Wie sollen Schulen und Universitäten mit Gehirndoping umgehen?

Angeblich werden immer mehr Mittel zur kognitiven Leistungssteigerung eingenommen

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Sportler dopen sich, um ihre Leistung zu verbessern und ihre Konkurrenten hinter sich zu lassen. Mit großem Aufwand wird versucht, das Doping zu verhindern. Es kann nicht nur für die Sportler gefährlich sein, sondern gilt auch als unfair, weil es die Chancengleichheit verletzt, die allerdings schon durch die individuellen biologischen Körper der Sportler nicht gegeben ist. Doping könnte so für biologisch nicht auf Hochleistung angelegte Körper geradezu eine Kompensation darzustellen, um größere Chancengleichheit herzustellen, auch wenn manche Wissenschaftler der Überzeugung sind, dass die Menschen, was die körperliche Leistungsfähigkeit betrifft, auch mit Doping fast schon am Ende des Möglichen angekommen seien (Ab 2060 ist Schluss mit neuen Rekorden im Sport). Aber da mögen sie sich auch täuschen, wenn man beispielsweise Tierexperimente betrachtet (Genveränderte Supermäuse).

Nun beginnt die ethische Debatte aus dem Hochleistungssport auch in die Hochleistungsbildung überzuschwappen. Nach Umfragen nehmen offenbar immer mehr Schüler und Studenten sogenannte "cognitive enhancer", also Mittel zum Gehirndoping, um die Leistung vor allem in Prüfungen zu verbessern. Meist geht es dabei um die Steigerung von Wachheit und Aufmerksamkeit, und es werden Mittel genommen wie Ritalin oder Modafinil, die normalerweise verschreibungspflichtig und nicht für gesunde Menschen gedacht sind (Ritalin für alle!).

Wenn es tatsächlich zutreffen sollte, dass immer mehr Schüler und Studenten Gehirndoping bei Prüfungen machen und versuchen, sich damit Vorteile zu verschaffen, dann entstünde hier auch die Frage, ob Schulen und Universitäten das Doping dulden oder diesem einen Riegel vorschieben sollten, indem Schüler oder Studenten vor oder nach Prüfungen entsprechende Proben zum Nachweis abgenommen werden.

Barbara Sahakian, Professorin für klinische Neuropsychologie an der Cambridge University, sieht beispielsweise das Problem als ernsthaft an. Medikamente zur kognitiven Leistungsverbesserung oder zur "kosmetischen Neurologie" würden "weitreichende Implikationen für Universitäten" mit sich bringen, sagt sie, und fordert die Universitäten dazu auf, sich eine Strategie zu überlegen, wie sie mit Gehirndoping umgehen wollen, beispielsweise durch Einführung von zufälligen Urinproben, die abschrecken sollen. Ähnliches wird auch von anderen Wissenschaftlern überlegt (Dopingtests vor der Prüfung?).

Für sie sei der Aspekt wichtig, sagte sie dem Guardian, dass der Zwang steige, auch leistungssteigernde Medikamente einzunehmen, wenn die anderen das machen. Problematisch ist, dass die langfristigen Folgen der Einnahme von diesen Mitteln noch unbekannt ist. Aber auch selbst wenn es sichere Mittel zur kognitiven Leistungssteigerung gebe und man diese daher kaum verbieten könne, wären für die viele ethische Fragen zu klären: "Die große Frage ist, ob wir alle Medikamente in den nächsten Jahren und unsere Kognition auf diese Weise verbessern? Und wenn wir dies machen, werden sie verwenden, um kürzere Arbeitszeiten zu erlangen, so dass wir heimgehen, mehr Zeit mit unserer Familie verbringen und ein gutes Verhältnis zwischen Arbeit und Leben erreichen können? Oder werden wir direkt auf eine 24/7-Gesellschaft zusteuern, in der wir die ganze Zeit arbeiten, weil wir die ganze Zeit arbeiten können?"

Tatsächlich ist zu vermuten, dass der Druck von außen die Menschen dazu zwingen wird, heimlich oder legal vorhandene kognitive Dopingmittel einzunehmen – nicht nur für Prüfungen, sondern überhaupt, um fit zu bleiben und die Karriere zu befördern oder nicht zu gefährden (Enhancement: Wer will immer mehr leisten?). Auch manche moderne Arbeitsbedingungen wie das Steuern von Kampfflugzeugen kann vielleicht über längere Zeit nur mit der Hilfe von Dopingmitteln erfolgen (Soldaten auf Speed). Aber noch stärker wie beim Sport dürfte, sollte man an ein Dopingverbot bei Prüfungen denken, die Frage problematisch sein, mit der Einnahme von welchen Substanzen Doping beginnt und welche Ausnahmen man machen muss, schließlich könnten sich ja viele beispielsweise eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder andere Malaisen zulegen, zu deren Behandlung sie Medikamente benötigen, die auch als "cognitive enhancer" wirken.

Und auch hier wäre im Hintergrund ethisch die Frage nach der Chancengleichheit zu stellen. Warum sollten diejenigen, die biologisch und damit unverschuldet gegenüber anderen gewisse kognitive Defizite haben, nicht diese medikamentös kompensieren, falls dies möglich sein sollte? Dazu kommt natürlich sowieso, dass sich vermutlich eine flächendeckende Dopingkontrolle an Schulen und Universitäten gar nicht durchführen ließe, ohne massiv in die Privatsphäre einzugreifen. Schon bei den wenigen Sportlern sind Kontrollen nur lückenhaft und manche Entscheidungen fragwürdig.

Vermutlich haben wir aber den Weg zur künstlichen Verbesserung der körperlichen und kognitiven Fähigkeiten längst irreversibel eingeschlagen, auch wenn bislang die "Schlaumacher" noch nicht sonderlich effektiv sind (Experten fordern Regeln für den Smart-Drugs Menschenpark). Man könnte auch die überall mitführbaren digitalen Speicher mit ihren Datenbanken als "cognitive enhancer" zur Entlastung des biologischen Gedächtnisses betrachten, ähnlich haben Bücher früher funktioniert. Auch hier hat man Beschränkungen bei Prüfungen eingeführt, was benutzt werden kann und was nicht – und mehr und mehr Ausnahmen zugelassen (Wörterbücher, Duden, Rechencomputerm Formelsammlungen …). Müsste man jetzt Listen erstellen, welche Substanzen eingenommen werden können?