Einstein genauer nachgemessen

Der Einfluss der Gravitation lässt Uhren langsamer ticken - diese wichtige Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie konnten Forscher jetzt mit weit höherer Genauigkeit als bisher überprüfen

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Ist die Gravitation schlichtweg eine notwendige Folge der von einer Masse hervorgerufenen Krümmung der Raumzeit, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie behauptet? Auf der Suche nach einer Vereinigung aus Relativitäts- und Quantentheorie wird diese Folgerung derzeit von der Physik auf den Prüfstand gestellt. Ist Gravitation womöglich doch mehr als eine Scheinkraft, die wir erfahren, weil wir nicht auf „offensichtlich“ kürzestem Weg zum Ziel gelangen (der aber in der gekrümmten Raumzeit - für uns unmerklich - doch der kürzeste ist)?

Wäre dem so, müsste es gelingen, der Allgemeinen Relativitätstheorie Ungenauigkeiten nachzuweisen, winzige Abweichungen zwischen Realität und Berechnung. Zum Beispiel in ihrer Vorhersage, dass eine Uhr in einem Gravitationspotenzial U um den Faktor 1 + U/C2 langsamer läuft (c ist hier die Lichtgeschwindigkeit). Dieses Phänomen, die so genannte gravitationelle Rotverschiebung, gehörte bisher zu den am ungenauesten experimentell überprüften Aussagen der Theorie.

Das liegt daran, dass sie nicht wirklich einfach zu messen ist. Man könnte zum Beispiel einen der berüchtigsten Massekleckse im Universum dazu benutzen, ein Schwarzes Loch. Um mit Hilfe eines Schwarzen Lochs von Erdmasse im Vergleich zur Uhr eines weit entfernten Astronauten aber auch nur eine einprozentige Verlangsamung zu erreichen, müsste man die Vergleichsuhr in etwa 45 Zentimeter Abstand zum Zentrum des Lochs bringen - eine taktische Meisterleistung.

Es dauerte denn immerhin auch eine Weile, bis es gelang, zwei synchron laufende Uhren weit genug voneinander zu entfernen, um die Rotverschiebung messen zu können. Benutzte man dazu etwa eine Atomuhr in einem Flugzeug und eine weitere auf der Erde, dann erhielt man bestenfalls Ergebnisse mit einer Genauigkeit von zehn Prozent. Mit Hilfe eines Wasserstoff-Masers in einer Rakete schaffte man es in den 70-ern immerhin, die Verlangsamung auf 7*10-5 genau zu bestimmen. Das blieb bis dato das am genauesten funktionierende Experiment - wenn man von relativen Messungen absieht, die eine Genauigkeit von 3,5*10-6 erreichten.

Einen neuen Versuch startete nun ein amerikanisches Forscherteam, das sein Vorgehen im Wissenschaftsmagazin Nature beschreibt. Genau genommen gingen auch im Labor die Uhren langsamer, denn es handelt sich gar nicht um einen neuen Versuch, sondern um die Neuinterpretation eines zehn Jahre alten Experiments. Dabei haben die Forscher mit Hilfe von drei Laserimpulsen stark gekühlte Cäsium-Atome in einer Vakuumkammer verschieden stark angeregt - und die Überlagerungszustände der Atome (die sich dabei auch räumlich trennen) zur Interferenz gebracht.

So ersparten sich die Forscher, die „Frequenz“ der in diesem Fall als Massewellen betrachteten Cäsium-Atome direkt zu messen. Stattdessen hatten sie so Zugriff auf die durch die räumliche Entfernung entstandene Frequenzverschiebung, und zwar mit einer Genauigkeit von 7*10-9, das heißt zehntausendmal genauer als bisher. Verglichen mit der im Rahmen der ACES-Experimente der ESA an Bord der ISS zu erwartenden Genauigkeit der Bestimmung der Rotverschiebung von 2*10-9 ist das ein überraschend gutes Resultat.

Das neue Ergebnis ist mehr als eine Spielerei, wie einer der Autoren, Holger Müller, beschreibt:

Würden wir in GPS-Satelliten die besten derzeit verfügbaren Uhren mit 17-stelliger Genauigkeit nutzen, könnten wir die Positionsbestimmung auf den Millimeter präzisieren. Aber die Höhe einer solchen Uhr im Gravitationsfeld nur um einen Meter zu verändern, führt schon zu einer Änderung an der 16. Stelle der Zeitmessung. Für ein genaueres GPS müssen wir also die gravitationelle Rotverschiebung sehr genau kennen.

Für die Physik bedeutet die Veröffentlichung, dass zumindest bei diesem Parameter kein Bedarf an neuen Theorien besteht - die ART hält.