Wer zahlt's?

HTML5 und die Zukunft von Video im Netz

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Der neue Webstandard HTML5 ermöglicht es, Videos im Browser ohne Zusatzplayer abzuspielen. Doch welches Videoformat dafür eingesetzt wird, ist noch nicht entschieden - im Wettstreit zwischen dem Open Source Codec Ogg Theora und dem proprietären, lizenzpflichtigen H.264 scheint letzterer die Oberhand zu gewinnen

Seit letzte Woche YouTube experimentell die Unterstützung von HTML5 öffentlich gemacht hat, können Videos ohne den dafür bisher obligaten Flashplayer abgespielt werden. Doch ist diese Funktion auf die von großen Konzernen unterstützen Browser Safari (Apple) und Chrome (Google) beschränkt, die beide den lizenzpflichtigen, proprietären H.264 Codec intern mitbringen.

Der H.264 Video-Codec wird benötigt, um die mit ihm komprimierten Videos, zum Beispiel einen Großteil der YouTube-Videos, abzuspielen. Die für seine Nutzung fällige Lizenzahlung von mehreren Millionen Dollar pro Jahr kann sich die Mozilla Foundation, der Hersteller von Firefox, nicht leisten und sie will diese Entwicklung ganz im Sinne der offenen und freien Standards, denen Firefox verpflichtet ist, auch nicht unterstützen - ebensowenig wie Opera Software, der Hersteller des gleichnamigen Browsers.

HTML5

Genau dieses Problem war auch Gegenstand des Streits um die Integration eines Videocodecs als Standard in HTML5, also der Definition von Techniken, die jeder zukünftige, damit konforme Browser unterstützen sollte - eine Weichenstellung für die Zukunft. Während große Hersteller darauf beharrten, H.264 zu verwenden (und damit den dazugehörigen Codec in alle ihre zukünftigen Browsergenerationen zu integrieren), war die Gegenseite, wie u.a. Mozilla dafür, den quelloffen, freien Codec Ogg Theora zu verwenden. Gegen die Verwendung von H.264 spricht seine Lizenzgebundenheit: ein Konsortium, die MPEG LA, unter deren Dach sich alle Lizenzgeber von in H.264 verwendeten Technologien zusammengeschlossen haben, verlangt für den Einsatz dieser Technik im En-/Decoder Geld.

So ist der freie Einsatz von H.264 als Standard-Videoformat auf YouTube und anderen Videoportalen bislang nur deshalb möglich, weil Adobe, der Hersteller des Flash-Players, die notwendigen Lizenzzahlungen leistet, um den H.264 Codec in den Player zu integrieren (ebenso wie Apple für QuickTime). Webseiten, die in H.264 codierte Videos auf ihrer Seite abspielen wollen, müssen einfach nur den auf nahezu allen Computern inzwischen installierten Flashplayer aufrufen, um die Videos damit abzuspielen - ohne die Verwendung eines externen Players und ohne auf die auf dem jeweiligen Computer installierten Codecs zurückgreifen zu müssen. Adobe leistet sich diese Zahlung, weil die Universalität des Flashplayers den Absatz der konzerneigenen kommerziellen Tools wie Authoringprogramme, Encoder oder dazugehörige Flash-Streamingserver fördert. Mit HTML5 könnte sich jetzt jedoch die Fähigkeit, Video im Browser abzuspielen, von Flash abspalten - zu Ungunsten Adobes, aber zu Gunsten z.B. von Mobilgeräten (wie dem iPhone) die Flash nicht unterstützen und deswegen bisher keinen Zugriff auf Videoportale wie YouTube hatten. Dagegen spricht allerdings, dass HTML5 im Gegensatzu zu Flash keinen DRM-Schutz von Videos vorsieht, dieser aber eine Voraussetzung dafür ist, dass kommerzielle Inhalte wie Hollywood Filme oder TV Shows ins Netz gestelllt werden.

