"Aus anthropologischer Sicht nichts anderes als Regenzauber"

Stefan Stroschneider über das deutsche Sicherheitsforschungsprogramm, Terahertz-Scanner und das Paradox der Sicherheitswahrnehmung

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Vom Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung erfuhr die breite Öffentlichkeit erst, als die Presse den Terahertz-Scanner entdeckte, der für die Personenkontrolle an Flughäfen eingesetzt werden soll, und ihn als "Nacktscanner" skandalisierte. Das Gerät ist aber nur ein Aspekt des Förderprogramms. Federführend ist das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF). Das Ziel ist, "durch die Entwicklung innovativer Lösungen die zivile Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen". Zu diesem Zweck werden unter anderem Systeme zur Identifizierung entwickelt, um kritische Infrastrukturen durch Zugangskontrollen abzusichern, oder "robuste" Kommunikationssysteme. Dabei geht es nicht zuletzt um Wirtschaftsförderung.

Das Programm ist Teil der sogenannten Hightech-Strategie der Regierung, mit der "Zukunftstechnologien" in Deutschland gestärkt werden soll. Zur Unterstützung des "Innovationsfelds Sicherheitstechnologie" sind bis zum Jahr 2013 insgesamt 123 Millionen Euro vorgesehen. Einsatzszenarien sind unter anderem ein Ausfall der Energieversorgung oder die "Sicherstellung der Internetverfügbarkeit"; technologisch liegt der Schwerpunkt auf Sensorik, Optik und Mikrosystemtechnik. Allerdings betont das BMBF, es gehe nicht nur um Hightech:

Das Sicherheitsforschungsprogramm ist kein reines Technologieprogramm. Innovation meint nicht nur technische Neuerungen, sondern beinhaltet auch innovative organisatorische Konzepte und Handlungsstrategien.

BMBF

Stefan Strohschneider von der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist einer der Sozialwissenschaftler, die am deutschen Sicherheitsforschungsprogramm beteiligt sind. Der Psychologe und Kulturforscher betont, dass die Technisierung von Kontroll- und Überwachungsaufgaben unerwartete und unerwünschte Effekte haben kann.

Herr Strohscheider, Sie beteiligen sich am Sicherungsforschungsprogramm der Bundesregierung. Was für einen Beitrag können Psychologie oder Kulturwissenschaft leisten, um "Sicherheitslösungen" zu entwickeln?

Stefan Strohschneider: Die Ministerin Annette Schavan hat betont, dass es keine technischen Entwicklungen im Sicherheitsbereich geben darf, die nicht von den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften mit gesteuert werden. Der Anspruch ist, dass man in diesem Bereich die Technik nicht frei laufen lässt, sondern an die enge Leine nimmt. Es geht also nicht um Begleitforschung im herkömmlichen Sinne. Die Gremien im Ministerium, die das Programm umsetzen, nehmen diese Forderung der Ministerin sehr ernst.

Ich bin mit meiner Gruppe an zwei Projekten beteiligt. Bei Orgamir in der Programmlinie Schutz von Verkehrsinfrastrukturen sollen Rettungseinsätze in U-Bahnhöfen und -tunneln verbessert werden. Unsere Aufgabe ist eine Art Bruchstellenanalyse des Rettungseinsatzes: Welche Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sind betroffen, wie arbeiten sie zusammen, wie kommunizieren sie miteinander, welche kulturellen Hintergründe haben die jeweiligen Organisationen, aber vor allem: Warum klappt die Zusammenarbeit fast nie reibungsfrei?

Das andere Projekt heißt Speed Up in der Programmlinie Schutz und Rettung von Menschenleben. Das Szenario ist eine Großschadenslage mit einem Massenanfall von Verletzten. Stellen Sie sich ein Schneetreiben auf der Autobahn vor, eine Massencarambolage. Hunderte Autos fahren ineinander, viele Verletzte, wegen des Schnees kommen die Rettungswagen nicht hin, die Hubschrauber können nicht fliegen, großes Chaos ...

