Neues Futter für den Provokanten-Stadl

Ob "Konterrevolution" oder "Das beste Leben der Welt": Das Magazin ohne Fakten

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Ein Popanz ist eine nicht ganz ernst zu nehmende Schreckgestalt und mit dieser belästigte das jüngste Magazin der Süddeutschen Zeitung seine Leser. "Die Konterrevolution" ist in roten Lettern auf der Titelseite zu lesen und ein Foto zeigt zwei etwas blasiert und nicht richtig sympathisch wirkende Jungspunde, adrett gekleidet. Im Heftinneren dann noch mehr derartige Farbfotografien von wohlgekleideten und pomadisierten jungen Männern und Frauen und das Ganze soll leicht provozierend wirken. Denn: Adelsspross Karl Theodor zu Guttenberg und seine Nobel-Klamotten sind nun das Stil-Vorbild für "Deutschlands Jugend", heißt es. Irgendeinen realen Gehalt, außer den Fotos und ihrer Bildunterschriften mit den Namen, hat die Geschichte freilich nicht.

Titelseite des SZ-Magazins 2/2010

Das muss in einem Magazin, in dem einst ein gewisser Tom Kummer als "Borderline-Journalist" erfundene Interviews veröffentlichen konnte, zunächst nicht verwundern. Andererseits ist das Fiktionale und Konstruierte dieser Foto-Strecke, die "altlinke Eltern schockt", auch wenn man sie nicht ernst nehmen muss und wohl auch nicht wirklich soll, irgendwie schon symptomatisch für das Zeitalter des "Postjournalismus". Dies ist gekennzeichnet durch Artikel, bei denen eine Art Organentnahme vorgenommen wurde. Wir sehen zwar noch die äußere Hülle eines journalistischen Textes vor uns, aber es fehlt quasi das schlagende Herz. Derartigen Artikeln mangelt es an einem wesentlichen Moment, es fehlt die Anbindung an das grundlegende Lebensprinzip des Journalismus, eine kritische Ernsthaftigkeit. Sie wurde in Deutschland vor ungefähr zehn Jahren eingetauscht gegen eine benommen machende Beliebigkeit.

Früher war der publizistische Ort für Geschichten, die sich selbst, die Politik und die Leser ernst nahmen und dabei noch etwas Reales über die Gesellschaft zu sagen hatten, zum Beispiel die Tiefdruckbeilage "Bilder und Zeiten" der FAZ. Sie wurde 2001 eingestellt, ebenso wie die "Zeit und Bild" der Frankfurter Rundschau und die "Geistige Welt" der Welt. 2002 wurde auch die Wochenendbeilage der SZ einem Relaunch unterzogen.

Als Ökonomisierung des Feuilletons bezeichnete dann 2004 der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl diese Entwicklung, die mit einer Boulevardisierung und dem Vormarsch von Lifestyle und Lebensberatung verbunden ist. Es hatte den Anschein, dass die journalistische Reportage und das Räsonnement einem geistigen Relaunch zum Opfer fielen, bei dem die Bespaßung des Lesepublikums im Vordergrund stand. Die Gesellschafts- und Zeitdiagnose wurde ersetzt durch immer kleiner und mundgerechter werdende Häppchen, eine Art politischer Fingerfood, kalorienreich, aber ohne wirklich geistigen Nährwert.

Die postjournalistische Publizistik spiegelt sich in der postkontroversen Politik

Nun ist die Versuchung groß, das Feld der Publizistik mit dem Feld der Politik zu vergleichen und Homologien festzustellen. Also die Abwesenheit von ernsthafter Zuwendung, die ja auch satirisch daherkommen kann, in postjournalistischen Artikeln in Beziehung zu setzen mit der Abwesenheit von Leidenschaft in der Politik. Leidenschaft als Hingabe an eine Sache ist neben Verantwortungsgefühl und Augenmaß jene Qualität, die laut dem Soziologen Max Weber den Berufspolitiker auszeichnen sollte.

Dieser "Qualitäts"-Schwund in der Politik lässt sich ähnlich dem Schwund an Ernsthaftigkeit in der Publizistik beziehungsweise dem Verschwinden von Beilagen wie "Bilder und Zeiten" um das Jahr 2000 herum datieren und zum Beispiel mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder verbinden. Denn das wirklich große Projekt von Schröder hieß nicht Hartz IV, sondern Gerhard Schröder. Der Einzug in das Bundeskanzleramt, an dessen Gitter-Stäben er vormals gerüttelt hatte, war die Erfüllung eines persönlichen Projektes. Die Politik war eigentlich diesem Zweck untergeordnet und verlor für Schröder nach Erreichen der Zielvorgabe ihren Sinn – er tauschte sie dann auch ohne Probleme für einen Beraterposten in der Wirtschaft ein.

Dieser Drehtüreffekt, dass Politiker in die Wirtschaft wechseln und manchmal auch umgekehrt, ist mittlerweile zur gängigen Praxis geworden. Der Ökonomisierung der Publizistik steht die Ökonomisierung der Politik gegenüber. Doch leidenschaftliche Politik im Sinne Max Webers verträgt sich nicht mit Stellungswechseln, bei denen nun die Leidenschaft von Energiekonzernen oder Mars-Riegel-Herstellern absorbiert und bezahlt werden. Ein Willy Brandt als Handlungsreisender für einen Getränkekonzern ist nicht so richtig vorstellbar, auch wenn er sich gerne einen Cognac hinter die Binde goss.

So steht einer postjournalistischen und im Grunde hohlen Publizistik eine postkontroverse Politik gegenüber, die jahrelang mit ihrer neoliberalen Formel "Es-gibt-keine Alternative" die Demokratie im Grunde überflüssig machte. Denn wo es keine Alternative gibt, braucht es auch keine Wahl. Die Demokratie wird hohl.

Und es ist wieder das Verdienst des Magazins der "Süddeutschen", diese markanten Phänomene beider Felder zu dokumentieren. Dem kleinen Provokanten-Riegel der angeblichen Guttenberg-Epigonen vorangestellt ist ein weiteres kleines publizistisches Reizzäpfchen, diesmal geht es um die Generation der um 1950 in Westdeutschland geborenen. "Nie Krieg, nie Armut, nie Sorgen" soll diese privilegierte Generation erlebt haben, aber wir erleben zumindest in der Überschrift erneut die Abwesenheit jeglicher empirischen Evidenz zum Zwecke der billigen Provokation. Im Text wird es ein wenig differenzierter, aber auch hier lernen wir: "Jede Regierung hätte tun müssen, was die rot-grüne getan hat." Die Begründungen dafür bleiben auf dem Niveau der unteren Bildzeitungs-Schubladen ("Mauer weg, Kommunismus weg, Internet da, eine Milliarde Chinesen da plus einer Milliarde Inder") und ohne jedwede argumentative Beweisführung. Doch zeigt sich an diesem Magazin-Beitrag kongenial, wie fügsam sich die Hülsen des Postjournalismus um die Hülsen des ökonomisierten Politikbetriebes legen und so neues Futter für den publizistischen Aufreger- und Provokanten-Stadl entstehen kann.