Doch nicht nur diese bereits anfallenden Lizenzzahlungen für das De- und Encodieren von Videodaten sind ein Hindernis. Denn nach dem Auslaufen der bisherigen Regelung des Lizenzvertrages 2015 könnten zusätzliche Gebühren auch für die unkommerzielle Nutzung von H.264-Videos im Internet anfallen.

Lizenz-Zeitbombe H.264?

Das MPEG LA Konsortium scheint zur Verbreitung von H.264 die Strategie der sanften Infiltration zu fahren, wie sie schon bei dem Bildformat-gif und dem Audioformat-MP3 zu beobachten war: bei beiden wurden die vorhandenen Lizenzansprüche über längere Zeit nicht eingeklagt, so lange zumindest bis sich die Formate als Quasi-Standards etabliert und weit verbreitet hatten und somit kaum mehr verzichtbar waren. Dann fingen die Rechteinhaber an, Lizenzzahlungen einzufordern (bei Gif nur punktweise, bei MP3 konsequent). Um Software zu nutzen, die für das Erstellen von Medien in diesen Formaten notwendig ist, fallen somit immer Kosten an, will man keine Rechte verletzen (das Patent an Gifs lief allerdings 2003/2004 aus). Dasselbe könnte auch im Falle von H.264 drohen: nach einer langen Phase der scheinbar freien Nutzung könnten ab 2015 Gebühren auch für kostenfrei angebotene Internet-Streamingangebote, die H.264 verwenden, eingefordert werden (diese Periode wurde gerade von der MPEG LA von 2011 bis eben 2015 verlängert).

Wie bei MP3 sind auch bei H.264 die Lizenzbedingungen nicht festgeschrieben, sondern können von Lizenzperiode zu Lizenzperiode geändert werden - sichere Kostenvoraussagen sind so nicht möglich. Und mit zunehmender Verbreitung wird für eine zunehmende Anzahl von Applikationen und Webseiten die Gefahr immer größer, sich teuren Lizenzzahlungen gegenüber zu sehen, die alternativlos sind, will man im Geschäft bleiben und kompetitiv sein. Kurz: irgendwann kann die Lizenz-Zeitbombe so richtig hochgehen - und damit ist eine grundlegende Technologie des Netzes (nämlich die, bewegte Bilder zu zeigen) eben nicht mehr frei.

Die Lizenzkosten für Internet-Übertragungen sind gestaffelt in mehrere Stufen, das kleinste umfasst 100,000 bis 250,000 Abonnenten, für die 25,000 Dollar zu zahlen wären, das größte für mehr als 500.000 User 100,000 Dollar. (Noch) nicht zur Kasse gebeten werden kleinere Anbieter die unter 100.000 Usern haben - wenngleich auch die Definition von Abonnenten bzw. Usern pro Jahr bei einem Videoportal schwammig bleibt, aber vielleicht hat diese Unklarheit der Lizenzbedingungen ja auch System. Eine feste Begrenzung der jährlichen Kostensteigerung ist durch die MPEG LA nicht vorgeschrieben.

Grundlegend ist gegen diese Verwendung von H.264, der zwar ein offener Industriestandard ist, aber eben ein lizenzpflichtiger, einzuwenden, dass ein Standard, der immer den Kauf eines Zusatzprogrammes erfordert, eher einer von Konzernen erhobenen Steuer auf das neue Medium gleicht als einem wirklichen, also freien, von allen zu verwendenden, Standard.

Das H.264 Lizenzierungsmodell führt auch zu Mehrfachzahlungen: anstatt dass durch den Erwerb des Nutzungsrechts für den Codec jeder Einsatz in verschiedenen Programmen durch den User abgegolten ist, wird mehrfach abkassiert: man muss den Codec mit jedem Programm, das man kauft und das ihn enthält (wie Multimediaplayer, Videoschnittprogramme, Blu-ray Authoring oder Mediacenter) jedes Mal neu mitkaufen. Und bezahlt so mehrfach für das gleiche Nutzungsrecht.

