Paramilitärische Gladio-Einheiten auch im Osten in den Terrorismus involviert

Über die Wurzeln des deutschen und italienischen Terrorismus im Kalten Krieg - Teil 5

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Teil 4: Offene Worte von Markus Wolf ...

Italienische Zeithistoriker - und hohe Verantwortliche der ehemaligen KPI selbst1 - sprechen mittlerweile von einer "Gladio rossa", die wie die westlichen Gladio-Geheimmilizen im Auftrag ihrer Regierungen einen Einsatz nicht nur für den Tag X einer Invasion einübten, sondern zur Destabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse verdeckte Anschläge bereits im Hier und Jetzt vorsahen. Dies alles im Namen des Antikommunismus. Von alten Freunden der DDR und Stasi-Funktionären wird heute selbstredend geleugnet, dass es diese Geheimmilizen auch im Osten gab. Jede Regierung leugnet zusammen mit ihren Anhängern diese Art illegaler, paramilitärischer Organisationen. Es ist immer nur ein kleiner Kreis in ihre Existenz eingeweiht. Der venezianische Staatsanwalt Felice Casson, der in den späten 80er Jahren erstmals auf die NATO-Geheimtruppen stieß und damit einen NATO-weiten Skandal auslöste, ist der Meinung, dass es derartige Einrichtungen immer gab und immer geben wird.2

Italienisches Gladio-Abzeichen

Während nach außen die Politik der friedlichen Koexistenz3 propagiert wurde, blieben die Kommunisten die Partei des revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. Natürlich haben sie alle internationalen Konventionen gegen den Terrorismus unterzeichnet und lehnten ihn nach außen generell und mit Entschiedenheit ab. So natürlich auch Terroranschläge, bei denen sie im Hintergrund selbst die Drahtzieher waren. Eine Doppelgleisigkeit, die jedoch nicht nur im Osten perfekt funktionierte. Bei entwickelter Geheimpolitik ist sie genau so im Westen anzutreffen. Darum zu wissen ist im Umgang mit den Stasi-Akten wichtig. Nicht nur, dass man dort auf Dinge stößt, die mit der offiziellen politischen Linie nach außen nicht zu decken sind. Es gilt aus Gründen der Konspiration auch nach innen die offizielle Diktion für das internationale diplomatische Parkett zu vertreten. Die geheime Linie muss vor eigenen oder feindlichen Mitwissern geschützt werden. Je intensiver der Gesetzesbruch und der Widerspruch zur politischen Linie, desto stärker die Vertuschung und Legendierung oder Tarnung einer Sache. Geheimdiensten ist auch eigen, intern geheime, also einem nur kleinen Kreis bekannte Unterabteilungen mit besonders verschlossenen Archiven einzurichten. Für gewissenhafte Historiker, die zur Wahrheit vordringen wollen, ein nicht einfach zu lösendes Problem.

Die hier schon anfangs erwähnten paramilitärischen Ausbildungslager in der CSSR wurden auch in der DDR aufgebaut. Die Geheime Verschlusssache GVS 516/59 beim ZK der SED stellte 1959 fest:

Der Auftrag, im Bereich der NVA eine Verwaltung aufzubauen, die mit der Aufgabe betraut ist, bei Angriffshandlungen der Bundeswehr auf die DDR im Hinterland des Feindes eine wirkungsvolle Partisanentätigkeit zu entfalten, wurde bis zum Frühjahr 1959 im wesentlichen erfüllt.

Das sind klassische Stay-behind-Truppen, wie sie zunächst auch innerhalb der NATO für den Fall eines offenen Kriegsausbruchs aufgebaut wurden. Dann, als aktiver Einsatz im verdeckten Kalten Krieg anstand, unterstellte man sie der Führung der CIA und den jeweiligen Inlandsgeheimdiensten. In der DDR hieß das natürlich nicht Stay-behind, sondern "Partisanenaufbau". Verantwortlich für diesen Aufbau mit dem internen Verwaltungsnamen "Abteilung zur besonderen Verwendung" (AzbV) war ab 1955 innerhalb der Nationalen Volksarmee Markus Wolf. Dann ging diese Abteilung wie im Westen auch in der DDR Anfang/Mitte der 60er Jahre von der Zuständigkeit des Militärs auf den Geheimdienst über. Später bekam sie den nicht weniger harmlosen Namen AGM/ S (Arbeitsgruppen des Ministers/Sonderaufgaben)4 mit drei Stützpunkten in der DDR-Provinz und wird schließlich kurz vor dem Fall der Mauer bezeichnenderweise in die zur Hauptabteilung aufsteigende Abteilung XXII zur sogenannten "Terrorabwehr" integriert.

