Datenaustausch mit den USA, Australien und Japan

Auf dem EU-Innenminister-Stammtisch in Toledo werden zahlreiche Vorhaben im Rahmen der europäischen inneren Sicherheit verhandelt

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Mit Beginn des Jahres hat Spanien turnusgemäß die EU-Präsidentschaft übernommen. Auf der Agenda stehen die innenpolitische Umsetzung des Lissabon-Vertrages, ein Aktionsplan für das "Stockholmer Programm" und die Entwicklung einer "Strategie für die innere Sicherheit". Indes tütet die zuständige Kommission für Inneres und Justiz Abkommen mit den USA und Australien zum Austausch von Zahlungsverkehrsdaten und Fluggastdaten ein. In Spanien formiert sich ein Protestbündnis.

Mit dem informellen Treffen europäischer Innen- und Justizminister am Mittwoch in Toledo sollen die innenpolitischen Weichenstellungen der EU vom letzten Jahr in konkrete Verabredungen und Verträge übersetzt werden. Die dreitägige Veranstaltung beginnt mit einer nicht-öffentlichen Unterredung des spanischen Innenministers Alfredo Pérez Rubalcaba und der Vorsitzenden des US-Departments für Homeland Security, Janet Napolitano.

Laut Tagesordnung debattieren die EU-Minister anschließend über die "Strategie der inneren Sicherheit" (Stockholm Programm: Überwachung und Kontrolle), deren Entwicklung im "Stockholmer Programm" festgeschrieben ist. Im Anschluss folgt eine allgemeine Unterredung über Maßnahmen der EU im "Kampf gegen den Terrorismus". Napolitano will beiden Veranstaltungen beiwohnen, danach ist eine gemeinsame Pressekonferenz samt "Familienfoto" mit dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Jacques Barrot, geplant.

Geplante Abkommen zur Datenweitergabe aus Finanztransfers und "Passenger Name Record"

Grund für die Teilnahme von Napolitano dürften einige bilaterale Abkommen sein, die von der Europäischen Union unter anderem mit den USA geschlossen werden sollen. Die Kommission hatte Anfang der Woche den zunächst vagen Vorschlag für die Unterzeichnung eines "Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten" veröffentlicht. Gemeint ist das sogenannte "SWIFT-Abkommen" (Swift, Stockholm-Programm: Kräftemessen in Brüssel), das einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags ohne Beteiligung des EU-Parlaments durchgepeitscht worden war und ab 1. Februar 2010 "vorläufig angewendet" wird.

Immerhin hatte eine Resolution des Parlaments nebst heftigem öffentlichen Protest dazu geführt, das SWIFT-Abkommen zunächst bis 31. Oktober 2010 zu befristen und in der Zwischenzeit eine endgültige Vereinbarung auszuhandeln. Als Begründung der Übermittlung von Daten aus Finanztransfers an die USA gilt das dortige "Programm zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus" ("Terrorist Finance Tracking Program" TFTP). Das Parlament hatte gefordert, Übermittlungsersuchen nur auf gezielte Fälle zu stützen, die zeitlich begrenzt sind und einer richterlichen Genehmigung unterliegen.

Besonders strittig ist die Verwendung der Daten, die mit Einträgen in US-Datenbanken abgeglichen werden um "Risiken", also Auffälligkeiten wie Beziehungen zu anderen Personen oder Sachen, zu finden. Im gegenwärtig gültigen Abkommen findet sich hierzu die Zusicherung, auf Verfahren von Datenfusion zu verzichten, Kopien sind nicht erlaubt:

The TFTP does not and shall not involve data mining or any other type of algorithmic or automated profiling or computer filtering. [...] No copies of Provided Data shall be made, other than for disaster recovery back-up purposes.

Agreement between EU and USA for purposes of the Terrorist Finance Tracking Program

Die Daten dürfen nur mit solchen Informationen abgeglichen werden, bei denen "ein vorher bestehender Bezug zum Terrorismus gegeben sein muss". Die EU arbeitet am Aufbau eines eigenen Systems zur Überwachung auffälliger Finanztransaktionen. Der neue Vertrag verlangt, dass auch die USA hierfür Daten zur Verfügung stellen müssen.

