Die Zukunft der Geothermie ist in der Diskussion

Forschungskraftwerk Soultz-sous-Forêt. Bild: Karl Urban, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

In Basel verunsichern schwache Erdbeben die Bevölkerung und stellen die Nutzung der Technik in urbanen Räumen in Frage. Ein Gegenbild entwirft das europäische Forschungskraftwerk in Soultz-sous-Forêt

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Ein milder Spätherbsttag Ende November. Die Straße ist gesäumt von elsässischen Dörfer mit viel Fachwerk. Fassaden sind in warmen Pastelltönen gehalten, so als könnten sie die kalte Jahreszeit damit abhalten. Der Winter aber wird kommen und dann will man es auch hier warm haben: Auf halbem Weg zwischen Straßburg und Mannheim liegt Soultz-sous-Forêt, eine ruhige Kleinstadt, die auf einem tiefen Schatz sitzt.

Zwischen malerischen Alleen, abgeernteten Feldern und noch immer saftigen Wiesen kommt man an einer unauffälligen Industrieanlage vorbei. Ein paar Container mit Büros und Vortragsraum, davor ein Wasserbecken und ein Bohrturm, mehr ein Baudenkmal als Zeichen aktiver Bohrarbeiten. Eine Rentnergruppe bekommt gerade Nachhilfe in Geologie.

Ab 1984 suchten Deutschland und Frankreich nach einem Standort für ein europäisches Vorzeigeprojekt. In Soultz-sous-Forêt waren schon mehrere Bohrungen zur Exploration von Öl und Gas niedergebracht worden. Warum also nicht die vorhandenen Löcher erweitern und zu einem geothermischen Kraftwerk ausbauen? Die Lage ist ideal: Soultz-sous-Forêt liegt inmitten des Oberrheingrabens, einer alten Grabenbruchzone. Vor 35 Millionen Jahren wurde Europa in die Breite gezogen. Hier verdünnte sich die Erdkruste besonders stark und Vulkane entstanden, die längst wieder erloschen sind. Bis heute ist die Erdkruste hier dünner als anderswo. Bohrt man im südlichen Rheingraben in die Tiefe, wird es schnell wärmer. Während die Temperatur sonst mit 3 °C pro hundert Meter Tiefe zunimmt, sind es hier 10 °C. Drei Bohrungen wurden auf 5.000 Meter niedergebracht. Sie fördern rund 170 °C heißes Wasser an die Oberfläche, wo es zur Stromerzeugung verwendet wird.

Die Rentnergruppe ist nun ausreichend vorbereitet. Alle steigen in den Bus, der nur wenige Minuten fahren muss. Ein Feldweg führt zu einem gesicherten Eisentor. Dahinter werden Helme ausgeteilt. Die sind Vorschrift, auch wenn hier nicht viel passieren kann.

"Die Verfahren der tiefen Geothermie lassen sich in zwei Bereiche gliedern", erklärt Pia Orywall, Geologin und zuständig für Geothermie bei der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), einem der Partnerunternehmen in Soultz-sous-Forêt.

Bei hydrothermalen Systemen hat man im Untergrund schon Thermalwasser, das gefördert werden kann. Für kristalline Felsgesteine sprechen wir wie in Soultz-sous-Forêt von Enhanced Geothermal Systems oder kurz EGS, früher auch als Hot Dry Rock bezeichnet. Hier werden die vorhandenen Klüfte im Untergrund durch chemische oder hydraulische Stimulation aufgeweitet und der unterirdische Zufluss verbessert.

Pia Orywall

In Soultz-sous-Forêt probierte man die EGS-Technik erstmals erfolgreich aus. Wasser wurde mit hohem Druck in die Bohrlöcher gepresst. Das Gestein wurde geschert, es bewegte sich also leicht gegeneinander entlang der aufgeweiteten Mikrorisse, die sich nun nicht mehr schließen konnten. So entstand ein gut drei Kubikkilometer großer künstlicher Wärmetauscher in 5.000 Metern Tiefe.

