Offene Worte von Markus Wolf ...

Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg - Teil 4

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Teil 3: Geheimpolitik

Die Fäden der Kontrolle für das internationale Netzwerk der von Wadi Haddad geführten Terroristen hielt das Ministerium für Staatssicherheit. Dazu äußerte sich Spionagechef Markus Wolf 1997 in seinen Erinnerungen. Interessanterweise allerdings nicht in der deutschen Ausgabe ("Spionagechef im geheimen Krieg"), sondern in der englischen Originalausgabe ("The man without face"). Die deutsche Ausgabe ist eine Übersetzung und als "bearbeitet" gekennzeichnet, das Kapitel 13 "Terrorism and the GDR" fehlt hier. Es lohnt sich, da genauer reinzuschauen:

Ende der 70er Jahre waren das Ministerium und meine Abteilung in eine Reihe von Allianzen mit Kräften verwickelt, die Terror als eine Taktik benutzten: die PLO, der frei tätige Venezolaner Ilyich Ramirez Sanchez,(der ironischerweise seinen Vornamen nach niemand anderem als Lenin erhalten hatte), der als Carlos, der Schakal, bekannt war und die westdeutsche Terroristengruppe, die sich selbst Rote Armee Fraktion(RAF) nannte, aber auch als Baader-Meinhof-Bande bekannt war, nach ihren Führern Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Unser Enthusiasmus für solche Partnerschaften variierte von Fall zu Fall, weit mehr als ich je fähig gewesen wäre, dies damals zuzugeben. (...) Palästinensische Kämpfer wurden vom Ministerium für Staatssicherheit in die auf dem Land versteckten Lager in Ostdeutschland eingeladen, um in Spionage und Gegenspionage, in Waffen- und Sprengstoffgebrauch und Guerillataktiken ausgebildet zu werden.

Er spricht auch davon, dass man den Palästinensern zu helfen versprach, wenn sie denn aufhören würden, in Europa Anschläge zu verüben. Dass auch die englischsprachige Autobiographie der Legendenbildung dient, versteht sich von selbst. Und natürlich sagt Markus Wolf hier nicht, dass auch Kämpfer aus der Bundesrepublik in der DDR oder in befreundeten Nahost-Ländern wie z.B. im Jemen durch geschulte Stasi- oder vereinzelt auch KGB-Funktionäre für den so genannten Partisanenkampf paramilitärisch ausgebildet wurden. Denn die Ausbilder könnten möglicherweise ausfindig gemacht und angeklagt werden. Das Delikt "Unterstützung des Terrorismus" unterliegt keiner Verjährung. Der Spionagechef will schließlich nicht zum Verräter seiner eigenen Mitarbeiter werden und schweigt im Konkreten.

Markus Wolf (1989). Bild: Bundesarchiv (Bild 183-1989-1104-040), Foto: Hubert Link, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Hier interessieren die Dinge, die Wolf in Bezug auf den Terrorismus einräumt.

Neiber war direkt Mielke unterstellt und seine Abteilung XXII war technisch" (interessanter nebulöser Begriff - R.I.) "eine antiterroristische Einheit. Die war bis 1979 relativ klein, aber die Entscheidung, unsere Beziehungen mit `Kräften, die den bewaffneten Kampf befürworteten", so wie wir es nannten, auszuweiten, bedeutete, dass diese Abteilung schnell anwuchs. Innerhalb von wenigen Jahren hatte sie 800 Beschäftigte, obwohl ich glaube nur etwa zwanzig von diesen wussten etwas über den direkten Kontakt mit terroristischen Gruppen.

Erich Mielke. Bild: Bundesarchiv (Bild 183-R0522-177), Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Neben der RAF werden die irische IRA, die baskische ETA, die PLO, die Abu Nidal Gruppe und Carlos genannt. Auch räumt Wolf ein, dass George Habbash, Führer der marxistisch-leninistischen PFLP und erklärter Befürworter terroristischer Akte, ein hofierter Dauergast in Ost-Berlin war. In Gesprächen mit dem italienischen Untersuchungsrichter Ferdinando Imposimato betonte Markus Wolf, dass ihm die Zusammenarbeit mit Terroristen nicht gefallen hatte, aber Mielke, der zu dem Zeitpunkt nicht mehr lebte, hier besonderes Interesse zeigte.1

Ein Indiz dafür, dass die MfS Abteilung XXII keineswegs zur "Terrorabwehr" tätig war, wie es offiziell bzw. zur Konspiration nach innen hieß, konnte sogar die deutsche Justiz mit dem hartnäckigen Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis liefern. Im Prozess gegen Johannes Weinrich, Verbindungsmann zwischen Stasi und Carlos und führendes Mitglied der Revolutionären Zellen, wurde seine Verantwortlichkeit für zahlreiche Sprengstoffanschläge auch in Frankreich mit insgesamt elf Toten aufgedeckt. Im Jahr 2000 wurde er wegen dem Sprengstoffanschlag auf das Berliner Kulturzentrum "Maison de France" zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier Jahre Gefängnis bekam auch Stasi-Oberleutnant Helmut Voigt , ehemaliger Leiter der MfS-Unterabteilung XXII/8 "Internationale Terrorabwehr". Er hatte den Sprengstoff für diesen Anschlag geliefert. Die deutsche Justiz hat also aufgedeckt, dass in der Abteilung XXII/8 Terror nicht "abgewehrt", sondern vielmehr angeheizt wurde.