Ähnlich kontrovers wie der SWIFT-Vertrag ist der endgültige Abschluss des Abkommens über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen ("Passenger Name Record" PNR) und ihre Übermittlung durch Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security. Ziel der Kommission ist, das seit 2007 ebenfalls vorläufig angewandte Regelwerk in eine endgültige Vereinbarung zu überführen. Eine diesbezügliche Initiative soll das Department of Homeland Security ermächtigen, mit den Informationen zu bewerten, "ob Fluggäste möglicherweise ein Sicherheitsrisiko für die Vereinigten Staaten von Amerika darstellen". Strafverfolgungsrelevante Informationen und Fluggastdatensätze sollen "zur Bekämpfung des Terrorismus und damit zusammenhängender grenzüberschreitender Straftaten, einschließlich der organisierten Kriminalität" genutzt werden.

Mit dem Vertrag würde nach Lesart der EU-Kommission Fluglinien, Fahrgästen und Datenschutzbehörden Rechtssicherheit gewährt sowie gleichzeitig der "Schutz der Privatsphäre der Bürger und ihre physische Sicherheit" gesichert. Die PNR-History enthält 35 Datensätze, darunter Adresse und Telefonnummer am Zielort, Zahlungsart, Name der Buchungsagentur, Reisestatus, E-Mail-Adresse und Historie über nicht angetretene Flüge. Ein ministerielles Treffen zwischen der EU und den USA soll im Frühjahr die Ausgestaltung der Verträge zu SWIFT und PNR erörtern.

Die Europäische Union will auch mit Australien ein PNR-Abkommen zur Übermittlung an die australische Zollbehörde schließen und damit ebenfalls eine vorläufige Vereinbarung von 2008 ersetzen. Gemäß den australischen Grenzschutzvorschriften soll der Zoll die Fluggastdaten vor Ankunft der Fluggäste in Australien einer "Risikobewertung" unterziehen. Die Rechtsvorschriften sind Bestandteil der Umsetzung des Wahlprogramms 2001 der Regierung zur "Erhöhung der nationalen Sicherheit".

Erst letzte Woche hatte der Europäische Rat den Gesetzestext eines Abkommen zwischen der EU und Japan über "Rechtshilfe in Strafsachen" veröffentlicht, das unter anderem Vernehmungen per Videokonferenz, die Überprüfung von Personen, die "zeitweilige Überstellung einer inhaftierten Person zum Zwecke einer Zeugenaussage" oder das "Einfrieren" von Konten regelt. Vorgesehen ist auch ein "spontaner Informationsaustausch", soweit es "die Rechtsvorschriften des Übermittlungsstaats zulassen". Die Rechtshilfe kann zwar abgelehnt werden, wenn ein Ersuchen eine politische Straftat betrifft. Das Bankgeheimnis gilt nicht als Ablehnungsgrund.

Mehr Strategien innerer Sicherheit

More Security, More Justice, Freer Citizens.

Motto der spanischen Präsidentschaft für Justiz und Inneres

Als Prioritäten für Justiz und Inneres gelten der spanischen Regierung erneut "Prävention und Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität", Polizeizusammenarbeit, Prävention und Handhabung von Katastrophen, Einwanderung und Asyl, Zusammenarbeit in Strafsachen und "die externe Dimension aller dieser Angelegenheiten". Vorgesehen sind vier Ministertreffen: Nach Toledo folgen reguläre Zusammenkünfte in Brüssel am 25. und 26. Februar sowie am 22. und 23. April bzw. 3. und 4. Juni in Luxemburg.

In einem Arbeitspapier der spanischen Präsidentschaft zu Arbeits- und Migrationspolitik in der Europäischen Union hatten die Verfasser im Oktober ein düsteres Krisen-Szenario geschildert, um eilig restriktive Maßnahmen zu empfehlen. Demnach drohen der EU unter spanischer Präsidentschaft beinahe apokalyptische Herausforderungen:

Globalisierung, Einfluss neuer Technologien, Kampf gegen den Klimawandel, eine alternde Bevölkerung, generalisiertes Phänomen der Einwanderung und die neuen sozialen Realitäten zu Beginn des 21. Jahrhunderts, aber auch die Finanzkrise, die zu einer ökonomischen und sozialen Krise geführt hat.