Korrosive Thermalwässer. Bild: Karl Urban, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Die behelmte Schar folgt Orywall zögerlich auf das Gelände. Das ist verblüffend klein. Auf einer Fläche nicht größer als ein Fußballfeld reihen sich Rohre, Ventile und noch höhere Aufbauten aneinander. Das Kraftwerk wirkt penibel gereinigt, kein Blatt liegt auf dem weißen Betonboden. Nur einige der Rohre sind erstaunlich verrostet. Thermalwasser enthält eine Vielzahl gelöster Minerale, mit denen man an der Oberfäche klarkommen muss. Während die Bohrtechnik zum Teil aus der Erdölindustrie übernommen wurde, ist die Förderung von tiefer Erdwärme ein anderes Unterfangen.

Rohrgeflechte in Soultz-sous-Forêt. Rote Leitungen sind heiß und transportieren das geförderte Thermalwasser zu Wärmetauschern. Bild: Karl Urban, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

"Die mineralhaltigen Wässer sind kein Problem, sondern eine Herausforderung. Man muss wissen, welche chemischen Bestandteile in gelöster Form vorliegen. Das ist vom geologischen Untergrund abhängig und somit von Kraftwerk zu Kraftwerk unterschiedlich", erläutert Orywall. Das betreffe vor allem die Pumpen, die das Thermalwasser an die Oberfläche bringen. "Es ist etwas anderes, ob man Thermalwasser fördert oder Erdöl."

Die technischen Herausforderung hat man in Soultz-sous-Forêt aber mittlerweile im Griff. Anfang 2010 geht die Anlage ans Netz und wird rund zwei Megawatt Leistungen einspeisen. Es ist das erste Geothermiekraftwerk mit menschgemachtem Wärmetauscher, das in den Normalbetrieb übergeht. Etliche vergleichbare Anlagen sind in Planung oder im Bau. Deren Betreiber werden auf die reichen Erfahrungen aus Soultz-sous-Forêt zurückgreifen können.

"Angst und Schrecken": Geothermie in Basel

Rund 200 Kilometer südlich liegt Basel, ebenso im Rheingraben. Im Großraum leben 700.000 Menschen, die Nutzung von Strom und Wärme aus der Tiefe drängt sich hier geradezu auf: Es gibt genügend Abnehmer. Das Tiefengestein ist genauso gut geeignet wie im Elsass. Aus diesem Grund entschied sich die Geopower AG mit Partnern aus Industrie und Verwaltung, in Basel-Kleinhüningen ein vergleichbares Kraftwerk zu errichten. Im Oktober 2006 erreichte man die Endtiefe von 5.000 Metern und begann mit der hydraulischen Stimulation. Wasser wurde mit Drücken von bis zu 300 bar verpresst. Klüfte im Gestein weiteten sich auf. An der Oberfläche war davon nicht viel zu merken. Die gewaltsame Öffnung von Rissen im Tiefengestein ließ die Erde von Magnituden kleiner zwei beben, unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle von Menschen und dem Gefährdungsbereich für Gebäude.

Auch am 6. Dezember 2006 geht man diesen Weg. An der Bohrstelle im Stadtbereich wird Wasser mit 190 bar in den Untergrund gedrückt. Ein Netz aus Seismometern zeichnet tausende Mikrobeben auf, wie erwünscht. Aus den Bebenherden will man später eine Karte der geöffneten Klüfte errechnen und daraus die Güte des entstehenden Wärmetauschers. In der Nacht kommt es zu einem Beben der Stärke 2,9, nur knapp unter der menschlichen Wahrnehmungsschwelle. Daraufhin wird der Injektionsdruck verringert, um schwerere Beben zu unterbinden.

Doch es kommt anders. Am Nachmittag des Folgetages geht ein lauter Knall durch Basel, gefolgt von einem Erdstoß der Magnitude 3,4 (Menschengemachtes Erdbeben bei Basel). Gläser klirren in den Schränken. In etlichen Gebäuden entstehen Risse. Geopower sieht sich gezwungen, sich zu entschuldigen. Man habe "Teile der Bevölkerung in Angst und Schrecken" versetzt, gibt der Verwaltungsratspräsident des Konsortiums Heinrich Schwendener in einer Pressekonferenz zwei Tage später zu.