In solchen Situationen besteht eines der Probleme darin, dass Menschen, die unter Schock stehen und eigentlich medizinischer Betreuung bedürften, sich einfach auf den Weg machen. Die Rettungsdienste wissen von nichts, die Angehörigen sind panisch und drei Stunden später tauchen sie dann halb unterkühlt zuhause auf. Bei Speed Up wollen wir Informations- und Ortungssysteme entwickeln, mit denen die Einsatzkräfte beispielsweise verfolgen können, wo die Verletzten sind, wer sich um sie kümmert und in welche Krankenhäuser sie eingeliefert worden sind. Dazu wird eine sehr komplexe, sich selbst organisierende Technik eingesetzt werden, die mit kleinen Handhelds realisiert werden soll. Auch da ist unsere Aufgabe, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationen zu strukturieren und darauf zu achten, dass die technischen Lösungen mit den Gewohnheiten und Anforderungen der Dienste kompatibel sind.

Aber wo ist da die psychologische oder kulturelle Problematik?

QA: Bleiben wir ruhig bei dem Beispiel des Massenauffahrunfalls. Da sind dann also "die Roten", "die Grünen" und "die Weißen" damit beschäftigt, diese Lage aufzuklären und den Menschen zu helfen (sprich: Feuerwehr, Polizei und Sanitäter; MB). Aus der Perspektive der Techniker mit ganz viel Hard- und Software-Erfahrung sind die Anforderungen, dass das System Verletzte orten, diese Informationen an eine Leitstelle weitergibt und am besten noch die wesentlichen Vitaldaten der Verletzten übermitteln kann. Dieses technische Problem kann gelöst werden, wenn man über die jeweiligen Informationssysteme der beteiligten BOS eine Schnittstelle definiert, von der die Daten verteilt und aufbereitet werden, so dass die verschiedenen Dienste mit ihnen arbeiten können.

Ein Psychologe oder Anthropologe schaut sich erst einmal ein paar Übungen an, so wie wir das getan haben, und stellt dann fest, dass das, was jeder einzelne Dienst für sich sehr gut kann, in der größeren Zusammenarbeit überhaupt nicht mehr funktioniert – und zwar ganz egal, ob die Einsatzkräfte ein gemeinsames Informationssystem haben oder nicht. Man kann beispielsweise beobachten, dass Feuerwehrleute Verletzte nur in bestimmte Rettungswagen legen und nicht in die des Konkurrenzdienstes. Man kann erleben, wie sie sich von der Polizei abgrenzen und "dicht machen", sobald "die Grünen" in die Nähe kommen.

Die Feuerwehrleute haben ein Selbstbild, nach dem sie für Schutz und Rettung verantwortlich sind, während die Polizei angeblich nur daran interessiert ist, Beweismittel zu sichern und Verdächtige festzunehmen. Solche Selbst- und Fremdstereotypen finden sich überall. Wir müssen lernen, wo sie herkommen, welche Traditionen die verschiedenen Dienste haben – und dann sind Sie bei einer klassischen Kulturanalyse: Was sind die impliziten und expliziten Routinen, die man lernen muss, um in einem solchen Dienst als vollwertiges Mitglied anerkannt zu werden? Welche Rolle spielt Corps-Geist? Warum ist er nötig? Ich sehe die wesentliche Aufgabe darin, bei unseren technischen Projektpartner überhaupt erst einmal Verständnis dafür zu wecken, wie komplex eine scheinbar rein technische Aufgabe eigentlich ist. Das bedeutet auch darauf hinzuweisen, wo die Grenzen der Veränderung durch neue Technik liegen.

Es gehört nicht zur Tradition der Techniker, sich Gedanken über die Nutzer zu machen

Treffen da Welten aufeinander, wenn Ingenieure mit Kulturwissenschaftlern zusammenarbeiten sollen?