Arbeitspapier der spanischen Präsidentschaft

Die EU-Innenminister diskutieren in Toledo unter anderem die Veränderungen europäischer innerer Sicherheitszusammenarbeit nach dem Lissabon-Vertrag, die neue Struktur und Verantwortung des Committee on Internal Security (COSI), die Rolle der jüngst aufgewerteten Polizeiagentur Europol (Europol in der dritten Generation) und die Leitlinien der neuen EU-Kommission. Ebenfalls auf dem Programm steht die Ausarbeitung eines Aktionsplanes, der die Visionen des fünfjährigen "Stockholmer Programms" umsetzen soll, darunter die Einrichtung einer "IT-Agentur" zur Verwaltung der polizeilichen EU-Datenbanken sowie zahlreiche Maßnahmen zur Migrationsabwehr. Die spanische Regierung hatte schon letztes Jahr angekündigt, den Ausbau der "Grenzschutzagentur Frontex" zu forcieren:

In order to maximise its positive effects and reduce the negative consequences of this social phenomenon, it is vitally important that the European Union strengthens all those instruments within its control to undertake ordered management of the migratory flows to its territory. This requires creating flows of legal immigration that respond to the needs of the European labour markets, improving the situation regarding the integration of the immigrant population, and at the same time strengthening the fight against illegal immigration; a reality to which the Spanish Presidency is particularly sensitive.

Spanische EU-Präsidentschaft

Auf der Sitzung der Minister soll ein Entwurf zur Änderung der Verordnung des Rates von 2004 zur Errichtung von Frontex diskutiert werden. Hierfür will der Direktor von Frontex das Arbeitsprogramm der Agentur für 2010 vorstellen.

In Toledo könnte eine Vorentscheidung über die schleppende Umsetzung des Schengen Informationssystems II fallen, die dann endgültig im April auf dem formalen Treffen der Innenminister beschlossen würde. Möglich sind etwa der nach wie vor geplante Ausbau des SIS II oder aber ein Umschwenken auf ein dezentrales System, das auf dem alten SIS aufbaut.

Ebenfalls auf der Agenda steht ein Bericht über die für dieses Jahr geplante Inbetriebnahme der Visumsdatenbank VIS, ein Vorschlag zur Errichtungsanordnung des European Asylum Support Office auf Malta sowie der schrittweise Aufbau eines "Netzwerks von Migrationsverbindungsbeamten" ("immigration liaison officers network"). Für Juni ist die endgültige Verabschiedung des Europäischen Pakts zu Einwanderung und Asyl geplant. Dieser unter französischem EU-Vorsitz 2008 unterzeichnete Vertrag zielt auf eine strengere Kontrolle von Migrationsströmen und war vom Einwanderungsminister Brice Hortefeux zuvor mit den Mitgliedsstaaten ausgehandelt worden.

Dutzende Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen aus Spanien haben diese Woche einen Aufruf gegen die Vorhaben der spanischen Präsidentschaft veröffentlicht. Unterstützt von Gruppen aus anderen europäischen und lateinamerikanischen Ländern kritisiert der Kreis aus Erstaufrufern das "neoliberale Projekt" EU als antidemokratisch und den Interessen multinationaler Konzerne unterworfen. Kritisiert wird das Zustandekommen des Lissabon-Vertrags und eine "flexicurity"-Doktrin. Die 2008 beschlossene Rückführungsrichtlinie für Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsgenehmigung wird als "Richtlinie der Schande" bezeichnet. Die Organisatoren planen mehre alternative Foren anlässlich verschiedener Ministertreffen. Im Mai soll es zwei größere Demonstrationen geben, protestiert wird im Mai gegen den EU-Lateinamerika-Gipfel und den EU-USA-Gipfel.

Fraglich, ob sich dadurch Vorhaben wie die Übermittlung von Daten aus Finanztransfers oder Fluggastdaten verhindern lassen. Es fehlt immer noch an einer übergreifenden europäischen Bürgerrechtsbewegung, die nicht auf die Rhetorik von Sicherheit und Freiheit hereinfällt.