Keine Angst, die tun nichts

Zur Debatte um Gewalt gegen Polizisten und ihre Ursachen

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Am 5.2.2010 hat die umstrittene Studie zum Thema "Gewalt gegen Polizisten" begonnen. Die Polizeigewerkschaft wähnt sich bisher hilflos und vor allen Dingen unwissend, was die Gründe für Gewalt gegen den "Freund und Helfer" angeht. Selbstreflektion vermisst man gänzlich.

Ein Forschungsprojekt - viele Probleme

Das Forschungsprojekt zum Thema "Gewalt gegen Polizisten" war von Anfang an problematisch. Der vorgelegte Fragenkatalog war von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) gerügt worden, weil zum einen Fragen auftauchten, die nach Ansicht der Gewerkschaft nichts mit den Gründen für Gewalt gegen Polizisten zu tun hatten. Zum anderen fürchtete man eine Ansehensschädigung der Polizei durch die Ergebnisse. Die inkriminierten Fragen bezogen sich nicht auf ein bloßes "warum wird man gegen Polizisten gewalttätig", sondern zielten insbesondere auch darauf ab, Probleme innerhalb der Polizei selbst zu erkennen. Fragen nach Migrationshintergründen von Kolleginnen und Kollegen, der Herkunft ihrer Eltern oder etwa die Frage, ob man sich einen Streifenpartner mit oder ohne Migrationshintergrund wünsche, sollten versteckte Ressentiments aufspüren. Gleichermaßen sollte auch durch Fragen nach der Vergangenheit der Polizisten (z. B. ob sie in der Kindheit mit den Eltern schmusten, ob sie leicht "ausrasten" oder ob sie in der Kindheit körperlicher Gewalt ausgesetzt waren) ermittelt werden, inwiefern die Problematik mit den Persönlichkeitsstrukturen der Opfer der Gewalt zusammenhängt.

Die Gewerkschaft stufte die Fragen ebenso wie der Hamburger Innensenator Althaus als eine Umkehr von Tätern und Opfern ein und forderte eine Überarbeitung des Katalogs. Christian Pfeiffer, der die Fragen (mit)verantwortete, sah in ihnen jedoch ein wichtiges Instrument:

Wir wollen die Beamten dafür sensibilisieren, dass das eigene Verhalten Auswirkungen haben kann. Jemand, der in der Kindheit Gewalt erfahren hat, hat ein doppeltes Risiko, auch als Erwachsener Opfer zu werden, weil er bei Konflikten weniger souverän ist.

Da letztendlich keine Einigung über den Fragenkatalog erzielt werden konnte, findet die Studie nun ohne Mitwirkung einiger Länder sowie des Bundesinnenministeriums statt. Das Fernbleiben des Innenministeriums hat die Linkspartei dazu bewogen, eine kleine Anfrage zu stellen, mit der die genauen Gründe für das Fernbleiben ermittelt werden sollen:

Wir fragen die Bundesregierung:

  1. In welcher Form und finanziellen Höhe war eine Unterstützung des Bundesministers des Innern an der genannten Studie beantragt oder vorgesehen?
  2. Aus welchen Gründen hat der Bundesminister des Innern die Beteiligung des Bundes an der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V. (KFN) zurückgezogen?
  3. In welcher Form und finanziellen Höhe war eine Unterstützung der durch die Innenministerien der einzelnen Länder an der genannten Studie beantragt oder vorgesehen?
  4. Welche Gründe haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Innenminister und -senatoren der Länder veranlasst, ihre Beteiligung an der Studie zurückzuziehen?

Respekt und Autorität durch höhere Strafen

Die DpolG wie auch die konkurrierende Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind derweil eifrig dabei, sich für neue Regelungen im Strafgesetzbuch einzusetzen. So soll die Mindesthaftstrafe für Gewalt gegen Polizisten erhöht werden, damit "Widerstand gegen Polizeibeamte" härter bestraft wird als beispielsweise Fischwilderei. Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bemüht sich in seiner Kritik, Respektlosigkeit und zunehmende Gewalt in Verbindung zu setzen: "Die Gewalt gegen Polizeibeamte", so Freiberg, habe "ebenso stark zugenommen wie die Respektlosigkeit gegenüber den Kollegen, die mit ihr einhergeht." Damit erweist er dem Anliegen an sich freilich einen Bärendienst.