Das Beben hatte für die Investoren des ehemaligen Vorzeigekraftwerks Basel unangenehme Auswirkungen. Zu dem Zeitpunkt waren bereits 56 Millionen Franken (38 Millionen Euro) in das Projekt investiert worden. Die Injektion von Wasser und die Arbeiten am Bohrloch wurden eingestellt, das teure Bohrgerät abgebaut. Die Weiterentwicklung bis hin zur Förderung von Erdwärme wurde aufgeschoben (Erdwärme auf Eis). Nach dem Schreck vom 7. Dezember 2006 wollte die Öffentlichkeit zuerst Antworten hören: Wie kam es zu dem Beben? Waren andere oder gar schwerere Beben denkbar? Immerhin war Basel seit dem Mittelalter mehrfach durch schwere Erdbeben erschüttert worden. Im Jahr 1356 ereignete sich hier das stärkste Beben Mitteleuropas in historischer Zeit. Könnte die Geothermie auch solche Ereignisse auslösen?

Es brauchte fast drei Jahre, die Fragen wissenschaftlich zu beantworten. Rund neun Millionen Franken (6 Millionen Euro) hatten Basler Hausbesitzer bis dahin an Schäden geltend gemacht, die von der Versicherung der Geopower AG übernommen wurden. Die Politik hatte eine Wiederaufnahme der Arbeiten an eine fundierte Risikoanalyse gekoppelt. Diese wurde im Dezember 2009 veröffentlicht und war vernichtend: Ein erhöhtes Risiko für weitere Beben in der Zukunft bestehe. Das schließe nicht nur die Stimulationsphase vor Förderungsbeginn ein, sondern auch die folgenden 30 Betriebsjahre des Kraftwerks. 14 bis 170 spürbare Beben mit Magnituden größer drei seien zu erwarten. Diese würden mit Schäden von sechs Millionen Franken im Jahr zu Buche schlagen. Ein solches Risiko wollte niemand mittragen – weder zuständige Behörden, noch Investoren.

Ignoranz trotz kalkulierbarem Risiko

Eine alternative Lesart der Risikoanalyse wird vom deutschen Bundesverband Geothermie vertreten. Er hebt hervor, dass die Schweizer Studie für die tiefe Geothermie sogar ermutigend sei. Sie schließe die Auslösung von stärkeren und für Menschen gefährliche Magnituden aus. Ein Beben wie das von 1356 könne durch Methoden der Geothermie in keinem Fall verursacht werden. Die Studienaussagen würden spezifisch für die Region Basel gelten. An kaum einem anderen Ort in Mitteleuropa ist die Erdbebengefahr so groß. Wenn in Basel keine schwereren Beben verursacht werden könnten, wo dann?

Menschen kommen im Basler Geothermiebeben nicht zu Schaden, das auf der Richter-Skala trotz seiner Spürbarkeit als schwach zu werten ist. Es gibt etliche anthropogene Erschütterungen im Bereich zwischen 3 und 4 Magnituden, die tagtäglich auf Gebäude einwirken. Menschgemachte Erdbeben werden durch vorbeifahrende Lastwagen und Busse verursacht, aber auch durch alte Bergbaustollen, Öl- und Gasförderung, Staudämme oder den Tunnelbau. In Tschechien und Polen gibt es heute mehr Erschütterungen durch alte Minen als durch natürliche Ursachen. Zusätzlich gibt es pro Jahr weltweit 50.000 natürliche Beben dieser Stärke, die in erdbebengefährdeten Regionen kaum noch zur Kenntnis genommen werden. Warum war der Aufschrei nach dem Basler Beben dann so laut?

"Wenn mehr als 200.000 Menschen etwas vom Beben spüren und man die Bandbreite der Möglichkeiten offenkundig nicht ausreichend kommuniziert, wird das Vertrauen strapaziert", sagt Professor Peter Huggenberger, Kantonsgeologe in Basel. Der Vertrauensaufbau zur lokalen Bevölkerung brauche viel Zeit. Man müsse aber auch gegenüber der Politik mit offenen Karten spielen. "Es war problematisch, dass die Entscheidungsträger eher zurückhaltend informiert wurden. Das heißt, sie hätten die Bandbreite an Möglichkeiten erfahren müssen, bevor sie entschieden haben."