Stefan Strohschneider: Jedenfalls liegen die Denkwelten der Ingenieure und die der Anwender oft weiter auseinander als die von Ingenieuren und Kultur- und Verhaltenswissenschaftlern. Es gehört eben nicht zur Tradition der Techniker, sich Gedanken über die Nutzer zu machen. Im Rahmen eines Projekts über Informationssysteme, die auf Schiffsbrücken eingesetzt werden, haben wir eine Reihe von Experteninterviews mit Ingenieuren geführt, die Nutzeroberflächen z.B. für die Radargeräte und elektronischen Seekarten gestalten. Wir haben die Entwickler gefragt, was sie eigentlich für Vorstellungen über die Kapitäne haben, die später mit ihren Geräten durch die Gegend fahren. Die Antworten waren in einigen Fällen geradezu atemberaubend hanebüchen. Die Vorstellungen einiger Entwickler hatten mit dem Selbstbild, mit den Erfahrungen und Anforderungen der Praktiker nichts zu tun.

Rechtliche Vorschriften, ästhetische Argumente, die Konkurrenz, die demnächst mit einem neuen Gimmick auf den Markt kommen könnte - das sind für viele Projektleiter, die den Ingenieuren schließlich sagen, was sie zu tun haben, Aspekte, die viel wichtiger sind als irgendeine wie auch immer geartete Anwenderperspektive oder gar eine gesellschaftlich-ethische Perspektive.

Ich habe den Eindruck, dass das Sicherheitsforschungsprogramm stark technisch dominiert ist - Sie sehen das offenbar anders.

Stefan Strohschneider: Was die Fördersummen insgesamt angeht, ist das sicher richtig. Allerdings liegt das vor allem daran, dass in vielen Projekten ganz erhebliche Summen für den Kauf von Hard- oder Software aufgewendet werden müssen. Für die Verteilung des wissenschaftlichen Personals stimmt es nicht.

Sie betonen die Rolle des berühmten "Human Factor". Wann ist die Technisierung von Sicherheits- und Überwachungsaufgaben kontraproduktiv?

Stefan Strohschneider: Die erste Frage ist – kontraproduktiv für wen? An der Debatte über den Terahertz-Scanner wird das sehr deutlich. Diejenigen, die in unserer Gesellschaft Überwachungsaufgaben übernehmen und mit solchen Geräten arbeiten müssen, definieren ihre Aufgaben nicht selbst. Das Grundproblem ist doch, dass hier Menschen für 7 Euro 51 Cent in der Stunde Sicherheit herstellen sollen. Sie sind nicht richtig ausgebildet und oft nicht besonders motiviert.

Ein Berufsfeuerwehrmann oder eine Berufsfeuerwehrfrau hat eine anspruchsvolle Ausbildung durchlaufen und ist Mitglied einer sozialen Gemeinschaft mit einer ausgeprägten professionellen Identität. Solche Nutzer haben sehr genaue Vorstellungen darüber, welche Geräte sie möglicherweise benötigen könnten. Gepäckkontrolleure an den Flughäfen haben keinerlei Möglichkeiten, aus ihrer Ausbildung, Bezahlung oder Gruppenzugehörigkeit heraus irgendeine Art von Identität oder Professionalität zu entwickeln. Wie gehen sie psychisch mit einer Situation um, in der sie unterbezahlt und gelangweilt und gleichzeitig überfordert sind?

Sie können schon aus psychohygienischen Gründen gar nicht ihre gesamte Aufmerksamkeit ihrer Aufgabe zuwenden. Sie tagträumen und driften weg, sie beschäftigen sich gedanklich mit anderen Dingen. Sie achten darauf, dass bei der Arbeit wenigsten ihr Bedürfnis nach sozialen Kontakten befriedigt wird. Man kann als Fluggast in der Warteschlange ja schön beobachten, worauf die Leute wirklich achten – nicht auf uns, sondern auf einander. Ihnen immer elaboriertere Technik an die Hand zu geben, ändert an dieser Situation überhaupt nichts. Aus der Human Factor-Perspektive ist der Terahertz-Scanner irrelevant.

Die ethischen und gesellschaftlichen Probleme sind damit natürlich nicht angesprochen. Aus dem Bereich der Videoüberwachung in Parkhäusern wissen wir, dass die Anwender, die stundenlang schwarz-weiß verpixelte Monitore betrachten müssen, alle irgendwie interessanten Szenen archivieren. Unter Parkhauswächtern kursieren dann Best-of-CDs, auf denen man dann die tollsten Kussszenen anschauen kann. Der Terahertz-Scanner wird solchen Praktiken eine neue Dimension hinzufügen.