Die erklärte Aufgabe der AGM/S war es unter anderem auch Sprengstoffanschläge gegen die Bundesrepublik durchzuführen. Mitte der 80er Jahre waren für den Einsatz im Untergrundkampf in der Bundesrepublik 3500 Einzelkämpfer ausgebildet . Der in den Westen übergelaufene Agent des tschechischen Geheimdienstes, Svetozar Simko, wusste zu berichten, dass in den deutschen Mittelgebirgen von ostdeutschen Agenten Funkgeräte, Spionageausrüstungen und Geld vergraben wurden. In der Geschichte der RAF gab es immer wieder mal Waldtreffen um solche Erddepots. Die letzten führenden RAF-Mitglieder der 2. Generation wurden dort verhaftet. Auch in Italien hatte man mit derartigen Gladio-Erddepots zu tun, die Kämpfern an der unsichtbaren Front zur Verfügung standen.

Markus Wolf (1989). Bild: Bundesarchiv (Bild 183-1989-1208-420), Foto: Elke Schöps, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Die AGM/S werden auch von Markus Wolf in der englischen Ausgabe seiner Biographie angesprochen. Selbstredend verschweigt er den geplanten Einsatz in der Bundesrepublik:

Training in Spionage und Gegenspionage, in Waffen- und Sprengstoffgebrauch und Guerillataktiken (..) war Routinetraining für Gruppen aus nationalen Befreiungsbewegungen und wurde geleitet von meiner Abteilung und zwei ministeriellen Abteilungen, der Gegenspionage und den AGM(Arbeitsgruppe des Ministers), verantwortlich für militärische Aufgaben und Training.

Der Journalist David Crawford vom Wall Street Journal und der ehemalige Historiker der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen und Leiter der Nebenstelle in Rostock, Thomas Auerbach, haben einschlägige Akten studiert. Auerbach hat schon 1999 ein gründlich erarbeitetes Buch zu den AGM/S veröffentlicht.5 Doch auch dieses hoch explosive Buch wurde von unseren Medien irgendwie "übersehen". Beide Aktenkenner halten es für möglich, dass die Pläne in dem fast 4000 Seiten umfassenden Handbuch der AGM/S auch umgesetzt wurden und dass westdeutsche Terroristen in den AGM/S ausgebildet wurden.

In dem Handbuch werden auch detaillierte Angaben dazu gemacht, wie Beschädigen, Zerstören, Sprengstoffanschläge auf Autos und Liquidieren von Personen im feindlichen Operationsgebiet( das heißt im Stasijargon: in der BRD) durchzuführen sei. Aus einem Papier der AGM/S:

Unter relativ friedlichen Verhältnissen (..)sollten tschekistische Einsatzkräfte zum Einsatz zur Unterstützung von Kräften, die gegen den imperialistischen Machtapparat antreten. Speziell in dieser Periode sollten tschekistische Einzelkämpfer und Einsatzgruppen in verstärktem Maße die Szene der Terror- und Gewaltverbrechen nutzen, um mit dieser Tarnung und Abdeckung ihre Kampfaufgaben vorzubereiten und durchzuführen. (..)"

Und an anderer Stelle:

Die Durchführung aller Kampfaktionen muss so erfolgen, dass keine Rückschlüsse und Zusammenhänge für den Feind erkennbar werden. (..) Das hat unter Ausnutzung der sich in den imperialistischen Staaten zeigenden Szene der Terror- und Gewaltverbrechen, durch Tarnung und Vortäuschung von Havarien, Unfällen und Anderes zu erfolgen.

Das ist deutlich. Die westdeutsche Terroristenszene sollte als Tarnung für eigene Kampfaktionen genutzt werden.