Durch fehlendes Personal kommt es zu Situationen, in denen sich Polizisten "Anrottungen von Menschen, die Bekannte befreien wollen", gegenübersehen. Auch die von der Presse gern aufgegriffenen Mutproben oder die Versuche, an Handfeuerwaffen von Beamten zu gelangen, sind ein Problem und sollten keineswegs bagatellisiert werden. Durch die einseitige Betrachtungsweise der Polizei, die in den Stellungnahmen die Selbstreflektion vermissen lässt, geraten diese Dinge jedoch in den Hintergrund, da das Thema "Respekt" in einer Weise mit Gewalt verknüpft wird, die die Polizeibeamten quasi als grundsätzlich unschuldig am Geschehen darstellt. Die von Freiberg kritisierte Respektlosigkeit sowie der Autoritätsverlust, der ebenfalls beklagt wird, lassen sich nicht durch härte Gesetze ausgleichen, wie es einige Politiker fordern:

Ein Polizeibeamter, der das Gewaltmonopol des Staates durchsetzt, hat Anspruch darauf, dass der Staat seine Autorität nach außen deutlich sichtbar unterstützt und stärkt.

(Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie (CDU) zum Thema härtere Strafen bei Gewalt gegen Polizisten)

Sinnvoller und wichtiger als dem Dogma "härtere Strafen wirken" zu folgen wäre eine Ursachenforschung für die monierten Problematiken. Wer den Protagonisten der Strafverschärfungsargumentation zuhört, der gewinnt den Eindruck, als wäre die Polizei an der Entwicklung gänzlich unbeteiligt und sähe sich jetzt einem in keiner Weise nachvollziehbarem Phänomen ausgesetzt. Doch Gewalt, gerade gegen diejenigen, die das Gewaltmonopol ausüben, entsteht nicht "einfach so".

Was ist eigentlich Gewalt gegen Polizeibeamte?

Schon bei der Liste der Gewalttaten zeigt sich, dass hier alkoholbedingte Delikte mit (geplanten) Straftaten zusammen angesprochen werden. Auch wenn die Beamten selbst in Reportagen zum Thema vernommen werden, fällt dieses willkürliche Aneinanderreihen auf. Dies anzusprechen soll die alkoholbedingte Gewalt nicht verharmlosen - doch wenn eine alkoholisierte, torkelnde Radfahrerin sich einer Überprüfung widersetzt, dann ist dies zwar in diesem Moment Gewalt gegen Polizeibeamte, jedoch ist nicht klar, ob diese Gewalt spezifisch gegen Polizeibeamte gerichtet hat.

Bei Menschen, die in einem stark alkoholisierten Zustand aggressiv werden, richtet sich die Gewalt häufig einfach gegen denjenigen, der gerade in der Nähe ist. Hier reichen schon ein paar Worte (ein Anfassen oder der Versuch, zum Schutz des Betrunkenen das Rad bzw. die Pkw-Schlüssel wegzunehmen), um vom Gegenüber als Feind wahrgenommen zu werden. Auch der im Affekt bei einer Verhaftung ausgeteilte Fußtritt ist insofern ganz anders zu bewerten als eine gezielte Brandattacke gegen einen Streifenwagen oder ein Angriff auf einen Polizeibeamten aus persönlichen Gründen (z. B. Rache oder Eifersucht). Wenn dies mit spezifisch gegen Polizeibeamte ausgeübter Gewalt gleichgesetzt wird, dann verfälscht das die Zahlen. Dies ist letztendlich aber auch für die Ursachenforschung problematisch, da hier persönliche Motive mit jenen vermischt werden, die mit der Polizei als Trägerin des Gewaltmonopols zusammenhängen. Eine mangelnde Differenzierung dient dann denjenigen, die simple Thesen über die Gründe der zunehmenden Gewalt gegen Polizisten aufstellen:

Die Ursachen des Phänomens sind bekannt: gescheiterte Integration, vernachlässigte Erziehung, berufliche Perspektivlosigkeit.

(Konrad Freiberg)

Wir selbst tun doch nichts ...

Abgesehen von der Frage, inwieweit die ausgeübte Gewalt sich spezifisch gegen die Polizei richtete, fehlt es aber gerade auch bei der Polizeigewerkschaft an Reflexion über die Rolle der Polizeibeamten. Die Frage, wie leicht jemand "ausrastet" ist insofern (ebenso wie die Frage, ob er versteckte Vorurteile gegen Menschen mit Migrationshintergrund hegt), durchaus von Bedeutung. Dass Vorurteile zum Teil auch zu verfälschenden Statistiken führen, ist eine Binsenweisheit. Doch neben diesen Problemen spielt gerade auch das Verhalten der Polizei im Allgemeinen eine Rolle - denn oft ist wenig von den Deeskalationstaktiken zu merken, die den Vertretern der Staatsgewalt beigebracht werden.

