Heimlich und Co.

Warum wir so wenig über die ACTA-Verhandlungen erfahren

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Die inzwischen siebte Verhandlungsrunde über das geplante Anti-Piraterieabkommen ACTA ist vor über einer Woche zu Ende gegangen, doch erst jetzt folgen ernstzunehmende Berichte über die Inhalte. Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement wird seit Juni 2008 verhandelt. Die Treffen finden hinter verschlossenen Türen statt, was durchaus üblich ist. Dass die Öffentlichkeit nichts Ausführlicheres über den Zwischenstand erfährt, ist nicht ganz so selbstverständlich. Auch Fachleute wie etwa der deutsche Urheberrechtsspezialist Thomas Dreier vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) können nichts dazu sagen - kein Zugang zu Dokumenten.

Selbst die großen Geheimhaltungsfans unter den knapp 40 beteiligten Staaten erkennen inzwischen, dass sie sich eventuell ins Knie schießen. "Mehr Transparenz wäre ein Gebot der politischen Klugheit", urteilt Annette Kur, Professorin am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum. Doch die Befürworter der Geheimhaltung sehen sich zu Unrecht Verschwörungstheorien ausgesetzt. Ein hochrangiger Vertreter der EU-Kommission versuchte jüngst zu beschwichtigen: Das ACTA-Abkommen werde zum Beispiel nicht neu regeln, welche Verantwortung Internetprovider für die Handlungen ihrer Kunden hätten. Derartige Gerüchte seien nicht zutreffend und das Ergebnis "zu stark vereinfachender" Medienberichte. Doch seinen Namen wollte der EU-Vertreter nicht bei dem Nachrichtenportal Euractiv lesen, er sei an eine Schweigeklausel gebunden. Und Intransparenz lasse man sich schon gar nicht vorwerfen, schließlich würde die EU-Kommission die Parlamentarier regelmäßig über den Zwischenstand der Verhandlungen informieren - die Parlamentarier müssen jedoch ebenfalls ein Schweigegelübde ablegen.

Seit Ende 2009 hat eine Reihe von EU-Parlamentariern Fragen an die EU-Kommission gerichtet, Kommissarin Benita Ferrero-Waldner gab nun eine erste Antwort. Das ACTA-Abkommen werde selbstverständlich im Einklang mit europäischem Recht stehen. Es diene vielmehr der Verbrechensbekämpfung, so Ferrero-Waldner: "Es geht nicht darum, Bürgerrechte einzuschränken oder Verbraucher zu schikanieren."

Google sorgt für Transparenz

Wovor fürchten sich die Verhandelnden? Nate Anderson von Ars Technica gibt uns einen Hinweis, wer sich nicht so sehr in die Karten sehen lassen will - man ahnt es, zum Beispiel Lobbyisten. Anderson berichtet von einer Gesprächsrunde, an der unter anderen der Washingtoner Cheflobbyist der Film- und Musikindustrie beteiligt war. Und über Umwege räumte dieser ein, dass den von ihm vertretenen Organisationen sehr an dem ACTA-Abkommen gelegen sei. Da Googles das Treffen organisiert hatte, war es im Gegensatz zu den ACTA-Verhandlungen öffentlich zugänglich, sogar ein komplettes Video der Diskussion hat Google ins Netz gestellt.

Einer der größten Kritiker der undurchsichtigen ACTA-Verhandlungen ist der kanadische Juraprofessor Michael Geist. Als im Herbst 2007 alle damals teilnehmenden Länder ankündigten, über einen Anti-Fälschungsvertrag zu verhandeln, war Geist ziemlich überrascht. Noch am selben Tag veröffentlichte er auf seinem Blog einen Artikel, in dem er argumentierte, dass ACTA ein Versuch sei, bestehende internationale Abkommen zu umgehen, wie sie etwa unter der Welturheberrechtsorganisation WIPO ausgehandelt wurden. Als die Länder Verhandlungsrunde um Verhandlungsrunde nichts veröffentlichten als kurze Mitteilungen, in denen stand, wer wann und wo zusammengekommen war, ging Michael Geist in die Offensive. Er berichtete umfangreich über die Verhandlungen, verwies auf jedes durchgesickerte Dokument und argumentierte immer wieder für mehr Transparenz.

