Italienische Gebirgsjäger nach Haiti

Neben Afghanistan probt die EU nun in Haiti den Einsatz der paramilitärischen Europäischen Gendamerietruppe im Ausland

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In der Chinotto-Kaserne in Vicenza packen italienische Carabinieri ihre Koffer, um womöglich im Rahmen einer EU-Mission der Europäischen Gendarmerietruppe EUROGENDFOR nach Haiti aufzubrechen. Italien schickt den neuen Flugzeugträger "Cavour". Die Regierung hat den Vorsitz der EUROGENDFOR, die seit kurzem auch in Afghanistan im Einsatz ist, dieses Jahr von Frankreich übernommen. Der Einsatz dürfte ein Musterbeispiel für den Einsatz europäischer Polizei unter Militärkommando (Peacekeeping mit Gummiknüppel und Tränengas) im EU-Ausland werden.

Der UN-Sicherheitsrat hat einstimmig beschlossen, weitere 2.000 Soldaten und 1.500 Polizisten nach Haiti zu schicken. Gemäß Alain Le Roy, Leiter der UN-Friedensmissionen, soll damit die Sicherheit von Hilfskonvois und Lebensmittellieferungen gewährleistet werden. Sollte sich die Lage verschlechtern, wäre damit eine "Reservetruppe" vor Ort. Damit befinden sich bald rund 9.000 Soldaten und Polizisten in Haiti. Die USA wollen ihre Truppen auf 12.000 Soldaten aufstocken, unter ihnen Fallschirmjäger und Marineinfanteristen. Sofort nach dem Beben hatte das US-Militär Global-Hawk-Aufklärungsdrohnen nach Haiti gesteuert. Nach den USA ist Italien zweitgrößter Bereitsteller von Truppen. Einen weiteren großen Teil will Brasilien entsenden, das sein Kontingent verdoppeln will. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat bereits Forderungen nach Erhöhung der Kontingente vorgetragen.

Laut dem französischen UNO-Botschafter Gerard Araud werden die Polizisten weitestgehend von der EU gestellt. Ihr Einsatz wird vermutlich unter der Ägide der Europäischen Gendarmerietruppe EUROGENDFOR abgewickelt, deren Hauptsitz im italienischen Vicenza liegt. Eine Entscheidung darüber will die EU-Außenministerin Catherine Ashton vermutlich am 25. Januar treffen. Die EUROGENDFOR besteht aus Polizeitruppen jener EU-Mitgliedsstaaten, die paramilitärische, also dem Verteidigungsministerium unterstellte Polizeitruppen unterhalten: Italien, Frankreich, Spanien, Rumänien, Niederlande und Portugal. Der Vorschlag zu ihrer Intervention kam von Frankreich.

Italien spekuliert darauf, einen etwaigen EUROGENDFOR-Einsatz zu koordinieren und entsendet 185 Carabinieri, die in den kommenden Tagen nach Haiti eingeflogen werden. Die italienischen Militärs reisen indes mit dem neuen Flugzeugträger "Cavour", der in rund 10 Tagen in Port-au-Prince eintreffen soll. "Ich denke, für eine Jungfernfahrt ist das ein wirklich toller Einsatz", freut sich der Kommandant der "Cavour". An Bord sind 1.000 Militärs, Ärzte, Rotkreuzhelfer und eine "Vorhut" von Polizisten. Die Truppen waren vorgestern von Verteidigungsminister La Russa mit einem militärischen Ritual verabschiedet worden. Unter ihnen befinden sich rund 100 Gebirgsjäger, die auch bei der Handhabung der Proteste gegen den G8-Gipfel in L' Aquila im Einsatz waren (G8-Gipfel mit Drohnen und Datenbanken gesichert) und regelmäßig in italienischen Städten "patrouillieren".

Laut La Russa werden "über 90% der Kosten für die humanitäre Mission Italiens in Haiti von den Unternehmen Finmeccanica, Fincantieri, Eni" getragen. Hinzu kämen "weitere, die mit den Streitkräften arbeiten und zum Bau des Flugzeugträgers beigetragen haben". Die Gesamtkosten der Mission seien derzeit nicht vorauszusehen. Quantifiziert würde jedoch der Tageskostensatz, der je nach dem, ob das Schiff vor Anker liegt oder fährt, zwischen 100.000 und 200.000 Euro täglich variieren.