...und die verdeckten Taten der Stasi

Interessant, was in den ersten Jahren nach 1989 im "Spiegel" noch veröffentlicht wurde. Dort wird am 24. Juni 1991 nach Aussagen des im Ausland aufgespürten und untergetauchten Leiters der Terrorismus-Abteilung des MfS, Helmut Voigt, Interessantes referiert:

So konnten die meistgesuchten RAF-Führer Inge Viett, Adelheid Schulz, Helmut Pohl und Christian Klar jahrelang nahezu beliebig in den Stasi-Staat ein- und ausreisen und sich dort dank MfS sicher und versorgt fühlen. Für die aktiven Kader gab es zudem in der DDR theoretische Terrorismus-Schulung und praktische Übungen für den Untergrundkampf: Spreng- und Schießausbildung mit östlichem und westlichem Gerät.

Solche Dinge werden heute eher vernebelt und nicht mehr offen benannt. Es ist inzwischen mehr als deutlich, dass die DDR für den deutschen Linksterrorismus eine ähnliche Bedeutung hatte, wie die CSSR für den italienischen. Wie in tschechischen paramilitärischen Ausbildungslagern auch deutsche Terroristen auftauchten (s.o.), so war dies möglicherweise in deutschen Camps auch für italienische Terroristen möglich. Laut Stasi-Akten reisten zwischen Mai 1978 (also direkt nach dem Ende der Entführung Moro) und Mai 1979 36 Mal Mitglieder der Roten Brigaden in die DDR ein.2

Laut italienischen Ermittlungen reisten die vier RAF Mitglieder B. Mohnhaupt, S. Hoffmann, P.-J. Boock und R.-C. Wagner am 11.Mai 1978 über Jugoslawien und laut neuerlich entdeckten Stasiakten von dort für ca. sechs Wochen nach Polen. Darüber waren die deutschen Behörden - so die Stasi-Akte - über ihre Botschaft in Warschau informiert. Diese vier hielten sich zum Zeitpunkt des Attentats auf Aldo Moro am 9.Mai 19783 mit fester Adresse in Mailand auf und waren - so kann man annehmen - am Anschlag beteiligt. Das heißt doch mit großer Wahrscheinlichkeit, dass zwei Ostblockstaaten italienischen und deutschen Terroristen Unterschlupf nach einem bedeutenden Anschlag gaben.4

Dies ist ein weiterer Beleg für die Deckung, die der Ostblock RAF- und Rote-Brigaden-Mitgliedern gab. Interessanterweise wird die Richtigkeit der entdeckten Polen-Reise aber sofort von zuständiger Seite der Birthler-Behörde in Zweifel gezogen.5 Es soll - auch in anderen Äußerungen derselben Stelle - offensichtlich die Sicht verteidigt werden, dass die "Gastfreundschaft" der SED gegenüber den zehn RAF-Aussteigern, die sich 1980 in die DDR absetzten, ein singuläres Ereignis humaner Uneigennützigkeit oder ein notwendiger Akt war, um Terroranschläge von der DDR abzuhalten. Womit die Tarnargumentation des Geheimdienstes selbst übernommen wird.6

Dabei boten östliche Geheimdienste und ihre Regierungen ständig sichere Rückzugsorte für verdeckte Kämpfer aus vielen Ländern, stellten auf ihren Territorien freie Unterkunft und Fahrzeuge. Da die "heißesten" Akten der Staatssicherheit, das heißt die über die operativen Vorgänge gleich 1989 vernichtet bzw. geschreddert wurden, haben Aufklärer eine schwere Ausgangsposition.

Es gibt inzwischen ausreichend Belege, dass die Stasi - und andere osteuropäische Geheimdienste - den Terrorismus gefördert und gedeckt haben. Die beiden in dieser Frage wichtigsten italienischen Ermittler, Rosario Priore und Ferdinando Imposimato, drückten vor der Parlamentskommission ihre Meinung aus, dass die Stasi hier die zentrale Rolle für Moskau übernommen habe.7 Dass auch Carlos vom Osten ausgebildet und gedeckt wurde, bezeugen Stasi-Akten und die Ergebnisse des Prozesses gegen ihn in Paris Ende der 90er Jahre. Er stand mit allen östlichen Geheimdiensten in Kontakt und ging zum Beispiel auch in Polen ein und aus. In Rumänien wurde er über General Nicolae Plesita mit allem ausgerüstet, was er brauchte, um neben anderen Anschlägen auch den auf "Radio Free Europe" 1981 in München durchzuführen.8 Zu seiner Gruppe gehörten Mitglieder der "Revolutionären Zellen (RZ)"9 und der RAF.