Eben das sei nicht passiert. So hätten die meisten im Vorfeld beteiligten Schweizer Wissenschaftler gewusst, dass ein Risiko für spürbare Beben durch die Injektionsarbeiten bestünde. Doch auch die Wissenschaftler seien nicht gefeit gewesen vor positiven Illusionen. Peter Huggenberger, der in dieser Frage nur beratend auftreten durfte, fühlte sich in die Kassandra-Rolle gedrängt: "Es war für mich klar, dass wenn ich Erdbebenvorsorge betreiben sollte, ich nicht gleichzeitig auch Erdbeben entfachen kann."

Keine weiteren Fragen

Sommer 2003 im Elsass. Die Verpressarbeiten an der 5.000 Meter tiefen Bohrung haben begonnen. Wie drei Jahre später in Basel wird kaltes Wasser mit hohem Druck verpresst, um den Wärmetauscher zu erzeugen, der heute erfolgreich genutzt wird. Am späten Abend des 6. Juni 2003 geht ein tiefes Grollen durch Soultz-sous-Forêt. Auch in den Nachbarstädten Wissembourg und Haguenau schwankt der Boden. Die gemessene Magnitude liegt mit 3,0 nur knapp unterhalb der des Basler Bebens.

In Soultz-sous-Forêt sah sich dennoch niemand in die Kassandra-Rolle gedrängt. Durch die offene Informationspolitik der Betreiber wussten die Anwohner Bescheid über Chancen und Risiken der nahen Anlage. Nicht nur Rentnergruppen hatte man Vorträge angeboten und alle Fragen beantwortet, ohne die Bandbreite der möglichen Probleme zu verschweigen.

Pia Orywall: "Die Bevölkerung sollte über das geplante Geothermievorhaben aufgeklärt werden, bevor irgendwelche Aktivitäten am Bohrplatz durchgeführt werden. Sie muss darüber informiert werden, was passiert, wann es passiert und in welchem Maße." Man dürfe keinen Zweifel daran lassen, dass man nicht gegen die Interessen der Anwohner handele. "Hier kann jeder herkommen, das Kraftwerk besichtigen und er bekommt Vorträge." Es sei wichtig, dass man nicht erst aus den Medien über mögliche Aktivitäten und Risiken erfahre.

Der berechtigten Angst der Bewohner von Soultz-sous-Forêt wurde begegnet, indem man den Injektionsdruck dauerhaft verringerte.

Ohne EGS geht es nicht

Die tiefe Geothermie gehört zu den Hoffnungsträgern einer klimafreundlichen und ökologischen Energieversorgung. Bis 2020 soll der Anteil der regenerativen Energieträger laut deutscher Bundessregierung auf 20 Prozent des Strommixes ansteigen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien geht für das gleiche Jahr sogar von 47 Prozent aus. Wind- und Solarkraftwerke sind jedoch nur bedingt regelbar. Gemeinsam mit Biomasse- und Biogaskraftwerken könnte geothermisch erzeugter Strom die Netze der Zukunft stabil halten, wenn der Ausbau schnell genug erfolgt. Auch im Wärmemarkt ist das Potential immens.

Ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) befasste sich 2003 mit der Energiequelle aus der Tiefe. Er legt nahe, das enorme Potential für die Energieversorgung in Deutschland zu nutzen: Rund 300.000 Terawattstunden (TWh) lagern im heimischen Untergrund, gegenüber einem jährlichen Stromverbrauch von nur 620 TWh. Davon ließe sich rund die Hälfte nachhaltig durch geothermische Kraftwerke decken, so das TAB.

Die Enhanced Geothermal Systems (HGS) sind das Mittel der Wahl: Im kristallinen Felsgestein wird ein künstlicher Wärmetauscher geschaffen. Bild: Siemens, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

"In Deutschland gibt es drei Hauptbereiche: Das norddeutsche Becken, den Oberrheingraben und die bayrische Molasse", erklärt Pia Orywall. "Dort sind die vermuteten Potentiale am größten." Für einen Großteil dieser Regionen, insbesondere im Bereich zwischen Schwarzwald und Vogesen, sei die EGS-Technik die bevorzugte Erschließungsmethode.

Die gleiche Technik, die in Soultz-sous-Forêt ausgesprochen gut funktioniert hat und in Basel auf erheblichen Widerstand stieß, ist das Mittel der Wahl. Eben jene Technik kann die Energieversorgung der Zukunft sichern oder wird wie in Basel am Widerstand der Bevölkerung scheitern.