SPD-Bürgermeister beim Vorwandskündigen erwischt?

In Worms versucht man Schwimmbadkassiererinnen möglicherweise mit einer altbekannten Masche loszuwerden

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In den letzten Jahren gab es immer wieder spektakuläre Fälle, bei denen viel dafür spricht, dass man Angestellten, die man loswerden wollte, nicht unter Nennung der eigentlichen Gründe kündigte, sondern aufgrund allgemein praktizierter aber offiziell verbotener Verhaltensweisen.

Sehr stark nach diesem Effekt roch beispielsweise die Entlassung eines Zweiundfünfzigjährigen, der sein Mobiltelefon an der Steckdose seines Arbeitgebers auflud, einer Sekretärin, die sich wie gewohnt von den Resten eines Buffets nahm, und einer Altenpflegerin, die sechs übrig gebliebene Maultaschen aß, die sonst weggeworfen worden wären.

Solche Fälle entstehen paradoxerweise unter anderem deshalb, weil die deutsche Rechtslage vor allem bei lange im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern theoretisch einen relativ starken Kündigungsschutz gewährt, aber gleichzeitig ganz alltägliches Verhalten verbietet oder sogar kriminalisiert. Aus diesen Gründen lassen sich ältere Mitarbeiter, die beispielsweise zu unbotmäßig oder zu oft krank sind, in der Praxis relativ leicht kündigen, wenn man einige theoretisch verbotene Verhaltensweisen im Betrieb geradezu offensiv duldet. Je stärker sich solche Verhaltensweisen verbreiten, desto umfassender können sie im Bedarfsfall zur schnellen Kündigung eingesetzt werden. Dazu kann nicht nur die umwelt- und ressourcenschonendste Beseitigung übrig gebliebener Speisen oder das Einstecken des Mobiltelefonladegeräts gehören, sondern auch das Surfen auf Seiten, die man als nicht rein dienstlich einstufen könnte oder das Versenden einer Email an die Ehefrau.

Dies kann im Extremfall zu Fragestellungen wie der führen, ob mit einem Kugelschreiber im Home Office auch ein Einkaufszettel beschriftet wurde. Extrem lebensfern ist so etwas nicht bloß deshalb, weil die Transaktionskosten für eine saubere Trennung wesentlich über dem Wert des Materials liegen, sondern auch, weil es durchaus die Regel ist, dass ein Arbeitnehmer sein Diensthandy auch einmal zuhause auflädt oder eine beruflich bedingte Notiz mit dem privaten Kugelschreiber vornimmt.

Drang solch ein mutmaßlicher Vorwandskündigungsfall an die Öffentlichkeit, dann zeigte sich die SPD stets arg empört über das schäbige Verhalten der jeweiligen Arbeitgeber. Nun steht ein SPD-Politiker im Verdacht, genau diese Praxis bei den Angestellten seiner Kommune zu praktizieren. Die Rede ist von Georg Büttler, der der Stadt Worms seit 1997 als Bürgermeister vorsteht.

Das Wormser Rathaus. Foto: AlterVista. Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Die "Nibelungenstadt" will nämlich vier Kassiererinnen des städtischen Freizeitbades loswerden. Dazu holte sie der Leiter der Einrichtung im Juli in sein Büro und warf ihnen vor, eine "Schwarzgeldkasse" zu führen, weshalb ein "Verdacht auf Korruption" bestünde. Erst im weiteren Verlauf dieses Gesprächs wurde den vier Beschuldigten angeblich klar, dass ihr Chef damit offenbar die "Kaffeekasse" meinte - eine Dose für Trinkgeld, wie sie an vielen Ladentheken steht. Insgesamt fanden sich in den in zwei Exemplaren vorhandenen Vorrichtungen allerdings lediglich 34 Euro und zwei Cent. Angeblich kamen pro Jahr etwa 70 Euro zusammen, die im Dezember zwischen allen 20 Beschäftigten aufgeteilt wurden, so dass jeder etwa drei oder vier Euro erhielt. Zur Frage, wer genau damit zu welchen Handlungen verleitet worden sein könnte, schwieg die Stadt Worms gegenüber Telepolis.

In jedem Falle kündigte man den vier Kassiererinnen Anfang August fristlos, worauf hin diese den Rechtsweg beschritten und seitdem auf Wiedereinstellung klagen. Ihrer Einschätzung nach will man sie loswerden, weil sie als zu alt gelten und schob die nicht genehmigte Kaffeekasse lediglich vor.

Für diese Möglichkeit spricht, dass die Vier zwischen 49 und 55 Jahre alt sind. Nach Auskunft einer der Betroffenen wären die Frauen mit regulären Mitteln praktisch unkündbar. Und jüngere Arbeitskräfte, mit denen man sie angeblich ersetzen will, kämen die Stadt tatsächlich weitaus billiger. Misstrauisch machte die Kassiererinnen auch, dass sich der Geschäftsführer der Freizeitbetriebe auf einer Betriebsversammlung kurz vor ihrer Entlassung über die erwartete kommunale "Rekordverschuldung" und die Notwendigkeit von Einsparungen ausließ.

Aktuell nennt die Stadt auf ihrer Website nicht die ungenehmigten Trinkgelder, sondern eine angebliche Unterschlagung von Fundsachen wie Portemonnaies als Grund für die Kündigung. Zudem soll das Geld aus der Kaffeekasse nicht von Besuchern des Schwimmbads dort hineingegeben, sondern vom Boden aufgesammelt worden sein. Seltsam daran ist jedoch nicht nur, dass eine durch die Stadt gestellte Strafanzeige erst zwei Monate nach der Entlassung der Kassiererinnen erfolgte, sondern auch, dass die Kündigungen gegenüber der Mainzer Arbeitsrichterin Ruth Lippa erst nur mit der Kaffeekasse und nicht mit den angeblichen Unterschlagungen begründet wurden.

Ausgesprochen merkwürdig ist zudem, dass die Wormser Freizeitbetriebe die Vier angeblich vor die Wahl stellten, entweder selbst zu kündigen oder als weitaus schlechter bezahlte Halbtags-Putzfrauen weiterbeschäftigt zu werden. Darauf, warum Arbeitskräfte, denen man Unterschlagung vorwirft, ausgerechnet in diesem Bereich weiter beschäftigt werden könnten, bekam Telepolis von der Stadt Worms bis jetzt keine Antwort. Anderen Medien scheint es ähnlich ergangen zu sein.