Technik senkt die Aufmerksamkeit

Sie warnen davor, dass der Einsatz von Technik bei den Nutzern zu complacency, führen kann, einer Art Selbstzufriedenheit.

Stefan Strohschneider: Ich übersetze complacency als wohlig-zufriedenes Zurücklehnen im Vertrauen darauf, dass die Technik die Probleme schon regeln wird. Wenn den menschlichen Entscheidern durch elektronische Entscheidungsunterstützungssysteme die Arbeit abgenommen wird, haben sie im Routinefall nichts zu tun, außer die Anlage zu überwachen. Wenn dann doch einmal etwas geschieht, sind sie überrascht und in der Regel überfordert weil die Kompetenzen, die nötig sind, um mit ungewohnten Situationen konstruktiv umzugehen, langfristig verkümmert sind. Wir müssen mehr auf die Menschen schauen, die Sicherheit tatsächlich herstellen.

Ein Beispiel: Im englischen Kanal gab es einen sehr dichten Funkverkehr, weshalb wichtige Informationen an die Lotsen verloren gingen. Also wurden Automatische Identifizierungssysteme (AIS) eingeführt, die von Schiff zu Schiff Name, Größe und Geschwindigkeit, Kurs, Heimathafen und andere Informationen übermitteln. Die Funkkanäle sollten für die wirklich wichtigen Mitteilungen frei gehalten werden. Der Effekt der AIS war der gegenteilige. Es gab wesentlich mehr Funkverkehr, der jetzt aber vor allem aus Privatgesprächen bestand. Erklären lässt sich das aus der psychischen Situation der Nautiker. Ihre Schiffe werden weitgehend automatisch gesteuert. Sie müssen nicht einmal mehr funken. Aber gleichzeitig sind sie übermüdet und müssen für ihre Überwachungstätigkeit wach bleiben. Mit dem Handy zuhause anrufen geht nicht – also bleibt wenigstens der small talk mit den Kollegen auf den anderen Schiffen.

Überwachungstechnik allein steigert nicht die tatsächliche Sicherheit

Welchen Effizienzgewinn bei der Herstellung von Sicherheit bringt denn eine Überwachungstechnik, wenn sie in einem solchen Kontext eingesetzt wird?

Stefan Strohschneider: In vielen Fällen: keinen. Hier muss man etwas differenzieren: Es gibt deutlich "untertechnisierte" Bereiche, die Seefahrt gehörte bis vor einigen Jahren dazu, manche Bereiche im Rettungsdienst oder bei der Bahn sind es heute noch in denen man durch Technisierungsstrategien begründet Effizienzgewinne erhoffen darf. Aber das entwickelt sich asymptotisch und in der Luftfahrt z.B. dürfte die Asymptote ihren oberen Grenzwert bereits fast erreicht haben.

Die Kriminologen wissen ohnehin, dass Überwachungstechnik allein die tatsächliche Sicherheit nicht steigert. Anders ist es mit der Sicherheitswahrnehmung. Wenn wir über Effizienzsteigerungen bei der Sicherheit sprechen, müssen wir unterscheiden zwischen dem tatsächlichen Schadenseintrittsrisiko – das im Flugverkehr ohnehin sehr gering ist – und der Sicherheitswahrnehmung in der Öffentlichkeit. So unangenehm es ist, aus anthropologischer Sicht sind sicherheitstechnische Innovationen in vielen Fällen nichts anderes als Regenzauber.

Es ist auch legitim – und wichtig - zu fragen, woraus sich das subjektive Sicherheitsgefühl speist, und den Bedürfnissen der Menschen entgegen zu kommen. Ich möchte schon, dass die Menschen gerne aus dem Haus und nachts durch den Park gehen und in Ruhe und Frieden nach Mallorca oder in die USA fliegen können. Aber ihre gefühlte Sicherheit hängt meiner Ansicht nach mehr von "menschenbezogenen Maßnahmen" ab, und die werden eher eingeschränkt. Die Polizei versucht bekanntlich, der Erosion des Sicherheitsgefühls entgegen zu wirken, in dem sie wieder den Schutzmann auf die Straße schickt. Nüchtern betrachtet stehen hinter den Technisierungsstrategien im Bereich der Sicherheit in vielen Fällen vor allem starke wirtschaftliche Interessen.