Freie Entwicklung durch freie Standards

Die Möglichkeit, nur mit freier Software (wie Linux mitsamt Open Source Programmen) Inhalte im Netz anzuschauen, zu erschaffen oder die dafür notwendigen Programme zu entwickeln, wäre durch einen solchen zwar offenen aber lizenzpflichtigen Videostandard kompromittiert. Die Lizenzfreiheiheit der zugrunde liegenden Technologien bildet die Grundlage für die bisherige schnelle Entwicklung des Netzes.

Open Source Implementationen wie das X.264 Projekt, das H.264 Encoding für diverse Video-Transcoder bereitstellt, bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone - jederzeit könnten die Patentinhaber anfangen, ihre Forderungen (zumindest in den Ländern, in denen diese rechtlich gedeckt sind) einzutreiben.

Ogg Theora

Der offene Videocodec Ogg Theora bildet die freie Alternative zum proprietären H.264. Doch als Argument gegen seinen Einsatz in HTML5 wurde eingewendet, dass der 2002 in Form des VP3 Codecs der Firma On2 an die Open Source Gemeinde übergebene, jetzt quelloffene Codec möglicherweise noch sogenannte U-Bootpatente enthalten könnte, also mögliche Patentansprüche, die noch unbekannt sind, weil sie noch nicht geltend gemacht wurden. Solche Ansprüche könnten aber jederzeit eingeklagt werden, sollte sich das Ziel zu einem aussichtsreich lohnenden Opfer gemausert haben, ein Risiko das viele Browser-Hersteller nicht eingehen wollten (vielleicht aber hat die Ablehnung von Ogg Theora auch wirtschaftliche Gründe, denn Microsoft und Apple sind auch Mitglieder des MPEG LA H.264 Patentpools und verdienen so am Einsatz von H.264 mit).

Ein weiteres, schwerwiegendes Argument: die Videoqualität von Ogg Theora ist noch nicht konkurrenzfähig mit H.264, d.h. für die gleiche Bildqualität muss mehr Speicherplatz aufgewendet werden, was sich auf den Speicherplatzbedarf von Videoportalen und die beim Abspielen notwendige Bandbreite negativ auswirkt, will man nicht auf Bildqualität verzichten. Deutlich zu sehen ist dieser noch vorhandene Qualitätsunterschied bei gleicher Bitrate bei diesem Test des Codec-Spezialisten Ben Waggoner, einem Vergleich zwischen H.264 und Theora 1.1 .

Und gegen Ogg Theora spricht auch die Kraft des Faktischen: durch die große Verbreitung von H.264-Videos sind fürs Abspielen spezifische Funktionen in immer mehr Hardware gegossen, nämlich in Form von dezidierten H.264 Decodern z.B. in Handys oder in Grafikkarten, um die (besonders bei HD) sehr rechenintensiven Wiedergabe von Video auch auf rechenschwachen Systemen ruckelfrei zu ermöglichen.

YouTube: HTML5 plus H.264

Da sich der Widerstreit über das zu verwendende Videoformat in HTML5 zwischen den verschiedenen Parteien nicht überbrücken ließ, blieb das Problem ausgeklammert: das in HTML5 neu eingeführte Video Tag, durch welches Videos ebenso simpel wie bisher Bilder in Webseiten eingebunden werden können, wurde zwar definiert, es blieb jedoch dem jeweiligen Browserentwickler überlassen, welches Video-Format (Ogg Theora oder H.264) er integrieren würde. Opera und Firefox unterstützen Ogg Theora, Safari H.246, Google Chrome beides und Microsofts Internet Explorer momentan noch keinerlei HTML5 Elemente.

