"Die Industriestaaten denken nicht an die Folgen ihres Handelns"

In Bolivien soll im April eine alternative Folgekonferenz des gescheiterten UN-Klimagipfels stattfinden. Telepolis sprach darüber mit der Politikerin Julia Ramos

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Nach dem gescheiterten UN-Klimagipfel in Kopenhagen soll in Südamerika ein Folgetreffen stattfinden. Die Regierung Boliviens erwartet rund 10.000 Teilnehmer zu dem alternativen Klimagipfel im April. Wie aus dem nun veröffentlichten Aufruf hervorgeht, soll die "Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und die Rechte der Madre Tierra" vom 19. bis zum 22. April im bolivianischen Cochabamba stattfinden. In deutlichem Gegensatz zu den dänischen Gastgebern suchen Boliviens Gipfelorganisatoren den Kontakt zu sozialen Bewegungen.

Evo Morales, der Präsident des südamerikanischen Landes, hatte in Kopenhagen zu den vehementesten Kritikern der Klimapolitik der Industriestaaten gehört (System- statt Klimawandel). "Nachdem ich einige Beiträge von Präsidenten aus der ganzen Welt gehört habe, bin ich überrascht. Sie haben nur die Auswirkungen und nicht die Gründe des Klimawandels behandelt. Es tut mir sehr leid sagen zu müssen, dass wir offenbar aus Feigheit nicht die Gründe für die Umweltzerstörung auf dem Planeten Erde berühren möchten", sagte der indigene Staatschef angesichts der Debatten. Gegen Ende der UN-Konferenz kündigte Morales bereits die Ausrichtung eines alternativen Treffens an.

In Cochabamba sollen Staatsvertreter, Experten und Nichtregierungsorganisationen nun gemeinsam Wege aus der Klimakrise suchen. In 16 Arbeitsgruppen wird das internationale Treffen vorbereitet. Enden wird die Konferenz am 22. April, dem internationalen "Tag der Madre Tierra" (Mutter Erde), der erst im vergangenen Jahr von der UNO ausgerufen worden war.

"Seit die Idee der Konferenz vorgestellt wurde, haben uns zahlreiche Anfragen unterschiedlichster Organisationen der Zivilgesellschaft erreicht", heißt es in dem ersten Informationsschreiben des Vorbereitungskomitees. In Kopenhagen habe sich das Unvermögen der Staats- und Regierungschefs der reichsten Länder der Erde gezeigt, einen entschiedenen und verbindlichen Ausweg aus der drohenden Klimakatastrophe zu eröffnen. "Den sozialen Organisationen ist es hingegen gelungen, das Thema auf die internationale Agenda zu setzen", heißt es weiter. Zahlreiche diese Kräfte würden sich nun an den Vorbereitungen des alternativen Treffens beteiligen.

Telepolis sprach mit Julia Ramos Sánchez über das Thema. Die indigene Politikerin war bis vor kurzem Ministerin für ländliche Entwicklung Boliviens. In Berlin nahm sie im Rahmen der Agrarmesse Grüne Woche an einer Konferenz mit über 50 Umwelt- und Agrarministern teil.

Die Natur gehört uns allen, nicht nur einer Regierung und einigen Unternehmen

Frau Ramos, Sie sind auf Einladung der Bundesregierung nach Berlin gekommen, um mit Fachministern zu sprechen. Welche Themen standen bei diesem Treffen im Zentrum?

Julia Ramos Sánchez: Nun, im Kern ging es in den Diskussionen um die Auswirkung des Klimawandels auf die Agrarproduktion. Schon jetzt müssen wir ja sehen, dass es in einigen Regionen der Erde in Folge des Klimawandels zu einem Mangel an Nahrungsmitteln kommt. Das ist kein zu vernachlässigendes Thema, das nur einige wenige Staaten und Menschen betrifft. Deswegen ist es unsere ungeheure Pflicht, eine weitere Veränderung des Weltklimas jetzt zu verhindern. Diese Verantwortung kommt vor allem uns Regierungen zu. Wir alleine müssen uns dafür einsetzen, die Madre Tierra (Mutter Erde) zu retten…

…was auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen aber nicht gelungen ist. Welche Folgen hat das Scheitern der UN-Konferenz?