Detlef Nogala hat das einmal mit der Formel gefasst: "Technische Innovation als Lösung auf der Suche nach einem lukrativen Problem" - sprich: Die Technik ist da, jetzt schauen wir mal, was wir damit machen könnten. Sehen Sie das auch so?

Stefan Strohschneider: Diese Dynamik gibt es auf allen Ebenen. Beim BMBF weiß man allerdings mittlerweile, dass viele solcher Produktideen vollkommen an den Marktbedürfnissen vorbeigehen.

Um ihre Spürhunde zu testen, hat die slowakische Polizei Anfang Januar Sprengstoff in das Gepäck mehrerer Flugpassagiere geschmuggelt. Ein Passagier kam durch die Sicherheitskontrolle, flog nach Irland und wurde erst Tage später von der irischen Polizei aufgespürt. Tibor Mako, der Chef der slowakischen Grenz- und Fremdenpolizei, erklärte das mit dem Satz: "Ein fataler Fehler eines konkreten Polizisten, der die volle Verantwortung dafür trägt."

In der Luftfahrt wurde dieses Argument früher auch sehr gerne bei Unfällen verwendet, man hat diese Rechtfertigungsstrategie als bad apple-theory bezeichnet: "Wir haben da einen wunderschönen Korb mit Äpfeln - nun war da eben ein schlechter darunter, na ja, da kann man nichts machen, den muss man wegschmeißen." Diese Theorie schützt vor den Risiken der Selbsterkenntnis, aber sie übersieht, dass individuelle Fehler immer Symptome für dahinter liegende Probleme sind. Es gilt also zu erklären, warum dieser Mensch einen solchen Fehler begangen hat, nicht darum, ihm die Schuld zu geben.

Meiner Meinung nach krankt die gegenwärtige Sicherheitsdebatte insgesamt daran, dass man den bereits geschehenen Ereignissen "hinterherschützt" und also die potentiellen Attentäter für dumm hält, die gewissermaßen nur an eine Kategorie von Anschlagszielen denken können. Ein intelligenter Attentäter wird sich kaum von immer mehr Sicherheitsmaßnahmen im Luftverkehr abschrecken lassen. Warum sollte sich ein intelligenter Terrorist immer nur Flugzeuge aussuchen? Es gibt so viele Bereiche in unserer Gesellschaft, die verletzbar sind und prinzipiell verletzbar bleiben müssen. Die Konzentration auf den Flugverkehr rührt meines Erachtens im Wesentlichen daher, dass man Rechtfertigungsstrategien für den um seine Sicherheit besorgten Bürger benötigt. Man kann sagen: "Wir tun unser Bestes!"

Sie sprechen von der "rituellen Wirkung" von Überwachungstechnik. Verbrauchen sich die technischen Symbole nicht auch? Eine Zeit lang steigt beispielsweise das subjektive Gefühl von Sicherheit durch Videokameras, aber nach einer Weile hat sich dieser Effekt abgenutzt.

Stefan Strohschneider: Aus psychologischer Perspektive bezeichnen wir das als "Habituation". Jede neue Sicherheitsmaßnahme wird wahrgenommen und freudig begrüßt, aber die Menschen gewöhnen sich sehr schnell an solche Veränderungen und der Effekt verraucht, wie wir aus der Arbeits- und Organisationspsychologie sehr genau wissen. Wir sprechen in der Forschung vom "Paradox der Sicherheitswahrnehmung": Je objektiv sicherer eine Gesellschaft ist, je geringer die tatsächliche statistische Schadenseintrittswahrscheinlichkeit, desto größer ist in der Regel die subjektive Unsicherheit.

Habituation ist dafür eine mögliche Erklärung. Man ist zwar objektiv ziemlich sicher, aber es gibt natürlich noch Luft nach oben. Also tut man noch mehr für die Sicherheit, dann noch mehr, aber je mehr man tut, desto schneller gewöhnen sich die Menschen an die Maßnahmen und nehmen sie letztlich kaum noch wahr. Die Dosis muss gesteigert werden.