Ih!

Zur Karriere eines missbrauchten Buchstabens

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Political Correctness ist, wie alle Arten von Linientreue, ein ermüdendes Thema, und wer sich damit beschäftigt, wird auch durch die Lachhaftigkeit nicht entschädigt, die freiwillige subkulturelle Linientreue auszeichnet. Aber was will man machen, die Wirklichkeit ermüdet immer. Einige Anmerkungen zum Nachleben eines dummen Brauchs.

Die Geschichte des Binnen-Is ist kurz, und daher schnell erzählt. 1981 kam der Autor Christoph Busch auf die Idee in einem Buch über freie Radios die Frauenbefreiung orthographisch nach vorne zu bringen, indem er statt von Zuhörern und Zuhörerinnen von ZuhörerInnen schrieb.

Das gefiel anderen orhographischen FrauenbefreierInnen so gut, dass sie es in ihre Rechtschreib- und Benimmregeln aufnahmen, die taz war schnell dabei; an den Universitäten feierte die Genderforschung Sieg um Sieg, und kein autonomes Flugblatt verweigerte sich der Rechtschreibreform von unten. Nun bin ich ganz sicher nicht der Meinung, dass der öffentliche Diskurs zu viele linke Ideen aufgreift und weiterentwickelt, ganz im Gegenteil. Aber die vom Binnen-I hätte man links liegen lassen können. Zwei Gründe.

Erstens macht sie Texte hässlich. Es geht dabei gar nicht so sehr um die lächerlichen Exzesse wie das Geschwätz von "StühlInnen", mit dem irgendwelche Übereifrigen in den Achtzigern das Publikum quälten. Der stete Zwang zur orthographischen Gegendiskriminierung bringt per se etwas Verkrampftes und Rechthaberisches in den Text ein und wirkt als einst emanzipativ gemeinter Regelbruch heute genau gegenteilig: Er ist zu Benimm geworden, den man in einem bestimmten, zum Glück immer kleiner werdenden Milieu einfach zu haben hat, so bescheuert die Konsequenzen auch sein mögen.

Ich weigere mich zu glauben, dass die Befreiung der Frau mit dem Zwang zur Hässlichkeit einhergehen kann, und deswegen halte ich das dumme I auch nicht für geeignet, die Befreiung der Frau zu befördern. Es ist absolut kein Wunder, dass im Zuge der I-diotisierung des Geschlechterdiskurses die KrampfhähnInnen von der veganen Front das hässlichste Wort der deutschen Sprache hervorgebracht haben: "AntispeziesistInnen" - ein Folterinstrument, exakt dafür gemacht, alle zu quälen, die ein Mindestmaß an Sinn für sprachliche Ästhetik mitbringen.

Der merk- und humorbefreite Tugendterror der TierrechtlerInnen findet in diesem Monstrum seinen ureigenen Ausdruck. Es ist nicht einfach, einen Neologismus zu kreieren, an dem alles falsch ist: Gedanke, Ausdruck und Orthographie, aber hier ist es mit Bravour gelungen.

Der zweite Grund, aus dem man das Verschwinden des Binnen-I nur unterstützen kann: Wie alle anderen Formen von Politial Correctness handelt es sich bei der orthographischen um eine Ersatzstrategie, die mangelnde Erfolge in der Hauptsache durch Stellvertreterkriege auf Nebenschauplätzen kaschieren will. Ja, gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse schlagen sich in der Sprache nieder. Ja, dies sollte bemerkt und analysiert werden. Aber es hat noch nie geholfen, das eigentliche Problem lösen zu wollen, indem man es anders benennt, garniert, umdrapiert, neu verpackt (siehe auch: Neusprech für Hartz IV und Die deutsche Tradition der manipulativen Wortschöpfung).

Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert werden sollen, indem bloß anders über sie gesprochen wird, dann bleiben sie, wie sie sind. Schwarzafrikaner in Deutschland haben nun wirklich nichts davon, wenn die Weißen "Mitbürger mit subsaharischem Migrationshintergrund" sagen, dabei aber "Nigger" denken und fühlen. Für "jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen" gilt mutatis mutandis das Gleiche. Ob die TierrechtlerInnen nun noch Millionen TiermenschInnen aus LegebatterieInnen befreien oder nicht - wenn der globalisierte Agrarkapitalismus bleibt, werden Nutztiere weiter unnötig leiden.

Oliver Tolmein, den ich ansonsten sehr schätze, meinte vor Jahren im fortgesetzten Gebrauch des Binnen-Is einen Ausdruck erfreulichen Eigensinns erkennen zu können.

Ganz im Gegenteil ist heute das Binnen-I Ausweis nur noch einer geistigen Selbstuniformierung, die hoffentlich weiterhin auf Sektierer und Spinner beschränkt bleibt. In diesem Sinne wünsche ich mir und allen Lesern und Leserinnen eine Zukunft ohne Binnen-I.