Arroganz, Ignoranz, martialische Gesten und Posen sowie offen gezeigte Verachtung führen letztendlich nicht gerade zu Sympathie oder Respekt. Und Respekt gegenüber einer Person entsteht nicht dadurch, dass diese eine Uniform, Handschellen oder Kabelbinder trägt. Hier werden von den Protagonisten anscheinend Respekt mit Eingeschüchtertsein und Autorität mit Einschüchterung verwechselt. Der freundliche Polizist, der einer alten Dame über die Straße hilft, der Ortsfremden den Weg zeigt, oder hilfreich einer gestürzten Person zu Hilfe eilt, ist häufig nur mehr eine blasse Erinnerung an die Vergangenheit. Auch bedingt durch Personalmangel und Überforderung zeigen sich Polizeibeamte vielfach von einer alles andere als freundlichen oder höflichen Seite.

Zu diesen negativen Aspekten gesellt sich jedoch noch ein weitaus wichtigerer, der bei den Äußerungen der Polizeigewerkschaften und Polizeibeamten kaum eine Rolle spielt: Die von der Polizei selbst ausgeübte Gewalt. Immer wieder kommt es gerade bei größeren Demonstrationen zu Ausschreitungen durch die Polizei, deren Aufklärung sich - vorsichtig formuliert - problematisch gestaltet. So geschah es beispielsweise bei der Demonstration "Freiheit statt Angst" 2009. Die Stellungnahme des Demonstrationsbündnisses zeigt, wie schnell legitimes Handeln der Demonstrationsteilnehmer zu Gewalt seitens der Polizisten führte:

Es gibt Erkenntnisse darüber, dass Polizisten auf die rechtmäßige und legitime Frage nach ihrer Dienstnummer mit Gewalt reagiert haben. Aus unserer Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass der Staat uns Bürger immer mehr überwacht, aber nicht bereit ist, seine Organe transparent agieren zu lassen. Es liegen uns auch weitere Hinweise und Informationen vor, über zumindest unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei. Diese werten wir derzeit aus. Ebenso hat sich die Polizei vielfach nicht an die Absprachen mit uns als Organisatoren der Demonstration gehalten, insbesondere haben sie sich nicht an die Zusage gehalten, die Demonstranten nicht zu filmen. Ebenso ist es für uns nicht akzeptabel, dass entgegen der Absprache systematisch Teilnehmer der Demonstration durchsucht wurden.

Hier zeigt sich, dass die Polizei durch ihr Verhalten teilweise zu einer aufgeheizten Stimmung beiträgt, dann (unverhältnismäßige) Gewalt anwendet und später aber die eigene Mitverantwortung komplett verneint. Dazu kommen Fälle wie der des Asylbewerbers Oury Jalloh, während deren Aufklärung Beweismittel verschwinden. Stets stellt auch der Korpsgeist innerhalb der Polizei ein großes Problem dar. Es scheint als würden manche Beamte in unverhältnismäßig angewandter Gewalt eher eine Art Kavaliersdelikt oder sogar eine "verdiente Behandlung" des Delinquenten sehen, als sei man an der Aufklärung oder gar an Möglichkeiten, solche Situationen zu vermeiden, nicht weiter interessiert. Auch die Innenministerien halten weiter daran fest, dass eine unabhängige Polizeikommission, die Fälle von Polizeigewalt, Mobbing usw. untersucht, unnötig ist. Obgleich der Europarat eine solche Einrichtung des Öfteren gefordert hat, sieht man die bisherigen Kontrollmöglichkeiten als ausreichend an.

Solche Verhaltensweisen der Polizei könnten hinsichtlich der Ursachen von Gewalt gegen Beamte durchaus eine Rolle spielen. Wer vonseiten der Staatsgewalt keinerlei Respekt, Höflichkeit oder gar Entgegenkommen erfährt und noch dazu erleben muss, dass Regelverletzungen durch Polizisten nicht geahndet werden, der wird keinen Respekt vor diesen Menschen bzw. sogar starke Aversionen entwickeln, die gegebenenfalls auch in Gewalt münden.

Dass in der Debatte um die "neue Qualität der Gewalt gegen Polizisten'" diese Überlegungen ebenso wie Dienstnummern oder eine unabhängige Polizeikommission zur Aufklärung von Polizeigewalt keine Rolle spielen, ist symptomatisch für eine Staatsgewalt, die sich zunehmend von den Regeln, die auch für sie gelten müssen, entfernt, ohne dafür irgendwelche Konsequenzen erwarten zu müssen.