erhebung gehabt, im Osten war man realistisch genug, diese Möglichkeit doch eher in weiterer Ferne zu sehen. Doch nutzte man die unruhig gewordene politische Situation geheimpolitisch, um die Destabilisierung in den kapitalistischen Ländern voranzutreiben. Andererseits galt es für die politische Macht im Westen und im Osten, die Aufteilung Europas in Einflusszonen, wie sie mit der Konferenz von Jalta 1945 begonnen und beschlossen wurde, durch eine neue unabhängige Linke nicht in Frage gestellt zu sehen und gegen Erschütterungen präventiv tätig zu werden. Das heißt, Allianzen von West und Ost im Terrorismus haben hier ihre Begründung: gemeinsam über die Diskreditierung der Linken einem dritten Weg zwischen den Systemen keine Chance zu geben.

Italien hatte die größte kommunistische Partei des Westens. Anfang der 70er Jahre standen immerhin 33 Prozent der Wähler hinter ihr. Diese Partei in einem militärstrategisch bedeutsamen Land an der Macht galt als ein Unsicherheitsfaktor, mit ihr hätte sich die gefürchtete Verbreiterung eines dritten Wegs der von der Sowjetunion und den USA unabhängig agierenden Blockfreien und ein Ungleichgewicht zwischen Ost und West vollziehen können, je nach dem auf welche Seite sich eine Koalition mit den Kommunisten geschlagen hätte.

Die Aktivitäten der Gladio- und anderer paramilitärisch ausgebildeten Geheimmilizen des Westens10 wie des Ostens hatten präventiv zu verhindern, dass die KPI über eine Regierungsbeteiligung "schleichend" die Macht ergreift und sich auf diese Weise ein Staat zwischen die Einflusszone des Ostens und die Einflusszone des Westens stellt.

Es hatten also beide Seiten, der Warschauer Pakt- Osten und der NATO-Westen, ein übereinstimmendes Interesse, das Gleichgewicht der Kräfte nicht durch einen anwachsenden dritten Weg dazwischen stören zu lassen. Dies ist wichtig, um begreifen zu können, dass ganz offensichtlich - so auch der Vorsitzende der ersten Parlamentskommission zur Untersuchung der Hintergründe der unaufgeklärten Terroranschläge, Giovanni Pellegrino - punktuell und unter größter Geheimhaltung in Sachen Terrorismus Absprachen getroffen wurden, um koordiniert zu handeln. So eine heimlich- unheimliche Kooperation von Feinden taucht in der Geschichte nicht das erste Mal auf.

In den 20er Jahren hatte sich eine in gewisser Weise ähnliche Kooperation gebildet. Die neue sowjetische Regierung arbeitete auf Initiative noch von Lenin mit der deutschen Wehrmacht zwischen 1921 und 1934 in der Entwicklung von Gaskampfstoffen, Ausbildung von militärischen Führungskräften und Herstellung von Panzern in den Tiefen der Sowjetunion zusammen. Diese streng geheime Doppelbödigkeit der Politik beschreibt Enzensberger:

Radek, damals noch im Exekutivkomitee der Komintern, erklärte dem deutschen Botschafter in Moskau rundheraus: `Ich bin überzeugt, dass die Sowjetregierung gut mit einer deutschen reaktionären Regierung arbeiten kann. Das ist auch der Wunsch des Generals von Seeckt, der erklärt hat, man müsse den Kommunisten in Deutschland die Gurgel zudrücken, mit der Sowjetregierung aber zusammengehen.

Das nannte man dann pragmatische Realpolitik.

Auch der italienische Historiker Roberto Bartali weiß aus gut informierter militärischer Quelle, dass wie in jedem Krieg, so auch im Kalten Krieg es immer wieder Orte in einer neutralen Grauzone gab, in denen Vertreter der Supermächte sich zu Absprachen trafen.11

Hin und wieder wird in halböffentlich verhandelten Geheimdienstangelegenheiten über einen Involvierten ein Lapsus begangen, der dann schnell wieder verschwindet. So zum Beispiel Harry Dahl, einer der Leiter der für den Terrorismus zuständigen Abteilung XXII der Stasi, deutete im Prozesssaal an, aus Gesprächen mit Vorgesetzten Hinweise dafür bekommen zu haben, dass es eine "Verständigung zwischen Honecker und dem damaligen Bundeskanzler" Helmut Schmidt in Sachen RAF-Aussteiger gegeben habe.12

Wadi Haddad

Die Unterstützung von Untergrundorganisationen, die terroristische Aktionen durchführten, fiel - wie heute - in den Bereich ausgeklügelt gut abgesicherter Geheimpolitik. Der KGB delegierte den direkten Kontakt zu den führenden Mitgliedern derartiger Organisationen in den kapitalistischen Staaten ab 1970 an Wadi Haddad, den Führer der Außenpolitik der palästinensischen PFLP. Dessen Aufgabe war es ein internationales Netzwerk aufzubauen. Zu dessen Knotenpunkten wurden Mailand, Paris, Zürich, Prag, der Südjemen13 und Ostberlin. Italienische Ermittler sprechen von einer "Multinationale des Terrorismus" mit Sitz in Zürich. Führend aktiv waren dort das RAF-Mitglied Petra Krause, der Anwalt Sergio Spazzali und der spätere, auspackende Kronzeuge Carlo Fioroni.

Die Geheimdienste der DDR, CSSR und Bulgarien lieferten für die Terroristen des Netzwerkes paramilitärische Ausbildung, logistische Unterstützung wie Waffen- und Sprengstoff, gefälschte Dokumente und Geld. Die DDR hatte dabei ganz offensichtlich mit Erich Mielke und Markus Wolf die entscheidende Rolle des Supervisors und Koordinators inne. All dieses weiß man gesichert aus Akten und Gerichtsprozessen. Bei aller Vorsicht im Umgang und gleichzeitig bestehender Eigenständigkeit der terroristischen Organisationen, ohne diese Koordination und Unterstützung hätte das Netzwerk nicht aufgebaut und die terroristischen Anschläge nicht durchgeführt werden können.

Teil 4: Offene Worte von Markus Wolf ...