Doch es ist äußerst interessant, dass diese Dinge bereits 1990/91 alle klar und deutlich veröffentlicht auf dem Tisch lagen. Da waren sogar die Namen der beiden paramilitärischen Ausbilder der RAF- Schüler auf dem Gelände der AGM/S in Briesen bei Frankfurt/Oder genannt, der eine Sprengstoffexperte, der andere Waffenspezialist. Die beiden hatten berichtet, dass den westdeutschen Untergrundkämpfern auch der Umgang mit Lichtschranken-Zündern für Sprengsätze beigebracht wurde.6 Ganz so wie bei dem Anschlag auf Alfred Herrhausen im November 1989. Für den damaligen Generalbundesanwalt von Stahl war es seinerzeit noch "bombensicher, dass diese Ausbildung stattgefunden hat." Beim ausführlich berichtenden "Spiegel" hatte man keinerlei Zweifel, dass die Stasi hinter den Anschlägen stand, die mit einem Bekennerschreiben der RAF versehen waren:

Die generalstabsmäßig ausgeführten Anschläge (der RAF - R.I.)sind nach Einschätzung westdeutscher Terroristenfahnder die Früchte der Stasi-Schulung. Mehr noch: Die Stasi-Unterstützung soll sich nicht nur auf theoretische Nachhilfe beschränkt haben.

Es ist inzwischen auch durch Stasiakten gesichert, dass die Stasi reihenweise westdeutsche Terroristen paramilitärisch ausgebildet hat und diese insbesondere in den 80er Jahren getarnt "unter falsche Flagge" angeblich revolutionärer Organisationen hat Anschläge verüben lassen. Bleibt die Frage, warum das in Deutschland heutzutage nicht mehr so deutlich gesagt wird.

Irgendeinen Trumpf, so scheint es, müssen die auch im "Spiegel" aufgezählten für die AGM/S verantwortlichen Stasi-Funktionäre schon gleich 1990/91 in der Hand gehabt haben, dass die ganze Angelegenheit dann irgendwann vom Tisch kam und beschwiegen wurde. Heute wird dafür rumgerätselt, ob die Stasi überhaupt hinter den RAF-Anschlägen stand oder ob es den Terrorismus fördernde Kontakte überhaupt gab. Doch dass CIA, Bundesregierung und deutsche Sicherheitsbehörden schon Ende der 70er Jahre von "einer engen Zusammenarbeit" zwischen RAF und Stasi und "dem Aufenthalt von Linksterroristen in der DDR" wussten, davon berichtete schon 1992 ein ehemaliger CIA-Missionschef in Bonn gegenüber der TAZ. Die sozialliberale Koalition habe allerdings zu der Zusammenarbeit von RAF und Stasi aus diplomatischen Gründen geschwiegen, um die Ostpolitik nicht zu gefährden.7 Heute gefährdet man ja eigentlich keine Diplomatie mehr, doch man will das alles nicht mehr wissen.

Gedenksäulen an der Stelle des Herrhausen-Attentats in Bad Homburg

1995 erklärt die Bundesregierung zum Herrhausen-Anschlag als pars pro toto für alle unaufgeklärten Anschläge, dass die Ermittlungen "keine Anhaltspunkte für die Annahme bieten, dass neben der RAF andere Täter infrage kommen". Und von da an taucht in den Medien immer weniger zur RAF-Stasi-Connection auf.

Bei allem was zwischen Italien und Deutschland unterschiedlich sein mag, ähnlich war ganz sicher auch, dass Moskautreue in der BRD d.h. DKP- und SEW-Genossen bereit waren, die neue verdeckte Linie der Destabilisierung über die Förderung terroristischer Anschläge zu unterstützen. Der eigenständige, dritte Weg des Eurokommunismus fand bekanntermaßen bei ihnen keine Sympathien. Von der konspirativen westdeutschen Ralf Forster-Gruppe, der DKP-Militärorganisation, sind ca. 200 Personen in der DDR am Springsee nahe Frankfurt/Oder paramilitärisch ausgebildet worden. Auch sie weist alle Merkmale einer Gladio-ähnlichen Truppe auf.8

Teil 6: Mehr Augenmerk auch auf die Anfänge der RAF