Berlusconi hat den Zivilschutzchef Guido Bertolaso nach Haiti geschickt, um die Maßnahmen der Regierung zu koordinieren. Bertolaso war beim G8-Gipfel von Anwohnern der Erdbebenregion heftig für die Militarisierung der Region und die militärische Organisierung der Zeltstädte kritisiert worden. In einem Interview betonte Bertolaso, auch in Haiti hätte man "vom ersten Moment an die Erfahrungen mit L' Aquila exportieren müssen". Er kündigt Zeltstädte nach Vorbild von L'Aquila an.

Italiens Rüstungsgigant Telespazio hatte diese Woche zusammen mit dem US-Unternehmen Lockheed Martin den Zuschlag zu einem Vertrag erhalten, nach dem Satelliten-Aufklärungsdaten für die "Nationale Agentur für Geographische Aufklärung" (NGA) der USA zur Verfügung gestellt werden sollen. Die italienischen Satelliten von COSMO-SkyMed lieferten bereits am 14. Januar hochauflösende Bilder von Port-au-Prince.

Polizeiliche EU-Auslandseinsätze auch in Bosnien und Afganistan

Über die genaue Rolle der EUROGENDFOR in Haiti herrscht Unklarheit, sie dürfte sich jedoch an den Auslandsmissionen der Carabinieri orientieren, die zur Ausarbeitung des Konzepts der "Multinational Special Units" (MSU) geführt haben.

Zu den Aufgaben der mit der NATO entwickelten MSU gehören nachrichtendienstliche Aufklärung, Gerichtsvollzug, Überwachung und alle Aufgaben zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung". Der Chef der UNO-Mission auf Haiti, Edmond Mulet, gibt indes Entwarnung, die allgemeine Lage sei stabil, die Situation unter Kontrolle. Er zeigt Verständnis für einzelne Lebensmittelaneignungen aus zusammengestürzten Supermärkten.

Am 1. Januar hatte Italien von Frankreich die Jahrespräsidentschaft des "Interministerellen Kommitee Hohen Grades" (CIMIN) übernommen. Das CIMIN ist das politisch-militärische Organ zur Steuerung der EUROGENDFOR, die unter der Schirmherrschaft von NATO, UNO, OSZE oder EU oder in aus unterschiedlichen Ländern konstituierten Koalitionen intervenieren kann.

Die EUROGENDFOR wurde am 8. Oktober 2003 von den Verteidigungsministern Italiens und Frankreichs (Françoise Alliot Marie und Antonio Martino) bei einem informellen Treffen beschlossen und am 17. Dezember 2004 von den Verteidigungsministern der zunächst fünf Mitgliedsstaaten in Nordwijk (Holland) besiegelt. Am 18. Oktober 2007 wurde der Vertrag in Velsen (Holland) in ein internationales Abkommen überführt, ein Jahr später folgte die Aufnahme der Jandarmeria Rumäniens. Die Türkei, Polen und Litauen haben Beobachterstatus. Das Hauptquartier ist eine Kaserne der Carabinieri in Vicenza, wo auch die Polizeiakademie der EUROGENDFOR "Excellence Center der Stability Police Units" (COESPU) angesiedelt ist. Erster Einsatz der EUROGENDFOR war die Operation "EUFOR Althea" in Bosnien-Herzegowina.

Seit Dezember letzten Jahres ist die Truppe, geführt von Kommandant Jorge Manuel Garpar Esteves, im Rahmen der "NATO Training Mission" (NTM) in Afghanistan stationiert. Der Beschluss zur Entsendung der 200 Paramilitärs wurde im Mai vom CIMIN getroffen. Offizieller Beginn der Mission, an deren Zeremonie auch der afghanische Innenminister Haneef Atmar teilnahm, war am Heiligabend im Stützpunkt Camp Eggers.

"Unser Beitrag betrifft drei Arten von Tätigkeiten", erklärt Esteves. "Wir liefern dem Missionshauptquartier in Kabul Experten, wir trainieren die afghanische Polizei und wir entsenden Verbindungsteams zwischen dem ausbildenden und dem operativen Teil in den verschiedenen Provinzen. Es ist klar, dass unter diesen drei Aufgaben die zweite die wichtigste ist". Die Ausbildung erfolgt in Trainingszentren in Asdrakan (Bezirk der Provinz Herat an der Grenze zu Iran) und Masar-e Scharif (die im Norden des Landes gelegene viertgrößte Stadt Afghanistans). Neben Italien sind Frankreich, Spanien und Portugal an der Mission beteiligt. Polen und Litauen haben angekündigt, bald hinzustoßen zu wollen.