Julia Ramos Sánchez: In dieser beschriebenen Bedrohungssituation sehen wir leider, dass die Industriestaaten damit fortfahren, die natürlichen Ressourcen weltweit auszubeuten, ohne an die Folgen für Natur und Mensch zu denken. Das ist die Hauptursache für die aktuellen Umweltprobleme. Das ist auch die Hauptursache für den Wandel des Klimas, Dürren und Überschwemmungen, in deren Folge noch mehr Armut entsteht. Unter diesen Umweltphänomenen leiden am meisten die Kleinproduzenten in den Ländern des Südens. Das sind Probleme, mit denen wir, die dortigen Regierungen, ständig zu tun haben.

Was müsste sich in der Landwirtschaft also ändern?

Julia Ramos Sánchez: Ökologische und nachhaltige Produktion muss gefördert werden. Auch darüber haben wir in Berlin gesprochen. Folgeschäden der industriellen Landwirtschaft könnten mit neuen Produktionsmodellen vermieden werden. Zudem ist diese Art des Anbaus eine Option, die Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität langfristig zu garantieren. Die Frage ist nun, wie die einzelnen Staaten dieses Ziel in Zusammenarbeit mit den Kommunen umsetzen. Unser Modell ist klar: Statt der großen Agrarindustrie müssen die kleinen Produzenten in jedem einzelnen Staat gezielt und direkt gefördert werden.

In Berlin ging es auch um den Zusammenhang zwischen der Landwirtschaft und dem Klimaschutz. Kommt es nach der Enttäuschung von Kopenhagen nun doch noch zum Dialog auf Staatsebene?

Julia Ramos Sánchez: Das hoffen wir natürlich und deswegen wird Boliviens Präsident Evo Morales im April Staats- und Regierungschefs zu dem Alternativen Klimagipfel einladen. Zu dieser Debatte sind alle aufgefordert, die an einer Lösung interessiert sind. Wir brauchen nicht notwendigerweise ein neues Kopenhagen-Protokoll, aber wir müssen in dieser Sache vorankommen und gemeinsam neue Lösungen erarbeiten. Natürlich hoffen wir, dass von diesem Gipfeltreffen ein Arbeitsauftrag ausgehen wird.

Gibt es denn schon Reaktionen der Industriestaaten?

Julia Ramos Sánchez: Nein, wir sind noch in der Planungsphase. Die Idee zu diesem Treffen ist ja erst in Kopenhagen entstanden. Aber natürlich ist die Teilnahme der Industriestaaten sehr wichtig, weil es auch darum gehen wird, wie staatliche Groß- und Direktinvestitionen verwendet werden.

Noch einmal zu der Landwirtschaft: Wie müssten sich die Produktionsmodelle auf internationaler Ebene verändern, um Ernährungssicherheit und Umweltschutz zu garantieren?

Julia Ramos Sánchez: Wir müssen eine ökologische Landwirtschaft fördern. Die Madre Tierra muss respektiert und vor ungehemmter Ausbeutung geschützt werde. Wir müssen weniger an große Verdienste denken und mehr an den Schutz der Welt, in der wir leben. Es geht also um die Förderung einer ökologischen Produktion. Eben das ist ein Ansatz, den wir in Bolivien verfolgen und dieses Modell hoffen wir international erfolgreich bewerben zu können. Wir sollten bei dieser Debatte nie vergessen, und das ist im Zusammenhang mit dem UN-Klimagipfel von Kopenhagen deutlich geworden, dass die Natur uns allen gehört, nicht nur einer Regierung und einigen Unternehmen. Wir alle können mit und von der Natur leben, wir alle leiden unter ihrer Zerstörung.

Mittel- oder langfristig wird aber auch ein neues Abkommen zum Klimaschutz notwendig werden.

Julia Ramos Sánchez: Wir sind zuversichtlich, dass sich nachhaltige Lösungen durchsetzen werden. Noch einmal: Der Klimaschutz liegt im Interesse aller Regierungen, diese Erkenntnis wird sich früher oder später in jedem Regierungssitz dieser Erde einstellen.

Welche Rolle spielen die linksgerichteten Staaten Südamerikas in diesem Prozess?

Julia Ramos Sánchez: Die Staaten der Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA) arbeiten schon jetzt gemeinsam an alternativen Konzepten zum Klimaschutz. Eine wichtige Erkenntnis dabei ist, dass wir unsere Naturreichtümer rational nutzen müssen. Diese Ressourcen dürfen nur soweit ausgebeutet werden, wie sie tatsächlich benötigt werden.