"Absolute Sicherheit kann es nicht geben!"

Offener Brief an den Vorsitzenden des Bundestagsinnenausschusses Wolfgang Bosbach (CDU)

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Lieber Wolfgang Bosbach,

heute möchte ich Ihnen danken! Danken dafür, dass Sie sich seit Jahr und Tag heldenhaft für die Sicherheit im Innersten unseres Landes engagieren. Das ist wichtig, denn schließlich kümmert sich ja sonst kaum noch jemand um die Sicherheit: Ihr Namensvetter hat sich vom Innen- ins Finanzressort verdrückt, Frau von der Leyen kämpft nicht mehr für Internetsperren, sondern versucht, die Rätsel um Hartz IV zu lösen und ich fühl mich schon ganz schön unsicher. Da Sie also jetzt allein die Stellung halten müssen, vermitteln Ihnen womöglich meine Fragen Anregungen, um Ihre Mission noch besser erfüllen können.

Zu Ihren Lieblingsprojekten gehört aktuell der Ganzkörperscanner an Flughäfen. Den brauchen wir, so sagen Sie, um „Mindeststandards im internationalen Luftverkehr“ erfüllen zu können. Und jetzt das: Vor laufender ZDF-Kamera müssen Sie mit ansehen, wie irgendwelche Nasen - schwer bepackt mit "Thermit" und dem Zubehör, um das ganze Zeugs bei mehreren tausend Grad zum Brennen zu brennen zu bringen – einfach so durch das neue Wunderwerkzeug durchspazieren können, ohne dass die Kiste auch nur einen Mucks von sich gibt. Die Kritik am Sinn und Zweck des ganzen Spuks parieren Sie lässig: „Absolute Sicherheit kanns nicht geben!“ Und natürlich wenden Sie jetzt ein, dass das Material zumindest teilweise in der Jackentasche transportiert wurde. Die müsste am Flughafen ohnehin gesondert untersucht werden. Also lassen wir den Terroristen das gute Stück gedanklich ablegen und wenden uns weiteren Fragen zu.

Der (marginale) Zugewinn an Sicherheit soll ausschließlich Flughäfen zu Teil werden. Auch wenn Journalisten – Ihrer Meinung nach – noch so viele „dumme“ Fragen nach anderen Stätten der Begegnung stellen - etwa: Müssen wir dann nicht den Pilgern an Bahnhöfen, Fußballspielen und Pop-Konzerten ein ähnlich hohes Maß an (Un-)Sicherheit bieten? Nein – da sind Sie dann hartleibig – das müssen wir nicht; den ganzen Körper brauchen wir Ihrer Meinung nach nur am Flughafen zu scannen, der „Mindeststandards im internationalen Luftverkehr“ willen. Aha – und ich dachte ich noch, wir bräuchten die Dinger wegen der Sicherheit. Nein, was für ein alberner Gedanke: Wir brauchen die Millionen Steuergelder für die Mindeststandards. Aber das macht ja nix – schließlich wollen wir ja im Moment die Konjunktur ankurbeln und die Steuerermäßigung für die (Stunden-)Hoteliers hat bislang ja auch noch keine durchstoßende Wirkung erzielt.

Was unterscheidet den Passagier der Lufthansa von dem der Deutschen Bahn?

Was ich da aber immer noch nicht verstanden habe (bitte sehen Sie's mir nach – ich galt schon in der Schule als begriffsstutzig!): Was unterscheidet denn die internationale Luftfahrt von dem internationalen Bahnverkehr oder der internationalen Seeschifffahrt? Was unterscheidet den Passagier der Lufthansa von dem der Deutschen Bahn? Beide steigen am Frankfurter Flughafen ein und aus. Na vermutlich hängt es daran, dass „Mindeststandards“ nur bei so exotischen Fortbewegungsmitteln wie der Luftschifffahrt notwendig sind. Tatsächlich ist meines Wissens auch noch niemals ein Seeschiff sichtbar in einem Wolkenkratzer gelandet. Das wäre ja auch gegen alle Tradition.