Seit dem Ende Januar 2010 ermöglicht YouTube (sowie Vimeo kurz darauf) experimentell das Abspielen von H.264 Videos per HTML5. Kritisiert wird jetzt die Verwendung des proprietären Videocodecs als Vorentscheidung von YouTube zugunsten von H.264 im Streit um den zukünftigen Videostandard - allerdings sollte berücksichtigt werden, dass die beiden Portale hierfür bloß eine eigene Seite bzw. Player in die Webseite integriert anbieten müssen, um H.264 per HTML5 umzusetzen, da die meisten Videos ja schon als H.264 Format vorliegen.

Im Falle einer Entscheidung, für das offene Ogg Theora wäre das Experiment bedeutend aufwändiger: alle in Frage kommenden Videos müssten in enormem Aufwand und größerem Platzbedarf neu encodiert werden. So dagegen können die Portale zumindest für Chrome und Safari dieses HTML5 Feature schon jetzt anbieten. In der öffentlichen Wahrnehmung stellt YouTubes Experiment allerdings ein Problem für Mozilla Firefox und Opera dar, welche H.264 nicht unterstützen: ihnen wird unsinnigerweise vorgeworfen, den Standard HTML5 nicht zu unterstützen.

Die Zukunft?

Die Lösung könnte hier aus einer unerwarteten Ecke kommen, nämlich von YouTube bzw. Google selbst: die angekündigte Übernahme des Codec-Herstellers On2 durch Google könnte das Problem mit der H.264/MPEG-4 Lizenzierung auf einen Schlag lösen: On2 stellt mit VP6 einen Videocodec her, der qualitätsmässig H.264 die Stirn bieten kann, also vergleichbare Bildqualität bei gleicher Bitrate liefert und von Fremdpatenten frei ist. Das ist möglich, weil On2 schon seit über zehn Jahren Videocodecs entwickelt und immer darauf bedacht war, nicht auf schon vorhandene und damit zu lizenzierende Algorithmen zurückzugreifen.

Möglich wäre, dass Googles strategischer Kauf dazu dient, nicht nur YouTube von zukünftigen (möglicherweise enormen) Lizenzzahlungen für H.264 zu befreien (oder zumindest bei möglichen Verhandlungen einen starken Hebel zu haben), sondern den Sourcecode von VP6 (bzw. den noch in Entwicklung befindlichen Nachfolgern VP7/VP8) offen zulegen und standardisieren zu lassen. Damit wäre der Weg frei, den Codec ohne Bedenken auf Patentverletzungen oder drohende Lizenzeinzahlungen in die nächste Browsergeneration zu integrieren und damit einen neuen, freien Videostandard im Netz zu schaffen - ganz im Sinne der Firma Google, die als Dienstleister von offenen Standards im Netz nur profitieren kann. Und mit YouTube hätte Google auch ein mächtiges Werkzeug in der Hand, um diesen Standard zu etablieren und durchzusetzen. Für die User würde sich nichts ändern, das Update würde transparent, also quasi unter der Haube ablaufen: YouTube würde (nach einer allerdings gewaltigen Transkodieraktion um alle vorhandenen mehrere hundert Millionen Videos ins neue Format zu bringen) einfach, je nach Browserkennung statt der H.264 Version die neue VP6 Version abspielen.

Doch trotz Googles möglichem Engagement ist H.264 dank der Strategie der zunächst scheinbaren Kostenfreiheit und des zeitlichen Vorsprungs schon so sehr verbreitet, sind schon so viele Investitionen zugunsten von H.264 erfolgt, dass es unwahrscheinlich scheint, stattdessen einen anderen, einen freien Videostandard zu etablieren - höchstens wäre es denkbar, langfristig eine solche Alternative anzubieten und zu hoffen, dass sie sich parallel etablieren kann. Die Mozilla Foundation hätte dann nur die Möglichkeit, auf die integrierte H.264 Wiedergabe in Firefox weiterhin zugunsten von Flash zu verzichten oder in den sauren Apfel zu beißen und die Lizenzgebühren zu zahlen - auf Kosten anderer Projekte.