Inzwischen weisen zahlreiche Organisationen auf die problematischen Art der Verhandlungen hin, zum Beispiel die Electronic Frontier Foundation (EFF) und Knowledge Ecology International (KEI) in den USA oder European Digital Rights (EDRI).1 Doch an der ACTA-Informationspolitik hat sich wenig geändert, obwohl Länder wie Großbritannien, Schweden oder Neuseeland fordern, die Zwischenergebnisse zu veröffentlichen. "Es ist sehr schwer zu verstehen, wer die Ursache des Problems ist", sagt Geist im Gespräch mit Telepolis. "Es könnten einige der asiatischen Länder sein, und einige europäische Länder." Die Öffentlichkeit habe ein Anrecht darauf erfahren, welche Länder sich gegen die Transparenz sperrten, sagt Michael Geist.

"Schweigen spricht Bände"

Der Spezialist für Internet-Recht zieht in Sachen Transparenz den Umkehrschluss heran: "Vor allem einige asiatische Länder haben sich noch gar nicht dazu geäußert. Ihr Schweigen könnte in diesem Fall Bände sprechen." Länder, die die Zwischenergebnisse offenlegen wollen, hätten dies auch schon ausdrücklich gesagt. Und nach wie vor besteht für Geist ein Widerspruch zwischen der Ansage, dass ACTA keine bestehenden Gesetze ändern werde, und dem Umstand, dass der Text nicht veröffentlicht wird.

Grundsätzlich haben die USA die Verhandlungen auf den Weg gebracht, sie sind die treibende Kraft hinter ACTA. Was nicht unbedingt heißen muss, dass sie auch im Wesentlichen für die Undurchsichtigkeit verantwortlich sind. Ron Kirk, Handelsbeauftragter der US-Regierung, betont, dass man alles öffentlich mache. Der Chef der amerikanischen ACTA-Delegation kommt aus seiner Behörde und schrieb eigens einen Leserbrief an die Financial Times2, in dem er sich gegen Vorwürfe der Heimlichkeit verwahrte. Tatsächlich stehen auf der Seite des Handelsbeauftragten Ausschnitte aus Verhandlungsentwürfe der fünften Runde (November 2009), einen Einblick in aktuelle Zwischenergebnisse gewährt sie nicht. Stattdessen lieferte der US-Handelsbeauftragte eine ausgesprochen spärliche Mitteilung zur jüngsten ACTA-Runde.

Diese Pressemeldung legt zumindest nahe, dass die Verhandelnden etwas mehr Problembewusstsein haben: "Die Teilnehmer bestätigten erneut ihre Verpflichtung, ihre jeweiligen Anstrengungen zu vertiefen, solche Möglichkeiten [für Mitsprache der Öffentlichkeit] zur Verfügung zu stellen und gemeinsam die Transparenz zu verbessern." Eine klare Ansage - selbst wenn man diplomatische Watte entfernt - ist das nicht. Eindeutiger wird zum Beispiel einer der neuseeländischen Chef-Unterhändler: "Eine Reihe von Teilnehmern, die in der Vergangenheit dagegen war, Dokumente zu veröffentlichen, ist von dieser Position abgerückt", stellt er im Gespräch mit computerworld.co.nz fest.

Ein Anflug von Vielfalt

Beim besonders umstrittenen Internet-Kapitel, das zum Beispiel um die Verantwortung von Internetprovidern für angebliche Verstöße ihrer Kunden regelt, gibt es inzwischen mehrere Entwürfe. Michael Geist findet das positiv: "Es zeigt uns, dass noch nicht alles abgeschlossen ist." Und doch müsste die Öffentlichkeit genau in diesem Bereich Einblick bekommen, um darüber zu diskutieren und Einfluss nehmen zu können.

In der Zwischenzeit bekommen selbst Vertreter der US-Film- und Musikindustrie Angst davor, dass die Undurchsichtigkeit gegen sie spielen könnte. Oder wie Michael Geist es im Gespräch mit Telepolis ausdrückt: "Dieser Vertrag könnte eine Totgeburt werden, zumindest in den Wahrnehmung vieler in der Öffentlichkeit, die davon nichts außer der Kritik an der Heimlichkeit und durchgesickerte Dokumente mitbekommen haben." Ähnlich sieht es Rob Pegoraro von der Washington Post: "Man kann nicht über eine errte Wahrnehmung' dessen jammern, was man tut, wenn man den Leuten nicht sagt, was man tut."