Na gut, mittlerweile hat der potentielle Terrorist die Sicherheitskontrolle am Flughafen verlassen, befindet sich also im zollfreien Bereich. Selbstverständlich will er sich seiner Verpflichtung als Weltbürger im Diesseits und Teil der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der Wirtschaftskrise nicht entziehen und seiner Konsumverpflichtung nachkommen – zum Beispiel in der Flughafenapotheke "Metropolitan Pharmacy".

Denn schließlich muss er seine Vorräte an Thermit-Zutaten wieder auffrischen; die sind ja doch seit der Sicherheitskontrolle ein wenig dezimiert. Sicherheitshalber hat der Terrorist die Ware telefonisch vorbestellt - es könnte ja sein, dass das Zeugs auf Grund starker Nachfrage gerade mal vergriffen ist. Und die Mitarbeiter in der Apotheke sind wirklich sehr hilfsbereit! und fragen gern im Großhandel nach (Von wegen Servicwüste Deutschland!).

Sollte er sein Vorhaben aber kurzfristig umsetzen wollen, könnte er sein Ziel womöglich auch mit Hilfe von Rasierklingen, hochprozentigem Alkohol und Feuerzeugen erreichen. Diese Artikel sollten doch am Lager sein. - Solange der Terrorist derlei Utensilien in einem transparenten, versiegelten Beutel transportiert, ist das alles völlig in Ordnung.

Der Terrorist braucht diesen ganzen Firlefanz nicht mehr!

Zumindest solange, wie sich die Gewerkschaften von Polizei und Piloten nicht mit ihrer Verbotsforderung durchgesetzt haben. Ich kann selbstredend gut verstehen, dass Sie sich nicht in derart banalen Niederungen bewegen möchten: Rasierklingen! Wer wollte sich denn damit ablichten lassen, wenn alternativ die Möglichkeit besteht, sich mit so 'nem schicken, spektakulären Körperscanner in Szene zu setzen? Das hat nun keineswegs was mit Symbolpolitik zu tun, wie bösartige Zeitgenossen meinen, sondern dient ausschließlich der Sache. Und den Mindeststandards.

Jetzt aber kommt der absolut coole Oberknaller: Der Terrorist braucht diesen ganzen Firlefanz nicht mehr! Stattdessen kopiert er sich einfach einen Dienstausweis vom Sicherheitspersonal und marschiert souverän bis ins Flugzeug hinein ohne jemals auch nur eine Sicherheitskontrolle passieren zu müssen. Offenbar funktioniert das auf den Flughäfen Hamburg, Berlin-Tegel, Stuttgart, Dresden und Hannover. Besonders lecker: Die Verantwortlichen in den Flughäfen und beim Schweizer Softwareentwickler Legic wissen um die Lücke, wollen sie aber aus „Kostengründen“ nicht beheben. Oma Ilse in den Ganzkörperscanner, Terroristen ins Flugzeug – das nenn ich innovativen Bürokratieabbau! Das gibt ein Foto! Ein Flieger mit nem ganzen Tankwagen voll Giftgas platzt über Berlin. Da muß ich Ihnen ehrlich sagen: Da können Sie medial nicht gegen anstinken - weder mit Rasierklinge noch in einem Ganzkörperscanner.

Da erübrigt es sich - auch im Sinne der Mindeststandards - zu fragen, ob denn die Transportsysteme hierzulande schon mal einer systematischen Schwachstellenanalyse unterzogen wurden und was es kosten würde, die Schwachstellen zu beseitigen. So wäre es immerhin denkbar, dass Schüler Straßenbahnen zum Entgleisen bringen. Wie in Polen vor einem Jahr geschehen. Aber zumindest würden Sie sich weniger dem Verdacht aussetzen, Effekthascherei ginge Ihnen vor seriöser Sachpolitik.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Joachim Jakobs

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