Loppsi: Die unerhörte Leichtigkeit beim Ausbau der inneren Sicherheit

Neusprech in Frankreich: Wie aus "Kontrolle" "Schutz" wird

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In einem französischen Film aus dem Jahre 1981 reden ein Mann und eine Frau darüber, wie sie sich eine Beziehung vorstellen; sie steigen ins Auto, setzen sich, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Sie fährt los, die Hände beider gestikulieren, unterstreichen moderat manche Äußerung, wie gewöhnlich in einem Rohmer-Film, sie machen aber eins nicht, mit aller Selbstverständlichkeit, und das fällt dem heutigen Betrachter auf: Sie schnallen sich nicht an.

Im Jahr 1977 entschied der französische Verfassungsrat, dass ein Polizist unrechtmäßig handelte, als er den Kofferraum eines Autos öffnete. Die Begründung: der Kofferaum gehört zur Privatsphäre, er ist ein „elément du domicile“. Bis 1970 war der Konsum von Drogen kein Delikt. Diese Laxheit des Gesetzgebers zu Zeiten der Regierungen unter George Pompidou, würde uns heute erstaunen, so der Präsident der französischen Menschenrechtsliga, der diese beiden letzten Beispiele in einem Interview mit der Zeitung Le Monde auffährt. Er schiebt sie als Hintergrund in die jüngste Diskussion über die innere Sicherheit Frankreichs, die wieder einmal von einem neuen Gesetzesentwurf ausgelöst wird, der seit gestern im Parlament debattiert wird: Es geht um Loppsi 2, das "Gesetz über die Orientierung und Programmierung für die Durchsetzung der inneren Sicherheit", französisch: "projet de loi d'orientation et de programmation pour la performance de la sécurité intérieure" .

Die These von Jean-Pierre Dubois, dem Menschenrechtsliga-Präsidenten und Rechtsprofessor, ist geradeaus: Man könnte zeigen, dass die Hälfte der Gesetze, die seit 2002 in Kraft getreten sind, dem Programm von Jean-Marie Le Pen entstammt, das der Rechtsausleger für den Präsidentschaftswahlkampf 2002 entwickelt hatte.

Was die neue Loppsi-Vorlage betrifft, reibt sich Dubois besonders an der besseren Verknüpfung von Datenbanken, die im neuen Entwurf gefordert wird. Angesichts dessen, dass beinahe jede Woche ein neue Polizei-Datenbank geschaffen wird und die Überwachung über GPS-Geräte, Mobilfunk, und RFID-Chips bei Zugbillets erleichtert werde, sei das furchterregend und schockierend.

Die Regierung weist derartige Vorwürfe und Reaktionen natürlich zurück. Sie will das Bündel aus unterschiedlichsten Maßnahmen, die in Loppsi erwähnt werden, in einem anderen Licht gesehen wissen: Es geht ihr um den Schutz der Bevölkerung, nicht um Kontrolle. Weswegen beispielsweise der (lange angekündigte) Ausbau der Videoüberwachung – von 20 000 Kameras auf 60 000, dazu das neu gewährte Recht von privaten Einrichtungen Kameras auf der Straße aufzustellen - unter dem Begriff „Vidéoprotection“ formuliert wird.

Wie ein kritischer Artikel im Magazin Numérama mit ironischen Untertönen hinweist, ist auch das Loppsi-Internetfilterprojekt, das den Zugang zu Sites mit kinderpornografischen Inhalten erschweren soll, einem seltsamen „Schutz“-Gedanken unterstellt. Dass man in diesem Zusammenhang die Internetbenutzer vor einem „zufälligen Zugang“ schützen will ("protéger les internautes contre l'accès fortuit"), hält Numérama für ein weiteres Zeichen von Realitäts- und Internetbildungsferne. Auf solche Seiten klicke man, wie eigene Interneterfahrungen zeigen würden, nicht zufällig. Die Zahlen, die das Innenministerium hier vorlegt – die Rede ist von über 10 000 zufälligen unfreiwiligen Views pädophiler Seiten - , seien unter falschen Annahmen mit falschen Schlussfolgerungen zustandegekommen.

Doch nicht nur die hierzulande bekannte Kinderpornografie-Zugangserschwerung/Filter-Diskussion durch die vorgeschlagenen Maßnahmen im Loppsi-Gesetzespaket bekommt in Frankreich einen möglichen Wiedergänger, auch die Bundestrojaner-Diskussion könnte in ähnlicher Form im Nachbarland aufleben - vorausgesetzt die Öffentlichkeit ist dazu bereit: Loppsi soll der Polizei die „Spionage“ von Computern aus der Distanz erleichtern. Grundlage wäre die richterliche Erlaubnis eines Juge d`'instruction (Ermittlungsrichter) - ein Amt, das nach Plänen des Innenministeriums bald abgeschafft werden soll.

Insgesamt enthält das Bodybuildingpaket für die Innere Sicherheit 46 Artikel , die die unterschiedlichsten Gesetzesverstöße, „Schutzmaßnahmen“ und Regelungen erfassen – vom Autofahren in betrunkenem Zustand (höhere Strafen), der Ausgangssperre für Unter-13-Jährige, Einbruch (mit dem Novum, dass in Fällen, wo ältere Menschen Opfer solcher Straftaten sind, härter bestraft wird) bis hin zu Beerdigungsmodalitäten in Neu-Kaledonien.