Fahndungsfoto "Carlos" (Ilich Ramírez Sánchez)

Merkwürdig, wie die ursprünglich proklamierten Unterschiede zwischen den drei linksterroristischen Organisationen im Laufe der 70er Jahre verblassen und die einzelnen Mitglieder mal in der einen, mal in der anderen Organisation auftauchen. Das legt nah, dass die Geschwister alle einen gleichen Ursprung haben. Für die Mehrheit der Gründungsmitglieder der "Bewegung 2. Juni" ist inzwischen über Stasi-Akten belegt, dass sie Stasi-Agenten (IMs) waren bzw. später wurden. In Italien ist aufgedeckt worden, dass zahlreiche Organisationen von der Zentrale der CIA in Rom, dem Ufficio per gli affari riservati, künstlich in die Welt gesetzt wurden, bzw. nur über Flugblätter existierten. Maoistische Gruppen wurden z.B. nachweislich vom Geheimdienst gegründet. Das sollte die Linke spalten und damit schwächen bzw. für die Bevölkerung die Bedrohlichkeit der gesellschaftlichen Situation verstärken und damit eine Legitimation für ein gegebenenfalls härteres politisch-militärisches Durchgreifen schaffen.

Der Konsens des Ostens mit den linksradikalen, terroristischen Kämpfern lag in den Feindbildern (gegen die amerikanische und israelische Außenpolitik, Kolonialismus und Imperialismus ) und in der Schwächung des Kapitalismus durch Destabilisierung. Wie RZ-Aussteiger Hans-Joachim Klein festhielt, wollte die RAF mit Terroranschlägen die Staatsgewalt herausfordern und "den latenten Faschismus zum Vorschein bringen." So beschrieben es auch die zur Aussage bereiten Kronzeugen unter den Rotbrigadisten. Terroranschläge bringen Chaos und sollten die kapitalistische Gesellschaft, die ihn hervorbringt, diskreditieren und die sozialistische Gesellschaft, die davon verschont bleibt, aufwerten und festigen. Interessanterweise nutzten dabei - auch dies in Italien aufgedeckt - nicht nur die CIA und ihre verbündeten westlichen Geheimdienste auch Rechtsterroristen und alte Nazis.10

Der ehemalige Leiter des SISMI, Fulvio Martini, sagte vor der parlamentarischen Untersuchungskommission aus, dass er wüsste, dass auch der KGB neonazistische und faschistische Gruppen für terroristische Anschläge benutzte. Es sei ihnen wichtig gewesen sich vieler Organisationen zu bedienen, um die Anschläge zu verstärken. Derselben Ansicht sind auch aufklärende Fachkreise in Italien. Ob links, ob rechts, was zählte waren nicht die politischen Auffassungen oder Pläne, sondern die instrumentelle Nutzung. Hauptsache gewalttätige Anschläge brachten Unruhe. Dies erklärt, warum die Stasi auch den Kämpfer der neofaschistischen Hoffmann-Gruppe, Odfried Hepp, einem ihrer Führungsoffiziere der Abteilung XXII (für sogenannte Terrorabwehr zuständig) unterstellte. Auch in seinem Fall wird mit der Desinformation gearbeitet, dass der "gestrauchelte" Hepp durch die Stasi "auf den rechten Weg" gebracht werden sollte.

Rechtsextreme im Kontakt sowohl mit Verfassungsschutz als auch mit der Stasi werden nun auch deutlich im Fall des Anschlages auf Rudi Dutschke durch den angeblichen Einzeltäter Josef Bachmann. Der gehörte nicht nur zur rechtsradikalen "Braunschweiger Gruppe", sondern bekam seine Waffen von dem Rechtsterroristen Hans-Dieter Lepzin, der in dieser Gruppe sowohl für den Verfassungsschutz als auch als IM für die Stasi arbeitete. Das heißt, wenn er dem Attentäter Waffen liefert, als Agent provocateur tätig war. Diese Verbindungen waren der Justiz seinerzeit schon bekannt, sollten aber ganz offensichtlich auf Weisung der Politik nicht öffentlich werden.11 In Venedig wurde schon Anfang der 80er Jahre ein Prozess zu illegalem Waffenhandel durchgeführt, bei dem in Atem beraubender, illustrer Gemeinsamkeit Rotbrigadisten, Rechtsterroristen, Geheimdienstfunktionäre und Mitglieder der PLO auf der Anklagebank saßen. Es wurde aufgedeckt, dass sie über Initiative der Geheimdienste gemeinsame Sache gemacht hatten.

Teil 5: Paramilitärische Staybehind-Gladio-Einheiten auch im Osten in den Terrorismus involviert